Monument

Ein paar Gedanken zu Monument, dem Kunstwerk von Manaf Halbouni, das noch bis Anfang April vor der Dresdner Frauenkirche steht. Aber erstmal lasse ich andere zu Wort kommen, die schon Schlaues gesagt haben, zum Beispiel Susanne Altmann im art-magazin:

„Manaf Halbouni, dem als Wehrdienstverweigerer die Rückkehr nach Syrien auf lange Sicht verwehrt ist, sieht in der Geschichte Dresdens ganz offensichtliche Parallelen zur Gegenwart, zu seiner Heimatregion. Hier wie dort wurden und werden Städte pulverisiert, die Zivilbevölkerung tyrannisiert. “Als ich das Bild aus Aleppo damals sah, überkam mich große Trauer darüber, dass man so krass viel Energie in das eigene Überleben investieren muss.”, erklärt Halbouni. Zunächst verwendete er die Bussperre in Fotocollagen, indem er das Motiv wahlweise vor den Buckingham Palast, das Metropolitan Museum oder vor die Dresdner Semperoper platzierte. Ein Spiel mit den Möglichkeiten. Er recherchierte zu temporären Schutzwällen während vergangener Kriege und beschloss: “Diese Figur darf nicht nur auf dem Papier bleiben.” Die aggressive physische Präsenz der Busse allein wäre schon eine starke Geste, doch erst dieser konkrete Standort bringt “Monument” auf den Punkt. Nirgendwo sonst in Dresden sei es ihm so bewusst geworden, dass Aufbau und Neubeginn nach einem Desaster möglich sind. Genau darin besteht die Botschaft, die “Monument” nach Syrien und an andere Kriegsgebiete senden will.“

Annekathrin Kohout zitiert Altmann und schreibt in ihrem Blog folgenden Kommentar:

„Trotzdem: Es ist wichtig, jetzt nicht um die „richtige“ Interpretation des Werkes zu streiten. Weil beide – ein Monument für den Frieden oder ein Mahnmal für den Krieg – richtig und natürlich auch beide wichtig sind. Mahnmale sollen per Definition Betroffenheit erzeugen. Aber es zeigt sich in der Diskussion um die richtige Interpretation auch ganz deutlich, wo die Grenzen von politischer Kunst im öffentlichen Raum liegen, wenn diese nicht mehr im Auftrag des Staates oder ausgehend von einem Volksentscheid entsteht. Und wenn an eine solche Kunst auch nicht mehr der Anspruch gestellt wird, repräsentativ, sondern Ausdruck eines individuellen künstlerischen Subjektes zu sein. Dann entsteht ein großes Missverständnis der jeweiligen Erwartungen: Bei einem Kenner der zeitgenössischen Kunst sind diese relativ und können variieren, bei einem Laien hingegen, der Michelangelo vor Augen hat, wenn er an „Kunst“ denkt, könnten sie jedoch größer kaum sein – und er wird sich vor den Kopf gestoßen fühlen.

Die Arbeit von Manaf Halbouni hat mich schließlich daran erinnert, wo die Spaltung besonders tief sitzt. Nämlich dort, wo es keine gemeinsamen Repräsentanten gibt. Und das ist eine Situationsbeschreibung, die auf viele Bereiche in Politik, Medien und Kunst, zutrifft.“

Samael Falkner befasst sich bei den Prinzessinnenreportern ebenfalls mit den wütenden Reaktionen einiger Menschen:

„Kunst ist ja oft auch Geschmackssache. Manche Menschen mögen Landschaftsgemälde, andere sind große Fans des abstrakten Expressionismus. Berufsverbote für Künstler gibt es in Deutschland heute nicht mehr. Und so können Touristen in Dresden sowohl die Gemäldegalerie Alte Meister besuchen, als auch zeitgenössische Kunst in wechselnden Ausstellungen der Staatlichen Kunstsammlung und privater Archive besuchen. Bis 26. März etwa die Nachlass-Sammlung der Werke Josef Hegenbarths in der Calberlastraße oder die Fotos von Benjamin Katz, mit denen er Gerhard Richter begleitete bis 21. Mai im Albertinum. Auch die Galerie Neue Meister stellt viele zeitgenössische Künstler aus. Zahlreiche kleine Galerien runden das Bild Dresdens als Standpunkt für moderne Kunst ab.

Dass die Dresdner nicht wissen, was sie an ihrer kulturellen Vielfalt haben, ist natürlich gelinde gesagt ein wenig schade. Kultur, und damit einhergehend auch Kunst, sind schließlich der einzige Grund, warum Touristen aus aller Welt die Stadt besuchen. Dass jedoch einige Protestierende bei der gestrigen Eröffnung der Installation “Monument” des Künstlers Manaf Halbouni, der seit vielen Jahren in Dresden lebt und arbeitet und an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden als Meisterschüler bei Eberhard Bosslet im letzten Jahr sein Zweitstudium abschloss, schrien man sollte diese “entartete Kunst”, diesen “Müll” aus ihrer Stadt entfernen – das ist ein anderer Fall. Das ist keine persönliche Betrachtung von Kunst, das ist bewusste Verwendung der nationalsozialistischen Sprache, die zu Vertreibung und Mord der damals unerwünschten Künstler führte.“

Ich hätte noch eine weitere Lesart. Als ich Monument zum ersten Mal sah, dachte ich, ach, coole Werbeaktion. Ich habe es, vermutlich durch meine Biografie, zunächst nicht als Kunst wahrgenommen, sondern als Werbung, weil es so perfekt auf den Punkt ist. Es ist ein ganz schlichtes Bild, das sofort funktioniert, und in Verbindung mit der Frauenkirche sogar noch einen zweiten, emotionalen Punkt macht. Also das, was Werber*innen gerne hätten: eine Botschaft, die ohne große Erklärung ankommt. Auch als ich wusste, dass ich gerade die Abbildung eines Kunstwerks anschaue, dachte ich weiter: Das wird jetzt tausendfach fotografiert und instagrammt und Leute schreiben darüber. Ein weiterer Punkt, den die Werbung liebt: kostenlose Verbreitung, ohne dass man selbst als Agentur oder Kunde etwas dafür tun muss. Das Ding geht viral und es gibt nicht die befürchteten Streuverluste, die lokal begrenzte Aktionen gerne haben.

Seit ich die oben verlinkten Artikel gelesen habe, denke ich darüber nach, ob die Reaktion der Menschen vor Ort eine andere gewesen wäre, wenn an den Bussen irgendwo das Logo einer beliebigen Menschenrechtsorganisation geklebt hätte. Wenn also klar gewesen wäre, das ist Werbung, das kann man ignorieren. Ich behaupte, es wäre dann auch von vielen Dresdner*innen ignoriert worden. Es hätte sich vermutlich jemand darüber aufgeregt, dass man jetzt die Frauenkirche nicht mehr so hübsch fotografieren kann, aber ansonsten hätte man drumherum geguckt. Denn wenn etwas Werbung ist, dann will es zwar etwas von mir, aber ich bin ja eine gewiefte Konsumentin: Ich lasse nichts mehr von mir wollen. Die Busse kann ich prima wegdenken; die machen mir zwar jetzt kurz ein schlechtes Gewissen, weil ich weiß, wieviele Menschen täglich im Mittelmeer ertrinken und das Foto von Alan Kurdi, ja, das war auch schlimm, aber das kann ich im täglichen Leben genauso ignorieren wie die Werbebilder von Brot für die Welt (über deren rassistische Implikationen Noah Sow übrigens sehr schlau geschrieben hat).

Viele Menschen haben gerade durch Werbung gelernt, Bilder rational zu verdrängen. Wahrscheinlich muss man das auch; ich mache das Fass mit den sehr dünnen, weißen, gephotoshoppten Frauenkörpern, mit denen wir täglich konfrontiert werden, nur kurz auf. Aber auch die Bilder aus der Tagesschau belasten, und ich persönlich muss mich gerade sehr anstrengen, Bilder aus den USA aus dem Kopf zu schieben, weil ich sonst den ganzen Tag lang fassungslos und wütend bin. Und ja, auch ich versuche, nicht dauernd an Kurdi zu denken. Als ich Monument sah, wollte ich auch dieses Bild sofort wegbekommen, weil es eben so gut funktioniert und einen sofort erwischt und mich damit konfrontiert, dass mein Engagement für Flüchtlinge aus eine Tüte Hygieneartikel bestand, die ich am Bahnhof in München abgegeben habe und dass ich ab und zu per Twitter und Blog für Tolerenz werbe.

Monument ist aber nun mal keine Werbung. Es ist Kunst und hat damit einen ganz anderen Anspruch, was von den protestierenden Menschen interessanterweise sofort verstanden wurde. Werbung kann man ignorieren, aber Kunst muss man erstmal wahrnehmen. Kunst konfrontiert, und was man dabei über sich selbst erfährt, ist manchmal nicht immer gut auszuhalten. Ich ahne, dass deshalb die Gegenstimmen so laut und wütend sind. Ich ahne auch, dass die ganzen gebrüllten Argumente (Opferstadt, Täterstadt, was geht uns Syrien an, es kommen eh zu viele Flüchtlinge und echt jetzt mal, ich kann die blöde Playmobilkirche nicht mehr knipsen) genau davon ablenken. Es ist einfacher, nach außen hin zu pöbeln als sich selbst den Schuh anzuziehen und zu sagen: Ich komme aus einem ehemaligen Täterstaat und diese Kunstaktion weist mich anscheinend mehr darauf hin als die wiederaufgebaute Frauenkirche. Dass genau dieser Täterstaat durch seinen heutigen Wohlstand die Möglichkeit hat, anderes Leid zu lindern und Dinge in der Vergangenheit wenigstens ansatzweise wiedergutzumachen, scheint – warum auch immer – ein großes Problem zu sein. Und da hört bei mir dann auch jedes Verständnis auf. Die Pöbelnden wollen doch immer so gerne auf ihr Land stolz sein – das wäre jetzt gerade eine prima Gelegenheit. Ein Land, das Hilfe anbietet anstatt sie abzulehnen, wäre für mich eine erstrebenswerte Heimat. Aber anscheinend nicht für alle.