Tagebuch Donnerstag bis Samstag, 23. bis 25. Januar 2020 – Zu viel Realität

Meine Tage geben derzeit wenig fürs Blog her – also eigentlich irre viel, aber das schreibe ich gerade lieber ins Diss-Dokument. In den letzten Tagen habe ich weiterhin die Bestände vom Haus der Deutschen Kunst durchgesehen, vor allem die Einlieferungsbücher zur Großen Deutschen Kunstausstellung, die noch erhalten sind. Des Weiteren blätterte ich durch diverse Ordner mit Anmeldebögen der Künstler und Künstlerinnen zu dieser Ausstellung; leider sind auch diese nicht mehr vollständig.

In einem Band für die GDK 1944 fand ich Protzen wieder, genau wie seine Frau, von der ich endlich eine Handschriftenprobe habe, da war ich mir im Nachlass nie so ganz sicher. Diese Probe ruiniert jetzt zwar eine hübsche Theorie von mir, lässt aber genug Raum für eine andere. Auf den Anmeldebögen gaben die Künstler*innen ihren Wohnort an sowie die Adresse, an die die Werke nach der Ausstellung zurückgeschickt werden sollten. Das waren nicht immer dieselben. Es fanden sich Formulierungen wie „Da ich in den nächsten Tagen ins Feld gehe, bitte Bilder an meine Frau schicken.“ Oder die Rücksendeadresse war eine im Deutschen Reich, der derzeitige Aufenthaltsort des Künstlers war aber nur mit „Rußland“, ohne weitere Ortsangabe, angezeigt.

Wie schon bei den Dokumenten zum CCP war ich davon angefasster als ich erwartet hatte. Keine Ahnung, warum mich das alles auf den letzten Metern noch mitnimmt; dass die Deutschen Krieg geführt haben, ist mir ja nicht neu. Aber das wissenschaftliche, emotionslose, akribische Wühlen in Dokumenten, um Detektivarbeit für Bilder zu leisten, hat dann doch mehr abgelenkt als ich dachte, ich habe es darüber fast vergessen. Und jetzt kam es mir nochmal sehr deutlich vor Augen.

Neben dem Hauptstaatsarchiv saß ich noch in der Stabi und meckerte mal wieder über die Belanglosigkeit der Werke, die im Haus der Deutschen Kunst an den Wänden gehangen haben und dass ich jetzt keine Landschaften, Rehkitze oder Bauernstuben mehr sehen kann.

Außerdem war ich in der Historicumsbibliothek, um mich besser über Franz Xaver Schwarz zu informieren, die DAF und die NSV (alles Käufer bzw. Aussteller von Protzen). Dort las ich auch in einem Band zu den NS-Gebäuden am Münchner Königsplatz. In einem Aufsatz über das Verwaltungsgebäude, in dem der CCP eingerichtet wurde, stand dieser bemerkenswerte Satz zur systemkonformen Kunst des NS: „It is the feeling among art historians here that this material should not be exhibited or seen, but furter that it should not be destroyed as that act of vandalism would deprive future generations of making a full and just estimate of the Nazi character, spirit and times.“ Er stammt von Herbert S. Leonard, Leiter des CCP München, 17.9.1947 in einem Schreiben an das Office of the Military Government for Germany.

Er sagt meiner Meinung nach sehr viel in sehr wenigen Worten, unter anderem, dass diese Werke Zeitzeugen sind, historische Dokumente, die über den Charakter und die Geisteshaltung der Nationalsozialisten berichten können und zusätzlich einen Eindruck der Zeit vermitteln, in der sie entstanden und ausgestellt wurden. Diese Ansicht wurde in den Jahrzehnten danach durchaus kontrovers diskutiert: Sollte man das Zeug nicht doch vernichten? Müssen wir das nicht sogar?

Mein Fach ist sich bis heute nicht einig. Die Pinakothek der Moderne hat anscheinend ihren Saal 13, hier mein Blogeintrag von 2017 dazu, zum dritten Mal umgehängt. Den muss ich mir dringend nochmal anschauen, denn der kommt auch in der Diss vor. Der BR berichtete kurz, und mein Doktorvater darf, in der Bibliothek des ZI stehend, mal wieder die NS-Frauen-Warte erwähnen, das macht er neuerdings dauernd. (Neues Buch?) Im Filmchen könnt ihr neben Zieglers ollen Vier Elementen zwei Protzens sehen. Mehr scheint dort nicht mehr als systemkonforme Kunst zu hängen. Ich muss wirklich mit der Diss fertig werden.

Gestern abend machte ich mich um 23 Uhr zum Schlafengehen im Bad fertig und hörte dabei wie immer Radio, zufällig war es der Deutschlandfunk. Während der Nachrichten putzte ich die Zähne und hörte nichts, danach war ich mitten in einer Reportage über die Gedenkstätte Auschwitz. Ich saß noch zwanzig Minuten in Schlafklamotten auf dem Badewannenrand und hörte zu, bis mir eine musikalische Einlage die Gelegenheit gab, mein Handy zu holen, dort den Livestream zu suchen und mit ihm ins bequemere Bett zu gehen.

Die ARD-Kulturkorrespondentin Maria Ossowski ließ sich unter anderem von einer Konservatorin der Gedenkstätte über die Habseligkeiten der Toten erzählen, über die Mühe, die es kostet, ein Bauwerk zu erhalten, das nie für die Ewigkeit gedacht war. Es ging um das Effektenlager „Kanada“, in dem Häftlinge die tausendenfachen Schuhe, Mäntel, Koffer sortieren mussten und die sich heute noch im Lager befinden.

Danach berichtete jemand, der für die Kunstwerke aus Auschwitz zuständig war, was mein Gehirn gerade so gar nicht mit dem Diss-Thema zusammenbringen wollte. Es ging auch um eine Künstlerin, die für Mengele Aquarelle anfertigte von den Menschen, an denen er seine Experimente durchführte; sie waren für ihn besser geeignet als Fotografien, weil sie die Farben der Geschwüre und Nekrosen besser wiedergeben konnten. Spätestens hier wollte ich mal wieder mit Dingen werfen und alles anzünden, denn genau dieses Argument fehlte mir ein bisschen für die Diss: Wieso wurden die blöden Autobahnbaustellen gemalt anstatt sie zu fotografieren? Genau wegen der hübschen Farbigkeit, die damals mit fotografischen Verfahren noch nicht perfekt wiedergegeben werden konnte.

Die Sendung hörte für mich etwas unbefriedigend mit dem Satz „Kunst gegen den Tod“ auf – und dann kam wie immer zum Programmschluss um Mitternacht die deutsche Nationalhymne, die mir selten so gegen den Strich ging wie nach dem eben Gehörten. Ich hörte die danach gespielte Europahymne auch noch an, das war wichtig, Beethoven hilft.

Ich stellte eben erst beim Linksuchen fest, dass die Sendung „Zeugen sterben, Dinge erinnern“ noch gar nicht zu Ende gewesen war, sie ging noch zwei Stunden weiter. Damit habe ich heute noch etwas zu tun. Macht am Sonntag vermutlich nicht so richtig Spaß, aber zumindest die erste Stunde kann ich euch sehr zum Nachhören ans Herz legen.