Gebt mir ein A!

Merke: Nie zu gut gelaunt zum Gesangsunterricht kommen, sonst werden deine blöden Gackeranfälle gleich musikalisch verwurstet – zum Beispiel im Schwips-Lied aus Eine Nacht in Venedig von Johann Strauß, wo ein paar Zeilen lauten: „Vorhin trank ich nur aus einem Glas, jetzt trink’ ich aus zwei’n, wie kommt denn das? Und dann denk’ ich nach, wenn ich nur wüsst’, hab ich heute schon geküsst? Nein, nein, nein, nein, ha, ha, ha, ha, ha, ha ha.“ Und ich dachte, nach 1000 Jahren Akkordeon-Unterricht müsste ich nie wieder was mit Polkas zu tun haben.

Zum Ausgleich habe ich mich auch noch am Schluss von The Ballad of Baby Doe von Douglas Moore vergehen dürfen. (Es gibt amerikanische Opern. Eat this, „Amerika hat keine Kultur“-Schwätzer.) Das Stück jagt mein armes Stimmchen bis zum zweigestrichenen h hinauf, was eigentlich nur ein marginales Problem sein sollte – in den Übungen komme ich inzwischen bis zum dreigestrichenen d. Noch zwei Töne bis zur Königin der Nacht. In my dreams.

Ich weiß nicht, warum ich in den Übungen so hoch komme, in den Liedern selbst aber sofort zurückzucke bei allem, was übers e” hinausgeht. Wahrscheinlich, weil ich für diese Töne wirklich ne Menge Luft und Courage und vor allem Kraft brauche. Ich hätte nie gedacht, dass Singen so anstrengend ist. Ich fange wirklich an, bei den Übungen zu schwitzen und empfinde die Lieder, die wir danach singen, fast als Erholung. Solange sie unter dem e” bleiben, versteht sich. Die Anstrengung rührt nicht nur daher, dass ich mich darauf konzentrieren muss, die richtigen Töne zu treffen. Das klappt eigentlich fast immer. Was anstrengend ist, ist die Konzentration darauf, bei hohen Tönen nicht plötzlich lauter zu werden (was ich unwillkürlich will) oder bei tiefen Tönen leiser (was ich unwillkürlich will) oder bei tiefen Tönen den Mund allmählich zu schließen (was ich … you get the idea) oder oder oder. Ich muss darauf achten, die Zunge vorne an den Zähnen zu lassen, um den Raum, den mein Mund beschreibt, so groß wie möglich werden zu lassen. Ich muss darauf achten, ab und zu mal Luft zu holen, damit ich nicht am Ende einer Phrase völlig außer Atem bin. Ich muss aber auch darauf achten, nicht zu geräuschvoll oder zu lange Luft zu holen, so dass unschöne Pausen entstehen, die der Komponist nicht vorgesehen hatte. Soviel zum Thema, ach sing einfach drauflos, denk nicht zuviel nach. Ich ahne allmählich, was mir noch alles in Fleisch und But übergehen muss, bevor ich wirklich „einfach so drauflos“ singen kann.

Aber wie sagt Tony immer so schön: Alle Organe, die wir zum Singen benutzen, sind eigentlich nicht dafür vorgesehen. Der Mund ist zum Kauen da, die Stimmbänder zum Sprechen, der Kehlkopfdeckel dient zum Schutz der Luftröhre, die Nase zum Riechen usw. Wenn wir singen, zweckentfremden wir diese Organe. Und deswegen müssen wir ihnen manche Reflexe austreiben, um richtig singen zu können. Gestern musste ich zum Beispiel eine Übung machen, bei der ich von gaaaaanz weit oben den Ton in einer langen Bewegung bis ganz nach unten fallen lassen musste. Klang wie ein schlechter Soundeffekt im Film, wenn ein Flugzeug abstürzt oder wie ein abschwellendes Sirenengeheul. Immer, wenn ich nach unten gegangen bin, habe ich fast instinktiv den Mund schließen wollen, meine Schultern hingen immer weiter runter, und selbst meine Augen wollten in Richtung Boden blicken. Es hat einige Versuche gekostet, den Mund aufzulassen, geradeaus zu gucken und so zu tun, als würde man wachsen, während man immer tiefer singt, damit man nicht so in sich zusammenfällt.

Was aber am anstrengendsten war, war natürlich erstmal den hohen Anfangston zu kriegen. Und der war deshalb anstrengend, weil ich vergessen musste, dass ich mich gerade total zum Klops mache. Tony fragte mich anscheinend arglos nach meinem Lieblingssschauspieler, worauf ich natürlich „Kiefer Sutherland“ sagte.

Tony: Nee, Kiefer ist doof. Noch wen?

Anke (beleidigt): Viggo Mortensen.

Tony: Nee, Viggo ist auch doof. Noch wen?

Anke (jetzt isses auch egal): Russell Crowe?

Tony: Ja, Russell ist gut. Ich möchte, dass du jetzt auf diesem Ton (hier bitte einen widerlich hohen Klavierton vorstellen) „Aaah, Russell“ singst. Wie eine 13jährige, die ihn an der Straßenecke sieht und ihm hinterherkreischt.

Deswegen sind Kiefer und Viggo auch doof, weil ihre Namen so einen fies kleinen Mund machen. Bei „Russell“ geht man aber mit einem „a“ nach oben, was bedeutet, dass es sich leichter singen lässt. Also habe ich jeden Gedanken daran verdrängt, wie sich das wohl auf dem Gang anhört, was ich hier tue und habe lustig „Aaaa, Raaassaaall“ gesungen. Bis zum d”’, Baby. Jetzt kann Herr Crowe kommen. Und wenn er nett ist, singe ich ihm auch noch besoffen eine Polka vor. Stößchen!

Willenbrock

Willenbrock (D 2005, 104 min)

Darsteller: Axel Prahl, Inka Friedrich, Anne Ratte-Polle, Dagmar Manzel, Christian Grashof, Andrzej Szopa, Tilo Prückner
Kamera: Michael Hammon
Drehbuch: Laila Stieler, nach dem Roman von Christoph Hein
Regie: Andreas Dresen

Trailer

Offizielle Seite

Man lebt sein Leben, richtet sich in ihm ein, Tag für Tag, Nacht für Nacht, nie passiert etwas oder nur das, von dem man weiß, dass es passiert, oder das, was man selbst aktiv gestaltet. Das Leben ist eigentlich eine Abfolge von Dingen, die wir selbst gestalten. Im günstigsten Fall. Im schlechteren Fall geschieht etwas, das wir nicht beeinflussen können. Dann merken wir auf einmal, was wir Tag für Tag und Nacht für Nacht eigentlich tun. Und vielleicht fragen wir uns dann, ob das alles so seine Ordnung hat.

Axel Prahl spielt Bernd Willenbrock, einen Autohändler, der eine halbwegs laufende Firma hat, ein Einfamilienhaus mit einer Doppelgarage, die sich ein Mercedes und ein BMW teilen, eine Frau, der er eine Boutique gekauft hat, damit sie was zu tun hat, ein Ferienhäuschen, in dessen Küche Bunzlauer Porzellan wartet, und eine Geliebte, die er mit Champagner in Hotelbars anschickert, bevor es aufs Zimmer geht. Willenbrock gräbt nebenher noch die Tochter seines neu eingestellten Nachtwächters an und schenkt seiner wissenden Frau nach jedem Seitensprung ein paar Blümchen. Alles passt ins Bild, nichts überrascht, wir als Publikum nehmen diese Figur genauso hin wie seine Frau ihn hinnimmt oder seine Angestellten.

Aber plötzlich bricht die angebliche Idylle: Willenbrock und seine Frau werden im Ferienhäuschen überfallen. Zwar werden die Täter gefasst, kommen aber wieder auf freien Fuß. Und von nun an ist alles anders. Die Sicherheit, die vorher aus dem dahinplätschernden Dasein ein Leben gemacht hat, ist nicht mehr da. Auf einmal wachen alte Instinkte wieder auf. Auf einmal fragt sich Willenbrock, warum er eigentlich eine Geliebte hat, obwohl er doch seine Frau liebt, während sich Willenbrocks Frau auf einmal fragt, warum sie sich das Verhalten ihres Ehemanns eigentlich bieten lässt.

Willenbrock ist ein ruhiger Film, unter dessen Oberfläche aber viele Handlungsstränge brodeln. Einige von ihnen werden nur angerissen und nicht beendet, aber komischerweise passt dieses Unaufgelöste ins Gesamtbild. Der Film fühlt sich an, als ob einem jemand auf einer Party eine Geschichte über einen Bekannten erzählt; man hört zu, nippt zwischendurch am Bier, fragt nach und wendet sich nach der Story wieder etwas anderem zu. So ungefähr kam ich jedenfalls aus der Vorstellung. Willenbrock ist in sich rund und stimmig, obwohl er so ausgefranst wirkt. Vielleicht weil er sich so wahr anfühlt. Die Dialoge sind zwar manchmal arg deutsch, d.h. sie gaukeln einen tieferen Sinn vor, den ich persönlich nicht gefunden habe, aber meist klingen sie einfach so, wie sie klingen sollten, wenn man eine schlichte Geschichte erzählen will.

Mir hat die unaufgeregte Normalität gefallen, die in Willenbrock „passiert“. Nichts, was wir sehen, fühlte sich falsch oder überzogen oder nach Hollywood an. Alles passte: das Timing, die Figuren, sogar die Bettwäsche sah aus, als würde wirklich jemand in ihr schlafen, und nicht wie ein erfüllter Traum eines Set Designers. Und trotzdem folgt man dem Geschehen gespannt. Nicht weil man erwartet, dass plötzlich doch noch wilde Wendungen auftauchen. Nein, weil man sehen möchte, wie die Personen weitermachen, deren Exposition eigentlich ganz banal klang. Wahrscheinlich, weil eben dieses Banale das Leben ausmacht. Und wenn auf einmal etwas diese Ruhe stört, merken wir, wie gerne wir diese Banalität haben und wie sehr sie uns fehlt, wenn sie zerbricht.

Willenbrock Nachtrag

Muss ja auch mal gesagt werden: Danke an das Passage-Kino für einen Eins A scharfgestellten Film. Auch wenn ich mir das Grinsen nicht verkneifen konnte, als die Leinwand langsam nach vorne fuhr und dann links und rechts ein kleiner Flügel aufklappte, um Cinemascope-Format zu erreichen. Hatte was Rührendes.

Der ADC entdeckt das Internet

Samstag wurden die goldenen Nägel unters Werbevolk geschmissen. Für mich war in diesem Jahr leider nur eine Auszeichnung dabei, wenn ich richtig geguckt habe. Daher weise ich lieber auf die Gewinner hin, die ne Menge schönes Zeug abgeliefert haben. Und meines Wissens hat es der ADC zum ersten Mal geschafft, die Filme, Funkis und Kampagnen auch in Bild und Ton ins Netz zu stellen anstatt nur eine blöde Liste mit den jeweiligen Titeln und Agenturen abzudrucken. Wenn sie es nächstes Jahr auch noch einrichten könnten, dass man die Texte entziffern kann (hint: beim Anklicken gibt’s ein schönes, großes Pop-up oder so), wäre ich als geneigter Copy-Leser sehr dankbar. So muss ich wieder warten, bis das arschteure Buch rauskommt.

(Edit: Wie ich gerade im Werbewunderland gesehen habe, schreibt Matthias Jahn von FCB in seinem Weblog etwas über die Arbeit in der Jury. Und außerdem habe ich mir jetzt das Trostpreis-Shirt bestellt.)

Read me, like me, buy my stuff

Salon lästert über Promi-Weblogs und fragt sich, warum Menschen, die sowieso schon in der Öffentlichkeit stehen, das auch noch aufschreiben müssen – jedenfalls, wenn es anscheinend so schrottig ist wie das Weblog von Melanie Griffith. Moby, Jeff Bridges und Ian McKellen kommen besser weg, und Wil Wheaton ist sowieso der Liebling (zu Recht). Wer sonst noch bloggt: Attack of the celebrity blogs.

In an era when celebrities already carry so much currency, and get so much ink and so many TV pixels, why should they want to bother to communicate with us directly? Sometimes celebrity blogs, updated lackadaisically if ever, feel like nothing so much as a publicity stunt. ((Gwen) Stefani‘s blog is filled with boring stuff along the lines of “Thanks for coming out to our tsunami benefit” – falsely noble and eminently unreadable. A Stefani fashion blog would be much more fun, and more honest.) Some celebrities, like KISS’s (Gene Simmons,) are at least forthright about their intentions: “Appeared on CNN ShowBiz today with FABIO to shill for my MR. ROMANCE television series,” he writes with joyous crassness in his entry for March 15.

(kostenloser Tagespass erforderlich)

Mange tak!

Die Geburtstagsprinzessin bedankt sich ganz herzlich bei Emily, die mir netterweise Die Tante Jolesch hat zukommen lassen, und bei Tobias, der mir mit Mobys Hotel eine große Freude gemacht hat. Ich bin nicht nur von den Geschenken begeistert, sondern auch davon, dass ihr den arg versteckten WUNSCHZETTEL HIER IST ER WAHNSINN ES GIBT IHN WIRKLICH KAUFT IHN LEER BEVOR ICH ES TUE gefunden habt. Und natürlich auch vielen Dank für die netten Mails.

Weit aufmachen, bitte

Zum Zahnarzt gehen macht viel mehr Spaß, wenn man bei der Behandlung Filme gucken kann. Bei meinem Zahnarzt geht das. Eine kleine DVD-Brille hat gestern dafür gesorgt, dass ich bei der Zahnreinigung schön Hurlyburly geguckt habe und mir daher kaum aufgefallen ist, dass gerade spitze Geräte mein Zahnfleisch perforierten. Die Praxis kann ich übrigens nicht nur wegen dieser netten Zusatzeinrichtung empfehlen, sondern auch wegen der Ärzte, die einem das Zahnfleisch mit einer Paste (Erdbeer- oder Kirschgeschmack) vorbetäuben, bevor die Spritzen kommen oder der Dentalhygenistin (heißen die so?), die meinen Konfirmandenkreislauf mit Traubenzucker betüttelt und mir Baldrian reicht, bevor sie die Instrumente ansetzt. Außerdem ist die Praxis schön groß, schön modern, hat das Dentallabor gleich in den eigenen Räumen und grandiose Öffnungszeiten: täglich von 7.30 bis 19 Uhr. Geht doch.

Wulffmorgenthaler mal wieder.

Rechtschreibung ist für Reichschweine

„Einträge, Kommentare wie diese sind für mich Max Schautzer’s [sic!] “Pleiten, Pech und Pannen” für Besserverdienende (ja, und Bourdieu, und kulturelles Kapital gemeint). Oh, und wir lieben Sprache …– my ass“

Unerwarteter Kommentar bei Herrn Praschl. Read all about it.

Stößchen!

Der erste Satz im neuen Mumm-Funkspot lautet ungefähr: „Ich kann’s immer noch nicht glauben, dass wir ihnen das Konzept verkauft haben.“

Geht mir bei dem Spot genauso, Jungs.

When I was thirty-five
It was a very good year.

Nadannmachmal, thirty-six.

(Le pic stammt übrigens wie immer von meiner Haus- und Hoffotografin und war bereits mein Autorenbildchen.)

Blogging on the edge

Salons neue Kolumnistin, die Schriftstellerin Ayelet Waldman, hatte ein Weblog, in dem sie nicht nur über sich, sondern auch über ihre Kinder und ihren Ehemann schrieb. Bis zu dem Tag, an dem sie öffentlich über ihren eigenen Selbstmord nachdachte. Living out loud – online.

The entry that greeted my husband on that day was a well-researched commentary on suicide rates among people with bipolar disorder. I informed my readers, among them my husband, that what I have, the milder form of the disease, has a 24 percent suicide rate. Then I wrote, “It does not help to know that one’s mood is a mystery of neurochemistry when one is tallying the contents of the medicine cabinet and evaluating the neurotoxic effects of a Tylenol, topomax, SRRI and ambien cocktail.”

The readers of my blog had no way to determine the intentions behind my entry. Was it some kind of public service announcement, designed to help people understand the seriousness of mental illness? My husband had an easier time realizing it was a cry for immediate and urgent assistance. He, however, felt entirely powerless, sitting in a hotel room 2,000 miles away with no way to intervene and nothing to do but wonder whether he should be cursing or blessing the phenomenon of the blog. He called, he made plans to come home, but it was my girlfriends who responded with the most confidence, perhaps because they had so much less at stake than he did in my stability. They formed themselves into a kind of telephone round robin, refusing to let up until I called my psychiatrist, who immediately diagnosed a problem with the dosage of my medication. (…)

As debates rage about whether bloggers are journalists, whether they need shield laws to protect sources, whether they brought down Dan Rather and are going to take over the media world, on the other side of the blogosphere the diarists and memoirists and mothers are coping with a different set of ethical dilemmas: How much of themselves should they expose online, and how easily should they indulge their urge to confess? In my case, blogging about suicide might have crossed the line.

Ich weiß nicht, ob der digitale Hilferuf jetzt eine Grenze überschritten hat oder nicht. Ich denke, er hat vielleicht Schlimmeres verhindert. Aber natürlich zeigt sich daran die Problematik des persönlichen Bloggens. Sobald man etwas von sich preisgibt, vielleicht etwas, was man nicht unbedingt beim Party-Smalltalk sagen würde, sondern lieber an eine gesichtslose Masse weiterreicht, drängeln sich im Kommentarfeld sehr schnell die guten Ratschläge, die blöden, die überflüssigen. Oder auch die Vorwürfe: wie könne man nur so etwas schreiben? was schnell umschlägt in das allseits beliebte „Mann, bist du scheiße“.

Das Dumme am persönlichen Bloggen, wie ich es mal nennen möchte im Unterschied zum Technikbloggen oder ähnlichem, ist, dass fast jeder Eintrag eine relativ intime Information erhält. Wenn ich zum Beispiel einen Film rezensiere, fließt grundsätzlich etwas von mir mit in die Zeilen ein, etwas von meinen Moralvorstellungen, meinen Erfahrungen, meinen Wünschen und Träumen. Deswegen kann ich mir nicht mal bei den Filmkritiken sicher sein, dass nicht die üblichen Deppenmails oder -kommentare auflaufen, die einem ein unwertes Leben bescheinigen, nur weil man vielleicht einen Film nicht ganz so gern mochte.

Stellt sich die Frage, warum man überhaupt in aller Öffentlichkeit weiterschreibt. Ich für meinen Teil muss die Frage zweiteilen: Warum schreibe ich und warum schreibe ich öffentlich. Warum ich schreibe, lässt sich einfacher beantworten: weil ich es gern tue. Ich habe schon immer gerne geschrieben, bin froh, dass ich alles und jeden Schnipsel von meinen pubertären Gehversuchen aufgehoben habe, lese heute noch die Songtexte, die ich mit 15 für ganz große Kunst hielt und blättere an schlechten Tagen in meinen Tagebüchern, um mir vorzuhalten, dass es schon früher schlechte Tage gab und dass sie sich irgendwann in gute verwandelt haben. Außerdem schreibe ich beruflich; dort allerdings eher über Dinge, über die ich sonst nicht unbedingt viele Worte verlieren würde. Daher ist das private Schreiben ganz schlicht ein Ventil. Andere Leute töpfern gehen ins Fitness-Studio, ich schreibe.

Aber warum öffentlich? Der Schritt zum Weblog war damals eher ein unbewusster. Alles fing mit den Filmkritiken an, die ich per Mail an Freunde und Kollegen schickte, bis mir einfiel, dass ich mir vor Ewigkeiten mal diese Domain gesichert hatte. Und um nicht weiterhin jede Woche Hinz und Kunz mit einer Mail zu belästigen, habe ich fortan die Kritiken auf die Seite gestellt, die ich übrigens liebevoll mit dem Netscape Composer „gestaltet“ hatte. Ich hoffe, der Google-Cache hat sie inzwischen verschluckt. Ehrlich gesagt, habe ich mir damals überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, dass irgendjemand den Kram lesen könnte außer den Leuten, die die URL kannten. Das Internet war für mich ein Arbeitsgerät, eine Suchmaschine und eine Möglichkeit, umsonst „Zeitung“ zu lesen, mehr nicht. Ich las ein paar Weblogs aus den USA, aber das war’s. Ich hatte ernsthaft keine Sekunde daran gedacht, dass meine Zeilen mit dem Hochladen des Textes theoretisch ab jetzt von sechs Milliarden Leuten gelesen werden konnten. Bis sich plötzlich irgendwelche Leute auf meine Seite verirrten und mir Mails schickten und eine Kommentarfunktion vermissten und ich einen Counter installierte und der ganz langsam, aber stetig vor sich hinzutickern begann. Plötzlich hatte ich zum ersten Mal die Möglichkeit, Feedback auf meine Texte zu bekommen, die über das übliche Maß dessen hinausgingen, was meine Freunde oder Kollegen mir gaben. Und das war nicht nur sehr spannend, sondern, ja, logisch, sehr, sehr befriedigend. Natürlich ist es etwas anderes zu schreiben, wenn man weiß, dass jemand mitliest. Natürlich ist es klasse, Zustimmung zu bekommen. Und natürlich hat es richtig reingehauen, als die ersten negativen, beleidigenden, verletzenden Stimmen aufliefen.

Das tut es auch heute noch, was die ganzen Evil-Twin-Leser sicherlich freuen wird. Im Laufe der Jahre (Omma erzählt vom Krieg) hat sich meine Art zu schreiben gewandelt, vor allem, weil ich inzwischen verstanden habe, dass die Blogosphäre genauso begriffsstutzig, doof, eitel, spannend, lustig und faszinierend ist wie es Menschen im wahren Leben auch sind. Es hat sich meine Art geändert, mit Bloggern zu kommunizieren. Wo ich mich früher über jeden unpassenden Kommentar aufgedotzt habe, warte ich heute ein paar Stunden, bevor ich antworte, wenn ich überhaupt antworte. Wo ich früher mal eben launig einen Kommentar in Fremdblogs rausgehauen habe, lese ich inzwischen erstmal eine Woche Content nach, um zu wissen, wo ich mich überhaupt bewege. Wo ich früher freudig auf jede Mail geantwortet habe, beantworte ich heute kaum noch Post, weil ich nicht weiß, ob hinter den freundlichen Zeilen nicht doch ein Spinner lauert, der ein nettes Wort mit einem Heiratsantrag verwechselt. Und wo ich früher in Diskussionen meine Position standhaft vertreten habe, schenke ich heute meist nach zwei-, dreimaligem Ballwechsel ab, weil die wenigsten Streitgespräche online funktionieren. Man kann alles so wunderbar persönlich nehmen (ich grundsätzlich eingeschlossen), man kann in jede Zeile 30 Fehlinformationen reinlesen, man kann soviele Smileys malen wie die Tastatur hergibt, es klappt trotzdem meistens nicht, den Gesprächspartner davon zu überzeugen, dass man nichts Böses im Schilde führt und dass man ihn nicht von vornherein für einen hirnlosen Idioten hält, auch wenn sein Nick männlich/weiblich/Diddelmaus87 ist.

Ich habe in den Blogjahren (ein Blogjahr zählt als sieben Offline-Jahre) mein Schutzschild des Öfteren überprüfen müssen. Manchmal gibt es Tage, an denen ich die ganze Rotte teeren und federn möchte. Dann gibt es Tage, an denen ich sehr dankbar bin, einen Austauschpunkt gefunden zu haben. Und meistens bin ich einfach froh darüber, schreiben zu können und Feedback zu bekommen, sei es positiv oder negativ. Jede Reaktion hilft mir, mich und meine Worte zu überprüfen. Und deswegen schreibe ich fast alles öffentlich und kaum noch in mein Papiertagebuch. Es ist manchmal anstrengend, ständig darüber nachdenken zu müssen, dass hier Menschen mitlesen und alles irgendwie falsch verstehen können und/oder wollen. Es ist aber gleichzeitig ein einzigartiger Umgang mit dem, was ich schreibe. Es ist ein ständiges Adaptieren, ein Korrigieren der ersten Entwürfe, ein Zurücknehmen, aber auch ein Schöner-Machen, Überdenken, Überspitzen, Rauskotzen, Vor-die-Wölfe-Werfen. Manchmal weiß ich, dass ich böse Post kriege, noch bevor ich einen Eintrag online stelle. Manchmal lasse ich es deswegen. Manchmal stelle ich ihn dann erst recht online. Manchmal weiß ich, dass ein Eintrag gern gemocht werden wird. Manchmal weiß ich, von wem Kommentare kommen werden. Manchmal weiß ich, wer mich zitieren oder verlinken wird. Manchmal weiß ich, wer genau das nicht tun wird. Und meistens liege ich voll daneben mit dem, was ich zu wissen glaube.

Bloggen ist eine einmalige Möglichkeit des Schreibens und Publizierens. Es hat mich in den letzten Jahren verändert; ich bin an dieser Möglichkeit gewachsen und gereift, genau wie meine Schreibe. Deswegen möchte ich es nicht missen. Trotz mancher Tage, an denen ich genervt bin, an denen ich eigentlich nichts zu sagen habe und es gerade dann eine Herausforderung ist, doch etwas zu sagen. Persönliches Bloggen ist sicherlich immer eine Gratwanderung, wenn man ehrlich ist und sich keine Online-Persönlichkeit zulegt. Aber für mich hat es sich gelohnt, manchmal nah an der Klippe herumgelaufen zu sein. Und ich hoffe, für ein paar Leser und Mitblogger auch.

(Abspann, Geigen, Taschentücher.)

Köchköch

Falls irgendjemand am 26. März Stabat Mater auf NDR Kultur lauscht, kann er mich die ersten 20 Sekunden ganz dufte husten hören.

Bei sowas möchte man sich ja immer bei allen Anwesenden entschuldigen. Ich jedenfalls. Andere haben weniger Scheu, sich bei Konzerten an das „Hey, leise da, ja!?!“-Gebot zu halten. In Bayreuth hatte ich im Tannhäuser mal eine ältere Dame hinter mir, die ganz ungeniert während der Ouvertüre ihre Gummibärchen aus der Plastiktüte knitterte. Hat sie aber keine zehn Sekunden durchgehalten. Ihre Nachbarn fanden das nämlich genauso doof wie ich.

Kann man das „Hey, leise da, ja!?!“-Gebot eigentlich auch im Kino mal einklagen?

Grand Theft Dickinson

Auf der diesjährigen Game Developers Conference wurden drei große Namen im Business gebeten, mal was anderes zu erfinden als Ego-Shooter: ein Videospiel, das sich mit Emily Dickinson beschäftigt. Battle for the Belle of Amherst:

The Sims creator Will Wright, Black & White designer Peter Molyneux and Splinter Cell lead designer Clint Hocking were set the task of developing a game concept based on the reclusive poet.

This was the second year of the challenge: Last year, several leading designers were asked to come up with games about love. Wright had the overflow crowd roaring with Collateral Romance, a love story set in the war game, Battlefield 1942.
(…)
Wright, the speaker most people in the room had come to see, riffed on Dickinson’s reputation as a recluse. “If she were alive today, she’d be an internet addict,” Wright deadpanned, “and she’d probably have a really amazing blog.”

At first, he said, he’d thought he would mix Dickinson’s poetry into a Grand Theft Auto: San Andreas environment. But in the end, he was inspired to create a kind of combination of Tamagotchi and Microsoft’s universally hated paperclip helper, Clippy.

Then came the idea to put the player in the role of Dickinson’s therapist. The game, he said, would be stored on a USB flash drive. “As you interact with her, you start with a cordial relationship,” he said. “She (either) becomes romantically obsessed with you, or goes into a suicidal depression, and at the end, she can delete herself from the memory stick.”

Ich würd’s kaufen. Aber ich bin ja auch einen Tag lang traurig, wenn meine Lieblingsfigur aus Animal Crossing einfach in die Nachbarstadt umzieht, die treulose Kuh.