Was schön war, Dienstag, 13. Dezember 2016 – Referat

Morgens in der Vorlesung zu osmanischer Architektur gelernt, was denn eigentlich eine Karawanserei ist, von der ich bei Karl May vor 40 Jahren was gelesen hatte (glaube ich). Neu für mich: Bedesten, Arasta (ein Handelsplatz, der gemeinsam mit einer Moschee errichtet wird; Moscheen wurden oft gestiftet, die (der?) angrenzende Arasta bringt Geld in die Stiftungskasse) und Han – ein Überbegriff für Orte, an denen gehandelt wurde; allerdings waren sie in einer offenen Hofarchitektur gestaltet anstatt geschlossen wie die Karawansereien.

Unsere Dozentin ist Türkin, spricht deutsch mit uns und vermischt auf ihren Folien gerne die zwei Sprachen plus Englisch, weswegen ich bei den Begriffen nie sicher bin, ob ich jetzt ein türkisches oder ein deutsches Wort notiere. Siehe oben den Wikipedia-Link zu Arasta; das scheint türkisch zu sein, und es gibt keinen Link zur deutschsprachigen Wikipedia. Ich fühle mich in der Vorlesung immer sehr polyglott.

Nach der Vorlesung ging ich ins Historicum, um mein Handout für den Menschenrechtskurs zu kopieren, in dem ich abends das Referat zu Amnesty International halten wollte. Ich war mir nicht sicher, ob im ersten Stock ein Kopierer steht, ich wusste aber, dass im zweiten einer ist. Fahrstuhl in den zweiten Stock, in den Kopierraum gegangen – Scanner/Kopierer besetzt: „Ich muss noch drei Aufsätze scannen, willst du warten?“ „Nee, ich geh ins nächste Stockwerk.“ Treppe in den dritten Stock, in den Kopierraum gegangen – Scanner/Kopierer besetzt: „Dauert nur noch fünf Minuten, willst du warten?“ „Nee, ich geh ins nächste Stockwerk.“ Treppe in den vierten Stock, in den Kopierraum gegangen – Schild weist mich darauf hin, dass hier nur noch ein Scanner steht, der Kopierer ist im Untergeschoss. Fahrstuhl ins Untergeschoss. Den nehme ich selten, denn wenn ich ins Untergeschoss will, gehe ich meist gleich die Treppe aus dem Erdgeschoss runter. Nun trat ich aus dem Fahrstuhl in den Raum und sah erstmals, dass unter der Treppe fünf (?) riesige Industriestaubsauger standen, mit denen anscheinend das Historicum gesäubert wird. Es hatte was von gutmütigen, technisch altmodischen Aliens (WALL-E!), die geduldig inmitten der schlauen Bücherberge auf ihren Einsatz warteten.

Kopierraum war frei, wo-hoo!

Mit 25 Kopien im Rucksack radelte ich in die Stabi, wo ich mir ein weiteres Buch abholte, das nichts mit der Uni zu tun hat und das ich vermutlich nicht inmitten der Leihfrist durchlesen werde können, aber egal, jetzt hab ich’s erstmal und kann reinblättern. Über The Unwinding: Thirty Years of American Decline (gibt’s auch auf Deutsch) las ich interessiert in der NYT, deren Artikel 6 Books to help understand Trump’s win einen Tag nach der Wahl veröffentlicht wurde. Das Buch ist von 2013, aber schon das Vorwort lässt nichts Gutes ahnen:

„The unwinding brings freedom, more than the world has ever granted, and to more kinds of people than ever before – freedom to go away, freedom to return, freedom to change your story, get your facts, get hired, get fired, get high, marry, divorce, go broke, begin again, start a business, have it both ways, take it to the limit, walk away from the ruins, succeed beyong your dreams and boast about it, fail abjectly and try again. And with freedom the unwinding brings its illusions, for alle these pursuits are as fragile as thought balloons popping against circumstances. Winning and losing are all-American games, and in the unwinding winners win bigger than ever, floating away like bloated dirigibles, and losers have a long way to fall before they hit bottom, and sometimes they never do.“

Von der Stabi fuhr ich zum Bauernmarkt am Josephsplatz, wo ich bei meinem liebsten Gemüsehöker feststellte, dass es halbfest kochende Kartoffeln gibt. Gleich mal ein Kilo mitgenommen. Dazu Tomaten und ein Bund Schnittlauch, denn zum Mittag wollte ich mir den Rest des Gulaschs aufwärmen, das ich Montag abend gekocht hatte. Da fehlte mir ein bisschen die Frische, weswegen ich gestern auf das mummelwarme Gericht einen Klecks Crème fraîche und einen Berg Schnittlauch gab. Damit war’s perfekt.

(Zum tausendsten Mal gegoogelt, ob auf „crème“ ein grave oder ein aigu kommt. Nächstes Mal gibt’s saure Sahne.)

Das Referat zuhause ein drittes Mal durchgegangen, bei 28 Minuten gelandet (ich hätte 30 gedurft). Um 17 Uhr hörte ich dann im Kurs zunächst ein Referat eines Kommilitonen, der über NGOs zwischen 1940 und 1960 sprach, unter anderem die International League for the Rights of Man, wonach ich dann mit Amnesty zwischen 1961 (der Gründung) und 1989 anschloss. Ich war ganz zufrieden, war vermutlich aber wie immer viel zu schnell, obwohl auf meinen Rededokumenten groß LANGSAM! steht. Es gab schöne Nachfragen und eine gute Diskussion, und ich konnte außerdem eine Folie in der Präsentation nutzen, die ich aus Zeitgründen rausgeschmissen hatte, aber noch im Dokument hatte. Den Tipp hatte mir F. irgendwann mal gegeben, als ich quengelte, wieviele Folien ich für meine Referate erstelle, nur um sie wieder zu löschen, weil ich zu lang bin. Er meinte: einfach im Dokument behalten, kann man vielleicht für eine Nachfrage nutzen. Guter Tipp.

Nach der Uni bleierne Müdigkeit. Beim Seriengucken eingeschlafen. Von F. geweckt worden und noch ne Runde am Küchentisch geredet. Dazu Bier für den Herrn und zur Feier des Tages Erdbeerschaumwein für die Dame.

#12von12 im Dezember 2016

Die übrigens 12von12*innen gibt’s bei Caro.

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Vor dem Wecker aufgewacht und erstmal auf Twitter und in verschiedenen Apps nach Nachrichten geguckt. Die New York Times abonniere ich schon länger, nach der Trump-Wahl kam noch der New Yorker hinzu und seit diesem Wochenende bin ich auch Washington-Post-Subscriberin. Ich habe keine Lust, die US-News auf deutschen Portalen zu lesen; SPON gewöhne ich mir eh gerade ab, die SZ macht mich mit ausgeschaltetem Werbeblocker wahnsinnig, und bei der FAZ ertrage ich nur das Feuilleton (das ist aber auch wirklich groß). Daher lese ich jetzt halt amerikanische Zeitungen. Das Dumme ist nur, dass ich mich dauernd aufregen muss, und ich frage mich, ob das so gut ist oder ob ich nicht lieber vier Jahre lang in selbstgewählter Unkenntnis leben möchte. Auch deswegen habe ich den obigen Ausschnitt meiner Timeline gescreenshottet, denn der erste Tweet erinnerte mich an diese Auseinandersetzung.

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Eine der wenigen Dinge, bei denen ich eiserne Disziplin habe: Abends wird abgewaschen, damit ich morgens in eine saubere Küche kommen kann. Ähnlich wie: Abends wird der Schreibtisch aufgeräumt, damit der Kopf morgens gut arbeiten kann.

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Das Schöne am Winter und seinen dunklen Morgenden: Man kann bei Kerzenlicht frühstücken. (Und total grobkörnige Bilder machen.)

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Nachdem ich das ganze Wochenende Textblöcke hin- und hergeschoben hatte, fiel mir gestern morgen endlich eine sinnvolle Struktur ein. Also wieder ran ans Referat.

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Zwei Stunden später war ich fertig und hielt mir das Ding zum ersten Mal. Fünf Minuten zu lang und das bei meinem üblichen Maschinengewehrsprechtempo. Muss ich noch kürzen. Aber erstmal ab zur Uni.

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Das kunsthistorische Institut der LMU erkennt man daran, dass es die hässlichste Fassadenfarbe der ganzen Straße hat.

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Macht aber nichts, so lange der Unterricht toll ist. Gestern fielen im Rosenheim-Seminar leider beide Referate aus; ein Referent hatte sich vom Kurs abgemeldet – in der Woche vorm Referat, ist klar, Pappkopf –, die zweite Referentin wurde quasi direkt vor ihrem Vortrag von der Kita ihrer Tochter angerufen, dass sie bitte ihren Nachwuchs wegen Krankheit abholen solle. Das geht natürlich vor (das meine ich ernst, natürlich geht das vor), und daher plauderten wir einfach mal ziellos über NS-Kunst. Deswegen schrieb ich auch gerade einen Begriff in mein Moleskine.

Außerdem berichteten die Kommiliton*innen uns Daheimgebliebenen von der Exkursion zur Bochumer Ausstellung Artige Kunst, die im Kurs alles andere als gut angekommen war (wie auch in der Zeit). Hauptkritikpunkt war die Aussage der Ausstellung, dass hier „die“ NS-Kunst gezeigt werden sollte, aber nur die üblichen Blut-und-Boden-Herrenmenschen sowie die vielköpfigen Bauernfamilien rumhingen. Wenn man die GDK als Vergleich nimmt, in der natürlich auch derartige Werke hingen, fehlt in Bochum ein gewaltiger Teil von dem, was damals als deutsche Kunst galt: die tausend Blumenstillleben, die Landschaften, all die bürgerliche Kunst, die schlicht weiterproduziert wurde und die sich keiner Ideologie anpassen musste, weil sie keine hatte; sie störte nur nicht zwischen den Brekers und Zieglers. In Bochum scheint wieder nur der winzig kleine Teil zu hängen, der landläufig mit dem Begriff NS-Kunst in Verbindung gebracht wird, und dieser winzige Teil machte in der GDK 1941, als der Höchststand von eindeutig ideologischen Werken erreicht war, gute drei Prozent aus. Drei. Prozent.

Wir sprachen auch über Erwartungshaltungen, mit denen man in Ausstellungen reingeht. So erfüllt Bochum vermutlich genau die Erwartungen, die man hat, wenn man mit wenig Vorbildung NS-Kunst gucken will. Dass NS-Kunst aber eben mehr ist als die Klischeebilder, die wir jetzt alle brav seit 70 Jahren mit gelernter Abscheu angucken, kann diese Ausstellung anscheinend nicht aufzeigen.

Die Ausstellung ist ab September 2017 in Regensburg zu sehen – parallel läuft dann unsere in Rosenheim. Mal sehen, was sich da für Dialoge ergeben können.

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Nach der Uni eingekauft.

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Weil ich abends warm kochen wollte, gab’s mittags nur Honigbrot mit einer Mandarine.

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Und wiederum ein paar Stunden später hatte ich das Referat gekürzt und war auch mit der Powerpoint und dem Handout für die Kommiliton*innen zufrieden. Jetzt konnte ich Gemüse und Fleisch schnippeln gehen. (Nachdem ich den Rechtschreibfehler korrigiert hatte, der mir beim Posten dieses Bildes auf Instagram aufgefallen war.)

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Nach gefühlt 100 Jahren machte ich mal wieder Gulasch, das aber gerne noch zwei Stunden länger hätte rumköcheln können. Mal sehen, wie’s heute schmeckt.

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Dafür war der Wein wie immer sehr gut; das ist mein liebster Schokowein. Der 2008er Jahrgang schmeckt quasi wie dunkler Kakao mit einem Tropfen Alkohol drin, der 2010er, den wir gestern hatten, hat immerhin noch ein bisschen Schokolade im Abgang und fängt sehr frisch mit taubenetzten Himbeeren an.

Was schön war, Freitag bis Sonntag, 9. bis 11. Dezember 2016 – Zirbelzauber

Freitag fuhren F. und ich nach Augschburg, um über den Christkindlesmarkt zu spazieren. F. kommt aus der Gegend und erzählte mir zwanzig Minuten lang, was in den heutigen Läden auf dem Weg zum Markt früher drin war, und ich dachte grinsend, dass ich das innerlich auch immer mache, wenn ich in die alte Heimat fahre – „da war doch damals …?“

Das Augsburger Rathaus hatte ich schon auf einer Unifolie gesehen und war sehr gespannt – und dann nach kurzem Gucken ziemlich überwältigt über die schiere Größe. Was muss Augsburg für eine reiche Stadt gewesen sein, um sich diesen Trumm in die Gegend zu klotzen? F. nur so zwischen zwei Schlucken Glühwein: „Fugger“, ich nickte und genoss weiter den Zirbelzauber – ein weißer Glühwein mit Fruchtsaft, Orange und Gewürzen. Werde ich ob des bescheuerten Namens nie bestellen, lasse ich mir seit Freitag aber äußerst gern kredenzen.

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Über die Zirbelnuss aka den Pinienzapfen lästere ich bei jedem Augsburgbesuch. Ich meine, das Ding sitzt oben auf dem Rathaus! Und anscheinend benennt man alkoholische Spezialitäten nach ihr. Und ich trage sie auf dem Fußballschal mit mir rum.

Das Wochenende verbrachte ich größtenteils damit, an meinem Amnesty-Referat rumzudengeln. Die von der Dozentin vorgeschlagenen Änderungen klangen erstmal nicht nach sehr viel Arbeit, waren sie aber natürlich doch. Gestern saß ich deswegen nochmal in der Bibliothek, denn ich hatte die ganze schöne Literatur mit einer anderen Frage im Hinterkopf durchgearbeitet und wollte lieber nochmal Dinge nachlesen, die ich mir vielleicht nicht notiert hatte. Ich fand auch noch schönes Zeug, arbeitete das ein – und warf gestern zum dritten Mal den Ablauf um. Jetzt hatte ich zwar endlich alles drin, was meiner Meinung nach rein sollte, aber so richtig flutschte das beim Vortragen noch nicht. Heute morgen fiel mir dann endlich eine Struktur ein, die eventuell klappen könnte. Das probiere ich heute aus, und ihr lest dann vermutlich morgen darüber. Da halte ich das Referat übrigens auch.

Ein namenloses Dankeschön …

… an die- oder denjenige*n, der*die mich mit Monika Marons Stille Zeile Sechs überrascht hat. Von Maron kenne ich bisher zwei Bücher – hier mein erstes, das total niedlich im Erstes-Semester-OMG-viel-zu-lesen-Eintrag untergeht, und hier mein zweites – und bin daher sehr gespannt auf ein weiteres von ihr. Das Geschenk kam ohne jeden Hinweis auf den oder die Schenker*in an; ich weiß nicht, ob das Absicht war oder Amazon die Hälfte der Rechnung verschlampt hat, ich tippe auf letzteres. Wie dem auch sei: Vielen Dank für das Buch, ich habe mich sehr gefreut.

Was schön war, Donnerstag, 8. Dezember 2016 – Warmer Winter

Wenn ich schon eine halbe Stunde vor Vorlesungsbeginn im Saal sein muss, um zwischen den ganzen Senior*innen noch einen Platz zu finden, dann will ich wenigstens entspannt ankommen. Heißt: radeln statt Bus fahren. Ich packte mich in die dicke Winterjacke, schlang den Schal um den Hals, zog die Handschuhe an und fuhr gut gelaunt zur Uni. Als ich nach zwei lehrreichen Stunden über Cézanne in Richtung Bibliothek fahren wollte, merkte ich, dass ich weder Handschuhe noch Schal brauchte. Ich Danger Seeker knöpfte sogar den obersten Knopf der Jacke auf, aber das war ein Fehler, wie ich nach wenigen Metern merkte. Trotzdem dachte ich, als ich am Hauptgebäude der LMU entlangfuhr, dass man eigentlich an Tagen wie gestern die Springbrunnen wieder anstellen sollte, so sommerlich kam es mir vor.

Vor der Vorlesung, zu der ich, wie gesagt, VIEL ZU FRÜH da war, weiter in Rückkehr nach Reims gelesen. Gefällt mir sehr gut.

In der Unibibliothek und der Stabi Bücher zurückgegeben und jeweils einen neuen Schwung geholt. Wiederholt festgestellt, dass ich mich jedesmal freue, wenn ich Bücher aus Regalen hole, sie im Arm zum Schließfach trage und liebevoll einzeln in meinem Rucksack verstaue. Das scheint nicht aufzuhören, diese taktile Zuneigung zu dieser Medienform.

Konzentriert am Referat weitergearbeitet, dessen Korrektur sich als etwas zäh erweist. Ich muss doch mehr umstellen als ich gedacht habe und gleichzeitig noch neuen Stoff einarbeiten. Das ist als Textprofi eigentlich kein Ding, aber mit dem neuen Stoff passt meine geplante Reihenfolge nicht mehr, und deswegen schmeiße ich seit zwei Tagen wild Textblöcke und Powerpointcharts durch die Gegend.

Ich fand Westworld eher so meh, aber ich mochte die Musik sehr. Den Soundtrack zur ersten Season mit den ganzen irritierenden Klavierstücken gibt’s seit gestern auf Spotify.

Abends erstmals Salatherzen in Knoblauchbutter mit Pinienkernen angebraten, weil ich nach zwei Tagen keine Lust mehr auf Kürbislasagne hatte. Die durfte F. aufessen. Der warme Salat war prima, das mache ich auf jeden Fall nochmal.

Was schön war, Mittwoch, 7. Dezember 2016 – Entscheidung

Im ersten MA-Semester, also vor knapp einem Jahr, schrieb ich eine sehr gute Hausarbeit zum Thema „Richard Wagners Opernfiguren im Werk von Anselm Kiefer“. Diese Arbeit beruhte auf einem Referat, das ich in einem Kurs hielt, in dem wir uns mit der unterschiedlichen Kunstentwicklung in der Bundesrepublik und der DDR nach der Teilung Deutschlands befassten. Mein Referatsthema hieß „Anselm Kiefer und der deutsche Mythos“, und da ich Kiefer mochte und deutsche Mythen eh, schlug ich zu und begann zu lesen. Ich kannte das Frühwerk Kiefers nicht – ich verband mit ihm nur die Bleibücher, die ich immer noch großartig finde – und war daher überrascht, bergeweise Wagnerzitate zu finden. Als Wagnerianerin von Kindheit an und als jemand, die 30 Jahre lang über Wagner und sein Werk ab und zu mal was gelesen hatte, sah ich natürlich auch ohne die ganzen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, die ich in den folgenden Monaten durchblätterte, die Bezüge: Personal, Waffen und Tiere aus dem Ring, Parsifal, den Meistersingern, dem Tannhäuser, mal im Bild, mal in einem Buch, jahrelang übers Werk verstreut. Ich las Theorien darüber, was diese Bezüge ausdrücken sollten, und auch wenn ich vielem zustimmen konnte, fielen mir Lücken auf, die ich in meiner Hausarbeit darlegte und füllte. Bei der Besprechung fragte ich die Dozentin, warum diese mir so offensichtlich erscheinenden Dinge noch niemand bearbeitet hätte, woraufhin sie meinte, vielleicht gebe es nicht viele Wagnerfans unter den Kieferfans. Das kann ich mir natürlich kaum vorstellen, denn für mich liegen beide auf der Grenze zum schwülstigen Kitsch und passen ganz hervorragend zusammen. (Ich weiß natürlich auch, dass für viele Kritiker*innen beide diese Grenze längst mit Schmackes hinter sich gelassen haben.)

In der Hausarbeit hatte ich viel zu wenig Platz für alles, was ich gerne sagen wollte. Alleine die Bildbeschreibungen hätten meine Zeichenbegrenzung gesprengt, aber mir war schnell klar, dass das eine hervorragende Masterarbeit werden könnte. Das sah meine Dozentin genauso; wir verblieben mit „Ich melde mich und habe Sie als Prüferin im Hinterkopf.“

Im letzten Semester merkte ich, wie sehr mir Archivarbeit Freude machte und wie sinnvoll sie mir erschien. Deswegen suchte ich, obwohl ich noch an Kieferwagner hing, nach Alternativen. Nochmal Leo von Welden? Nee, nicht drei Arbeiten hintereinander. Vielleicht was aus dem Umfeld, das ich im Rosenheimseminar kennengelernt habe? Kunstpolitik in der Nachkriegszeit? Einfach mal zehn Jahrgänge den Mangfallboten oder das Oberbayerische Volksblatt auswerten und gucken, wer was in der Gegend ausstellte und wie es besprochen wurde? Vielleicht auch was total anderes – „Bildästhetik bei Vlogs am Beispiel Casey Neistat“? Der hatte sein Vlog ja gerade beendet, da hätte ich einen schön übersichtlichen Werkkörper. Durch die Beschäftigung mit Amnesty International und deren Werbefilmchen kam auch die alte Marketenderin in mir wieder durch: „Die Überzeugungskraft von Bildern – Imagefilme von NGOs im Vergleich“. Und irgendwo reizt es mich ja immer noch, sämtliche architektonischen Pokéstops der Maxvorstadt zu katalogisieren und zu diskutieren, warum die Masse irgendwelche Fassadendetails bemerkenswert findet, die ich nicht mal gesehen hätte, wenn ich nicht Bällenachschub gebraucht hätte. Mein Instagramstream ballert mich mit Werken des Brutalismus zu, die ich auch gerne anschaue, im Lesesaal der Stabi sitze ich in einem Werk Sep Rufs, dessen Wohnhaus in der Türkenstraße/Theresienstraße ich so mag, im Hinterkopf ist auch immer noch die Bemerkung eines Dozenten aus dem Bachelor, der meinte, das geplante, aber nicht umgesetzte Kanalsystem von Nymphenburg könnte man auch mal aufarbeiten, ach, es ist ein Kreuz, so viele schöne Dinge, über die man schreiben könnte und ich darf mir nur eins aussuchen.

In den letzten Wochen sprach ich noch mit einigen Personen an der Uni oder aus Museen, die um die Ecke Tipps oder Vorschläge für mich hatten. Gestern kam telefonisch der letzte, auf den ich noch ungeduldig gewartet hatte. Ungeduldig, denn ich muss mich schon Anfang Januar zur Arbeit anmelden, und auf dem Formular müssen Prüfer*innenname und Titel der Arbeit stehen. Aus der beknackten Bachelorarbeit hatte ich gelernt, dass es sehr klug wäre, sich schon vor der Abgabe dieser Anmeldung etwas ausführlicher mit dem Stoff zu beschäftigen, um zu wissen, ob er a) was taugt und b) genug hergibt – wobei ich bei b) nach inzwischen neun Semestern sagen kann: Ich kann aus allem immer mehr schreiben als gefordert. Ich hätte jetzt also nur noch vier Wochen Zeit, um mich in ein neues Thema einzulesen, das von außen kommt, von den vier Wochen fallen gefühlt zwei weg, weil ich noch zwei Referate vorbereite und außerdem Weihnachten, Neujahr sowie irgendwelche anderen bayerischen Feiertage anfallen, an die mich iCal erinnert, weil ich sie sonst nicht mitkriege sowie die etwas längeren Vorlaufzeiten von Archiven und Heimatmuseen, in die man eben nicht jeden Tag wie in eine Bibliothek spazieren kann.

Deswegen hatte ich eigentlich auch nur noch halbherzig auf diesen letzten Tipp gewartet, denn eigentlich war mir schon seit Tagen klar: Ich mach den Kieferwagner. Bei allen Alternativvorschlägen wimmerte in mir: Aber du hast noch nicht die schönen Werke beschrieben, du hast Kershaws Hitlerbiografie noch nicht durch, du hast da noch was vor, auf das du dich eigentlich seit einem Jahr freust. Heb dir die NS-Kunst für die Promotion auf und mach die Arbeit fertig, die du im letzten Winter nur anfangen konntest. Und schreib weiter Blogbeiträge über Casey, das reicht.

Und so wühlte ich gestern frohgemut im Internet das Nationalarchiv des Wagnermuseums in Bayreuth durch, wo lauter tolles Zeug gesammelt wird – unter anderem zeitgenössische Rezensionen zu den Aufführungen. Wenn ich also richtig Langeweile habe, kriege ich sogar bei Kieferwagner Archivarbeit unter.

Ich freu mich.

Was schön war, Dienstag, 6. Dezember 2016 – Feedback

Neben einem tollen Menschen eingeschlafen, tiefer Schlaf, entspannt neben einem tollen Menschen aufgewacht. Gleich morgens ein Extraschwung Glücksgefühle, ganz umsonst.

Mein üblicher Morgencappuccino war gestern besonders exquisit. Perfekte Mischung aus gutem Kaffee, anständiger Vollmilch und, ähem, einem anscheinend hervorragend abgeschätztem Schwups Sirup in der Geschmacksrichtung Weiße Schokolade. Damit war das Gebräu vermutlich kein Cappuccino mehr. Aber dafür sehr schmackhaft.

Mein Handout zum Amnesty-International-Referat an die Dozentin geschickt, deren Feedback postwendend kam: Ja, das ginge so, aber ich sollte noch dies und das beachten. Was bei mir ankam wie: Ja, das ginge so, aber hier wäre eine Verbesserung auf dem Silbertablett, die total im Sinne des Seminars wäre. Innerlich bedankt, mich an den Schreibtisch gesetzt und die Bücher und Aufsätze nochmal überflogen, um noch ein bisschen Stoff zu sammeln. Dann das Referat im Sinne der Dozentin umformuliert. Ich bin nicht ganz damit fertig geworden, aber abends im Kurs berichtete ich von meinen Änderungen, die abgenickt wurden.

Wieder eine spannende Sitzung gehabt, in der ich erstmals verstanden habe, dass Menschenrechte interpretierbar und damit von jedem und jeder anders argumentativ genutzt werden können. Ein erstes Referat berichtete über das Buch The Language of Human Rights in West Germany von Lora Wildenthal; hier die sehr gute Rezension von Jan Eckel dazu. (Für unsere Referate stöbern wir übrigens so ziemlich alle in Eckels sehr lesbarem Buch Die Ambivalenz des Guten. Alleine sein AI-Kapitel ist gute 100 Seiten lang.) Wildenthal hat sich als erste Forscherin mal angeschaut, wie mit Menschenrechten argumentiert wurde, als es um die deutschen Vertriebenen ging. Ein zweites Referat beschäftigte sich mit dem Algerienkrieg, bei dem beide Seiten sich auf Menschenrechte beriefen: Die FLN pochte auf das Recht der Selbstbestimmung (Art. 21), während Frankreich darlegte, dass es den Einwohner*innen eines kolonialisierten Algerien wirtschaftlich besser ging als vorher (Art. 22 bis 25).

Abends Kürbislasagne und Earl Grey, heiß. Nebenbei Fußball laufen lassen und über Werbung mit den Augen gerollt.

Was schön war, Montag, 5. Dezember 2016 – Käse

F. und ich wurden an einen reich gedeckten Tisch gebeten, und ich aß mein erstes Käsefondue. Ich möchte Kirschwasser jetzt nur noch in Brockenform zu mir nehmen. Das war ein sehr angenehmer, ruhiger und unterhaltsamer Abend in netter Runde. Heute morgen wachte ich sehr entspannt und gut gelaunt auf – da scheint auch die gestrige Rotweinmenge perfekt austariert gewesen zu sein.

Schokomuffins mit Erdnussbuttercreme

Das Zeit-Magazin warf mir gestern einen Link zu Herzfutter in die Timeline, wo mich Muffins mit Schlotz darauf sofort anlachten. Auf das dort vorgesehene Erdnusskaramell habe ich verzichtet, weil ich keine Erdnüsse im Haus hatte. Alternativ dazu wollte ich Zucker spinnen, aber das hat nicht funktioniert, weswegen in meinen kleinen knuffigen Muffins nur eine Karamellscherbe zur Deko steckt.

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Aus dem untenstehenden Rezept sollen 12 bis 15 Stück rauskommen; ich habe es halbiert, woraus perfekte sechs wurden.

150 g zimmerwarme Butter mit
200 g Zucker schaumig schlagen. Nach und nach
3 Eier,
1 Prise Salz sowie
200 ml Milch einrühren. Zum Schluss
100 g Mehl,
70 g dunklen Kakao und
2 gestrichene TL Backpulver einrühren.

Den Teig in eine mit Papiermützchen ausgelegte Muffinform füllen und im auf 180 Grad vorgeheizten Ofen für ca. 25 Minuten backen. Stäbchenprobe machen und auskühlen lassen.

Für die Erdnussbuttercreme
90 g zimmerwarme Butter weißlich aufschlagen.
90 g Puderzucker unterrühren; wenn sich alles verbunden hat, noch
120 g cremige Erdnussbutter sowie
20 ml Milch unterrühren. Notfalls noch mal kühlen, danach Frosting in einen Beutel mit Zackentülle füllen und auf die Muffins spritzen.

Für die Dekokaramellscherbe, die wirklich niemand braucht, aber falls ihr sie trotzdem basteln wollt: den Boden einer Pfanne mit Zucker bedecken, einen EL Wasser dazu, aufkochen lassen, und sobald es sich dunkel verfärbt, vom Herd ziehen. Kurz abkühlen lassen und bevor der Zucker zu einem festen Block wird, auf ein mit Backpapier ausgelegtes Blech kippen. Erkalten lassen, mit einem Kochlöffelstiel herzhaft zerkloppen und die Einzelstücke in die Muffins stecken.

Ich mochte die tiefe Schokoladigkeit der schön lockeren Muffins und dass die Creme mehr erdnussig als süß ist. Von der hätte ich allerdings gerne mehr gehabt, deswegen würde ich beim nächsten Mal vermutlich die Buttercrememenge um 50 Prozent erhöhen.

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Was schön war, Samstag, 3. Dezember 2016 – Konzentration

Den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen und am Referat zu Amnesty International gefeilt. Eigentlich hatte ich eine schöne Struktur, an der ich mich langhangeln wollte, aber ich merkte schon beim ersten Aufschreiben, dass ich dauernd auf Dinge vorgreifen musste und dann wieder zurückging, um den Erzählfaden nicht zu verlieren. Ich löste mich von der Struktur, warf Zeug durcheinander, schrieb auf, bastelte Bilder für die Präsentation, es ist garantiert jetzt schon wieder alles zu lang, aber ich schreibe erstmal alles auf, was ich sagen will und lösche dann wieder alles, was nicht in 30 Minuten passt.

Zwischen dem Schreiben, dem Basteln und dem ständigen Selbstgespräch – ich erzähle mir immer erstmal alles, was ich sagen will, weil ich dann merke, ob’s passt oder ich mich irgendwo verzettele – kochte ich Tee, dann Nudeln, dann lungerte ich kurz beim Fußball auf dem Sofa rum und spielte Candy Crush, und dann schrieb und bastelte ich weiter. Sehr ruhig und konzentriert, im eigenen Tempo, die Deadline klar vor Augen, aber noch nicht so nah, dass sie drückt. So wie ich am liebsten arbeite. Bücher um mich rum, meine ausgedruckte Stoffsammlung voller Textmarkergelb, heißer Tee und Stille.

Was außerdem schön war: nette Mails von Leser*innen zu bekommen, die sich bedanken oder gute Tipps haben. Danke dafür.

Links vom Samstag, 3. Dezember 2016

Zerstörung einer Leistung

Wolfgang Ullrich schreibt beim Perlentaucher über Künstler*innen, die Abdrucke ihrer Werke verbieten. Es gibt aber auch Gegenbeispiele, die Hoffnung machen:

„Zwar gilt für wissenschaftliche Publikationen ein Zitatrecht, so dass in gewissem Umfang Werke auch ohne eigene Genehmigung reproduziert werden können, doch ist es nicht umfassend genug, um in vielen der geschilderten Fälle entscheidend weiterzuhelfen. So erlaubt das Zitatrecht nur ziemlich kleine Abbildungen, weshalb sich bei der Wiedergabe etwa von Architekturplänen oder großformatigen Gemälden kaum noch etwas erkennen lässt. Und sollen von einem Künstler viele Werke auf einmal reproduziert werden, fällt das nicht mehr unter das Zitatrecht, so dass sich die Publikation monografischer Arbeiten tatsächlich verhindern lässt, wenn der betreffende Künstler oder seine Rechtsnachfolger keine Reproduktionsgenehmigung erteilen. Verlage sehen mittlerweile oft davon ab, sich in Zweifelsfällen auf das Zitatrecht zu berufen, da sie die Sorge haben, dass – zumal erfolgreiche – Künstler sie nicht nur verklagen, sondern auch bessere Möglichkeiten besitzen, ihren Standpunkt mithilfe guter und teurer Anwälte vor Gericht durchzusetzen. Ein verlorener Prozess kann aber für einen kleinen Wissenschaftsverlag existenzielle Folgen haben, weshalb lieber von vornherein gegen eine eventuell problematische Publikation entschieden wird.

So unterschiedlich darüber geurteilt werden mag, welche Fälle von Verhinderungspolitik man für nachvollziehbar, welche hingegen für skandalös hält, so kommen doch alle darin überein, dass die Rechteinhaber mithilfe des Urheberrechts Einfluss auf die Interpretation und Imagebildung von Kunst und Architektur nehmen. […] Waren die bisherigen Spielarten der Einflussnahme auf die Rezeption darauf ausgerichtet, Werke noch besser zu präsentieren, ihnen zusätzliche oder neue Bedeutungsnuancen zu verleihen oder sie nachträglich zu pointieren, so wird das Urheberrecht dazu benutzt, bestimmte Formen der Werkrezeption zu unterbinden, anderen also die Mitwirkung daran zu erschweren oder sogar ganz zu versagen. Wenn ein Architekt verbietet, dass ein Fotograf sich mit unabhängigem Blick einem Gebäude widmet, verhindert er mit den Fotos zugleich ein neues Werk. Und wenn ein Wissenschaftler eine Forschungsarbeit über einen Künstler nicht publizieren kann, weil die Argumentation ohne Anschauungsmaterial stumpf oder nicht nachvollziehbar wäre, ist die Berufung des Künstlers auf sein Urheberrecht gleichbedeutend mit der Störung oder gar Zerstörung einer Leistung, die, würde sie in ihrer Existenz nicht behindert, ihrerseits ganz selbstverständlich urheberrechtsfähig wäre. […]

Daher mutet ein Maler wie Markus Lüpertz inzwischen beinahe altmodisch an, wenn er erklärt, ein Kunstwerk sei “nicht zu besitzen, weil es ein Schlachtfeld ist”, als solches aber “vogelfrei und ungeschützt”; “…kein Schlachtfeld gereicht irgendeinem Menschen zum Eigentum”. Vielmehr könne jeder damit machen, was er wolle: “Ungerührt sieht der Künstler zu, weil er all dies weder forcieren noch beeinflussen will”. (6) Dahinter steht die romantische Vorstellung, Kunst sei ein öffentliches Gut, da sich in ihr etwas ausdrücke, was für grundsätzlich alle Menschen relevant sei. […]

Tatsächlich scheinen bei einigen Rechteinhabern erste Bedenken aufzukommen, ob ein restriktiver Umgang mit Abbildungswünschen, also das Verweigern von Reproduktionsgenehmigungen oder auch die Festsetzung abschreckend hoher Tarife für Abbildungen, auf längere Sicht nicht zu einem Schwund an Aufmerksamkeit und sogar zu einem Wertverfall führen könnte. Im Februar 2016 hat die Robert Rauschenberg Foundation als erste Stiftung ihrer Art deshalb die Entscheidung getroffen, die Werke Rauschenbergs für Wissenschaft und Unterricht, aber auch für die Verwendung in den sozialen Medien freizugeben. Künftig muss – ganz im Sinne der ursprünglichen Idee des Urheberrechts – nur noch eine Abbildungserlaubnis einholen und Gebühren zahlen, wer Werke kommerziell oder zu werblichen Zwecken nutzen will. Ausdrücklich will die Stiftung mit ihrer neuen Strategie erreichen, dass Rauschenbergs Werke größere Verbreitung finden (“it wants the images to flow freely”) und der Künstler einen höheren Stellenwert im weiteren Kunstdiskurs einnimmt.“

Trump’s lies have a purpose. They are an assault on democracy.

Über den Unterschied zwischen den Lügen der Bush-Administration und denen von Trump und was die Medien tun müssen, um dagegen zu halten.

„President George W. Bush and his advisers — most notably deputy chief of staff Karl Rove —wove a parallel universe in which Saddam Hussein possessed weapons of mass destruction, Al Qaeda was in cahoots with virtually all of America’s enemies, and the United States was a messianic crusader that would eventually spread capitalist liberal democracy to every corner of the world. This apocalyptic vision had little in common with the actually existing global order, but it was a compelling story. Creating an alternate political universe requires discipline. It requires the willingness to tell many little lies that add up to one big lie. All these lies need to be internally consistent, mutually reinforcing, and at least superficially plausible. Think of it like writing fantasy fiction; the spell woven by books like The Lord of the Rings only works if the worlds they obey a coherent inner logic. […]

President-elect Donald Trump does not create new realities. He tells lies that are seemingly random, frequently inconsistent, and often plainly ridiculous. He says or tweets things on the record and then denies having ever said them. He contradicts documented fact and then disregards anyone who points out the inaccuracies. He even lies when he has no discernible reason to do so — and then turns around and tells another lie that flies in the face of the previous one.

If Bush and Rove constructed a fantasy world with a clear internal logic, Trump has built something more like an endless bad dream. In his political universe, facts are unstable and ephemeral; events follow one after the other with no clear causal linkage; and danger is everywhere, although its source seems to change at random. Whereas President Bush offered America the illusion of morality clarity, President-elect Trump offers an ever-shifting phantasmagoria of sense impressions and unreliable information, barely held together by a fog of anxiety and bewilderment. Think Kafka more than Lord of the Rings.“

Decades in the Making: Fidel Castro’s Obituary

Die NYTimes beschreibt, wie der Nachruf auf Castro immer wieder umgeschrieben wurde – und wie sich die Medienarten dabei veränderten.

„One piece that didn’t make it into this weekend’s digital coverage was a four-part, 20-plus-minute-long audio slide show on Mr. Castro’s life. The audio slide show — a mostly bygone format intended to marry photos and audio in an age when slow dial-up connections couldn’t handle video — was originally produced around 2006 by Geoff McGhee, Lisa Iaboni and Eric Owles and featured narration from Anthony DePalma, who wrote The Times’s obituary.

With over 80 photos and several audio files, the slide show was managed with a custom-made program called “configurator” that lived on a single, aging Macintosh in a windowless room on the ninth floor of the Times building.

For years, recently hired web producers would spend hours keeping the slide show up to date; something that became a rite of passage of sorts, or — given the complicated and arcane “configurator” — a hazing ritual.

Though much of the material appeared in other forms in our coverage of Mr. Castro’s death over the weekend, the audio slide show was itself lost to history sometime around 2009 when that old Macintosh was decommissioned.“

Was schön war, Donnerstag, 1. Dezember 2016 – „Lady Macbeth von Mzensk“

Gestern war Weihnachten – jedenfalls bekam ich mein Weihnachtsgeschenk in Form einer Oper. F. führte mich in Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk aus; wir saßen äußerst angenehm mit hervorragender Sicht und sehr gutem Klang im ersten Rang, nur Sekunden entfernt von Sektstand, Klo und Garderobe und diversen beeindruckenden Kronleuchtern, die ich in der Pause anschmachten konnte. Endlich mal mit Profis arbeiten.

Ich überlegte die komplette erste Hälfte, wie ich die Inszenierung beschreiben würde. Als der Vorhang sich öffnete, rollte ich innerlich ein winziges bisschen mit den Augen, weil der Standort „Industriebrache“ jetzt echt nichts Revolutionäres ist und gerne für alles als Tapete herhalten darf. Man sieht zentral einen Raum auf Stelzen, der mit gelben Querbalken überdeckt ist, eine Metalltreppe führt zu ihm hinauf, darin befindet sich nur ein Bett. Um den Raum herum erstrecken sich weitere Metalltreppen und füllen die gesamte Bühne über gefühlt drei Stockwerke kreuz und quer; der Hintergrund ist ein Schwarzweißbild einer heruntergerockten Fabrikhalle. Im Laufe des Stücks werden die Treppen immer weniger, bis sie zum Schluss fast nur noch Deko sind und ins Leere gehen. In der Pause nannten F. und ich das Bild „unaufdringlich“ und waren abschließend der Meinung, dass es sich ganz der Musik und den Stimmen unterordnet, ohne aber unterzugehen. So fühlte sich die ganze Inszenierung an: nach der ersten Irritation sehr stimmig.

Die Bühne wurde sehr effizient, aber auch effektiv genutzt. Der Raum auf Stelzen hob sich manchmal in die Luft, so dass darunter etwas stattfinden konnte; in einem weiteren Bild stand an diesem Ort eine Hochzeitstafel, die ebenfalls in die Höhe gefahren wurde – darunter wurde eine Polizeistation sichtbar, in der, schönes Bild, jeweils ein Polizist einen weiteren auf Drehstühlen hin und her schob, was erstens eine schöne Dynamik war, zweitens ein bisschen comic relief, den man in diesem Stück wirklich brauchen kann, um nicht an der Deppigkeit der Menschheit zu verzweifeln, und drittens ganz subtil Rangunterschiede der blöden Untertanengesellschaft klarmachte, wo immer einer buckelt und einer tritt. Im letzten Bild war dieser Teil der Bühne leicht versunken, die Treppen kaum noch sichtbar, und aus der zunächst geschlossenen, dann offenen Fabrikhalle wurde nun ein unendliches Meer, weiterhin in Schwarzweiß.

Auch die Farbigkeit der Bühne und der Akteur*innen hat mir gefallen. Sieht man zunächst den gelblichen Raum, in dem sich die Hauptfigur Katerina in einem hellroten Kleid bewegt, wird das Gesamtbild im Verlauf immer farbloser. Aus dem roten Kleid wird ein gelbgrüner Mantel, schließlich ein weißes Hochzeitskleid und zum Schluss, auf dem Weg nach Sibirien ins Straflager, ein graues Bündel Stoff. Das letzte Bild mochte ich besonders, die Aufseher in grau, schwarz und dunkelblau, die Gefangenen in ähnlich gedeckten Farben, hier mal ein dunkelgrüner Tupfer, da etwas Grellgelbes und -rotes von Katerinas Nebenbuhlerin, womit sich der Kreis auch farblich schloss, ohne dass das Gesamtbild der hoffnungslosen Einöde zerstört wurde.

Ich kann mich nicht erinnern, bewusst schon einmal Schostakowitsch im Konzert gehört zu haben, daher wusste ich nicht, was musikalisch auf mich zukommt. Ich mochte die Musik sehr, die an einigen Stellen noch nach romantischer Oper des 19. Jahrhunderts klang, aber schon eindeutig im 20. Jahrhundert verortet war. Besonders beeindruckt hat mich der Hochzeitstanz, bei dem man viele Paare in heiterem Treiben auf der Bühne sieht und es rhythmisch lebhaft zugeht, aber trotzdem klang der Tanz eher nach The Walking Dead meets Red Wedding als nach ausgelassener Heiterkeit.

Als olle Wagnerianerin war es für mich außerdem ungewohnt, eine zügige Handlungsfortführung auf der Bühne zu erleben; der Richard lässt sich ja bekanntlich mit allem sehr viel Zeit, während hier in einem Akt so viel passiert wie bei Wagner im gesamten Ring. Auch ungewohnt: eine selbstbewusste Frauenfigur. Während sich bei Wagner die Damen gerne theatralisch für Kerle, Götter oder Ideologien opfern, singt Katerina lieber darüber, dass sie es schade findet, dass niemand ihre weißen Brüste berührt. Außerdem erlebten wir einen Orgasmus, gespielt und musikalisch, auf offener Bühne, und ich habe auch noch nie gesehen, wie dramatisch man einen Mann entkleiden kann. (Ich beherrsche mich gerade sehr, jedes Wortspiel mit „Bläsereinsatz“ zu vermeiden.)

Wo wir gerade bei den Bläsern sind: acht von ihnen, wenn ich richtig gezählt habe, saßen außerhalb des Orchestergrabens auf die vier kleinen Logen direkt an der Bühne verteilt. Die haben sich wahrscheinlich auch gedacht, endlich mal anständige Sitzplätze statt der fiesen Holzstühle im Graben. Und wenig zu tun. Ich konnte sie klanglich aber nicht von dem unterscheiden, was aus dem Graben kam, was mich bei jedem ihrer Einsätze fasziniert hat. Außerdem erwischte ich mich erstmals in der Oper bei dem Gedanken, meine Güte, ist das Orchester wunderbar. Dass die Damen und Herren ihren Job können, setze ich voraus und beklatsche den*die Dirigent*in auch immer gerne besonders laut, wenn er oder sie auf die Bühne zum Schlussapplaus kommt, aber gestern dachte ich des Öfteren, dass das alles schlicht perfekt war. Es hat sich sehr aus einem Guss angehört, trotzdem voller Dynamik, mit Höhen, Tiefen und verschiedenen Lautstärken, es war nie eine Konkurrenz zu den Stimmen, aber es war weit mehr als nur eine Begleitung. Ich habe zu wenig Ahnung davon, wie ein Orchester klingen muss, vielleicht lag es schlicht an der Komposition oder an den Sitzplätzen, aber wie gesagt, so bewusst wahrgenommen, wie großartig das gerade alles ist, habe ich es noch nie.

Auch die Übertitel haben sehr viel Spaß gemacht. Zwei neue Lieblingssätze: „Ich werde ein ganzes Jahrhundert lang trinken, ich bin ein herzlicher Mensch.“ Und:

Abschluss des Abends bei einem schmackigen Crémant bei Kerzenlicht. Das war gestern alles ein großes Glück.

Edit: Auf dem YouTube-Kanal der Staatsoper gibt’s Ausschnitte und Vlogs zum Stück, und am 4. Dezember um 19 Uhr könnt ihr euch das alles entspannt im Livestream anschauen.

roteschleife

Herbsttagung des Arbeitskreises Provenienzforschung

Am Montag saß ich im Museum Fünf Kontinente und lauschte den halben Tag mit roten Öhrchen überwiegend spannenden Vorträgen. Genauer gesagt, diesen hier. Ich habe kaum mitgeschrieben, weil ich lieber zuhören wollte, aber ein paar Dinge kommen jetzt doch ins Blog.

Gleich der Einführungsvortrag von Hilke Thode-Arora, die seit Kurzem am Museum Fünf Kontinente angestellt ist, beschäftigte mich noch länger. Es ging dabei nicht um das, was ich bisher unter Provenienzforschung verstanden hatte – also hauptsächlich die Beschäftigung mit Kunst- und Kulturgütern, die während der NS-Zeit unrechtmäßig ihre Besitzer wechselten –, sondern um ethnologische Zeugnisse, die vor allem während der Kolonialzeit des Deutschen Reiches in dessen Gebiet gelangten. Thode-Arora beschrieb unter anderem, wie genau diese Raubzüge vor sich gingen; einmal die mit militärischer Gewalt, dann gab es aber auch den sogenannten „Stillen Tausch“, wo sich Einwohner der angegriffenen Gebiete aus ihren Dörfern zurückzogen, die Seefahrer von dort Dinge mitnahmen, die ihnen wertvoll erschienen, aber im Gegenzug etwas zurückließen, meist Naturalien. Dass das genauso unrechtmäßig war, sollte man nicht betonen müssen.

Die Vortragende erwähnte aber auch, dass die Ureinwohner der betreffenden Gebiete (ich habe mir leider nicht gemerkt, welche genau) schon recht früh anfingen, sich auf schatzsuchende Europäer einzustellen. Ein Forscher hielt sich jahrelang bei einem Stamm in Polynesien auf, arbeitete und lebte mit ihm und ging mit ihm fischen. Als er in europäischen ethnologischen Museen angeblich polynesische Angelhaken sah, konnte er berichten, dass die vermutlich nie benutzt worden waren, weil sie schlicht unpraktisch waren. Sie waren wahrscheinlich eher direkt zum Verkauf oder Tausch produziert worden, hatten aber nie Wasser gesehen.

Ich lernte das Wort „Repatriierung“, das verwendet wird, wenn es darum geht, unrechtmäßig erworbene Dinge zurückzugeben; bei NS-Raubgut sprechen wir von „Restituierung“. Manche Dinge sollen aber gar nicht wieder repatriiert werden. Thode-Arora zeigte Bilder von Samoanern, die europäische Museen besuchten und noch nicht einmal verlangten, dass die Glasvitrinen geöffnet wurden, in denen ihre Objekte lagen, um diese nicht zu stören. Ein Zitat, das ich brav von der Folie abschrieb, damit ich es richtig wiedergeben konnte: „The object lives here now and is taken care of.“ Einige Museen gaben Besuchern aus den betreffenden Ländern Gelegenheit, mit ihren kultischen Objekten zu interagieren, sie zu berühren; auch davon sahen wir Fotos, die mich sehr faszinierten. Nicht nur weil ich eine intime Handlung miterleben durfte (jedenfalls sind kultische Riten für mich auf einer Ebene immer intim, auch wenn sie öffentlich sind wie das Abendmahl in der Kirche), sondern weil die Objekte schlicht wunderschön waren.

Auf den ersten Vortragsblock war ich am meisten gespannt, denn hier ging es um den Münchner Kunsthandel. Zwei Doktorandinnen stellten ihre Arbeiten vor; einmal ging es generell um jüdische Kunsthandlungen, die noch nicht erschlossen sind – die Doktorandin war bisher auf über 30 gestoßen, wenn ich mir das richtig gemerkt habe –, der zweite Vortrag handelte von Jaques Rosenthal. Meike Hopp, bei der ich im 3. Semester im Provenienzforschungsseminar saß, referierte über Hugo Helbing, der Historiker Sebastian Peters über seine MA-Arbeit zu Anna Caspari. Abschließend staunte ich über einen Schatz, auf dessen Erschließung vermutlich der halbe Saal wartete, jedenfalls erwähnte Hopp die vielen Anfragen, die sie schon bekommen hatten für: die überlieferten Bücher der Kunsthandlung Julius Böhler. Im Bayerischen Wirtschaftsarchiv liegen schönst annotierte Bücher, in denen seit ca. 1910 (?) bis in die 1970er Jahre hinein jedes Werk aufgeführt wurde: wann es gekauft wurde, von wem (wichtig für die Provenienz), wann es verkauft wurde, an wen (yay) und zu jeweils welchem Preis. Außerdem besitzt das ZI neuerdings einen Riesenberg an Fotos, die sehr hilfreich sind, wenn man 700 Bilder mit dem Titel „Bayerische Landschaft“ im Depot hat. Den Titel habe ich mir gerade aus dem Ärmel geschüttelt, aber ich merke schon bei meiner winzigen Arbeit zu von Welden, wie irre es mich macht, dass ich zwar Titel finde, aber keine Ahnung habe, wie das Bild dazu aussieht und ob die „Badende“ aus Ausstellung 1 von 1939 die gleiche ist wie die aus Ausstellung 2 von 1955.

Im zweiten Teil stellten einige Münchner Institutionen ihre Erfolge bei der Provenienzrecherche vor. Stephan Kellner von der Bayerischen Staatsbibliothek sprach über die NS-Raubgutforschung im Haus und erwähnte den Berg von über 60.000 Büchern, die sie alleine aus der Ordensburg Sonthofen übernommen hätten, bei dem davon auszugehen war, dass einige Stücke Raubgut waren. Es wurden bereits diverse Stücke restituiert. Auch die Bayerische Staatsgemäldesammlung wühlt ihre Bestände durch und konnte bisher einige wenige Bilder an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben. Das forderte auch eine Frage im Publikum heraus, ob sich der ganze Aufwand denn lohne für zwei, drei Bilder, woraufhin eine ziemlich scharfe Erwiderung kam, dass sich der ganze Aufwand selbst für ein einziges Bild lohnen würde. Natürlich könne man nichts wiedergutmachen, natürlich sei der Zustand vor dem Holocaust nicht wiederherstellbar, aber es liege in unser aller Verantwortung, wenigstens zu versuchen, erlittenes Unrecht zu mildern.

Am aufregendsten, weil so schön detektivisch, war der Vortrag von Ilse von zur Mühlen vom Bayerischen Nationalmuseum, das, genau wie die Bayerische Staatsgemäldesammlung, einen Teil der Sammlung Göring besitzt. Sie stellte ein Besteckset vor, von dem erstmal geklärt werden musste, wann es überhaupt hergestellt wurde. Auf den Messern fand sich ein winziger Name, den das Klingenmuseum Solingen einem dänischen Schmied Ende des 18. Jahrhunderts zuordnen konnte. (Natürlich gibt es ein Klingenmuseum und natürlich ist es in Solingen. Ich wollte die ganze Zeit begeistert in die Hände klatschen, was wir uns alles leisten.) Auf den Griffen der Messer fand sich ein Wappen, das Experten auf vor 1819 datierten. An den Gabeln fand sich zudem eine winzige Punze, also ein kleiner Abdruck im Silber; in diesem Fall war das ein Eberkopf, der in den Niederlanden im 19. Jahrhundert bei der Silbereinfuhr eingestempelt wurde. Eine zweite Punze konnte das bestätigen. Zu diesem Zeitpunkt im Vortrag musste ich nachträglich notieren, was ich hier gerade verblogge, denn das klang schon so nach Verbloggen. Daher bekam ich fünf Sätze nicht mit und weiß daher nicht mehr genau, wie jetzt das Silber zu dem Herrn kam, den ich wieder mitbekam, nämlich Kaiser Wilhelm II; ich vermute, irgendwelche niederländischen Aristokraten wollten dem armen Exilanten ein hübsches Messerset schenken, wenn er schon kein Reich mehr hatte. Von dort könnte es dann als Geschenk bei Göring gelandet sein, wäre also kein Raubgut, aber komplett belegt war der letzte Teil der schönen Theorie noch nicht.

Im letzten Block kamen dann die nichtstaatlichen Museen zu Wort, also die eher kleinen Heimat- und Volkskundemuseen, in deren Schränken auch durchaus untersuchungswürdige Objekte liegen. Ich muss gestehen, ich weiß nicht mehr, welche der beiden Damen, die im Programm abgedruckt waren, gesprochen hat, aber der Vortrag war toll (Frau Lange oder Frau Bach, sorry!). Sie sprach über ihre Arbeit in der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen, an die sich Häuser wenden, die nicht mehr so recht weiterwissen mit ihren Beständen. „Dann kommt man da hin, es werden Vitrinen geöffnet und Schubladen aufgezogen – und dann kommt immer irgendwann der Satz: ‚Und dann haben wir noch das da.‘ Das sind fast immer Judaika, denen man ansieht, dass sie Gewalt ausgesetzt waren.“ (Ich zitiere aus dem Gedächtnis, aber „Und dann haben wir noch das da“ habe ich mir gemerkt, weil es mir in seiner Hilflosigkeit sehr stimmig vorkam.) Die Vortragende sprach über eine besondere Torarolle, die vermutlich eher einem Privathaushalt gehörte, denn sie ist zu klein für eine Synagoge, die Schrift wäre zum Vorlesen zu winzig. Sie scheint in einer Pfütze gelegen zu haben, das Papier ist durchfeuchtet und brüchig, wenn man sie anhebt, rieseln Grashalme heraus. Der Text ist stellenweise verschwunden; dafür sorgt Säure, man geht davon aus, dass auf diese Torarolle uriniert wurde. Die Anordnung der Texte sei ungewöhnlich, ein angefragter Rabbiner aus Jerusalem meinte, er hätte derartiges noch nie gesehen. Außerdem ungewöhnlich: Einige Worte im Text sind handschriftlich verstärkt. Die Landesstelle unterstützt das betreffende Museum gerade bei der Restaurierung der Torarolle und natürlich bei der Provenienzrecherche.

In vielen Heimatmuseen liegen Judaika, teilweise nicht einmal inventarisiert. Intern hätten viele Häuser die sinnlose Diskussion geführt, ob der damalige Direktor die Stücke am 9. November 1938 ins Museum gebracht hätte – dann hätte er sie gestohlen – oder am 10., dann hätte er sie quasi gerettet. Viele Stücke sind in einem schlechten Zustand, auch weil sich jahrzehntelang niemand damit befasst hat. Die Vortragende erzählte allerdings auch von einem sehr hoffnungsvollen Fall, sie bat aber um Verständnis, dass sie das Museum nicht nennen wollte, um das es ging. Daher verzichte ich hier auf die Wiedergabe des Vortrags, aber ich habe durch ihn von der Arbeit Theodor Harburgers erfahren, der Ende der 1920er Jahre viele israelitische Gemeinden in Bayern besuchte und ihre Kunstschätze dokumentierte. Diese Berichte und Fotos sind heute ein unverzichtbares Hilfsmittel, von dem ich bis Montag abend noch nie gehört hatte.

Ich habe von der Tagung viele Eindrücke, Anlaufstellen und Namen mitgenommen, die mir bei meinen eigenen Recherchen nützlich sein könnten. Und nebenbei wurde mir vor Augen geführt, wie sinnvoll mein kleines Orchideenfach sein kann. Das ist manchmal ganz schön zu wissen, wenn ich wieder mit mir ringe, ob ich nicht doch wieder sinnlos Werbung machen sollte, weil sie die Miete deutlich einfacher bezahlt als die Wissenschaft.