Tagebuch, Freitag, 18. März 2016 – Wien, Tag 3

Nach dem sehr vollgepackten Donnerstag (Teil 1, Teil 2) ließ ich es Freitag etwas ruhiger angehen. Einziger Programmpunkt, den ich dafür aber auch stundenlang auskostete: die Hofburg.

Wo der Eingang bzw. die Kasse war, wusste ich ungefähr, seit ich am Vortag die Augustinerkirche gefunden hatte, die zum Gesamtkomplex gehört. Mein Orientierungssinn ist quasi nicht vorhanden, und trotz Googlemaps auf dem iPhone verlaufe ich mich immer, selbst wenn es nur geradeaus geht. Den Eingang fand ich dann aber nicht nur, indem ich nach der Kirche einfach weiterging, sondern auch, weil mir der widerliche Pferdegestank der Hofreitschule schon 150 Meter vorher den Atem raubte. Mit dem Jackenärmel vor der Nase ging ich zur Kasse und kaufte eine Eintrittskarte, die mir Eintritt in die Silberkammer, das Sisi-Museum und die Kaiserappartements gewährte.

Die Silberkammer. Hashtag #HACH. Ich weiß nicht, warum, aber ich kann mir stundenlang Geschirr und Besteck angucken. Die Kammer bzw. die gefühlt 30 Räume mit hervorragend angeordneten und ausgeleuchteten Glasvitrinen begann mit einer Sammlung von Kupfergeschirr. Mich beeindruckten vor allem die vielen Formen, die für Bisquit, Kuchen oder Gelee verwendet wurden – ich weiß nicht, wie man da jemals irgendwas heile beim Stürzen rausbekommen hat, aber die Hofzuckerbäcker konnten das vermutlich deutlich besser als Klumpfuß und -finger Gröner. Auf Schautafeln wurden Küche, Weinkeller und alle Menschen erklärt, die für das Servieren zuständig waren, was ich mir leider nicht alles gemerkt habe. Aber der Job einer Hofsilberputzgehilfin war vermutlich recht anstrengend bei den Massen an Besteck, Tellern, Schüsseln und Platten, die ich in den Vitrinen bewundern durfte. Von meinem absoluten Lieblingsgeschirr, den Blumentellern, hat die offizielle Seite leider nur ein Teil abgebildet, aber die hätte ich als Replik sofort alle gekauft.

Irgendwann hat man einen völligen Overkill von diesen Bergen an Hausrat und ist versucht, den Kopf abfällig über die Kaisers zu schütteln, aber da hatten die Ausstellungsmacher*innen einen cleveren Trick auf Lager. Irgendwo inmitten einer Vitrine stand nämlich das heutige Geschirr, das bei österreichischen Staatsempfängen eingedeckt wird. Dort habe ich anhand eines Beispiels aus weißem Leinen gelernt, dass es eine Serviettenfaltung namens „kaiserliche Faltung“ gibt, die heute nicht mehr verwendet wird. Ein Stündchen später stand ich in einem Salon, in dem Kaiser Franz Joseph („Franz!“) und Kaiserin Elisabeth („Sissi!“) ab und zu miteinander speisten. Dort war ein Frühstückstisch eindeckt, und ich habe natürlich sofort geguckt, ob es die kaiserliche Faltung war. Ich möchte behaupten: ja.

In der Silberkammer steht aber nicht nur Tisch-, sondern auch Hygienegeschirr, das heißt, Waschschüsseln und ähnliches, wie zum Beispiel Nachttöpfe. Der heißt bei Damen übrigens Bourdalou (warum auch immer). Elisabeth hatte dafür gesorgt, dass in ihrem Wohnbereich Badewanne und Toilette eingebaut wurden, und eine konnte man nachher in den Kaiserappartements auch sehen. Da steht man dann ein bisschen hilflos und denkt sich, jo, hier hat also die Sisi gekackt. Hätte ich jetzt auch nicht unbedingt wissen müssen.

Am Schluss der Silberkammer stand noch ein Dessertservice einer englischen Firma, das der kaiserliche Hof von Königin Victoria geschenkt bekam. Jedenfalls die Hälfte, die andere steht im Buckingham Palace (auch hier wieder der Hinweis: Wenn ich mir das richtig gemerkt habe. Ich war zu faul zum Aufschreiben, ich wollte nur gucken.) Darüber musste ich doch sehr grinsen. Sowohl an der Vitrine als auch auf der Website ist erwähnt, dass dieses Service „bruchanfällig“ ist. Da steht also seit über 100 Jahren Geschirr rum, das niemand jemals benutzt hat, weil es dafür anscheinend gar nicht gemacht wurde. Die Kaisers. Unsereins hätte sowas ja längst in die Tonne gekloppt.

Nach gut einer Stunde Geschirrgucken („Was, schon vorbei?“) wollte ich in die Kaiserappartments. Das Sisi-Museum wollte ich gar nicht sehen, aber wie ich jetzt feststellte: Darum kommt man nicht herum, denn der Weg zu den Appartments führt eben durch das Museum. Wobei ich das Wort „Museum“ fast ein bisschen hoch gegriffen finde.

Das Ding ist relativ frei von wirklichen Erkenntnissen, sondern dient einzig und alleine dazu, im Souvenirladen Glitzerstifte und Postkarten zu verkaufen. Die meisten Ausstellungsstücke sind Nachbildungen, und was mich völlig verstört hat, waren die Gedichte Elisabeths, die an die Wände geschrieben waren (mit englischer Übersetzung). Ich wusste aus der schönen Hamann-Biografie, dass Sisi Gedichte schrieb, um mit dem Leben am Hof klarzukommen und ihrer Depression und (vermutlichen) Magersucht Herrin zu werden. Daher wusste ich allerdings auch, wie fürchterlich schlecht diese Gedichte sind. Sie nun übergroß an so gut wie jeder Wand wiederzufinden, hätte meiner Meinung nach nicht sein müssen, auch wenn sie natürlich recht plakativ den Seelenzustand Elisabeths widerspiegeln.

Worüber ich mich allerdings sehr gefreut habe, war Elisabeths ganzfigures Porträt von Franz Xaver Winterhalter, das vermutlich jede*r kennt. Es hing tollerweise neben dem dazugehörigen Porträt von Franz Joseph, das ich noch nicht kannte. In diesem Raum standen außerdem zwei große Glasvitrinen, in denen zwei Kleider von Sisi als Nachbildung standen. Dort konnte man ihre legendär schlanke Taille bewundern – und jetzt, wo ich das Bild direkt daneben hatte, fiel mir zum ersten Mal auf, wie wohlgenährt sie gemalt im Vergleich zu den Kleidern wirkte. Das wunderte mich etwas, weil Sisi großen Wert auf ihre Außenwirkung legte und sich, gerade in den letzten Lebensjahren, nicht mehr fotografieren oder malen ließ. Dass sie, die nachweislich tagelang nur von Fleischbrühe lebte und ihre Hofdamen zu stundenlangen Gewaltmärschen zwang, um die eben aufgenommenen Kalorien gleich wieder auszuschwitzen, sich offensichtlich dicker malen ließ als ihre Kleidung vermuten lässt, hat mich erstaunt.

Damit ließ ich das Museum dann auch hinter mir, länger als zehn Minuten wollte ich dort nicht sein. (Viel länger kann man dort auch nicht sein.) Nach einem kleinen Shop-Hindernis kamen endlich die Kaiserappartements, und über die freute ich mich dann ausgiebig.

Ich hatte mich seelisch auf das Versailles-Gefühl eingestellt: mit 300 Leuten in einem Raum sein, kaum etwas sehen können, kaum stehenbleiben können, vielfältiges und vielsprachiges Stimmengewirr. Was ich stattdessen bekam: Räume, in denen ich größtenteils ganz alleine war und die ich in meinem Tempo und ungestört durchschlendern konnte. Ich hatte mich im Vorfeld sehr auf die Kiefer-Ausstellung in der Albertina gefreut, einfach um mal in den Genuss zu kommen, eine quasi leere Ausstellung anschauen zu können, aber die Hofburg übertraf dieses Gefühl überraschenderweise sogar noch.

Zunächst war ich über das Konferenzzimmer erstaunt, damit hatte ich gar nicht gerechnet im Wohntrakt. Im Arbeitszimmer Franz Josephs musste ich dann doch an die Marischka-Filme denken, bei denen Sissi einen ewig langen Weg zu Franzerls Schreibtisch zurücklegen muss, um ihm von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Diesen Weg gab es nicht, totale Überraschung. Man kriegt die Bilder aber trotzdem nicht aus dem Kopf. (Okay, ich nicht. Ich mag die Filme aber auch unangemessen gern.) Gerührt war ich über die beiden soganannten intimen Porträts von Sisi, ebenfalls von Winterhalter gemalt, die sie mit unbedeckten Schultern und offenem Haar zeigen; eins stand anscheinend wirklich immer an Franz Josephs Schreibtisch, und da steht es noch heute.

Die Turngeräte, zum Beispiel Ringe in einem Türrahmen, deprimierten mich dann wieder, wie mich auch schon in der Silberkammer die französische Entenpresse deprimiert hatte. Die diente eigentlich dazu, aus Entenkarkassen noch das letzte Restchen Fleischsaft zu quetschen, aber meist wurden sie verwendet, um aus Kalbfleisch Brühe zu machen, damit die Kaiserin ihr tägliches Tässchen Nahrung bekam.

Ich genoss den kleinen Gang durch die schönen Räume sehr, erfreute mich an Tapeten, Möbeln und Kronleuchtern, ignorierte danach auch den zweiten Souvenirladen und ging eine Treppe hinunter, um wieder im Hof zu stehen. Einmal um die Ecke zurück in den großen Innenhof, die nächste Eintrittskarte gekauft, Jacke und Rucksack abgegeben (das musste ich in der Hofburg nicht) und schon stand ich in der Schatzkammer. Dort musste ich mich erstmal an die sehr geringe Beleuchtung gewöhnen, denn hier kann man uralte und dementsprechend fragile Gewänder betrachten, die für herrschaftliche oder geistige Zeremonien genutzt wurden (diese Tunika aus dem 12. Jahrhundert hätte ich gerne als Sommerkleidchen). Ich wollte allerding viel dringender Klunker gucken, denn noch viel lieber als Gemälde und Häuser und Geschirr gucke ich Juwelen an. Kann man mir auch prima schenken. Sind hier wirklich in guten Händen.

Mein erstes „Ooooh“ war dann auch standesgemäß vor der Krone des Kaisertums Österreich mit Zepter und Reichsapfel. (Nebenbei: Danke an die fabelhafte Bilddatenbank für bergeweise Wiener Museen!) Weiteres Staunobjekt: dieses unschätzbare Gefäß aus einem Smaragd. Ja, genau. Mein Liebling: eine goldene Rose, bei der ich mir durchaus vorstellen kann, als gestresste, hungrige Kaiserin auf die zartgliedrigen Blätter zu schauen, um wieder gute Laune zu bekommen. In der geistlichen Schatzkammer lagen neben den üblichen Kreuzen und Reliquiaren noch zwei Bilder aus Mexiko, bei denen ein Jesus aus Vogelfedern nachgebildet wurde. Das schillerte und schimmerte ganz wunderbar vor sich hin. Und in den letzten Räumen der weltlichen Kammer kam dann endlich das, weswegen ich den ganzen Komplex angucken wollte: die Krone des Heiligen Römischen Reiches. Keine Ahnung warum, aber die wollte ich sehen, und nachdem ich das getan hatte, fühlte sich die Zeit in Wien komplett an.

Abends hervorragendes Schnitzel in ausgesucht charmanter Gesellschaft. Das ruiniert jetzt total den hochkulturellen Inhalt dieses Blogeintrags, aber das war Wien für mich: Kunst und paniertes Essen. Ich mochte beides sehr, und ich komme garantiert wieder.