Tagebuch Mittwoch, 1. April 2020 – Zurücktreten, bitte

Eher mies in den Tag gekommen. Ich träume seit einigen Nächten sehr viel und sehr wild und in der Nacht zu gestern dann auch zum ersten Mal von Krankenstationen, die in Tiefgaragen eingerichtet wurden, während draußen fußballgroße quietschbunte Viren auf Menschenjagd gehen. Davon wachte ich gegen 5.30 Uhr auf, daddelte eine Stunde am Handy herum, schaltete dann den eigentlich um 7 Uhr klingelnden Wecker aus und schlief bis 8 durch, denn wenn gerade irgendwas egal ist, dann ist es mein Wecker.

Trotzdem merkte ich wieder, dass ich um 7 Uhr aufstehen muss, um das Gefühl zu haben, der Tag sei noch nicht halb rum, denn so fühlt es sich um 8 blödsinnigerweise für mich an. Also blieb ich zum Frühstück gleich auf dem Sofa, weil der Tag ja schon halb rum war, versank in meiner derzeitigen Sinnlosbeschäftigung, alle 18 Staffeln von Project Runway nachzuholen und blieb bis Mittag hirntot vor dem Laptop (meine Abspielstation für Serien). In mir kroch auch etwas hoch, was sich wie eine Erkältung anfühlte, ich schniefte ein wenig vor mich hin, war matschig und kopfschmerzig und behauptete auch, erhöhte Temperatur zu fühlen, aber mein Thermometer beruhigte mich wieder. Für eine kurze Zeit dachte ich aber, na supi, seit Wochen von allen Leuten ferngehalten und trotzdem ne Erkältung abgekriegt. Im Laufe des Tages ging es mir aber besser und ich setzte mich vernünftig angezogen an den Schreibtisch.

Dort werkelte ich weiterhin am Jahr 1935 herum und ich bin immer noch nicht damit fertig. Erstens war ich sehr davon überrascht, was ich alles geschrieben hatte; gerade im Berliner Bundesarchiv hatte ich einiges gefunden und besinnungslos in die Fußnoten gekloppt, und das hatte ich alles schon wieder vergessen. Und zweitens fielen mir beim Korrekturlesen noch ein paar Dinge auf und ein, die ich auch noch notieren konnte.

Das ist dann auch das bisher einzig Gute an der Ausgangsbeschränkung: Ich bin gezwungen, einen Schritt zurückzugehen und von außen neu auf meine Diss zu gucken. Bisher rannte ich atemlos von Bibliothek zu Archiv und zurück und ballerte immer mehr Stoff in den Text, aber jetzt habe ich Zeit, durchzuatmen und mich verdammt nochmal mit dem zu beschäftigen, was schon alles da ist, anstatt noch mehr anzulegen. Das tut dem Text sehr gut – und mir ehrlich gesagt auch. Auch wenn es gestern nur drei oder vier Stunden waren, die ich an der Diss gesessen habe, so habe ich doch ein gutes Zwischenfazit ziehen und noch einige Erkenntnisse gewinnen können, die mir jetzt erst möglich waren – eben weil ich die Zeit und die Ruhe hatte, im Schritttempo durch den Text zu gehen und komplette Kapitel zu lesen, anstatt nur den Absatz, den ich gerade mit Archivdetails anfüttere.

Nichts gekocht, nichts gebacken, nur Brot mit Zeug drauf gegessen und Schokolade und zwei Liter Tee getrunken. Nichts gelesen, keine Musik gehört, außer am eigenen Text an nichts anderem schlauer geworden, keine Selbstoptimierung betrieben. Sobald ich merkte, bei der Diss nicht mehr konzentriert zu sein, speicherte ich alles in fünffacher Ausführung und ging wieder aufs Sofa, wo meine Bettdecke noch von vormittags auf mich wartete. Abends noch ein bisschen mit F. per Facetime gesprochen und deutlich besser gelaunt als morgens ins Bett gegangen.