Was schön war, Samstag, 6. Juni 2020 – Wieder im Flow

Keine Atempause, die Diss wird jetzt gemacht, es geht voran!

(Sorry.)

Ich weiß, dass die Kapitel von 1933 bis 1937 die längsten und detailreichsten sind, deswegen dauerte das Freitag auch so irre lange, sich da durchzukämpfen und auf meiner To-Do-Liste zu notieren, was noch to do ist. Es überraschte mich aber doch, wie schnell dann gestern 1938 bis letzter Satz der Arbeit gingen. Da ist wirklich nicht mehr so irre viel zu tun, yay! Die Arbeitsbröckchen verteilen sich auf das Kunstarchiv in Nürnberg (bisher einen Tag gebucht, ich ahne, dass ich noch einen weiteren brauchen werde), das ZI (da rechne ich optimistisch mit drei bis vier Tagen), ein paar Bücher gibt’s nur in der Stabi, dann muss ich nochmal in die Bibliothek des Deutschen Museums und für einen winzigen Kapitelabschnitt ins Archiv desselben, und da bin ich morgen, Vorfreude! Und dann ist das Ding durch. Ich gucke gerade selbst erstaunt, während ich den Satz tippe.

Fürs Mittagsmüsli (nur Cold Brew gefrühstückt) wollte ich mir einen Apfel schälen, dont @ me, und stellte verwirrt fest, dass mein Sparschäler nicht neben den anderen kleinen Messern in seinem Glas stand. Zufällig in ein anderes Behältnis nebenan gerutscht? Nope. Im Geschirrspüler vergessen? Nope. Hm. Wann habe ich den denn das letzte Mal benutzt? Ach, vor ein paar Tagen zum Kartoffelschälen. Und die Schalen habe ich dann in den Müll geworfen, den ich vorgestern zu faul war runterzubringen. … … Ein erneuter Beleg, dass Faulheit super ist, denn mein Sparschäler lag in der Mülltüte. Keine weiteren Kommentare über den Duft, den ich dafür in Kauf nahm, dieses 2-Euro-Gerät wiederzukriegen.

Wie ich auf Twitter lernte, sind Sparschäler die Dinge, die mit am meisten weggeschmissen werden, weswegen sie aus eher günstigen Materialien gefertigt werden. Manchmal ist die Welt doch ein bisschen schlau.

So schön im Flow gewesen, dass mir Fußball egal war.

Abends nach nur einer Woche erneut Dan-Dan-Nudeln gemacht, weil so gut! SO GUT! Dieses Mal mit Tofu statt mit Hack. War auch gut, die Sauce kleistert eh alles zu, aber ich gebe zu, Hackfleisch esse ich schon sehr gern. Das Gemüse war gestern nur roh, einfach hauchdünn gehobelte Zucchini- und Möhrenscheibchen plus ein paar Paprikastreifen und ordentlich Koriander. Was ich beim nun dritten Zubereiten der Nudeln gelernt habe: Die können vor dem Wasserbad ruhig zusammenkleben, die entknäulen sich sofort, sobald sie im Topf landen. Hallo, italienische Eierdiven. Mal ein Beispiel daran nehmen.

Den Feierabend mit drei Folgen von „The Circle“ genossen, einer Netflix-Sendung, in der ein paar Leute in einem Wohnblock eine Woche (?) zusammenleben, sich aber nur über ein Social-Media-System namens „The Circle“ kennenlernen. Aka über Praktikanten, die ihre Spracheingaben abtippen und statt kiki immer keykey schreiben. Ich war fest davon überzeugt, die Sendung total albern zu finden, bin jetzt aber doch sehr fasziniert davon. Alleine für den Satz „So Adam who is really married cat-lover Alex is going on a romantic first date with Rebecca who is really a guy named Seaburn posing as his girlfriend“ hat es sich gelohnt. Als kleiner Lerneffekt nebenbei, obwohl wir Interwebfredels das ja eigentlich wissen: Auch Beziehungen über einen Bildschirm sind Beziehungen.

Lache seit vorgestern über diesen Tweet because it’s true. Ich höre DLF immer im Bad und meist erst ab 22 Uhr irgendwann, wenn ich mich fürs Bett fertigmache, aber wenn ich mal vorher reinklicke, habe ich auch gerne ein Fragezeichen im Gesicht.

Tagebuch Freitag, 5. Juni 2020 – Nicht im Flow

War ja klar: Einen Tag läuft’s, am nächsten ist mein Kopf im Eichhörnchenmodus. Den Vormittag zwang ich mich, am Schreibtisch zu bleiben, statt spätem Mittagessen putze ich meine Wohnung, dann ist das auch erledigt, danach hielt die Selbstdisziplin noch für ein paar Stündchen, aber wo ich sonst immer brav bis zum Kapitelende schreibe, korrigiere oder rumfummele, hatte ich dieses Mal wirklich, wirklich keine Lust mehr auf diese. verdammten. Autobahnen. Der Punkt ist anscheinend überschritten, an dem ich gerührt auf mein Werk schaue und es liebevoll in die Welt entlassen möchte – jetzt geht’s mir nur noch auf die Nerven, und ich will, dass es endlich auszieht, alles besenrein aufräumt und den Müll mit runternimmt.

Aber vorher muss ich noch ein paar zusätzliche Abbildungenngrpmpffft. Der nächste Bachelor wird in Geschichte gemacht, da saßen die Leute größtenteils ohne Powerpoint vorne und lasen dem Kurs ihr Referat vom Blatt vor. Alles ohne Bilder. Das wird super.

Aber: Meine Damen und Herren, ich habe geerntet. Nicht nur so lausige Kräuter, nein, ich habe gestern den ersten Salat aus dem Balkonkasten gepflückt. Und mit einem Hauch Olivenöl, Zitronensaft und Salz war es natürlich der beste Salat der Welt.

Ich habe Nahrungsmittel entstehen lassen! ICH BIN GOTT!

Gott, die neidisch auf die ganzen Gartenfotos in ihrer Timeline guckt, wo Leute faustgroße Radieschen ziehen und so was. Nächstes Jahr.

Was schön war, Donnerstag, 4. Juni – Im Flow

Morgens wieder ein Stündchen vor dem Wecker aufgewacht und mal was richtig Gutes getan: spazierengegangen. Dabei lief ich mir ernsthaft eine Blase in den Schuhen, in denen ich seit Monaten rumlaufe, was mir sehr klar macht: weniger radfahren, mehr gehen. Oder generell öfter die Schuhe anziehen und durch die Gegend laufen. Ich bin in den letzten Wochen anscheinend doch zu sehr mit Stühlen am eigenen Schreibtisch, in Bibliotheken oder Archiven verwachsen.

Müsli mit Obst, O-Saft, keine Lust auf Kaffee gehabt, den Tag ungeplant früh mit der neuen Masterchef-Australia-Folge begonnen.

Den Rest des Tages komplett am Schreibtisch verbracht, so ungefähr elf Stunden. Ein-, zweimal machte ich Pause mit der Teetasse auf dem Sofa und daddelte eine Runde Candy Crush, aber ansonsten tippte ich durch, sortierte neue Abbildungen ein, überprüfte Fußnoten und legte mir die hoffentlich finale To-Do-Liste an von Dingen, die ich nicht zuhause abarbeiten kann. Bisher markierte ich Baustellen in der Diss neongelb, damit ich wusste, dass dort noch etwas zu tun ist, aber jetzt versammelte ich alle diese angemerkten Stellen und notierte sie mit Seitenzahlen, damit ich einen Überblick darüber habe, wo ich noch hinmuss und wofür. Was sich gleich erledigen ließ, erledigte ich, und so bin ich jetzt schon wieder im Jahr 1933 angekommen. Hello again. (Reicht jetzt langsam.)

Gegen 18.30 Uhr näherte ich mich dem Hungertod, klappte den Rechner zu und ging in die Küche, wo noch ein paar Pandanblätter auf mich warteten und Kokosmilch und ein Gemüseberg. Ich fühlte mich schon bei der ersten Benutzung der Blätter für Nasi Lemak wie der totale Profi, und das war gestern auch so. Ich verknotete zwei Blätter, gab Reis und Kokosmilch zu ihnen in den Topf, warf großzügig Salz hinzu und eine Schalotte. Während der Reis vor sich hindämpfte, briet ich in einer Pfanne in ordentlich Chili-Öl hauchdünn gehobelte Möhren und Zucchini, dazu Paprikastreifen und Brokkoliröschen an und gab zum Schluss noch eine Handvoll Erdnüsse über alles. Das hat so viel Freude gemacht, meine Hände mit Lebensmitteln zu beschäftigen und noch stundenlang diesen wundervollen, floralen Duft in der Küche zu haben. Okay, in der halben Wohnung, ich habe die Küchentür bewusst offengelassen. Hätte ich auch nicht gedacht, dass mich Chili und Grünzeug mal so glücklich machen könnten.

Zum Tagesausklang noch mit Hamburch telefoniert, ganz altmodisch. Wir sprachen darüber, dass uns die derzeitige Nicht-Normalität auf den Zeiger geht, aber was wirklich fehlt, ist körperliche Nähe. Ich wohne zwar nicht mit F. zusammen, aber nach fünf Wochen bewusstem Abstandhalten konnte ich ihn wieder umarmen und ich habe ein bisschen geweint, als ich das endlich wieder konnte, weil es mir so gefehlt hat. Darüber vergesse ich gerne, dass es mir als Single gerade vermutlich weitaus weniger gut gehen würde.

Ich erinnerte mich an einen sehr flüchtigen Gedanken, den ich so Mitte April gehabt haben muss. Ich bin gerne alleine und halte in der U-Bahn schon immer Abstand, aber zur Hochzeit der Pandemie erwischte mich ganz kurz der Wunsch, in einer überfüllten Bahn zu stehen, um andere Menschen zu spüren. Neben dem neu erwachten Bewusstsein dafür, wie wichtig mir Kochen und Essen ist und dass es mich durch miese Tage rettet, auch wenn ich wahrscheinlich zwei Kilo zugenommen haben könnte, keine Ahnung, passt noch alles, ist auch sehr egal, ist mein größter Lerneffekt der Pandemie, dass ich doch nicht ganz so der Einzelgänger bin, für den ich mich hielt. Vielleicht war es auch nur das erzwungene Alleinsein, also das Fehlen der eigenen Entscheidungsmöglichkeit, aber ich bin ein bisschen mehr mit Menschen versöhnt worden. (Diesen verdammten Virenschleudern!) ((Mein Gehirn arbeitet noch.))

Ich lese gerade ein Buch, das schon viel zu lange hier herumliegt: Wieder im Rampenlicht: Jüdische Rückkehrer in deutschen Theatern nach 1945 von Anat Feinberg. Dabei stolperte ich gleich im ersten Kapitel über einen Namen, den ich bei der Arbeit im Hauptstaatsarchiv mehrfach gelesen hatte: Dieter Sattler. Der Mann versuchte, zwischen Protzen und Constantin Gerhardinger zu vermitteln, die nach 1945 beide die Münchner Künstlergenossenschaft neu begründet hatten; ein Zivilgericht sprach 1952 Gerhardinger die Organisation zu.

„Nur vier Monate nach Kriegsende erschien in der deutschsprachigen Wochenzeitung Aufbau in New York ein Aufruf an die emigrierten Theaterleute“, wieder nach Deutschland zu kommen. Ein größerer Teil der Kulturschaffenden remigrierte in die damalige sowjetische Besatzungszone, aus der sich offensiv um die Emigrant*innen bemüht wurde.

„Einen vergleichbaren Appell an Bühnenkünstler gab es weder in Westberlin noch in den anderen, von den westlichen Alliierten kontrollierten Zonen Deutschlands. Umso erwähnenswerter ist die Aufforderung zur Rückkehr aus der Feder des bayerischen Staatssekretärs für Schöne Künste, Dr. Dieter Sattler, einer der wenigen Westdeutschen in politischer Funktion, der den Emigranten eine große Bedeutung beim Aufbau des zerstörten Landes zumaß. In seinem Entwurf über ‚Das andere Deutschland‘ (1947) schlug Sattler für den geistigen Wiederaufbau eine ‚Vortragsreihe prominenter deutscher Emigranten‘ sowie ‚Konzerte und Vorstellungen‘ vor. Neben bekannten Schriftstellern und Musikern nannte er die Theaterkünstler [Else] Bassermann, [Fritz] Kortner, [Elisabeth] Bergner und Ernst Deutsch. Ohne ‚unsere Verbannten‘, die man bereits 1945 gebraucht hätte, sei ‚das „andere Deutschland“ ein Torso‘, behauptete Sattler. Dabei fällt auf, dass im damaligen kulturpolitischen Diskurs immer dieselben Namen genannt wurden: ‚die Elite‘, so die Historikerin Marita Krauss; ‚die Reklame-Juden‘, in den Worten des Emigranten Walter Wicclair.“

(Feinberg, Anat: Wieder im Rampenlicht: Jüdische Rückkehrer in deutschen Theatern nach 1945, Göttingen 2018, S. 21/22.)

Was schön war, Mittwoch, 3. Juni 2020 – Korrekturgang 4 (?)

Schreibtischtag. Erfolgreich, konzentriert, Zeug geschafft, mehrere Geistesblitze eingearbeitet, ansonsten korrigiert und ergänzt, mal wieder am Ende vom Dokument angekommen.

Schon im letzten Sommer hatte ich auf meinen Balkontisch einen kleinen Teller steht, in den ich ein paar Steine legte und Wasser goss, damit durstige Insekten einen Thekenbesuch machen konnten. Ich habe da nie ein Viech gesehen, aber in diesem Jahr sah ich schon mehrfach – Wespen. Ausgerechnet. Was ist mit fluffigen Bienen und Hummeln? Nein, Wespen. Noch lasse ich den Teller stehen, aber wenn die Jungs noch ihre Kumpels anschleppen, mache ich den Laden wieder dicht.

F. so: „Jetzt wo wir nicht im Biergarten sind, stören Wespen gar nicht so.“

Einen Platz im Kunstarchiv in Nürnberg zugeteilt bekommen, das seit vorgestern und nur eingeschränkt wieder geöffnet ist. Aber einmal muss ich noch durch den Nachlass wühlen, vermutlich reicht dafür ein Tag gar nicht, aber mehr gibt’s erstmal nicht.

Pfannkuchen aus Sauerteigresten, Chiliquark dazu. Der übliche Berg an Schokomüsli mit einem Pfund Obst drauf. Ostfriesentee und eine Tüte Tropifrutti, bei der WIE IMMER zu wenige Bananen enthalten waren.

Die guten Dinge an Corona: Einige von uns hatten viel Zeit.

How Crowdsourcing Aided a Push to Preserve the Histories of Nazi Victims

„While the coronavirus pandemic has painfully upended lives and businesses around the world, the lockdowns it caused are providing a unique boost for one group’s effort to help heal a generations-old wound: Nazi atrocities.

As the virus prompted lockdowns across Europe, the director of the Arolsen Archives — the world’s largest devoted to the victims of Nazi persecution — joined millions of others working remotely from home and spending lots more time in front of her computer.

“We thought, ‘Here’s an opportunity,’” said the director, Floriane Azoulay.

Two months later, the archive’s “Every Name Counts” project has attracted thousands of online volunteers to work as amateur archivists, indexing names from the archive’s enormous collection of papers. To date, they have added over 120,000 names, birth dates and prisoner numbers in the database.“

Abends im Bad wieder am Deutschlandfunk hängengeblieben, wo es um eine neue CD mit Werken von Aaron Copland ging (Sendung nicht direkt verlinkbar, das waren so ungefähr die letzten 20 Minuten). Das Württembergische Kammerorchester Heilbronn spielt auf „Father Copland“ unter anderem auch Appalachian Spring, aber nicht in der Orchesterversion, sondern für ein kleineres Ensemble. Ich fand die kurze Zeit mit Copland sehr schön, den Herrn kannte ich durch die hervorragenden Klassik-Playlists von Gabriel Yoran. Gelernt: Die Musik des linksgerichteten Copland wurde für mehrere republikanische Werbespots als Inspiration genutzt. Mehr dazu (schöne Links!) beim Musikkritiker des New Yorker, Alex Ross.

Das war’s. Guter Tag. Ich mag konzentriertes Arbeiten, und ich mag schöne Tagesausklänge.

Was schön war, Dienstag, 2. Juni 2020 – Frisch gezapftes Bier

Lange vor dem Weckerklingeln aufgewacht und die nächtliche Timeline nachgelesen. Dabei über ein Foto von Arlene Mejorado auf dem Instagram-Account der US-Vogue gestolpert:

Ich kann mich bis jetzt nicht entscheiden, ob ich das Bild – von diesem Account – großartig oder fürchterlich finde. Das Foto an sich beschäftigt mich und ich bin immer noch dabei, meine Gedanken zu sortieren, das wird also jetzt keine gründliche Bildanalyse.

Die Rückansicht der Protestierenden ist spannend, man erkennt keine Gesichter, sie müssten eine Masse sein, aber ein Mensch sticht heraus. Die Pose mit der erhobenen Faust assoziiert sofort die Black-Power-Bewegung, der nackte Oberkörper mit der Aufschrift erinnerte mich schmerzlich an Fotos von Sklaven, auf deren Rücken Narben von Peitschenhieben zu sehen sind. Hier ist die Rückenhaut vermutlich von eher freundlich gesinnten Menschen mit etwas versehen worden, die glatte, unzerstörte Haut mit dem Slogan darauf hat also eine ganz andere Wirkung als die Sklavenfotos – Stichwort „empowerment“ –, wobei auch letztere, siehe Link, als Botschaft dienten. Trotz der historischen Assoziationen ist das Bild eindeutig aus der Jetztzeit: Mit dem erhobenen Handy wird gefilmt oder instagrammt, an den Ohren des zentralen Mannes sind die Bänder eines Mundschutzes zu erkennen.

Was mich seit gestern fragend auf das Bild starren lässt, ist das Outfit des Mannes: Wenn er nicht gerade auf einer Protestkundgebung wäre, könnte er auch in einem Video einer Klamottenfirma agieren oder für Accessoires wie Rucksäcke werben. Deswegen weiß ich immer noch nicht, ob ich diesen Post großartig finde – weil total on brand – oder fürchterlich – weil total on brand.

Aber immerhin konnte mein Kopf mal wieder über etwas anderes nachdenken als über Autobahnen.

Den Vormittag verbrachte ich im Staatsarchiv und lernte, ohne es zu wollen, dass der Verband der Mineralwasserfabrikanten es 1944 total doof fand, dass die Staatsbrauerei Weihenstephan jetzt auch noch Blubber macht, wo kommen wir denn da hin. „Für die Zeit nach dem Krieg muß jedoch darauf bestanden werden, daß die Brauerei den Handel mit Limonaden einstellt.“

Und ich fand auch ein paar schöne Dinge zu Herrn Protzen und zu seinen Kollegen, von denen viele noch meinten, die zeitgenössische Kunst bestände aus „extremen Experimenten“ oder sei „abnorm“. Einer tat sich 1955 mit einem ganz besonders beknackten Zitat hervor: In einem Schreiben, in dem der bayerische Staat um finanzielle Unterstützung gebeten wird, erwähnte Franz Siegele, dass man sich die Picasso-Ausstellung im Haus der Kunst „unbedingt“ ansehen werde – „nicht der Qualität wegen sondern um zu sehen, was hinter dem Rummel um diesen Maler steckt.“ Auf der Schau hing übrigens auch die Guernica, wenn wir schon von abnorm reden, gell, deutsche Luftwaffe?

Nach Hause geradelt, Croissants zum Mittagessen, danach gut gelaunt am Schreibtisch weitergearbeitet.

Abends hatten F. und ich ein Date, so draußen, unter Menschen, IN EINEM LOKAL! Das hatten wir seit März nicht mehr gemacht und deswegen hielten hier gleich zwei Leute das erste frisch gezapfte Bier seit Monaten bildlich fest. Es war herrlich.

Wir durften nur zwei Stunden bleiben, aber das war in Ordnung. Außerdem trafen wir den charmanten @manumelm, der im gleichen Lokal einen Tisch reserviert hatte. Dieses Dorf! Ich war für zwei Sekunden pissig, dass der Herr auf dem Bürgersteig stehen blieb anstatt an den Tisch zu kommen, aber dann fiel es mir noch ein: Wir müssen ja Abstand halten. Ich vergesse das so gerne, weil ich so gut wie nie unter Menschen komme außer im Supermarkt. Ich bleibe weiterhin so gut es geht zuhause und gehe fast ausschließlich in Gebäude, in denen Menschen die Klappe halten und möglichst weit von mir entfernt an Einzeltischen sitzen und arbeiten.

Nach Schnitzel und Bier (ein Fest!) saßen F. und ich noch Stunden auf meinem Balkon und freuten uns über Schnitzel, Bier, Balkon, Zufallstreffen, nette Gespräche und dass es sich mal für zwei Stunden normal angefühlt hat. Bis auf die maskierte Kellnerin und dass man Namen und Telefonnummer am Tisch ausfüllen musste. Und weil wir den Tisch schon um 18 Uhr reserviert hatten, waren wir sogar noch vor Mitternacht im Bett, aber es fühlte sich an, als hätten wir die halbe Nacht durchgequatscht.

Guter Tag.

Was schön war, Montag, 1. Juni 2020 – 17 Seiten

Ausgeschlafen. Müsli mit Pfirsich, Erdbeeren und Weintrauben. Die neue Folge Masterchef Australia angeschaut, bei der ich zum Schuss fies heulen musste, denn es ist schon schlimm genug, wenn Kandidat*innen, die ich mag, rausfliegen, aber dass sie nun von niemandem mehr umarmt werden, sondern einfach so gehen müssen, bricht einem wirklich das Herz. (Einem = mir.)

Tee gekocht und an den Schreibtisch gesetzt. Die Jahre von 1945 bis 1956 umgebaut und dabei einen neuen Anhang finalisiert. Auf 17 Seiten habe ich jetzt einen guten Überblick über alle Werke, die von Protzen jemals ausgestellt wurden, zu Lebzeiten und posthum. Jetzt muss man keine 300 Seiten mehr lesen, um zu sehen, dass das Gemälde, das heute als sein bekanntestes gilt, gerade einmal 1940 in München zu sehen war und dann in Depots vergammelte, bis es die Ausstellungsmacher der Bundesrepublik wieder ans Licht zerrten und ihm den Untertitel „SO SEHEN AUTOBAHNBILDER AUS, MEINE DAMEN UND HERREN, SCHLIMM, GANZ SCHLIMM“ verliehen. I beg to differ, aber nicht mehr so energisch wie vor drei Jahren, als ich mit der Diss anfing.

Um einen Platz im Lesesaal des Archivs des Deutschen Museums gebeten. Online einen Platz im Lesesaal der Stabi gebucht, der allen Ernstes erst am 15. Juni sein wird, vorher war schon alles dicht. Gut, dass ich aus der Bibliothek nicht mehr viel brauche. Bei F. beklagt, der mir per DM einen Clip schickte mit der Ansage: „For all the other Stabi users who are not you.“ (Der Herr ist ein bisschen voreingenommen, aber ich bin natürlich total seiner Meinung.)

Und dann war der Tag schon rum. Das geht am Schreibtisch ja immer sehr schnell. Irgendwann ein Käsebrot gegessen, Kuchen von vorgestern, der aber anscheinend wirklich nur für den Backtag zum genussvollen Verzehr geeignet ist, abends nochmal Müsli mit Obst, weil lecker. Ruhiger und gleichzeitig emsiger Tag. Die USA weitgehend ignoriert, weil ich sonst irre werde an der Menschheit. Meine Twitter-Nutzung zum achttausendsten Mal hinterfragt, da komme ich auch nie zu einem wirklichen Endergebnis.

Was schön war, Sonntag, 31. Mai 2020 – Ruhe

Ausgeschlafen. Bei offenem Fenster schlafen können, ein bisschen wegen Feiertag, ein bisschen immer noch wegen Corona, es sind bei mir vor der Haustür weiterhin merklich weniger Autos unterwegs. Aber schon wieder mehr als noch vor einem Monat. Das hätte von mir aus nicht sein müssen, aber nun gut.

Gut in der Diss vorangekommen, der Rückbau ist vollzogen, das Inhaltsverzeichnis wird weiterhin angepasst, und bis jetzt (1945) fühlt sich das sehr gut an und liest sich auch so.

Auch die Zweitprüferin hat ihr Okay gegeben, ich plane also jetzt einen Endspurt bis Anfang August, denn dann muss der Stapel in dreifacher Ausführung im Prüfungsamt sein, nachdem ich mich Ende Juni zur Abgabe anmelden werde. Vielleicht hat das Amt bis August auch wieder geöffnet und ich kann persönlich vorbeischauen, ansonsten wird das ein sehr schweres Paket. (Fiel mir gestern im Halbschlaf ein: Haben Copyshops wieder geöffnet?)

Mit Mama telefoniert. Und ein paar Sätze mit Papa, aber er hat mich nicht gut verstanden und mir frohe Weihnachten gewünscht.

Weiterhin Reste der Dan-Dan-Nudeln verspeist, jetzt ist der Berg erledigt. Das war so gut, das möchte ich eigentlich sofort wieder essen.

Stattdessen Kladdkaka gebacken – das Rezept war super, die Backzeit eindeutig zu kurz. Ganz so matschig wollte ich das Innenleben dann doch nicht haben. Falls ihr es nachbackt, und hej, ihr habt vermutlich alles dafür im Haus, lasst das Ding einfach 25 bis 30 Minuten im Ofen.

F. war unterwegs und hatte seinen Schlüssel vergessen, er mailte mich an, dass er seinen Ersatzschlüssel von mir holt. Ich freute mich vor, als die nächste DM kam: Sein Nachbar habe den Schlüssel außen an seiner Wohnungstür bemerkt und ihn angerufen, er käme daher nicht bei mir vorbei. Abends vielleicht? Ich freute mich erneut vor, war dann aber so in der Diss versunken, dass ich ihm schrieb, ich würde gerne noch weitertippen. Als ich mich erst um 21.30 Uhr wieder meldete, hatte der Herr verständlicherweise nicht mehr so recht Lust, noch vor die Tür zu gehen. Dreimal vorgefreut, immerhin nur einmal selbst verkackt.

Aber: Wir haben eine Reservierung! in unserer Lieblingskneipe! morgen abend! WIR GEHEN AUS! Das fühlt sich noch sehr irre an. Wir sitzen natürlich draußen – Innenräume meide ich weiterhin, wenn sie keine Bibliothek oder kein Archiv sind –, und wir haben den Platz erstmal nur für zwei Stunden, aber: WIR GEHEN AUS! SO NORMAL SO!


Igor Levit sprach mit der NYT über seinen Vexation-Marathon. Das blöde Stück hatte ich gestern den halben Tag noch im Ohr.

„There were moments of anger, there were moments of fear, sadness, devastation. But these were touchable moments for me more than anything psychological. In the middle, I looked at where I was and thought: There are still 590 to go, what the heck? It took me about half an hour to get through that, but it was really the only moment where I thought, not that I wasn’t going to make it, but that I was annoyed.“