Was schön war, Donnerstag, 4. Juni – Im Flow

Morgens wieder ein Stündchen vor dem Wecker aufgewacht und mal was richtig Gutes getan: spazierengegangen. Dabei lief ich mir ernsthaft eine Blase in den Schuhen, in denen ich seit Monaten rumlaufe, was mir sehr klar macht: weniger radfahren, mehr gehen. Oder generell öfter die Schuhe anziehen und durch die Gegend laufen. Ich bin in den letzten Wochen anscheinend doch zu sehr mit Stühlen am eigenen Schreibtisch, in Bibliotheken oder Archiven verwachsen.

Müsli mit Obst, O-Saft, keine Lust auf Kaffee gehabt, den Tag ungeplant früh mit der neuen Masterchef-Australia-Folge begonnen.

Den Rest des Tages komplett am Schreibtisch verbracht, so ungefähr elf Stunden. Ein-, zweimal machte ich Pause mit der Teetasse auf dem Sofa und daddelte eine Runde Candy Crush, aber ansonsten tippte ich durch, sortierte neue Abbildungen ein, überprüfte Fußnoten und legte mir die hoffentlich finale To-Do-Liste an von Dingen, die ich nicht zuhause abarbeiten kann. Bisher markierte ich Baustellen in der Diss neongelb, damit ich wusste, dass dort noch etwas zu tun ist, aber jetzt versammelte ich alle diese angemerkten Stellen und notierte sie mit Seitenzahlen, damit ich einen Überblick darüber habe, wo ich noch hinmuss und wofür. Was sich gleich erledigen ließ, erledigte ich, und so bin ich jetzt schon wieder im Jahr 1933 angekommen. Hello again. (Reicht jetzt langsam.)

Gegen 18.30 Uhr näherte ich mich dem Hungertod, klappte den Rechner zu und ging in die Küche, wo noch ein paar Pandanblätter auf mich warteten und Kokosmilch und ein Gemüseberg. Ich fühlte mich schon bei der ersten Benutzung der Blätter für Nasi Lemak wie der totale Profi, und das war gestern auch so. Ich verknotete zwei Blätter, gab Reis und Kokosmilch zu ihnen in den Topf, warf großzügig Salz hinzu und eine Schalotte. Während der Reis vor sich hindämpfte, briet ich in einer Pfanne in ordentlich Chili-Öl hauchdünn gehobelte Möhren und Zucchini, dazu Paprikastreifen und Brokkoliröschen an und gab zum Schluss noch eine Handvoll Erdnüsse über alles. Das hat so viel Freude gemacht, meine Hände mit Lebensmitteln zu beschäftigen und noch stundenlang diesen wundervollen, floralen Duft in der Küche zu haben. Okay, in der halben Wohnung, ich habe die Küchentür bewusst offengelassen. Hätte ich auch nicht gedacht, dass mich Chili und Grünzeug mal so glücklich machen könnten.

Zum Tagesausklang noch mit Hamburch telefoniert, ganz altmodisch. Wir sprachen darüber, dass uns die derzeitige Nicht-Normalität auf den Zeiger geht, aber was wirklich fehlt, ist körperliche Nähe. Ich wohne zwar nicht mit F. zusammen, aber nach fünf Wochen bewusstem Abstandhalten konnte ich ihn wieder umarmen und ich habe ein bisschen geweint, als ich das endlich wieder konnte, weil es mir so gefehlt hat. Darüber vergesse ich gerne, dass es mir als Single gerade vermutlich weitaus weniger gut gehen würde.

Ich erinnerte mich an einen sehr flüchtigen Gedanken, den ich so Mitte April gehabt haben muss. Ich bin gerne alleine und halte in der U-Bahn schon immer Abstand, aber zur Hochzeit der Pandemie erwischte mich ganz kurz der Wunsch, in einer überfüllten Bahn zu stehen, um andere Menschen zu spüren. Neben dem neu erwachten Bewusstsein dafür, wie wichtig mir Kochen und Essen ist und dass es mich durch miese Tage rettet, auch wenn ich wahrscheinlich zwei Kilo zugenommen haben könnte, keine Ahnung, passt noch alles, ist auch sehr egal, ist mein größter Lerneffekt der Pandemie, dass ich doch nicht ganz so der Einzelgänger bin, für den ich mich hielt. Vielleicht war es auch nur das erzwungene Alleinsein, also das Fehlen der eigenen Entscheidungsmöglichkeit, aber ich bin ein bisschen mehr mit Menschen versöhnt worden. (Diesen verdammten Virenschleudern!) ((Mein Gehirn arbeitet noch.))

Ich lese gerade ein Buch, das schon viel zu lange hier herumliegt: Wieder im Rampenlicht: Jüdische Rückkehrer in deutschen Theatern nach 1945 von Anat Feinberg. Dabei stolperte ich gleich im ersten Kapitel über einen Namen, den ich bei der Arbeit im Hauptstaatsarchiv mehrfach gelesen hatte: Dieter Sattler. Der Mann versuchte, zwischen Protzen und Constantin Gerhardinger zu vermitteln, die nach 1945 beide die Münchner Künstlergenossenschaft neu begründet hatten; ein Zivilgericht sprach 1952 Gerhardinger die Organisation zu.

„Nur vier Monate nach Kriegsende erschien in der deutschsprachigen Wochenzeitung Aufbau in New York ein Aufruf an die emigrierten Theaterleute“, wieder nach Deutschland zu kommen. Ein größerer Teil der Kulturschaffenden remigrierte in die damalige sowjetische Besatzungszone, aus der sich offensiv um die Emigrant*innen bemüht wurde.

„Einen vergleichbaren Appell an Bühnenkünstler gab es weder in Westberlin noch in den anderen, von den westlichen Alliierten kontrollierten Zonen Deutschlands. Umso erwähnenswerter ist die Aufforderung zur Rückkehr aus der Feder des bayerischen Staatssekretärs für Schöne Künste, Dr. Dieter Sattler, einer der wenigen Westdeutschen in politischer Funktion, der den Emigranten eine große Bedeutung beim Aufbau des zerstörten Landes zumaß. In seinem Entwurf über ‚Das andere Deutschland‘ (1947) schlug Sattler für den geistigen Wiederaufbau eine ‚Vortragsreihe prominenter deutscher Emigranten‘ sowie ‚Konzerte und Vorstellungen‘ vor. Neben bekannten Schriftstellern und Musikern nannte er die Theaterkünstler [Else] Bassermann, [Fritz] Kortner, [Elisabeth] Bergner und Ernst Deutsch. Ohne ‚unsere Verbannten‘, die man bereits 1945 gebraucht hätte, sei ‚das „andere Deutschland“ ein Torso‘, behauptete Sattler. Dabei fällt auf, dass im damaligen kulturpolitischen Diskurs immer dieselben Namen genannt wurden: ‚die Elite‘, so die Historikerin Marita Krauss; ‚die Reklame-Juden‘, in den Worten des Emigranten Walter Wicclair.“

(Feinberg, Anat: Wieder im Rampenlicht: Jüdische Rückkehrer in deutschen Theatern nach 1945, Göttingen 2018, S. 21/22.)