Was schön war, Montag, 10. April 2017 – Lesen

Endlich mal wieder einen produktiven Tag im ZI gehabt. Die letzte Woche über war ich irgendwie wenig motiviert, das übliche Loch, das zwischendurch mal kommt, vor allem, wenn man weiß, dass man eigentlich eh schon wieder viel zu viel hat. Aber natürlich gibt es immer noch Ecken, in denen ich rumlesen kann, und wie ich schon mal schrieb: zwei Wochen gebe ich mir noch, dann bastele ich zwei Wochen lang am Referat – wobei ich sehr schnell merke, ob mein Plan bzw. meine Gliederung passt –, und dann geht’s ans Aufschreiben.

Eine der Ecken, in die ich gestern reingeguckt habe, war zum Beispiel die politische Kunst. Also ganz banal: Ist Kunst politisch? Muss sie das sein? Kann sie auch explizit unpolitisch sein? Was Herr Lüpertz ja gerne von seinen Werken sagt, weswegen ich ihn immer innerlich anbrülle: UND WARUM MALST DU DANN WEHRMACHTSMÜTZEN UND SCHREIBST SCHWARZ-ROT-GOLD DRUNTER? DANN MAL DOCH PONYS!

Dann lag der große Katalog zum NS-Dokumentationszentrum bei mir auf dem Tisch, in dem ich über Kultur während der NS-Zeit las und wo ich ein schönes Zitat für den Kiefer-Teil in meiner Arbeit fand. Dass München sich nicht nur „Stadt der Bewegung“ und „Stadt der deutschen Kunst“ nannte, sondern auch noch „Richard-Wagner-Stadt“, zum Beispiel in einem offenen Brief an Thomas Mann, der es gewagt hatte, an Ritchie rumzumeckern, passt mir ganz hervorragend in die Argumentation.

Außerdem las ich einen Aufsatz über die Nachkriegszeit und fand schöne Zahlen. 1951 wurden die Bayreuther Festspiele wiedereröffnet, wo ein Handzettel verteilt wurde, auf dem darum gebeten wurde, doch bitte nicht über Politik zu reden, denn „hier gilt’s der Kunst“. Das Ding kannte ich, aber seit gestern kenne ich auch ein paar Dinge, auf die sich dieser Zettel eventuell beziehen könnte. Ab Ende 1950 begann die gesellschaftliche Debatte zur Wiederbewaffnung. Dann: Das sogenannte 131er-Gesetz wurde 1951 verabschiedet, nach dem ehemalige NS-Beamte Rente erhielten und auch wieder im öffentlichen Dienst arbeiten durften. 1951 wurde die faschistische Sozialistische Reichspartei, von der ich noch nie gehört hatte, in den niedersächsischen Landtag und die Bremer Bürgerschaft gewählt, aber immerhin bereits 1952 verboten. Und dann fand ich noch das hier:

„Am 23. Januar 1951 verlas [General Dwight D. Eisenhower, Oberbefehlshaber der NATO] nun vor der Öffentlichkeit einen Text, den die Wehrmachts- und späteren Bundeswehrgeneräle Adolf Heusinger und Hans Speidel vorbereitet hatten. Er habe erkannt, rezitierte Eisenhower, dass ein ‚wesentlicher Unterschied‘ bestehe ‚zwischen den deutschen Soldaten und Offizieren einerseits und Hitler und seinen verbrecherischen Helfern andererseits‘. Die Wirkung dieser Ehrenerklärung kann gar nicht überschätzt werden, nicht nur deshalb, weil sie das Offizierskorps rehabilitierte und für die Aufnahme in die neue westdeutsche Armee gegen ‚den Osten‘ qualifizierte. Der mörderische Krieg versank im Abgrund des Schweigens. Im Handumdrehen tauchte das Bild des heldenhaften Kriegs in den Schaufenstern der Buchläden auf. Ehemals führende Generäle schufen sich eine publizistische Plattform für beschönigende Memoiren. Erinnerungsbücher, Landserhefte und scheinbar sachliche Schilderungen des Krieges hatten im Jahrzehnt von 1952/55 bis zur Mitte der 60er Jahre eine stabile Konjunktur.“

(Doering-Manteuffel, Anselm: „Gründe und Abgründe des Schweigens. Kontinuitäten und Generationserfahrungen nach dem Zweiten Weltkrieg“, in: Nerdinger, Winfried (Hrsg.): München und der Nationalsozialismus. Katalog des NS-Dokumentationszentrums München, München 2015, S. 537–547, hier S. 542.)

Das ist für mich so spannend, weil ich mich gefragt habe, warum Lüpertz gefühlt aus dem Nichts bzw. der Abstraktion heraus Ende der 1960er Jahre plötzlich Stahlhelme malt. Ich gehe davon aus, dass er die Original-NS-Kunst nicht explizit vor Augen gehabt hat; jedenfalls las ich mal in einem Aufsatz, ich meine, in diesem Buch, dass zum Beispiel die Bilder der GDK ganz schnell bewusst vergessen wurden. Das heißt, dass Lüpertz nicht unbedingt das hier oder das hier vor Augen hatte, als er seine Helme, sinkend – dithyrambisch malte, sondern eher Kriegsfilme gesehen hatte oder eben: Landserheftchen. Nehme ich jedenfalls an.

Meine Dokumentsammlung wird auch immer länger. Anstatt wie sonst alles, was ich finde, gnadenlos in ein immer länger werdendes Word-Dok zu tippen und es irgendwann thematisch zu gliedern, habe ich hier von Anfang an mehrere einzelne Dokumente angelegt: Stoffsammlung Lüpertz, Stoffsammlung Kiefer, Stoffsammlung Vergangenheitsbewältigung, Stoffsammlung Kunst nach 45 (figürlich statt abstrakt, politische Kunst, was will ein Bild von mir, solche Diskussionen halt), Stoffsammlung Vergleich (für schlaue Vergleiche, die mir einfallen und die ich weder im Lüpertz- noch im Kiefer-Dokument verschwinden lassen will) und Stoffsammlung alles, wo ich zum Beispiel Dinge über Gerhard Richter (Onkel Rudi), Wolf Vostell (Deutscher Ausblick) oder Joseph Beuys (Auschwitz-Demonstration) reinschreibe.