Montag, 4. März 2024 – Granat und Gold

Ich erwähnte vor Kurzem, dass ich zu Omis Granatring Ohrringe haben wollte, denn die vor über einem Jahr gekauften Creolen trage ich zwar gern, aber ich hätte lieber etwas mit einem Stein. Omis Citrinring trage ich inzwischen fast täglich, seit ich eher mit Bluse als mit Shirts unterwegs bin, das sieht einfach schön aus und ich mag den Ring wirklich sehr gern (hier im vierten Foto zu sehen). Den Granatring trage ich eher abends in Konzerten oder beim Essen, warum auch immer, er kommt mir irgendwie festlicher vor. Und weil ich mich festlich etwas mehr aufdotzen möchte als alltags, trage ich abends auch ab und zu die goldene Kette oder eher selten die Granatkette (sind beide in den eben verlinkten Blogeinträgen zu sehen).

Zur Kette gibt es auch noch ein Armband, das ähnlich gestaltet ist, also mit kleinen Granaten in Blüten- bzw. Doldenform. Eigentlich war der Plan, das Armband auseinandernehmen zu lassen und daraus Ohrringe zu fertigen, aber ich brachte es doch nicht übers Herz; das war Omis Lieblingsschmuck, der soll so bleiben. Daher suchte ich ewig nach anderen Granatohrringen, fand aber quasi nichts, was nicht nach Böhmen und Dirndl aussieht und genau das wollte ich nicht. Denn der Ring sieht so dermaßen nicht klassisch, fast zickig aus, weswegen ich ihn so mag.

Also ging ich, wie erwähnt, bei der Goldschmiede um die Ecke vorbei, suchte mir zwei ältere, facettierte Granatsteine aus – der Goldschmied tippte auf 20 bis 30 Jahre –, bat um eine goldene Fassung und hoffte, dass die Ohrringe bis zu meinem Geburtstag fertig werden würden. Es kam noch besser: Ich konnte sie gestern, an Omis Geburtstag, abholen.

Sorry für die Weidenkätzchen, aber ich habe nichts anderes auf die Schnelle zum Aufhängen gefunden, damit man das Licht gut sehen kann, das durch die Steine fällt. Die Rückseite ist keine geschlossene goldene Platte, sondern nur eine Fassung.

Im Ganzen sah das gestern so aus; ich habe noch keine Gleitsichtbrille, das heißt, ich muss die Brille absetzen, um irgendwie mein Handy zu erkennen, ja, ich bin alt, und das dicke Buch, auf dem meine Ostervase für eine korrekte Höhe steht, um noch das rote Kleid von Luise und den Goldrahmen im Bild zu haben, ist natürlich Nazikram, was anderes liegt hier ja nicht rum.

Zurück zu den Ohrringen, hier im Bild mit Omis Ring. Die gefassten Steine hängen an beweglichen Gliedern, das heißt, die Ohrringe bewegen sich, wenn ich mich bewege. Da die Facetten vorne sind, brechen sie das Licht schön; ich glitzere jetzt immer ein bisschen. Am unteren Haken, der durchs Ohrläppchen kommt, sieht man eine kleine Goldspirale; das ist eine Idee der Goldschmiede. Das sind übrigens Bruder und Schwester, die den jetzt 41 Jahre alten Betrieb von den Eltern übernommen haben, das fand ich auch schön.

Was die Spirale soll? Sie kennen vielleicht die durchsichtigen Plastiknupsis, die man auf Ohrhänger stecken kann, mit denen man verhindert, dass man sich den Schmuck mit einem Schal – oder Maskenbändern – aus den Ohren reißt. Die sind natürlich eher unhübsch, weswegen hier bewegliche Goldspiralen zum Schmuck gehören, die man genau wie die Nupsis auf den Haken schieben kann, wenn der Schmuck im Ohrläppchen sitzt. Das durfte ich gestern im Geschäft gleich mal üben, das klappt super.

Im Geschäft habe ich die Ohrhänger natürlich auch erstmal anlegen dürfen, um zu schauen, ob der Hänger groß genug ist. Dabei ist der Goldschmiedin, die mich gestern beriet, aufgefallen, dass das Loch in meinem rechten Ohr ein Hauch höher gestochen ist als das im linken, denn dort lag der Hänger an, während er im linken Ohrläppchen Platz hatte. Daraufhin wurden die Hänger noch etwas weiter aufgebogen, damit die Steine auch rechts etwas Spiel haben.

Hier nochmal das Ensemble in ganzer Schönheit. Ich mag die Ohrringe sehr gern, weil der Stein im Mittelpunkt steht und nicht das Gold. Aber auch das mag ich sehr; ich habe mich für 18 Karat entschieden, weil es einfach eine so wunderschöne, reine Farbe ist. Das Ganze war etwas teurer als geplant, aber ich habe in den vergangenen Jahren gemerkt, wie sehr ich Dinge schätze, die nicht nur für fünf Minuten halten und auch so aussehen (bis auf Ikea-Bücherregale, don’t @ me). Blödes Kunstgeschichtsstudium, das mir den Wert von altem Zeug vermittelt hat!

Happy Birthday, Omi. Schade, dass du nicht mehr mitbekommst, wie sehr ich mich über deine Ringe und dein blaugeblümtes Teeservice freue. Ich denke immer an dich, wenn ich damit am Schreibtisch sitze. Und neuerdings denke ich außerdem immer an dich, wenn ich einen deiner Ringe trage. Also quasi dauernd. Ich vermisse dich.

Sonntag, 3. März 2024 – Croissants und Klaviere

Viel zu früh aufgewacht, immerhin nicht alleine. Über den Abend im Tantris DNA gesprochen. Nochmal weggedöst. Aufgewacht, über den Abend im Tantris DNA gesprochen. Croissants geholt, Flat White gekocht, gemeinsam gefrühstückt, über den Abend im Tantris DNA gesprochen. Irgendwann getrennt; ich konnte leider nicht wie geplant vor einer Netflix-Serie nochmal wegdösen, erst kurz vor 17 Uhr wurde ich müde, aber da musste ich mich allmählich aufhübschen, denn auf uns wartete noch ein Konzert mit Martha Argerich und Lilya Zilberstein, die zur Verstärkung für ein Stück plus ein paar Zugaben noch ihre Söhne Anton und Daniel Gerzenberg mitgebracht hatte.

Ich mache das mal kurz: Bei Mozart und Schumann habe ich nicht so ganz verstanden, was der Mehrwert von zwei Flügeln auf der Bühne war, das plüschte freundlich an mir vorbei; beim Darius Milhaud konnte ich immerhin einen Satz wiedererkennen, hören Sie mal rein, den kennen Sie auch.

Nach der Pause gab’s Smetana mit den Söhnen, das war schön, aber erst die Sinfonischen Tänze Op. 45 für 2 Klaviere (1940) von Rachmaninow hatten mich dann und dann vor allem richtig. Anscheinend auch den Rest vom Saal, es waren deutlich weniger Hüsterchens zu hören als vorher. Einer davon gehörte leider mir, beim Schumann muss ich öfter meine Armbeuge bemühen, wovon nun leider Puderspuren an meiner schönen dunkelblauen Bluse zeugen, so dicht habe ich in sie reingehustet, um bloß nicht zu stören. Ich lutsche immer Bonbons in Konzerten, um nicht zu husten, aber gestern erwischte es mich dann doch nach jahrelanger Stille. Ich ahne inzwischen auch warum: Ich hatte keine Maske auf, mit der man dann eben doch immer ein bisschen in seiner eigenen feuchten Atemluft sitzt.

Zurück zum Rachmaninow: Hier eine Aufnahme von Argerich und Nelson Goerner. Gönnen Sie sich das mal, das ist großartig.

Und wer nicht ganz so viel Zeit hat: Eine Zugabe war der unterhaltsame Bergkönig, der auch prima auf dem Klavier funktioniert. Bitte mit acht Händen vorstellen, davon gibt es auf YouTube leider nichts Vernünftiges.

Samstag, 2. März 2024 – Alt und neuer

Gestern war Tag der Archive, weswegen F. und ich uns die Klaus-Kinold-Stiftung anschauten. Auf meinem inneren Plan wären noch das Archiv des Bayerischen Rundfunks oder das Wirtschaftsarchiv gewesen, aber das ehemalige Atelier bzw. das heutige Stiftungsbüro von Kinold lag direkt um die Ecke. Dort stehen großformatige, gerahmte Bilder, ziemlich toll, und auf Anfrage kann man in Fotos, Korrespondenzen und Bücher schauen. Einen Buchtipp gab uns die Verwalterin mit: „Ich will Architektur zeigen, wie sie ist“, ein Ausstellungskatalog von 1993 der Kunsthalle Bielefeld. Bitte bei Ihren bevorzugten Plattformen selbst googeln.

Ein Foto gefiel mir besonders, es ist das vorletzte auf dieser Seite, vielleicht auch, weil die strenge Architektur des Barcelona-Pavillons durch bewegte Bäumen und eine Skulptur von Georg Kolbe aufgebrochen wird.

Abends saßen wir dann mal wieder im Tantris DNA, ungewohnterweise nicht alleine, sondern mit einem weiteren Paar, mit dem wir erstmals einen Abend verbrachten. Das war so entspannt wie erhofft, es gab viel guten Wein (ach was) und die üblichen Klassiker des Hauses, neu interpretiert. Ich schwärme seitdem von den soufflierten Jakobsmuscheln à la Heinz Winkler. Unsere Begleitung musste gegen Mitternacht nach Hause (ein früher Ski-Termin wartete, München halt), während F. und ich auf einen Cocktail in die Bar des Hauses einkehrten. Aus dem wurden dann natürlich drei, wie immer, und wir fielen gegen halb vier ins Bett. Wieso bin ich überhaupt schon wach.

Heute abend ist das DNA übrigens bei „Kitchen Impossible“ zu sehen, wo Tim Mälzer das Kalbsbries Rumohr nachkochen muss, von dem Sie unter anderem in diesem Blog schon lasen. Ich werde in einem Konzertsaal sitzen und hoffe auf die morgige Wiederholung im Interweb.

Die pinkfarbene Damentoilette habe ich natürlich auch fotografiert und in eine Insta-Story geschmissen, Sie kennen das.

Freitag, 1. März 2024 – Flicken und Fahren

Meinen Schreibtisch kurz zum Nähtisch umfunktioniert und eine gemütliche Leggings geflickt sowie ein winziges Stück meiner liebsten Kapuzenjacke aka die blaue Schnuffeljacke von Nike, die ich seit über zehn Jahren trage.

Sie ist die perfekte Jacke: im Frühjahr und im Herbst nicht zu warm, aber eben noch oder schon wärmend nach oder vor dem Winter. Im Sommer ist sie die Lendenwirbelsäulenstütze in Biergärten oder ICEs und die kleine Decke, falls im letzten die Klimaanlage bis zum Anschlag aufgedreht ist. Ihr Blau ist das schönste, was ich im Kleiderschrank habe, und ich muss nie einen Schirm mit mir rumschleppen, weil sie eine Kapuze hat. Sie hat genau die richtige Länge und Weite, ganz egal, wieviel ich gerade wiege und ich liebe sie von ganzem Herzen. Aber sie ist eben nicht mehr die jüngste und sie passt nicht mehr so ganz zu meinen restlichen Klamotten. Seit mindestens einem Jahr suche ich nach einem Ersatz, der vielleicht einen Hauch weniger nach Sport aussieht und mehr nach Büroalltag, weil ich mich inzwischen eher in Blusen als in der ewigen Shirt-Longsleeve-Kombi wohlfühle, aber ich finde partout nichts, was mir auch nur ansatzweise gefällt. Daher friere ich derzeit eher im Blazer vor mich hin, wenn ich U-Bahn fahre, und nutze mein Herzblatt nur auf dem Fahrrad, das ich vor wenigen Tagen endlich wieder aus dem Winterschlaf geholt habe. Gestern auf der kurzen Fahrt zur Stabi, zur Stadtbücherei und zum Bäcker fragte ich mich, ob ich nur fahrradfahre, damit ich endlich wieder die Schnuffeljacke anziehen kann, aber natürlich ist das Quatsch: Es geht in meinem Umfeld einfach alles schneller mit dem Rad als mit den Öffis.

Letzte Woche im Norden habe ich erneut mit dem Mütterchen über Öffis auf dem Land gesprochen, wo sich gerne die Katze in den Schwanz beißt: Das Angebot an Öffis ist mau, weil alle ein Auto haben, und es haben alle ein Auto, weil das Angebot der Öffis mau ist. Ich möchte allen Verkehrspolitiker*innen den guten alten Filmsatz aufs Kissen sticken: „If you build it, they will come.“ Aber wenn ich die Wahl habe, zu einem Arzttermin einen Bus zu nehmen, der nur viermal am Tag fährt und mit dem ich eine Stunde zu früh da bin, dann nehme ich natürlich das Auto.

Da meine Mutter nicht mehr ganz so gerne Auto fährt, suche ich ihr dauernd Busverbindungen raus, die ich dann als pdf abspeichere, das ich meiner Schwester maile, die es groß genug ausdruckt. Bei uns gibt es als Zusatzangebot immerhin den Sprinti, aber man braucht ein Smartphone, um ihn zu buchen, das mein Mütterchen nicht besitzt. Anrufen geht theoretisch auch, aber dann kann man nicht sehen, wann das Fahrzeug denn nun kommt und steht manchmal 30 Minuten rum, vom Mütterchen für Sie getestet. Außerdem fährt er nur bis zu gewissen Gebietsgrenzen, was das ganze ein bisschen ad absurdum führt, denn gerade für die etwas längeren Strecken (15 Kilometer, Land- und Bundesstraßen) würde meine Mutter gerne das Auto stehen lassen; die kurzen Fahrten traut sie sich noch zu. Es ist alles ein Kreuz, und so schön ich es immer im Grünen finde, wenn ich da bin, so sehr freue ich mich wieder auf die Stadt, in der ich auch mit 80 nicht länger als zehn Minuten auf einen Bus warten muss, der von 5 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts fährt.

Donnerstag, 29. Februar 2024 – Extratag und Extraspaß

Den zusätzlichen Tag im Jahr für einen ausgedehnten Besuch im Bällebad genutzt. Ich sitze gerade (unter anderem) an einem Aufsatz zur Künstlerkolonie Dachau und wollte mal wild querlesen. Dabei sind mir einige Namen untergekommen, die ich auch in der Diss oder in den Archivfunden zu ihr unter den Fingern hatte, was mich ja immer freut: an bekanntes Wissen anlegen zu können. Wissenschaft ist eigentlich nur ein riesiges Puzzle und wir lauter kleine Heinzelfrauchen, die es zusammenstückeln.

Beim Suchen stieß ich auf ein Buch von 1976, das das damalige Städtchen vermutlich gut zusammenfasste: „Führer durch die Altstadt, die Künstlerkolonie und die KZ-Gedenkstätte.“

Mittwoch, 28. Februar 2024 – Pling und Snooze

F. und ich saßen ohne Pause in der Isarphilharmonie und lauschten Mahlers 7. Sinfonie. Das hat bei mir ein bisschen gedauert, aber spätestens im zweiten Satz war ich Auge und Ohr und danach im positiven Sinn total platt, obwohl ich ja nur rumgesessen hatte. Ich weiß nicht, welche Einspielung empfehlenswert ist, ich habe mich hier für Bernstein und die Wiener Philharmoniker entschieden, falls ihr reinhören wollt. Oder anderthalb Stunden zuhören. Wer mehr über gestern lesen will, hier ist das Programmheft.

Ich fand es nett zu sehen, dass bei einer siebten Sinfonie auch sieben Menschen an den Schlagwerkzeugen beschäftigt waren. Ich freue mich ja immer über eine Batterie an lustigen Percussionsdingen, von denen ich meist nicht mal weiß wie sie heißen, wenn sie nicht gerade Pauken, Becken, Glocken oder Xylophon sind. Auch neu für mich: eine goldene Triangel. Ich habe mich in den vergangen Jahren ja so langsam an goldene Querflöten gewöhnt, aber eine Triangel kannte ich in der Farbe noch nicht. Gibt es die eigentlich in unterschiedlichen Stimmungen? *googelt „Triangel“* Hm. Dazu sagt die Wikipedia nichts, aber ich habe mich jetzt beim Begriff „Ideophon“ festgelesen.

Außerdem schön für Mahler, weniger schön für die Musizierenden: Es waren eine Gitarre und eine Mandoline mit auf der Bühne, die aber nur für wenige Takte im vierten Satz was zu tun hatten. Das stelle ich mir ja auch seltsam vor, 70 Minuten rumzusitzen, dann drei Minuten zu spielen, wenn überhaupt, und dann wieder rumzusitzen. Früher, als ich in der Oper noch im Rang saß, beobachtete ich gerne die Harfenistinnen, die Bücher lasen, wenn sie nichts zu tun hatten, oder andere Musiker*innen, die den Graben komplett verließen, bis sie wieder dran waren mit ihrem Exoteninstrument. Inzwischen sitze ich lieber im Parkett, um mich genau von sowas nicht mehr ablenken zu lassen. Ich muss gerade an einen uralten Strip von Loriot denken, der genau das abbildete: ein Triangelspieler im Orchester, der einmal „Pling“ macht, dann spazierengeht, auf einer Parkbank ein Buch liest, die Tauben füttert, wieder ins Konzerthaus stapft und ein weiteres mal plingt.

Gestern war auch das Publikum unterhaltsam. Zwei Reihen schräg vor mir saß ein älterer Herr, dessen rechter Nebenplatz frei war, was er dazu nutzte, sehr engagiert zur Musik mitzugehen; er dirigierte fast mit, nickte rhythmisch und hibbelte einfach begeistert rum. Ich guckte ab und zu rüber und freute mich, dass Klassik so mitreißt, aber die Dame direkt hinter ihm hatte im dritten Satz genug, tippte ihn an und bat ihn offensichtlich, so steif und leise rumzusitzen wie alle anderen auch. Er schaute seitdem nur noch nach unten, was mich etwas traurig machte. Ich hätte nichts gegen ein bisschen mehr Party im Konzert, glaube ich. Muss ja nicht gleich Stagediving sein.

Man kann Konzerte natürlich auch anders nutzen: Der junge Herr vor mir legte im ersten Satz seinen Kopf auf die Schulter seiner Begleiterin und ich dachte, aww, public display of affection, I like, aber der Kopf blieb dort verdächtig lang liegen und er atmete sehr ruhig. Ich konnte nicht sehen, ob er schlief, aber ich gehe davon aus. Erst kurz vor Schluss hob er den Kopf und rieb sich erstmal die Augen. Ist okay, Hase. Ich bin auch schon in der Oper eingeschlafen und auch einmal in einer Vorlesung. Wir sind alle müde.

Gestern war ich allerdings hellwach. Die Sinfonie hat mich gut über- und gefordert, so dass ich dauernd was zum Nachdenken hatte. Gerade aus dem fünften Satz hätte man vermutlich nochmal drei Sinfonien schnitzen können; das Programmheft schreibt was von „kleinteilig“ und „auf- und abtauchenden Motiven“, was für mich passt. Gleich nochmal hören, wenn ich aus dem Bällebad wieder zuhause bin.

Dienstag, 27. Februar 2024 – FAZ und BZ

Ich folge auf Instagram dem Kunsthaus Ketterer in München. Dort wurde vor einigen Tagen ein Artikel aus der FAZ verlinkt, in dem eine der Provenienzforscherinnen des Hauses über ihre Arbeit spricht (Archive-Link ohne Paywall). Für mich interessant, weil der Handel ganz eventuell andere Interessen hat als die Wissenschaft.

Solche Einigungen entsprechen den Washingtoner Prinzipien von 1998, die fordern, dass Verfolgten der NS-Diktatur entzogene Kulturgüter identifiziert und einstige Eigentümer oder deren Erben ausfindig gemacht und mit den heutigen Besitzern zusammengebracht werden, um gerechte und faire Lösungen zu finden. Hierzulande müssen sich öffentliche Einrichtungen daran halten, private Sammler nicht. Wie hat sich der Umgang des Kunsthandels mit potentieller NS-Raubkunst in der Zeit, die Sie überblicken, entwickelt?

Ich befasse mich seit 2007 frei, seit 2014 in Festanstellung bei Ketterer Kunst mit Provenienzforschung. Einen starken Anschub für Recherchen zur NS-Zeit gab es 2012 durch den Fall Gurlitt, weil es um privaten Kunstbesitz ging: ein riesiges Gemäldekonvolut, zu dem auch Raubkunst gehörte. Ein weiterer Schlüsselmoment war 2016 die Verabschiedung des Kulturgutgesetzes, das den Kunsthandel verpflichtet, jedes Werk, das vor 1945 entstanden ist, auf dessen Provenienz zu untersuchen.

Weshalb tauchen so viele Raubkunstfälle im Handel auf?

Grundsätzlich haben wir, anders als Museen, einen hohen Durchlauf an Objekten. Die meisten NS-verfolgungsbedingt entzogenen Werke sind nicht museal, sondern Kunst für das eigene Heim, die über den Handel vertrieben wurden und wieder in ihn zurückfließen. Entsprechend moderat sind in der Regel die Summen, um die es geht, meist Schätzpreise zwischen 30.000 und 50.000 Euro. Durch die Digitalisierung werden außerdem mehr Quellen für Recherchen frei zugänglich gemacht. […]

Rechtlich sind die heutigen Besitzer meist auf der sicheren Seite, weil Rückgabefristen verstrichen sind oder etwas in gutem Glauben erworben und danach, wie es im Jargon heißt, ersessen wurde. Was ist die stärkste Triebfeder für die Klärung der NS-Vergangenheit?

Viele Einlieferer sehen ihre gesellschaftliche Verantwortung – wie auch wir als Auktionshaus. Aber natürlich kommt hinzu: Erst durch eine gerechte und faire Lösung wird ein belastetes Kunstwerk, das nach den Buchstaben des Gesetzes zwar verkäuflich wäre, faktisch aber nicht mehr handelbar ist, wieder frei für den Markt. Es kann ausgeführt werden, etwa in die USA, oder auf internationalen Ausstellungen gezeigt. Es kommen auch Sammler zu uns, die um Klärung bitten, weil sie nicht möchten, dass ihre Nachkommen später Probleme mit einem Kunstwerk bekommen.

Im anglo-amerikanischen Rechtskreis wird der Erwerb in gutem Glauben nicht akzeptiert wie bei uns. Treibt das die hiesige Provenienzforschung an?

Es spielt eine Rolle, wie insgesamt die Globalisierung. Internationale Bieter wollen sichergehen, dass sie mit einem Werk frei umgehen können.“

In der Berliner Zeitung stand bereits im Januar ein Interview mit der Dame (Archive):

Frau Thum, der Kunsthandel hat den Ruf, verschwiegen zu sein. Ketterer Kunst hat jetzt ein Buch über seine Provenienzforschungen herausgebracht. Warum?

Es war uns wichtig, im Jubiläumsjahr der Washingtoner Prinzipien eine Innenansicht zu gewähren. Denn der Kunsthandel hat den Ruf, keine Informationen herauszugeben und nicht transparent zu arbeiten. Ich habe auch im Austausch mit Kollegen manchmal das Gefühl, dass sie nicht wissen, wie sorgfältig und wissenschaftlich wir arbeiten. Zur wissenschaftlichen Arbeit gehört auch, dass man sie publiziert. Das tun wir mit dem Buch. Außerdem wollen wir auf das ungelöste Problem hinweisen, das in Deutschland noch immer nicht rechtlich geklärt ist: Wie sollen wir mit NS-Raubkunst in privatem Eigentum heute umgehen?

Es gebe Vorbehalte von Museen oder Forschungseinrichtungen gegenüber dem Kunsthandel, liest man im Buch. Ist der Kunsthandel nicht Teil der Kunstwelt? Wie würden Sie das Verhältnis beschreiben?

Früher gab es durchaus Vorbehalte gegenüber dem Kunsthandel. Ich habe schon mal von öffentlichen Einrichtungen die Antwort bekommen, dass sie dem Kunsthandel keine Auskünfte geben möchten. In den letzten Jahren ist das nicht mehr der Fall. Es hat eine starke Annäherung stattgefunden. Ich arbeite mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Museen und Forschungseinrichtungen gut zusammen. Ich kann die Vorbehalte teilweise aber auch verstehen.

Nämlich?

Die Forschungen im Kunsthandel werden nicht veröffentlicht, es gibt nicht die Möglichkeit, sie ausführlich in Katalogen zu präsentieren, wie die Kollegen aus den Museen das können. Mittlerweile ist die Provenienzforschung im Kunsthandel aber als gleichwertige Forschung anerkannt.“

In beiden Artikeln wurde auf die Publikation des Hauses hingewiesen, die netterweise auf der Seite des Verlags als Open Access zum freien Download zur Verfügung steht: Peter Wehrle (Hrsg.): Provenienzforschung und Kunsthandel, Karlsruhe 2023.

Ein belgisches Dankeschön …

… an Cornelia, die mich mit Volker Weidermanns Ostende. 1936, Sommer der Freundschaft überraschte. Ich hatte in irgendeiner Zusammenfassung nur die Namen Stefan Zweig, Irmgard Keun und Joseph Roth (den ich zu meinen Lieblingsschriftstellern zähle) erwähnt gefunden, die sich zu dieser Zeit anscheinend an diesem Ort mal trafen, was nach etwas klang, worüber ich gerne mehr wissen wollte. Die Kritiken klangen auch gut, daher: ein schöner Zugang für den Wunschzettel. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut!

Samstag/Sonntag, 24./25. Februar 2024 – Paula, Pablo und Max

Mit dem Mütterchen in gleich zwei Museen gewesen. Sie wollte gerne im Landesmuseum die Ausstellung „Ich werde noch etwas. Paula Modersohn-Becker in Hannover“ sehen, ich „Pablo Picasso/Max Beckmann. Mensch – Mythos – Welt“ im Sprengelmuseum. Wie nett, dass beide quasi nebeneinander liegen und wir sie entspannt mit S-Bahn und Bus erreichen konnten.

Fazit gleich vorneweg: Gut, dass das Mütterchen zu Modersohn-Becker wollte, die Ausstellung war nämlich deutlich interessanter als die der Jungs, die ich gleichzeitig als Materialschlacht und Verschwendung wahrgenommen habe. Die Grundidee bei Modersohn-Becker: „Hallo, wir sind das Landesmuseum, uns gehören 39 Werke der Künstlerin. Hier sind sie alle.“ Das alleine wäre ja schon eine simple, aber nachvollziehbare Ausstellungsidee gewesen, aber das Museum hat mir persönlich gleich noch einen Gefallen getan und auf jedes Schild geschrieben, wann und wie das betreffende Werk in die Sammlung kam. Ich finde Sammlungsgeschichte nicht erst seit dem Thema Provenienzforschung spannend, sondern habe mich das durchaus schon früher gefragt: Was wird gesammelt und warum? Wird eine Periode gesammelt, ein Motiv, einfach mal alles, was geht und auf dem Markt ist? Wie verändern Stiftungen das ganze? Und auf so ziemlich alle Fragen konnten mir die gut lesbaren Schilder Antworten geben.

Die komplette Sammlung war am Ende der wenigen Räume auch noch einmal zusammengefasst als Schaubild zu sehen, so einfach, so gut. Ich habe es nicht fotografiert, denn ich wollte natürlich den Katalog mitnehmen, aber, einziger Wermutstropfen, der ist gerade ausverkauft. Die Ausstellung sollte eigentlich gestern beendet werden, sie wurde aber netterweise noch bis Oktober verlängert und dementsprechend wird der Katalog nochmal nachgedruckt. Muss ich ihn halt bestellen, durchgeblättert habe ich ihn in der Ausstellung schon, der gefiel.

Ich muss gestehen, dass ich Modersohn-Becker nie so richtig auf dem Schirm hatte; in Hamburg hängt recht viel von ihr, aber ich konnte mich nie mit ihr anfreunden. Keine Ahnung, warum das in Hannover auf einmal funktioniert hat, vielleicht sind es auch ein paar Jahre Studium und mehr Wissen um die Zeitgeschichte, die mir den Zugang erleichtern, aber ich stand schon im ersten Raum wie ein Idiot und dachte innerlich, wie konntest du diese Frau nur so verkennen? Ich gelobe Besserung und werde mich im ZI kurz festlesen. Ach, Lesen, richtig, ein zweiter Wermutstropfen: An den Wänden standen Zitate der Malerin, aber nie, woher die Sätze stammten. Das hätte mich schon interessiert, ob das ein Brief war oder ein Tagebuch, also für jemanden anders oder nur für sich bestimmt.

Immerhin das hat die Picasso-Beckmann-Ausstellung hingekriegt, wo auch überall Zitate standen und zwar mit Quellengabe. Das konnte die Schau für mich aber trotzdem nicht mehr retten. Schon die Begriffe im Titel sind so dermaßen nichtssagend und auf so gut wie alle Künstler*innen anwendbar, dass ich nicht so genau wusste, was jetzt eigentlich kommt. Und das hat mir die Ausstellung auch nicht erklären können, warum man die beiden Herren, die sich nie begegnet sind, nun unbedingt zusammen zeigen muss. Im Katalog wird mehrfach erwähnt, dass von 1942 bis vermutlich 1947 im MoMA Picassos „Guernica“ neben Beckmanns erstem Triptychon „Abfahrt (Departure)“ hing, okay, schöner Fakt, aber wenn ihr unbedingt vergleichen wollt, warum dann eine Wand Pablo und eine Max und ich muss wild hin- und hergucken? Ich habe auch kaum Werke entdeckt, die man miteinander in Verbindung setzen könnte, wie auch, wenn die Herren sich halt nie aufeinander bezogen haben. Wilde Kombis herzustellen, ist ja erstmal eine aufregende Sache, aber dann hängt das doch auch.

Im Kopf habe ich also einen Cut gemacht und mir einfach erst Picasso angeguckt und dann Beckmann. Da waren durchaus tolle Werke dabei, die ich noch nicht kannte, logisch, es sind ja auch tolle Künstler. Aber mich hat diese aufgesetzte Klammer immer genervt. Ich muss mich irgendwie davon lösen, Ausstellungskonzepte verstehen zu wollen und einfach nur Einzelwerke genießen, sonst bin ich dauernd von irgendwas genervt, glaube ich.

Der NDR hat ein paar Aufnahmen aus der Ausstellung, gleich im ersten Bild hängt „Die Brieflektüre“ (1921) von Picasso, das ich noch nicht kannte und meine liebste Entdeckung in der Ausstellung war. Was mich etwas erschüttert hat: wie schlecht Beckmann im direkten Vergleich zu Picasso wegkommt. Ich liebe Beckmann, deswegen wollte ich auch die Ausstellung sehen, aber direkt neben dem Jahrhundertkünstler Picasso kann man anscheinend nur abstinken. Ja, die feministische Kunstgeschichte arbeitet sich schon länger am Menschen Picasso ab, der vermutlich ein Arschloch war, aber seine Werke sind großartig. Ich lasse auf den Blödmann nichts kommen.

Wo ich schon den Katalog erwähnte: Auch über den möchte ich meckern. Nicht über den Inhalt, der quergelesen informativ und schnafte ist, aber über die Abbildungen. Hier eine Seite mit „Guernica“ und „Departure“. Ja, wir können das alle ergoogeln, aber wenn euch die Bilder in den Essays so egal sind, dann lasst sie doch gleich weg. „Guernica“ in Briefmarkengröße ist mehr als albern, und wenn wir schon farbige Bilder haben, wären die farbig gedruckt auch nett.

Und trotz allem Genöle über die Caspar-David-Friedrich-Ausstellung: Der Katalog ist toll. Und hat große Bilder, auch in den Aufsätzen.


Ereignislose Rückreise am Sonntag, auch mal schön. Lief alles.

Freitag, 23. Februar 2024 – Im Norden

Aufgestanden mit Museumsplänen, das Mütterchen wollte aber doch lieber zuhause bleiben, also machten wir das. Papa auf dem Friedhof besucht, über Grabschalen und Gestecke gesprochen. Beim Schwesterchen Brot abgeholt, der Schwager macht jetzt in Sauerteig. Pralinen und Wein gekauft. Rote Linsensuppe mit ordentlich Koriander gekocht. Mittagsschlaf, die beste Erfindung. Im Keller Dinge aufgeräumt, die wir Weihnachten im überfluteten Keller einfach irgendwo hingeräumt hatten. Marmorkuchen gebacken. Salat und ein Ei zum Abendessen. Danach Pralinen beim Deutschlandspiel gegen Frankreich. Ein guter Tag.

Donnerstag, 22. Februar 2024 – HH-H

Nach längerer Zeit mal wieder im ICE von Hamburg nach Hannover gesessen. Die Bäume in Eschede sind ziemlich groß geworden.

Mittwoch, 21. Februar 2024 – Franz und Caspar

Nach Hamburg geflogen. Ja, geflogen, pünktlich und stressfrei trotz gerade erst beendetem Streik, mit freiem Mittelplatz. Deutlich entspannter angekommen als nach sechseinhalb Stunden im Zug, gleich am Flughafen ein Franzbrötchen erworben, weil wenn man schon mal hier ist.

Im Hotel: „Zimmerwünsche? Ganz oben mit Alsterblick?“ Gerne, Motel One!

Dann in die Kunsthalle gegangen, denn der Grund für meinen Besuchs war die Ausstellung zu Caspar David Friedrich. Mein Zeitticket galt von 16 bis 19 Uhr, die Website warnte davor, gleich zu Beginn des Zeitfensters da zu sein, weil voll. Ach was. Ich wartete also bis 16.30 Uhr und ging optimistisch davon aus, dass sich dann schon alles etwas entzerrt hätte, im Hinterkopf die Blockbuster Bruegel (Wien), Vermeer (Amsterdam) und Turner (München), die zwar auch alle voll waren, aber erträglich, gerade wenn man eben nicht dann reinwill, wenn alle mit ihren Karten wedeln.

Aber um 16.30 hatte sich mal so gar nichts entzerrt im blöden Kubus aka der Galerie der Gegenwart. Ich war selten so von einer Ausstellungsarchitektur genervt wie hier, es ist einfach zu eng für die Masse an Mensch, die hübsche Landschaften im Kleinformat angucken will. Und selbst die Großformate, die, wenn sie ganz normal drüben im Haupthaus der Kunsthalle hängen, Platz haben und atmen können, fühlten sich hier plötzlich eng und eingequetscht an. Einer meiner Lieblinge, das „Eismeer“, hatte zwar eine Wand für sich, aber die war ungefähr so lang wie mein Badezimmer aka nicht wirklich breit. Man konnte kaum seitwärts ans Bild gehen, weil da halt Wand war, weswegen man mit, ich erwähnte es, zu vielen Leuten in einer Traube davorstand und darauf hoffen musste, dass mal jemand sein Handy wegpackte, mit dem grundsätzlich alles und immer fotografiert wurde.

Immerhin: Ein anderer Liebling, der „Mönch am Meer“, hatte eine längere Wand, aber bei meinen insgesamt drei Runden durch die Ausstellung waren zweimal Führungen davor, die ja gerne einen festen Klumpen bilden, nicht, dass sich da jemand dazwischendrängelt, der nicht dafür bezahlt hat OMG! Beim dritten Mal konnte ich etwas näher ran, aber gestern waren gefühlt sehr viele Leute da, die sonst vielleicht seltener ins Museum gehen: Man bekam deutlich zu spüren, dass man nicht so nah rangehen sollte, sondern zwei Meter vor dem Bild zu stehen hat, wo alle anderen auch stehen. Das ist natürlich Blödsinn, denn wozu gucke ich mir denn Originale an? Genau: um mal dicht davorzustehen. Natürlich keine 20 Minuten, damit auch andere mal dürfen, aber die blieben gestern alle in einem größeren Abstand. Sofern das in den engen Räumen möglich war, denn es gab nur wenige Werke, vor denen wirklich Platz war, ansonsten schob man sich in der Masse durch enge Gänge und an Zwischenwänden vorbei. Kompletter Ausfall.

Neu für mich entdeckt: „Blick auf Arkona mit aufgehendem Mond“, eine für mich in dieser Größe überraschende Zeichnung. Ebenfalls neu für mich und sofort verliebt: „Morgennebel im Gebirge“ sowie „Grabmale alter Helden“. Ansonste viele Landschaften, bei denen ich innerlich versuchte, mal durchzuatmen und aus meiner Grundgenervtheit rauszukommen. Das gelang mir aber erst, und damit hätte ich selbst nicht gerechnet, beim guten alten „Wanderer über dem Nebelmeer“, den ich natürlich auch schon kannte, weil er auch sonst in Hamburg hängt. Das Ding ist so tot-gememet und eigentlich total verbrannt, weil man ihn so oft sieht, aber: Er funktioniert. Bei dem Werk wartete ich nicht, bis alle ihre Fotos gemacht hatten und hielt auch keinen Abstand, sondern stellte mich einfach mal für zwei Minuten direkt vor das Bild, egal, ob gefühlt hinter mir alle nölten. Ja, ihr habt auch bezahlt, aber dann wartet halt, so wie ich bisher auf euch gewartet habe. Dann machte ich den Kopf aus und guckte und es passierte das Unerwartete: Alles andere war auf einmal egal. Die Leute, die Hitze, die Stimmen, die Enge. Man stand über den Wolken und guckte in die Ferne. Und alleine für diesen Augenblick vor einem Werk, von dem ich es wie erwähnt so null erwartet hatte, hat sich das ganze gelohnt.

Im Stockwerk drüber waren noch moderne Auseinandersetzungen mit Friedrichs Werk und im Haupthaus war auch noch irgendwas, aber ich war nach der dritten Runde, in der es sich immerhin etwas leerte, weiterhin so genervt von allem, das ich mir den Rest des Programms schenkte. Schließlich hatte ich noch eine Abendverabredung mit dem Ex-Kerl, der mich zu The Vegan Eagle ausführte (Empfehlung!), und mehr Zeit mit dem Mann war mir dann wichtiger.

Weil ich oben die anderen Blockbuster erwähnte: Natürlich sind solche Ausstellungen immer zu voll, natürlich sollte mich sich den Wanderer und das Eismeer einfach mal so in der Kunsthalle angucken, denn sie sind ja immer da, natürlich sind die Bruegels in Wien gemütlicher ohne die Masse an geliehenen Werken drumrum. Aber in Wien und in Amsterdam bei Vermeer sowie in München bei Turner hatte man schlicht größere Räume. Selbst wenn man jetzt gerade mal nicht vor das gewünschte Bild kam, konnte man seinen Blick schweifen lassen und woanders hängenbleiben. Hier gab es nichts zu schweifen, gerade auf meiner ersten Runde war das ein totaler Almabtrieb, man schob sich halt im Tempo der Menge an allem einfach vorbei. Ich ahne, dass es Gründe dafür gibt, diese Ausstellung nicht in den wundervollen Riesensälen des Haupthauses zu machen, aber es ist trotzdem äußerst unglücklich.

Das Rijksmuseum, das vermutlich andere Mittel zur Verfügung hat, als der Kulturbetrieb hier, hat nach dem Ansturm auf die Vermeer-Tickets die Öffnungszeiten brachial ausgedehnt, gute Idee. Aber dafür braucht man natürlich Leute. Ich ahne auch, dass der Gesamtverdienst dort vielleicht nicht ganz so offensichtlich im Vordergrund stand, denn es waren deutlich weniger Leute in den Räumen. Es war immer noch voll, natürlich, aber es verteilte sich schlicht besser. So auch bei Turner: Der Kunstbau des Lenbachhauses ist ein einziger langer Raum, weswegen man nie das Gefühl hat, mitten in einer Menge zu stehen, selbst wenn es eine Menge ist, mit der man sich gerade die Kunst teilt. Von allen Blockbustern war Bruegel bisher der anstrengendste, aber auch da halfen die großen Räume. Genau die fehlten leider bei Friedrich. Und gerade für seine Werke, die mich persönlich immer zur Ruhe kommen lassen, selbst wenn es nur eine Tanne im Schnee ist auf 20 Zentimetern wie in der Neuen Pinakothek, ist das tödlich, wenn diese Ruhe schlicht wegen der Räume nicht möglich ist.

Ich setze mich jetzt in den Zug und fahre zum Mütterchen und werde auf der Fahrt den Katalog durchblättern. Ich ahne, dass mir der besser gefällt als die Ausstellung. Schade.

Dienstag, 20. Februar 2024 – Friedrich und Friedrich

Den Wikipedia-Eintrag von Adolf Friedrich von Schack etwas erweitert und ein paar wenige Digitalisate eingefügt, zum Beispiel zu seinen Lebenserinnerungen (Band 1 von 3) oder seiner Sammlungsübersicht. Die Daten hatte ich aus dem neuesten Katalog der Sammlung Schack (2009), der mit einer kulturhistorischen und politischen Biografie beginnt. Hier ein Absatz, der für mich so richtig schön Kulturgeschichte atmet.

„1842
In mecklenburgischen Diensten reist Schack nach Paris und verkehrt am Hof des Bürgerkönigs Louis Philippe. Dort lernt er die führenden Politiker und Künstler der Epoche kennen. Adolphe Thiers beeindruckt ihn mit seiner Sammlung von Kopien nach italienischen Altmeistergemälden, die er später zum Vorbild für seine eigene Kopiensammlung nimmt. Victor Hugo verehrt er neben Goethe und Byron als einen der bedeutendsten Dichter seines Jahrhunderts. Er besucht die Konzerte von Hector Berlioz und das Atelier des Malers Eugène Delacroix, dessen Dantebarke er sehr bewundert. 1844 begleitet Schack den jungen Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin auf dessen Antrittsreise an die europäischen Höfe. In Italien fungiert er als Cicerone und bringt dem Großherzog die Dichtung nahe. In Sorrent liest er mit Blick auf das Haus des Tasso Kanzonen des Dichters vor. Während der Durchquerung Siziliens auf dem Maultier rezitiert man die Idyllen des Theokrit. In Konstantinopel verbringt die Reisegesellschaft einige Zeit am Hof des Sultans. Die Fahrt durch die Dardanellen und der Blick auf Sestos und Abydos erwecken die Erinnerung an das tragische Liebespaar Hero und Leander.“

(S. 12/13)

In einem anderen Absatz wird einer der „Begründer der Kunstgeschichte“ Carl Friedrich von Rumohr erwähnt, bei dem ich natürlich sofort an etwas ganz anderes denken musste als Gemälde und Gedichte: das Kalbsbries Rumohr von Eckart Witzigmann. Wir konnten im Tantris DNA eine Neuauflage von Virginie Protat genießen, die ja leider nicht mehr am Haus ist. (Und gerade beim Verlinken und dem unvermeidlichen Blick in die ständig wechselnde Speisekarte sehe ich: Es ist auch jetzt gerade zu haben. Wenn Sie bitte mal flugs reservieren würden? Das ist quasi ein Bildungsurlaub.)

Im verlinkten Interview von Effilee erwähnt Witzigmann seine Ausgabe von Rumohrs „Geist der Kochkunst“. Es wurde 1822 veröffentlicht und ist daher längst als Digitalisat online (hier die SLUB Dresden), aber wer keine Frakturschrift mag, kann das ganze auch in moderner Ausgabe lesen.

Montag, 19. Februar 2024 – Dies und das

Am Schreibtisch gesessen, gelesen, geschrieben. Linsen gekocht. Marmorkuchen gebacken. Zwei Bücher in der Unibib verlängert, nicht weil ich sie noch brauche, sondern weil ich keine Lust hatte, sie heute zurückzubringen. Rechnungen geschrieben. Steuer für Januar gemacht (endlich). Ein paar Folgen von „Love is Blind“ geschaut (warte auf die nächste Staffel Teure-Häuser-in-den-USA-verkaufen-Pseudorealitykram zum Kopfausmachen). Den nächsten Ani aus der Stadtbücherei angefangen. Zu viel am Handy gedaddelt. Wieder die FAZ nicht vernünftig gelesen, wie so oft, seit ich sie nur noch digital habe, ich brauche Papier. Mich über Ostfriesentee in Omis Teekanne gefreut. Herzchenaugenemoji an F. geschickt.

Sonntag, 18. Februar 2024 – Schnitzel und Champagner

F. und ich wachten sehr gemütlich auf, lungerten ewig im Bett rum, lasen, daddelten am Handy, trennten uns dann kurz, um uns gegen halb zwölf an einer Tram-Haltestelle wiederzutreffen, um von dort mit Umsteigen in unser geliebtes Gasthaus Waltz zu fahren, zu dem wir sonst einfach ohne Umsteigen mit meiner Haus- und Hof-U-Bahn U2 gelangt wären, die ist aber derzeit am Wochenende wegen Bauarbeiten dicht.

Das Waltz bietet Samstag und Sonntag einen dreigängigen Mittagstisch von 12 bis 15 Uhr an, weswegen wir uns brav nur zwei Flascherln vorgenommen hatten (man schwenkt irgendwann ins österreichische Idiom um dort, es geht nicht anders). Die drei Gänge waren gesetzt, für weniger wären wir nicht aufgestanden, aber wie wir dort so gemütlich saßen, sich um uns herum die Tische füllten, wir Schnitzel und Palatschinken genossen, F. fachkundig mit dem Sommelier plauderte und es immer gemütlicher wurde, fragten wir um kurz nach 14 Uhr doch nochmal nach, wie lange geöffnet wäre, woraufhin es hieß, dass hier niemand um 15 Uhr vor die Tür gekehrt wird, bis 16 Uhr wäre okay. Daraufhin besprachen die beiden Herren die dritte Flasche, die wir ebenso gut gelaunt genossen wie alles vorher.

Wir merken uns: Von Marguet kann man alles trinken, aber das wussten wir eigentlich schon vorher. Mein bisheriger Liebling war der Oger, den ich gerade nirgends online finde; gestern kam ihm der Verzenay sehr nahe, und als Einstieg empfehle ich den Shaman, der wird auch im Tantris gerne offen ausgeschenkt. Falls Sie ein bisschen shoppen gehen wollen. Und wenn Sie in München sind, dann gehen Sie bitte einfach mal ins Waltz, es ist ein ganz wundervoller Laden. Wenn man Sonntagmittag hingeht und bis 16 Uhr bleibt und drei Flaschen trinkt, ist vom Resttag allerdings nicht mehr viel übrig, wie ich gestern feststellen durfte, als ich angeschickert Bus fuhr am hellichten Tag. Auch noch nie gemacht.