Was schön war, Mittwoch, 8. August 2018 – Erinnerungen

Tagsüber in Wolkenschlössern rumgehangen. Sollte ich nicht, weiß ich auch, konnte ich meinem Kopf aber nicht klarmachen. Also habe ich ihm nachgegeben und viel Spaß gehabt. Mal sehen, ob der bleibt.

Viel gelesen, allerdings nichts für die Diss. Ein bisschen pflichtschuldig rumbibliografiert, aber eigentlich habe ich mir innerlich immer noch Urlaub gegeben, bis diese verdammte Hitze endlich aufhört. Also bis morgen.

Abends ein Buch in die Unibibliothek gebracht und zwar mit dem Fahrrad. Eigentlich mag ich die klimatisierten Busse ja sehr, aber ich dachte, Fahrtwind wäre vermutlich noch besser. War er auch. Und wenn ich eh schon auf dem Rad war, konnte ich beim liebsten Burgerladen vorbeifahren und mir was Nettes zum Abendessen mitnehmen (kalt wird das Zeug derzeit ja nicht, selbst mit Fahrtwind). Ich genoss zuhause vor dem Ventilator einen Giggly Burger mit leckeren Balsamicozwiebeln sowie Pommes mit Limettenmajo. Dabei sah ich eine Folge von Chef’s Table über Nancy Silverton, die sich an ihren Auftritt bei Julia Child erinnerte. Sie servierte ihr ein heißes Dessert, bei dem Child zu weinen begann – und Silverton dachte: „I burned Julia Child!“ Die Szene finde ich nicht online, aber immerhin den Clip zur Child-Sendung. Hashtag Futterglück.

Und zu später Stunde saß ich dann quasi mal wieder vor dem Fernseher, den ich ja nicht habe, weil ich kaum noch deutsches Fernsehen schaue; ich saß also vor dem Laptop und genoss den Dokumentarfilm Kulenkampffs Schuhe, der auch in der Mediathek zu finden ist. Im Tagesspiegel steht eine sehr gute Besprechung.

Es geht in der Dokumentation um die Zeit der 50er bis 70er Jahre, in denen sich das deutsche Publikum unter anderem von den Herren Kulenkampff, Rosenthal und Alexander unterhalten lässt und erstmal das Wirtschaftswunder genießt, anstatt sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Eine Szene, die so nebenbei abgehandelt wird, führt diese Verdrängung recht deutlich vor Augen: Hans Rosenthal sitzt bei Joachim Fuchsberger in dessen Talkshow und erzählt, wie er sich zur NS-Zeit in einer Berliner Laube versteckt hatte. Er bechreibt, wie er unter einem Sofa lag, während darauf Menschen saßen, die ihn das Leben hätten kosten können, und wie er einen Hustenreiz zu unterdrücken versucht. Die Kamera schwenkt ins Publikum, wo Menschen über diesen Satz lachen. Ich bin mir sicher, dass viele das aus Verlegenheit taten oder weil man eine derartige Szene aus komischen Filmen kennt, die immer gut ausgehen, aber trotzdem schaute ich recht fassungslos zum Laptop und fragte mich, ob einer dieser Menschen im Publikum einer der Sofasitzer hätte sein können. Da wird eine lebensbedrohliche Situation zur Unterhaltung; Rosenthal erzählt es auch ernst, nicht auf eine erleichternde Pointe aus, aber die Menschen lachen trotzdem.

Ich musste mich selbst daran erinnern, dass ich sehr lange nicht wusste, das Rosenthal jüdischen Glaubens war; das war einfach nie ein Thema. Ich erinnerte mich auch daran, dass die Kulenkampff-Sendung Einer wird gewinnen bei uns Familienprogramm war. Meine Eltern mochten „Kuli“ sehr gerne, ich fand ihn einerseits charmant und andererseits total übergriffig und schleimig den weiblichen Kandidatinnen gegenüber. Beide Seiten kommen in den vielen Ausschnitten aus EWG im Film auch gut zur Geltung. Bis gestern hatte ich noch nie darüber nachgedacht, was eigentlich Kulenkampff zur NS-Zeit so gemacht hatte, er war für mich, so gut wird es im Film ausgedrückt, „ein Mann ohne Vergangenheit“ – wie es vermutlich die Mehrheit der Deutschen war, um irgendwie miteinander arbeiten zu können. Ich zitiere mal eine Fußnote aus meiner Masterarbeit, an die ich sofort denken musste: „Hermann Lübbe nennt dieses bewusste Beschweigen eine „nicht-symmetrische Diskretion“ zwischen NS-Tätern und Mitläufern sowie NS-Opfern. Für ihn war diese „Diskretion“ die einzige Möglichkeit, einen neuen, funktionierenden Staat zu errichten, in dem auch Tätern die Möglichkeit gegeben wurde, ihn aktiv mitzugestalten, vgl. Lübbe, Hermann: Vom Parteigenossen zum Bundesbürger. Über beschwiegene und historisierte Vergangenheiten, Paderborn 2007, S. 22. Diese Auslegung Lübbes ist bis heute umstritten, meint auch Norbert Frei, der in dieser Praxis eine „aktive Begünstigung der Täter“ sieht, vgl. Frei, Norbert: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen, München 2005, S. 33.“

Auch über Peter Alexander hatte ich nie nachgedacht, der war für mich immer der Kellner aus dem Weißen Rößl, einen Film, den ich noch heute gerne sehe (und bei dem ich mitsinge). In der Dokumentation kommt er ein wenig zu kurz und dient fast nur als musikalische Einlage, die belegt, dass man auch über schreckliche Zeiten schwungvolle Lieder machen konnte. Ich frage mich seitdem, ob das Absicht oder Ignoranz war.

Die Autorin des Films Regina Schilling verknüpft diese Unterhaltungssendungen mit ihrer eigenen Familiengeschichte. Ihr Vater war in etwa der gleiche Jahrgang wie die drei Entertainer, die zu ihren Ersatzvätern wurden, als ihr Vater früh verstarb. Manchmal waren es mir zuviele alte Familienaufnahmen, wo ich lieber noch mehr über die Gesamtgesellschaft erfahren hätte, aber ich mochte diese persönliche Verknüpfung gerne. Genau wie die Schilderung ihrer kindlichen Unschuld, mit der Schilling diese Sendungen sah, bis sie auf einmal Andeutungen verstand, die ihr vorher durchgerutscht waren, und auch ihr klar wurde, dass Unterhaltung keine Auseinandersetzung ist. Oder sogar ihr Gegner.

Ich habe durch den Film wieder an meine eigene Kindheit denken müssen, an meine Eltern, an gemeinsame Fernsehabende, an das allmähliche Verstehen, dass meine Großeltern Teil der NS-Generation waren. Daran, dass ich trotz meiner Beschäftigung mit dieser Zeit über so viele Aspekte eben nicht nachdenke. Dass ich bis letzten Dezember nicht wusste, dass mein Opa bereits 1935 in der Wehrmacht war. Dass die fehlende Auseinandersetzung noch bis in meine Generation weitergeht – und heute von bestimmten politischen Parteien bewusst zurückgedrängt wird. Ich habe durch den Film auch Dinge über Horst Tappert, Robert Lembke und Kulis „Butler“ Martin Jente gelernt, die für mich auch Männer ohne Vergangenheit waren. Das hört anscheinend nicht auf.