Ray (Ray, USA 2004, 152 min)
Darsteller: Jamie Foxx, Kerry Washington, Regina King, Clifton Powell, Harry J. Lennix, Bokeem Woodbine, Aunjanue Ellis
Musik: Craig Armstrong, Ray Charles
Kamera: Pawel Edelman
Drehbuch: James L. White & Taylor Hackford
Regie: Taylor Hackford
Trailer
Offizielle Seite
Die Musik von Ray Charles ist nicht nur unwiderstehlich und einfach großartig, sondern hat durch ihre Einzigartigkeit die amerikanische Musikszene revolutioniert. Sein Leben mit allen Hindernissen und Schwierigkeiten, denen ein blinder Schwarzer im Amerika der 50er und 60er Jahre begegnen kann, war wie dafür gemacht, verfilmt zu werden. Jamie Foxx verkörpert den Musiker so authentisch und überzeugend, dass man sich niemand anderes in dieser Rolle vorstellen kann. Was konnte also bei Ray, dem Film über das Leben Ray Charles’, schiefgehen? Bis auf eben Jamie Foxx leider so ziemlich alles.
Die Zutaten für Ray lesen sich wie aus dem Setzbaukasten für Drehbuchautoren: Nimm ein paar rührende Kindheitsszenen aus dem tiefen Süden der USA. Bebildere diese farbenprächtig, lasse den Gospelchor schön laut singen und zoome ungefähr dreihundertmal auf die glitzernden, klimpernden Glasflaschen in den Bäumen, die so schön musikalisch und geheimnisvoll sind. Dann sorg für ein tragisches Erlebnis, das Ray sein ganzes Leben lang verfolgen wird, so dass du als Regisseur dutzende Male zurückblenden kannst, ganz egal, um was es in der Gegenwart gerade geht. Wenn man (fälschlicherweise) davon ausgeht, dass Ray ein genaues Abbild des echten Ray Charles’ ist, dann war anscheinend dessen einzige Motivation, vor den immer wiederkehrenden Bildern vom Ertrinkungstod seines kleinen Bruders davonzurennen und sich mit Musik, Drogen oder Frauen davon abzulenken, dass er angeblich schuld daran war.
Die Story von Ray wird im Prinzip sehr stringent erzählt: Wir sehen ihn als Kind, bei seinem ersten Gig, in seiner ersten Band, seine erste Platte, seine zweite, sein großer Plattenvertrag, die Groupies, die ersten Kontakte zu Drogen, seine Heirat, seine Kinder, dann darf er nach 20 Jahren wieder in Georgia auftreten, und dann ist der Film vorbei. Nach gefühlten acht Stunden. Zwischen diese Stationen schneidet Regisseur Taylor Hackford immer wieder in die Vergangenheit und zeigt uns Szenen mit Rays Mutter, wie sie sich um den langsam erblindenden Jungen kümmert. Stichwort: tough love. Wir sehen den kleinen Ray, wie er seine Welt langsam in Töne einteilt und nicht mehr in Bilder. Und wir sehen den Tod des kleinen Bruders, an dem Ray nicht schuld ist, der aber natürlich trotzdem ein traumatisches Erlebnis war.
Und genau diese Rückblenden haben mich so elend gelangweilt. Einerseits zerteilen sie den Film in schöne, kleine thematische Häppchen, andererseits springt man als Zuschauer ständig von einer Stimmung in die nächste, ohne wirklich mal irgendwo stehenzubleiben. Mal abgesehen davon, dass ich es einfach unglaubwürdig fand, für jede Aktion in der Gegenwart die Vergangenheit als Auslöser oder Entschuldigung zu nutzen. Diese Ruhelosigkeit mag ja Ray Charles’ Charakter widerspiegeln, aber ich glaube, darauf hatte es Hackford gar nicht abgesehen. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass er einfach nicht wusste, was er aus dem vielen Material, das Charles’ Leben nun mal ausgemacht hat, letztendlich nutzen sollte. Der Film konzentriert sich weder richtig auf die Musik noch auf die Blindheit noch auf sein Dasein als Schwarzer noch auf seine Frauen noch auf seine Drogenkarriere. Alles wird kurz angerissen, dann springt man wieder woanders hin, und wenn es zufällig mal passt, kommt man wieder auf eins der Themen zurück. Am liebsten per Rückblende.
Eine davon hat mich wirklich fast dazu gebracht, jetzt doch aus dem Kino zu gehen, worüber ich längere Zeit nachgedacht hatte, weil mir langweilig war, aber meistens kam dann eine hübsche Musikeinlage. Egal. Rückblende: Als Ray sich nach jahrelanger Heroinabhängigkeit dazu entschließt, einen Entzug zu machen, werden wir Zeuge des schmalzigsten Flashbacks ever. Ray steht seiner Mutter gegenüber, die ihm sagt, wie stolz sie auf ihn sei. Ray nimmt seine Brille ab, kann sehen, fängt an zu weinen (Moment, Moment, das reicht noch nicht), und plötzlich steht auch sein kleiner Bruder da und sagt, dass Ray nicht schuld an seinem Tod sei. Alle drei weinen und fallen sich in die Arme. Und Anke saß fassungslos im Kino und ahnte, dass sie diesen Ausschnitt womöglich nochmal während der Oscar-Verleihung erdulden muss.
Die Dialoge haben mir endgültig den Rest gegeben. Kaum einer hat mich überrascht, kaum einer ist mir im Gedächtnis geblieben. Rays Mutter gibt einen guten Ratschlag nach dem nächsten ab, die man sich alle aufs Kissen sticken könnte (“Don’t let anyone make you a cripple”), seine Frau wiederholt Ermahnungen wie eine springende Platte (Hör auf mit den Drogen, komm nach Hause, kümmer dich um deine Kinder yada yada yada), die Fans verkünden unentwegt, wie großartig Ray sei, und selbst seine Produzenten sagen nichts anders außer: Das ist ja nen Ding, Mensch, tolle Sache, dieses Lied da, spiel’s noch einmal, Ray. Lang-wei-lig.
Die guten Seiten von Ray musste ich mir nach Ende des Films rational selbst erzählen, weil ich sie nicht gespürt habe: Das Ensemble ist klasse. Die Farben sind fast zu flirrend, aber irgendwie passt die verschwitzte Atmosphäre ziemlich gut. Und natürlich erzählt der Film viel über ein Amerika, das angeblich vergangen ist, das dem heutigen aber doch nicht so unähnlich ist. Die Fasziniation für Musiker ist geblieben, deren Umgang mit ihren Fans und diversen illegalen Rauschmitteln sicherlich auch, und die „Rassenfrage“ ist noch nicht so weit geklärt, wie man das vielleicht gerne hätte. Trotzdem hat mich der Film völlig kalt gelassen; keiner der Darsteller hat mich emotional erreicht, nicht mal Jamie Foxx, der wirklich großartig ist, aber dem ich trotzdem die ganze Zeit einfach bei seiner Arbeit als Schauspieler zugesehen habe. Wann immer man seine Hände sah, habe ich mich gefragt, ob er selbst spielt, und wann immer er die eigenartige Haltung von Ray Charles nachgemacht hat, habe ich mich gefragt, wie lange er dafür vor dem Spiegel geübt hat, bis es nicht mehr albern, sondern echt aussah.
Vielleicht habe ich Ray deswegen auch nicht gemocht, weil ich erst vor wenigen Tagen einen anderen, biografischen Film gesehen hatte, der mir unerwarteterweise sehr gut gefallen hat: The Aviator. Regisseur Martin Scorsese zerteilt den Film ebenfalls in kleine Abschnitte, aber aus ihnen entsteht ein Fluss, der einen mitnimmt, im Gegensatz zu Ray, wo man jede Trennung merkt. Auch in The Aviator haben wir einen Helden, der gegen seine Dämonen kämpft, aber diese kommen organisch daher und nicht so gebetsmühlenartig aufgesetzt. Und auch in The Aviator haben wir eine Unmenge an biografischen Details. Der Unterschied zu Ray ist, dass sich Scorsese für die seiner Meinung nach wichtigsten entschieden hat, während Hackford irgendwie alles mitnehmen wollte. Und deshalb ist Ray eine komische, unausgegorene Mischung geworden und leider kein Film, bei dem ich staunend auf die Leinwand geschaut habe. Sondern leider nur gequält auf die Uhr.