Herr Niggemeier hat einen sehr lesenswerter Vortrag zum Zustand des Onlinejournalismus veröffentlicht:

„(…) Trotzdem halte ich das nicht für die gefährlichste Entwicklung im Online-Journalismus. Denn diese Verleger, die das Medium Internet immer noch für das Medium der Zukunft und nicht der Gegenwart halten (wenn überhaupt), diese Verleger gefährden ja vor allem sich selbst. Es gibt aber eine Reaktion auf die geringen Einnahmemöglichkeiten im Internet, die den Journalismus an sich gefährdet. Wenn wir im Internet weniger verdienen, geht die Logik ungefähr, können wir halt auch nur weniger ausgeben. Wir sparen uns zum Beispiel einfach so überflüssige Dinge wie ein Korrektorat oder überhaupt das Gegenlesen von Artikeln. Und an der Stelle von Fachjournalisten beschäftigen wir günstige Allesproduzierer, die die einlaufenden Agenturmeldungen und Pressemitteilungen so einpflegen, dass es halbwegs okay ist.

Aus irgendeinem Grund, den ich nicht genau festmachen kann, liegt dieser Strategie die Annahme zugrunde, dass es das Publikum im Internet nicht so genau nimmt. Dass Zeitungsleser zwar empfindlich reagieren, wenn sie zuviele falsch geschriebene Wörter in den Artikeln finden, aber Internetnutzern solche Nebensächlichkeiten egal ist. Dass Fernsehzuschauer ungern das Gefühl haben, die Texte, die ihnen der Nachrichtensprecher vorliest, seien von ihrer achtjährigen Tochter geschrieben worden, aber Internetnutzer den Unterschied eh nicht merken. Es ist schon richtig, dass zum Wesen des Internets als Nachrichtenmedium gehört, besonders schnell zu sein. Und womöglich akzeptieren die Internetnutzer tatsächlich, dass diese Geschwindigkeit bei Breaking News gelegentlich auf Kosten der Genauigkeit geht, dass Nachrichten mehr als in anderen Medien auch etwas Provisorisches haben können. Das erklärt aber nicht die umfassende Senkung von Qualitätsmaßstäben, auf die man bei vielen deutschen Online-Medien trifft. (…)“

Was mich als jemand, der sich beruflich mit Marken beschäftigt, immer ein bisschen verwirrt, ist der riesige Qualitätsunterschied zwischen den Print-Mutterschiffen wie der SZ oder dem Spiegel, über den man ruhig geteilter Meinung sein darf. Spiegel Online ist noch längst nicht so weit wie der Spiegel, und sueddeutsche.de ist auf einem anderen Planeten als die SZ. Vielleicht ist das ein Werberproblem, aber ich nehme beide Publikationen (Print und Online) als eins wahr. Und wenn die Onlineausgabe grottig ist, habe ich ein Problem damit, die Printausgabe noch ernst zu nehmen. Ich habe mein SZ-Abo gekündigt, weil ich sueddeutsche.de unter aller Würde finde. Und ich weiß nicht, warum eine so gute Zeitung wie die SZ es nicht schafft, ein entsprechendes Onlineangebot hinzukriegen. Stefan weist zu Recht auf die New York Times hin, die für englischsprachige Nachrichten und Hintergrundkommentare inzwischen meine erste Anlaufstelle geworden ist. Einfach, weil diese Seite sich augenscheinlich bemüht, Qualität zu liefern anstatt Klickzahlen zu generieren. Und: Weil sie Blogs verstanden hat und sie völlig selbstverständlich und gleichberechtigt zu den Artikeln präsentiert. Inzwischen hat es sich sogar eingebürgert, vom Artikel ins passende Blog zu linken (denn die NYT hat nicht nur eins, sondern zu jede Sparte mindestens eins, meist mehrere), wo noch weitere Informationen präsentiert werden und der Leser die Gelegenheit zum Feedback hat.

Als Ergänzung ein bisschen was von Telepolis, via Jos Gezwitscher:

„(…) Große, namhafte Verlagshäuser zahlen € 50 für Artikel und schämen sich nicht. Hätten wir eine Stechuhr, könnten wir ausrechnen, dass die Reinigungskräfte in diesen Häusern mehr verdienen, als diejenigen, die Gesetze analysieren. oder die öffentlich machen, wie Unternehmen Politiker und Bürger belügen, und immer neue Millionen vom Steuerzahler fordern.

Die Vierte Gewalt ist pleite. Niemand hat den Mumm, dies einzugestehen.

Es lohnt sich betriebswirtschaftlich nicht mehr, für namhafte Magazine im Fernsehen zu arbeiten. Fernsehmann Friedrich Küppersbusch erläuterte die Gründe, die dazu führten, Er schrieb in seinem Artikel, wie sich Freie in das öffentlich-rechtliche Fernsehen einklagten. Daraufhin führten die Sender die sogenannte Prognose ein, also ein Cap, eine Beschränkung der Arbeitszeit. Wer sich daran gehalten hätte, dem wäre es so gegangen wie freien Journalisten heute – man wäre verhungert. Also beschlossen Festangestellte und Freie im gegenseitigen Einvernehmen, sich in die Tasche zu lügen oder, um Küppersbusch zu zitieren:

„Praktisch erzeugte der langjährige Brauch eine alchimistische Geheimwissenschaft der atomisierten Arbeit. Da wurde angemeldet, an einem Tag recherchiert, gedreht, geschnitten und getextet zu haben, damit die Arbeit eines Monats in die Arbeitszeit einer Woche paßt. Würde man so arbeiten, wie man es abrechnet, würde man bald nichts zu arbeiten mehr bekommen.“

Dies ging eine ganze Weile gut. Denn es wurde die faktisch geleistete Arbeit bezahlt, nicht die, die auf dem Papier stand. Dann aber ging es darum, Geld einzusparen: für Sport, Shows, Verwaltung, Festangestellte, und um die Gebührendebatte zu überstehen. Nun schlossen Branchenfremde und Festangestellte einen Pakt – die einen wussten es nicht besser, die anderen erklärten nicht das Lügensystem, das Existenzen sicherte. Und so kam es, dass sich Branchen-Ahnungslose die Prognosemeldungen ansahen. Dort fanden sie dann das, was Küppersbusch in dem “Zeit”-Artikel beschrieben hatte: die Alchemie, die Angabe, TV-Beiträge seien in einem Tag entstanden oder in einer Woche, und dafür kassierten die Autoren zwischen DM 5.000 und DM 20.000.

Jedem Fernsehmacher ist natürlich klar, dass Stücke für ein investigatives TV-Magazin mitnichten in einer Woche, sondern in mindestens sechs Wochen, oder bei besonders heiklen Fragen – manchmal in einem Vierteljahr entstehen. Außerdem ist noch einmal dieselbe Zeit notwendig, um als freier Journalist in Konkurrenz zu Redaktionen überhaupt ein solches Thema auszugraben. Davon realisiert man im Jahr vielleicht mit Glück und Erfahrung vier Stück. Und dann bekommen DM 20.000 plötzlich eine ganz andere Dimension. Doch diese Erklärung gaben die Festangestellten nicht. Sei es, weil sie schon immer neidisch waren auf die Freien, die die spannenden Stücke mit der großen Außenwirkung machten, sei es, weil sie ihre Position in Gefahr sahen, sei es aus Ignoranz. (…)“