Samstag, 23. März 2024 – Erdnuss und Soja

Katerchen auskuriert mit einer ordentlichen Portion Nudeln mit Gemüse und Erdnuss-Soja-Sauce. Chili Crisp hilft auch immer. So halb nach diesem Rezept, nur mit Tofu statt Hack und noch einer Runde Spinat dazu.

Ansonsten Fußball geguckt (Frauen WOBFCB, Herren FRAGER), am Handy rumgedaddelt, nichts gemacht. Ganz hervorragender Tag.

Freitag, 22. März 2024 – Adonis und Oliven

Mit F. ein zweites Mal „Die Passagierin“ gesehen. Macht auch aus dem Rang keinen Spaß, hat uns aber erneut sehr gut gefallen und den Rest des Abends beschäftigt.

Nach dem ersten Besuch wollten wir dringend irgendwo hin, wo es uns immer gut geht, also wurde es das charmante Waltz, wo wir sonst immer gut gelaunt reinrollen und viel Spaß mit viel Rotwein haben. Nach der Oper waren wir aber erschüttert und überwältigt – und sahen anscheinend auch so aus. Wenn ich mich richtig erinnere, kamen nacheinander Cheffe und eine der Servierkräfte jeweils zweimal zu uns an den Tisch, um nochmal und nochmal nachzufragen, ob’s uns denn wirklich gut ginge.

Gestern war es schon zu spät für das Waltz, aber noch früh genug für unseren anderen Wohlfühlort in München: die Bar Tantris. Die Küche hatte schon fast geschlossen, aber einen sehr guten Käseteller gab’s noch, und dazu die gewohnt optimale Betreuung durch den Barchef. Es wurde zum Käse ein Adonis, darauf folgte ein extrem klassischer Martini mit drei Oliven drin, der vermutlich erwachsendste Cocktail, den ich je hatte. Dann ließen wir uns einen Martinez schmecken, den ich in der Bar bisher zweimal mit Rum hatte, was für mich der tollste Drink ever war, aber auch die Gin-Variante, also das Original, gefiel. (Rum ist mir trotzdem gerade lieber.) Als Rausschmeißer bat ich um einen Drink, der irgendwie um alles ein Schleifchen bindet, und das wurde dann, perfekter Name auch noch, ein Last Word.

Lustigerweise wurden wir auch gestern nach dem Platznehmen an der Theke gefragt, wie’s uns denn ginge; obwohl wir ja schon wussten, was in der Oper auf uns zukommen würde, hatte es uns erneut so mitgenommen wie beim ersten Mal. Vielleicht nicht ganz so wuchtig, aber immer noch genug, um etwas stiller zu sein als sonst. Aber wie im Waltz war das auch in der Bar kein Problem. Ich wusste das sehr zu würdigen, dass wir mitten im Freitag-Händehoch-Wochenende-Trubel einfach nur da sitzen und nippen konnten.

Donnerstag, 21. März 2024 – Frei und Weizsäcker

Abends die Buchvorstellung von Norbert Frei angeschaut, auf die ich gestern hingewiesen habe. Ist leider nicht mehr als Video online; manchmal belässt das Fritz-Bauer-Institut Veranstaltungen auf YouTube. Falls das Video online geht, gerne nachschauen, das war eine spannende Stunde.

Erschrocken festgestellt, dass die Rede zum 8. Mai 1985 von Weizsäcker fast 40 Jahre her ist. Kann gar nicht sein, das war gefühlt vorgestern. Außerdem gelernt, dass diese Rede die national und international am meisten beachtete und erforschte Rede eines Bundespräsidenten ist. Und dass bis kurz vor Schluss noch ein Gnadengesuch für Rudolf Heß drin stand. Ähem.

Ich copypaste (aka fotografiere mit dem iPhone den Text, das Handy erkennt ja Text und schicke diesen dann per Mail an mich, um ihn hierhin zu kopieren) mal vier Seiten aus Freis Buch dazu. Der besseren Lesbarkeit wegen habe ich ihn nicht eingerückt:

„Die Ambivalenz, mit der Weizsäcker am 8. Mai 1985 – wie in seinen am Ende nur wenigen noch folgenden Reden über die Vergangenheit – einerseits die Autorität des Zeitzeugen in Anspruch nahm, andererseits aber seine persönlichen Erfahrungen weitestgehend beschwieg, unterschied ihn nicht von Carstens oder Scheel, die ebenfalls Uniform getragen hatten, und letztlich auch nicht von den älteren Vorgängern im Amt. Was ihn heraushob und seiner Rede Gültigkeit verlieh, war die Haltung, in der er zu sprechen verstand. Denn wirklich Neues sagte Weizsäcker ja selbst nach eigenem Dafürhalten nicht, und er ging auch nicht über das Mitte der achtziger Jahre gesellschaftlich Diskutierte hinaus. Aber wenn er konstatierte, dass «jeder Deutsche» miterleben konnte, «was jüdische Mitbürger erleiden mussten, von kalter Gleichgültigkeit über versteckte Intoleranz bis zum offenen Hass», wenn er fragte, wer «arglos bleiben» konnte nach den «Bränden der Synagogen», dann tat er dies mit der Macht und Sprachgewalt des Staatsoberhaupts, das im Namen der Deutschen Zeugnis ablegte: «Wer seine Ohren und Augen aufmachte, wer sich informieren wollte, dem konnte nicht entgehen, dass Deportationszüge rollten. Die Phantasie der Menschen mochte für Art und Ausmaß der Vernichtung nicht ausreichen. Aber in Wirklichkeit trat zu den Verbrechen selbst der Versuch allzu vieler, auch in meiner Generation, die wir jung und an der Planung und Ausführung der Ereignisse unbeteiligt waren, nicht zur Kenntnis zu nehmen, was geschah.»

Präziser und zugleich eleganter – auch in der Differenzierung von Schuld und Verantwortlichkeit – konnte man das kaum sagen, ohne genauer von sich selbst zu sprechen: «Es gab viele Formen, das Gewissen ablenken zu lassen, nicht zuständig zu sein, wegzuschauen, zu schweigen. Als dann am Ende des Krieges die ganze unsagbare Wahrheit des Holocaust herauskam, da beriefen sich allzu viele von uns darauf, nichts gewusst oder auch nur geahnt zu haben.»

Das war einerseits deutlich, beließ anderseits aber jedem, der die Rede verfolgte (die ARD übertrug live aus dem Bundestag), die Möglichkeit individueller Selbstexkulpation: Wenn «allzu viele» sich auf Nichtwissen beriefen, beriefen sich manche eben doch zu Recht darauf, zumal in Verbindung mit dem zweifellos gern gehörten, von vielen wohl geradezu erwarteten nächsten Satz: «Schuld oder Unschuld eines ganzen Volkes gibt es nicht. Schuld ist, wie Unschuld, nicht kollektiv, sondern persönlich.» Aber auch darauf folgte sogleich wieder eine Einschränkung, zutreffend und vieldeutig und sehr protestantisch: «Es gibt entdeckte und verborgen gebliebene Schuld von Menschen. Es gibt Schuld, die sich Menschen eingestanden oder abgeleugnet haben. Jeder, der die Zeit mit vollem Bewusstsein erlebt hat, frage sich heute im Stillen selbst nach seiner Verstrickung.»

Auf solchen Sätzen, gesprochen von einem Präsidenten, der sich auf religiöse Metaphern und liturgische Formen verstand, beruhte zweifellos ein Großteil der Wirkung von Weizsäckers Rede. Allein die Entscheidung, von seinem einleitenden Kurzpsychogramm des Kriegsendes nicht sogleich in die historische Darstellung überzugehen, sondern im Duktus säkularisierter Fürbitten zunächst der einzelnen Opfergruppen zu gedenken, veränderte den Rezeptionsrahmen und setzte einen sehr besonderen, erhabenen Ton. Dahinter verschwanden manche Defizite: Sei es, dass sich Weizsäcker des fragwürdigen Begriffs der «Verstrickung» bediente, sei es, dass er an keiner Stelle von der Verantwortung der Eliten sprach oder dass er Hitler gewissermaßen als Einzeltäter auftreten ließ, der das «ganze Volk zum Werkzeug» seines Judenhasses gemacht hatte. Oder dass er, im Grunde nicht anders als einst Heuss oder Lübke, die Deutschen am Ende des Krieges von Hitler «gequält, geknechtet und geschändet» sah.

Selbst professionellen Beobachtern scheint derlei seinerzeit entgangen zu sein, zumal den vielen Gesinnungsfreunden des Präsidenten. Marion Gräfin Dönhoff und Fritz Stern, die die Ansprache vor dem Bildschirm verfolgten, hörten die «unerschrockenen, eloquenten und irgendwie tröstlichen Worte» – und waren sich, so erinnerte sich der Historiker, einig: «Es war die wichtigste Rede, die nach dem Krieg in Deutschland gehalten worden war. Es war die Abrechnung eines echten Konservativen, genau zur rechten Zeit und Gelegenheit.» (S. 275/276)

Die Resonanz auf Weizsäckers Rede war gewaltig. Nach den bedrückenden Debatten um den Staatsbesuch des US-Präsidenten und dem Fiasko von Bitburg wirkte der Vormittag geradezu befreiend, im Parlament wie für Hunderttausende vor den Bildschirmen oder am Radio. Die bundesrepublikanische Presse berichtete anderntags auf ihren Titelseiten, zahlreiche Redaktionen druckten die Rede im Wortlaut und stellten anerkennende Kommentare dazu. Aber auch weltweit, vor allem in den USA und in Israel, wo es zuletzt harsche Kritik am Verhältnis der Deutschen zu ihrer Vergangenheit gegeben hatte, gingen die Medien vielfach ausführlich auf die Ansprache ein.

So eindeutig allerdings, wie es der Aufmacher der Süddeutschen zusammenfasste – «Weizsäcker: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung» –, war die Botschaft zunächst jedoch nicht überall verstanden worden. Im Unterschied zur Frankfurter Rundschau, die ähnlich formulierte, und der Welt, die zusätzlich «kein Tag zum Feiern» in die Überschrift nahm, gab sich die Frankfurter Allgemeine, die Kohls Bitburg-Kurs bis zuletzt verteidigt hatte, eher zugeknöpft: «Weizsäcker: Ein Tag der Trauer und der Hoffnung».

Wirkungsmächtiger als der Tagesjournalismus war ohnehin das sich rasch erweisende – und anhaltende – gesellschaftliche Interesse an der Rede. Friedbert Pflügers effiziente Offentlichkeitsarbeit mochte dazu einiges beitragen, auch wenn es zum Beispiel eine Schallplatte, von der die Produktionsfirma zehntausend Exemplare für weiterführende Schulen zur Verfügung stellte, schon zu Zeiten von Theodor Heuss gegeben hatte, 1952 nach seiner Belsen-Rede. Doch mit guten Kontakten in die Medien und in die Landeszentralen für politische Bildung ließ sich weder erklären, dass die Nachfrage nach dem Text über viele Monate anhielt, noch, dass sich das Präsidialamt veranlasst sah, Ubersetzungen in zwanzig Sprachen in Auftrag zu geben. Gunter Hofmann, damals Bonner Bürochef der Zeit, brachte die eigentümliche Wirkung der Rede später auf den Punkt: «Uns jungen Journalisten, die sich vielleicht ein paar mehr Verstöße gegen die herrschenden Denkmuster gewünscht hatten, wurde dennoch unmittelbar bewusst, dass nichts davon eine Selbstverständlichkeit war. Das war die Paradoxie: Neu waren die Einsichten nicht, und trotzdem zogen sie einen Schleier weg. Man atmete durch.»

Aus der inzwischen nahezu verdoppelten zeitlichen Distanz zum Kriegsende 1945 lässt sich konstatieren, dass keiner anderen politischen Rede, die seitdem in Deutschland gehalten wurde – auch nicht in den geschichtsträchtigen Jahren 1989/90 – ein ähnliches Maß an Beachtung und internationaler Anerkennung zuteil geworden ist wie jener Weizsäckers am 8. Mai 1985. Und unübersehbar ist auch: Die Ansprache des sechsten Bundespräsidenten gehört in die Reihe jener erinnerungspolitischen Großereignisse, die 1979 mit der Serie «Holocaust» begonnen hatte und jene «Erinnerungskultur» begründen sollte, die das vereinte Deutschland bis in die Gegenwart prägt. Zum Ende von Weizsäckers Amtszeit 1994 war «die Rede» in einer Gesamtauflage von zwei Millionen Exemplaren verbreitet, darunter auch eine Ausgabe bei Siedler, in Leinen gebunden wie einst die Heuss-Texte bei Leins.“ (S. 279/280)

Aus: Norbert Frei: Im Namen der Deutschen. Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit 1949–1994, München 2023.

Mittwoch, 20. März 2024 – Hopfen und Malz

Seit wenigen Tagen gibt es endlich auch von der schnuffigen Augustiner-Brauerei alkoholfreies Helles. Das konnte ich gestern bei einer Verabredung mit einer Ex-Kollegin aus dem Lenbachhaus gleich mal im Obacht antesten. Erster Eindruck: Das Etikett ist schon mal hübsch. Zweiter Eindruck: schmeckt und löscht den Durst. Das macht Apfelschorle allerdings auch, wenn ich keinen Alkohol trinken möchte. Nach dem alkoholfreien bestellte ich dann doch lieber noch zwei mit Umdrehungen. Aber ich finde es gut, dass es nun die Alternative gibt.


Ein kleiner Veranstaltungshinweis für Frankfurt und das Internet: Heute stellt Norbert Frei beim Fritz-Bauer-Institut das Buch vor, mit dem ich seit Weihnachten hadere. Ab 18.15 Uhr kann man auch per YouTube dabei sein.

Dienstag, 19. März 2024 – Fanny und Felix

Gestern lud das Jewish Chamber Orchestra in das Jüdische Gemeindezentrum am Jakobsplatz ein, es gab Musik von Fanny Hensel, ihrem Bruder Felix Mendelssohn und Gustav Mahler. Als Gast war die Sopranistin Chen Reiss zu hören, auch bei Mahlers 4. Sinfonie, worauf ich gar nicht vorbereitet war.

Das Konzert begann mit einer kurzen Ansprache von Charlotte Knobloch. Wenn die ausfahrbaren Poller am Jakobsplatz, auf dem auch die neue Synagoge steht, oder der Metalldetektor am Eingang noch nicht genug Hinweis darauf gaben, wo wir uns befanden, dann spätestens die üblichen Leibwächter mit dem Knopf im Ohr. Und am Ende des Abends die gepanzerten Limousinen, die vorfuhren.

Laut F., der das Orchester schon mal im NS-Doku gesehen hatte, beginnen viele Aufführungen des JCOM mit einer kleinen Einführung von Daniel Grossmann, dem Gründer und Dirigenten. Das Ensemble hat sich auf jüdische Komponist*innen (eat this, Söder) spezialisiert, und Grossmann hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Publikum immer noch etwas zu diesem Thema mitzugeben. So erfuhr ich gestern, dass sowohl Fanny als auch Felix bereits als Kinder christlich getauft wurden, was den Hass der Nazis auf speziell Mendelssohn noch absurder macht. Aber ich will gar nicht mit den Absurditäten des NS-Staats anfangen, das ist ein Hass ohne Boden. Mahler hat sich als Erwachsener taufen lassen, kurz bevor er sich in Wien als Musikdirektor bewarb, wenn ich mich richtig erinnere, also eine Karriere, die Juden trotz der Emanzipation im 19. Jahrhundert noch nicht offenstand. Laut Hoffmann gibt es keine Belege dafür, dass Mahler je Weihnachten gefeiert oder überhaupt in einem christlichen Gottesdienst gewesen ist. Wieder was gelernt. Aber jetzt zur Musik.

Es ging los mit vier Liedern von Hensel, von denen ich Die frühen Gräber op. 9, Nr. 4 am schönsten fand, hier mit dem JCOM in Bukarest. Aber generell war das für mich alles schön; ein Kammerorchester schmeißt logischerweise nicht die akustische Breitseite, die ich aus der Isarphilharmonie gewohnt bin, ist aber auch deutlich dichter als ein Wohnzimmerkonzert. Das war gestern genau das richtige – und dazu die wunderschöne lyrische Stimme von Reiss, die mir vorher leider nicht bekannt war. Das änderte sich gestern so sehr, dass ich in der Pause gleich mal eine CD erstand, auf der unter anderem das gestrige Abendprogramm komplett drauf ist. Die CD läuft gerade, während ich tippe und ich freue mich erneut. (Ist auch auf Spotify.)

Ebenfalls vor der Pause gab es noch Infelice! von Mendelssohn, was mich ebenfalls überraschend gut abholen konnte. Eigentlich ist Romantik nicht so meins, erst recht nicht auf Italienisch, aber gestern passte einfach alles. Ich behaupte, es lag hauptsächlich an Reiss.

Nach der Pause kam dann die Mahler-Sinfonie, und da musste ich doch zugeben, dass ich gerne 80 Musiker*innen auf der Bühne gehabt hätte. Dem Percussionisten dabei zuzusehen, wie er die Becken nur ganz sanft aneinanderschlug, damit uns nicht allen das Trommelfell platzt, war doch ein bisschen schade. Also für den Percussionisten, nicht für unser Trommelfell. Aber gerade Mahler fährt ja gerne alles auf, was das klassische Instrumentarium so zu bieten hat, und das war gestern dann ungewohnt zurückhaltend. Tat aber trotzdem gut. Nur doof, dass man nach einem so schönen Abend von den oben erwähnten gepanzerten Fahrzeugen und den blöden Pollern wieder in die Realität geholt wird.

An der Synagoge brennen Kerzen und es lagen ein paar Blumen am Eingang, wenn ich richtig gesehen habe.

Montag, 18. März 2024 – Kirchner und kein Kokos

Einen netten Termin gehabt, überraschend einen Grossberg gesehen, hach, sowie einen Hofer und einen Kirchner.

Meal Prep gemacht, dafür eingekauft – und erst zuhause gemerkt, dass ich keine Kokosmilch mehr im Schrank hatte. Wie kann das bitte passieren? Daher also wieder mit eingeweichten Cashews und Nährhefe gearbeitet, was zwar okay ist, aber eine Dose Kokosmilch öffnet sich schneller.

Rest der Bohnensuppe von Sonntag verspeist, weiterhin hervorragend, auch wenn ich jetzt weiß, dass ich auf Artischockenherzen verzichten kann. Ich lerne jeden Tag etwas Neues.

Eine Verabredung getroffen, ansonsten am Schreibtisch vor mich hingepuschelt. Abends Käsebrot, weil Käsebrot großartig ist, vor allem wenn man im Schrank noch Gewürzgürkchen findet, wo man die Kokosmilch vermutet hatte.

Igor Levit war zu Gast im Hotel Matze.

Ich habe zu Weihnachten ein vermutlich sehr empfehlenswertes Buch bekommen, mit dem ich Schwierigkeiten habe, es durchzulesen, weil ich mich dauernd über den Inhalt aufrege. Es geht um Norbert Freis Im Namen der Deutschen. Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit 1949–1994. Jetzt gerade hänge ich auf der lausigen Seite 25 oder so fest, weil ich immer noch stinkig auf die Seiten 21/22 bin. Nicht wegen Frei, nicht wegen seines Schreibstils, sondern wegen der beschriebenen Geistesverfassung der jungen Bundesrepublik. Die mir ja klar ist, logisch, aber genau wie zur Zeit der Diss, wo mich jede NS-Quelle umgehauen hat, obwohl ich wusste, was in ihr drinsteht, hauen mich derzeit Quellen aus den Nachkriegsjahren um.

Im Buch geht es um die öffentlichen Äußerungen der Bundespräsidenten, hier muss man nicht gendern, was Frei kurz im Vorwort anspricht: „Seit dem Amtsantritt von Theodor Heuss im September 1949 ist die öffentliche Rede das zentrale politische Instrument des deutschen Staatsoberhaupts, und dabei wird es auch bleiben, wenn irgendwann eine Bundespräsidentin das Wort ergreift. Der Bundespräsident handelt, indem er spricht.“ (S. 7)

Frei lässt sein Buch mit Richard von Weizsäcker enden, „der, ebenso wie Scheel und Carstens, die Jahre des Zweiten Weltkriegs als Soldat erlebt hatte“, mit ihm „ging die Zeit der NS-Zeitgenossenschaft im Präsidialamt 1994 zu Ende; alle späteren Bundespräsidenten waren bei Kriegsende noch nicht erwachsen oder noch gar nicht geboren.“ (S. 8)

Auf S. 21/22 geht es um die Nürnberger Prozesse; Frei zitiert hier Heuss, der zur „kleinen Gruppe handverlesener Journalisten“ gehörte, die sich nach Kriegsende in Zeitungen äußern durften, nachdem der sogenannte Blackout, das vollständige Verbot deutscher Zeitungen, im Sommer 1945 von den Alliierten aufgehoben wurde.

„Zum Thema Nationalsozialismus hatte der Leitartikler Heuss erstaunlich wenig zu sagen; prinzipiell präsentierte er sich als die Stimme derer, die von sich glaubten, dem verflossenen Regime mit Distanz und Ablehnung begegnet zu sein. Entsprechend bekundete er angesichts des beginnenden Nürnberger Prozesses im Oktober 1945 ‚Enttäuschung, dass diese Abrechnung nicht von Deutschen selbst vorgenommen werden kann‘. (Ganz ähnlich dachte, ohne dass er Gelegenheit gehabt hätte, dies damals zu publizieren, der junge Richard von Weizsäcker.) Mit frappierender Direktheit nahm Heuss jene post-volksgemeinschaftliche Stimmung auf, die Besucher wie Hannah Arendt bei ihren Reisen im Nachkriegsdeutschland so empörte: ‚Hat die „Welt“ ein Interesse, ein Recht, Ruchlosigkeiten und Gesetzesverletzungen einer Bestrafung zuzuführen, wie viel mehr das deutsche Volk, das in Einzelschicksalen und Massennot das eigentliche Opfer einer verderblichen Politik geworden ist. Wir müssten die Ankläger sein, wir müssten die Richter stellen!‘ (S. 21/22)

Norbert Frei: Im Namen der Deutschen. Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit 1949–1994, München 2023.

Sonntag, 17. März 2024 – Croissants und Bohnen

Ausgeschlafen. Gemeinsam gefrühstückt, ich hatte extra Samstag noch vom Brantner Croissants geholt, die sind selbst einen Tag alt besser als die von den anderen Bäckereien um mich herum. Es gab außerdem Cannelés, auch gleich mal drei mitgebracht, sehr genossen. Wie immer nach Fine-Dining-Abenden ewig über den Fine-Dining-Abend geredet. Außerdem immer noch über „Die Passagierin“ – wir haben schon Karten für eine weitere Aufführung, das müssen wir noch einmal sehen. Sollten Sie auch tun.

Ansonsten einen faulen Sonntag eingelegt, nichts gemacht außer mich auf ein heutiges Gespräch vorbereitet. Viel gelesen, ein bisschen Bohnensuppe aus den Meal Plans gekocht, die – natürlich – auch wieder weitaus spannender war als das Wort „Bohnensuppe“ vermuten lässt. Gerne wieder.

Samstag, 16. März 2024 – Alois und Rosina


Die Feierlichkeiten begannen alleine und etwas low key, aber sehr schmackhaft.


Ich schenkte mir selber Blumen, freute mich über eine Karte einer Leserin und natürlich auch total über die von F. („Ich wollte was aus dem 19. Jahrhundert und hier ist eine Frau mit Büchern, die etwas genervt guckt.“)

Ich freute mich außerdem über ein Buch von Klaus Kinold und über eins von Hermann Kesten, das ich selbst antiquarisch bestellt hatte und das genau am Geburtstag kam. Fühlte sich daher wie ein Geschenk an, so einfach geht’s.

Außerdem gab es je eine Tafel Noisette und Salzkaramell aus dem Tantris – und einen Schokodrachen. Ich liebe diese Fabelwesen, die nicht nur außen am Gebäude zu sehen sind, sondern auch innen aus den Wänden kommen und von denen jeweils eins auf jedem Tisch steht. Kann ich natürlich nicht essen, wird jetzt ewig auf dem Küchentisch stehen. Also bis zum Hochsommer oder dem ersten Heißhungeranfall, wenn keine Schokolade mehr im Haus ist und ich nicht mal Lust habe, schnell ein Marmorküchlein zu backen.

Abends wurde ich ins Alois ausgeführt, das ist mein Liebling in München. Dort wurde vor kurzem aus dem Chefkoch Natmessnig die Chefköchin Rosina Ostler, bei der wir noch nie gegessen hatten. Das ist keine Reinfallenlassenküche wie von Natmessnig, das war etwas verkopfter, aber genauso genussreich. Ich bin schockverliebt und muss ganz dringend wieder Geburtstag haben.

F. nannte die Abfolge von Jakobsmuschel, Hummer und Steinbutt eine „murderous row“. Wieder einen Sportbegriff gelernt und ja, das nicke ich ab. Die Jakobsmuschel hatte eine schlicht unglaubliche Konsistenz. Mein persönlicher Lieblingsgang war der Steinbutt, bei dessen Sauce ich gefühlt nach dem ersten Geschmack noch einen weiteren und dann noch einen und dann noch einen im Mund hatte, das hörte gar nicht mehr auf mit den Aromen.

Daher gab es zum Abschluss auch gleich zweimal Cognac pro Nase, das hatte der Abend aber sowas von verdient.

Freitag, 15. März 2024 – Zwei Kirchen nicht gesehen

Die Auscheckzeit im Hotel bis zum Schluss ausgenutzt und den Vormittag arbeitend im Zimmerchen verbracht. Nachmittags ein netter Termin und dann ging es schon wieder zurück nach München, leider nicht erneut im schicken ICE neo, sondern in einem gewohnten mit blauem Plastik. Die eine Fahrt hat mich viel zu sehr verwöhnt, ich wimmerte die ganze Zeit innerlich vor mich hin. Dann saß ich auch noch auf der falschen Zugseite für den Kölner Dom, und abends war es in Ulm schon zu dunkel, um wenigstens das Münster noch erkennen zu können. Aber: mal neben der Wuppertaler Schwebebahn vorbeigefahren, das war schön.

Der empfehlenswerte Newsletter „Reportagen aus der Vergangenheit“ hat heute ein Stück von Joseph Roth: „20 Minuten vor dem Krieg (1926)“ – „heute geht Joseph Roth im Jahr 1926 ins Kino und schaut sich Filme aus der Vorlesungszeit und dem Kaiserreich an.“

(Vorlesungszeit?)

Donnerstag, 14. März 2024 – Zug und Chip

Ich saß gestern recht lange in einem Zug, aber dafür in einem sehr schicken: im ICE 3neo. Ich fahre seit Ewigkeiten in der 1. Klasse, daher kann ich nur über die berichten, aber statt des blöden blauen Plastiks gibt es jetzt warmes Holz(imitat?) und graue Sitze, die sich sehr gut anfühlen und auf denen man nicht so rumrutscht wie auf dem blaugrauen Pseudoleder. Auch die mobilfunkfähigen Scheiben scheinen zu funktionieren: Ich hatte nie weniger als 5G, selbst in den ewig langen Tunneln um Stuttgart herum.

Heute fahre ich schon wieder zurück und befürchte, wieder in einem alten ICE sitzen zu müssen. Das ist nicht fair! Jetzt habe ich mich doch schon an das schicke Ding gewöhnt!

Sowohl das Museum Ostwall als auch das Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Dortmund haben Plastikchips vorrätig, mit denen man die Schließfächer für Jacken und Rucksäcke entsperrt. Als Museums- und Bibliothekenprofi habe ich natürlich immer eine 1- und eine 2-Euro-Münze in der Hosentasche, aber das ist mal eine praktische und besucher*innenfreundliche Idee.

Wahrscheinlich habe ich mir gestern einen Sonnenbrand geholt, ich bin dieses rheinische Wetter nicht gewöhnt.

Mittwoch, 13. März 2024 – App und Web

Den ganzen Tag die Bahn-App aktualisiert, man weiß ja nie.

Der Projektpreis des Deubner-Preises geht 2024 an Nora Kaschuba und Jule Lagoda (beide M.A.) an der TU Dresden für die Website Art in Networks — The GDR and its Global Relations. Bitte mal reinklicken.

(via @Georg Schelbert)

Max und seine Zwillinge suchen vier Zimmer in München. Wer etwas weiß, bitte bei ihm melden: Nette Vermieter gesucht!

Wenn ich eine Wohnung hätte, würde ich sie den dreien geben.

Dienstag, 12. März 2024 – Erste Sätze

Durchgelesen: Ingrid Strobls Vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich.

Strobl starb im Januar 2024, vermutlich bin ich durch einen der Nachrufe auf dieses Buch gestoßen, in dem sie dreißig Jahre nach ihrer gut zweieinhalbjährigen Inhaftierung in München und Essen über diese Zeit schreibt. Dabei reflektiert sie in Einschüben ihre eigenen Erinnerungen und ordnet quasi ihren Text neu ein. Sie schreibt über die Bücher und die Musik, die ihr halfen, sowie die Arbeit an ihren eigenen Büchern. An einem Text knabbert sie ewig, weswegen ich den gleich mal aus der Stadtbücherei lieh: Die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss. Ich wusste ja, dass das nicht die leichteste Lektüre wird und auch nicht das schmalste Buch ist, aber ich ahne, dass ich das nicht in drei Wochen durchlesen werde. Wenn überhaupt. Sieht mir eher nach einem Buch für die Rente aus.

Aber den ersten Satz fand ich schon mal gut:

„Rings um uns hoben sich die Leiber aus dem Stein, zusammengedrängt zu Gruppen, ineinander verschlungen oder zu Fragmenten zersprengt, mit einem Torso, einem aufgestützten Arm, einer geborstnen Hüfte, einem verschorften Brocken ihre Gestalt andeutend, immer in den Gebärden des Kampfs, ausweichend, zurückschnellend, angreifend, sich deckend, hochgestreckt oder gekrümmt, hier und da ausgelöscht, doch noch mit einem freistehenden vorgestemmten Fuß, einem gedrehten Rücken, der Kontur einer Wade eingespannt in eine einzige gemeinsame Bewegung.“

Auf Mastodon poste ich gerne #ErsteSätze aus den Büchern, die ich in der Hand habe. Einfach mal nach dem Hashtag gucken.

Montag, 11. März 2024 – Nachwehen

Den ganzen Tag weiter über die Opernaufführung vom Sonntagabend nachgedacht, viele DMs mit F. ausgetauscht. Er schickte Rezensionen zurück, unter anderem die Münchner Abendzeitung, die SZ und die FR. Die wohlwollende Besprechung in der FAZ ist noch nicht online, aber heute im Blatt.

Am Samstag hatte ich Volker Weidermanns Ostende 1936. Sommer der Freundschaft durchgelesen. Das ging viel zu schnell, das las sich zu gut weg, ich bestellte quasi während des Lesens auf Booklooker diverse alte Bücher, auf die sich Weidermann bezog oder die er erwähnte.

An eine Stelle musste ich während der Oper denken bzw. danach, als ich wieder denken konnte:

„Und deswegen will Hermann Kesten vor allem das bei ihrem Gespräch in Brüssel von ihr [Irmgard Keun] wissen: Wie ist es in Deutschland heute? Wie schlimm ist es? Wie ist die Stimmung unter den vernünftigen Menschen? Gibt es Hoffnung, Anzeichen dafür, dass es endet, irgendwann? Sie erzählt lebendig, originell und anschaulich, ja. Aber was sie erzählt, ist im Grunde fürchterlich und bietet keinerlei Hoffnung auf ein Ende. Sie erzählt ‚von einem Deutschland, in dem Kolonialwarenhändler und Feldwebelwitwen Nietzsches Philosophie vollstreckten. Einem Deutschland mit unfrohen rohen Gesängen und drohenden Rundfunkreden, mit der künstlichen Dauer-Ekstase von Aufmärschen, Parteitagen, Heil-Jubeln und Feiern. Ein Deutschland voll berauschter Spießbürger. Berauscht, weil sie es sein sollten – berauscht, weil man ihnen Vernunftlosigkeit als Tugend pries – berauscht, weil sie gehorchen und Angst haben durften, und berauscht, weil sie Macht bekommen hatten.‘“

Volker Weidermann: Ostende 1936. Sommer der Freundschaft, München 2015, S. 62/63.

Sonntag, 10. März 2024 – Lisa und Marta

F. und ich saßen in der Premiere der Oper „Die Passagierin“ von Mieczysław Weinberg. Das Libretto stammt von Alexander W. Medwedew nach dem gleichnamigen autobiografischen Roman „Pasażerka“ von Zofia Posmysz, einer polnischen Widerstandskämpferin und Auschwitz-Überlebenden. Die Oper wurde bereits Ende der 1960er Jahre fertiggestellt, kam aber erst in den 2000er Jahren zur Aufführung. Die Inszenierung in München ist die erste nach dem Tod der Autorin, wie Regisseur Tobias Kratzer erwähnt:

„Posmysz war bei der konzertanten Uraufführung 2006 in Moskau anwesend, bei der szenischen Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen 2010, und sie war es bei den Produktionen in Frankfurt, Gelsenkirchen und Graz. Die Geschichte, die so sehr auf ihren autobiografischen Erlebnissen beruht, konnte an all diesen Orten auf eine Art und Weise „mit ihr“ rezipiert werden.“

Die Handlung lässt sich in der oben verlinkten Wikipedia gut nachlesen, kurz zusammengefasst schreibt die Bayerische Staatsoper: „Die Handlung umfasst zwei Zeitebenen: Die Rahmenhandlung ist auf einem Transatlantikschiff um 1959/60 angesiedelt; Rückblenden führen in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz 1943/44. […] Lisa ist Passagierin auf einem Schiff. Zusammen mit ihrem Ehemann Walter, einem deutschen Diplomaten, überquert sie den Atlantik. Beide sind froh, ihre Heimat Deutschland und damit die Vergangenheit der Kriegsjahre hinter sich lassen zu können. […] In einer Passagierin glaubt Lisa Marta wiederzuerkennen, eine ehemalige Insassin im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Lisa war ebenfalls in Auschwitz – als Mitglied der SS und Aufseherin. Lisa hat Walter bis zu diesem Zeitpunkt ihre Taten im KZ verschwiegen.“

Wenn ich die Werkgeschichte richtig verstanden habe, wurde bisher das KZ Auschwitz auch auf der Bühne gezeigt. In der Neuinszenierung wurde darauf verzichtet und den zwei Zeitebenen noch eine dritte, nämlich die heutige, hinzugefügt. Dieser Blogeintrag wird keine ausführliche Rezension, ich sammele mich immer noch, möchte euch aber schon dringend einen Besuch der Oper ans Herz legen. Auch wenn es schwierig wird, danach noch irgendeine andere Oper anzuschauen, wie F. gestern meinte: „Was soll jetzt noch kommen?“ Das frage ich mich seitdem auch. Klar kann man entspannt im „Rigoletto“ sitzen und sich zupuscheln lassen, aber was politische Inszenierungen angeht, liegt die Messlatte jetzt sehr hoch.

Es war äußerst seltsam, sich dem Thema Holocaust musikalisch und auf einer Opernbühne zu nähern. Ich wusste natürlich, worum es geht, bevor wir im nicht ausverkauften Saal Platz nahmen (was geht, München?!? Sonst kriegt man doch nie Premierenkarten!). Aber ich zuckte trotzdem ziemlich zusammen, als mir das Wort „Auschwitz“ erstmals gesungen unterkam. Zum zweiten Mal zuckte ich, als die Lebenslüge der jungen Bundesrepublik (und in Teilen der DDR) gesungen wurde: Lisa gesteht ihrem Mann Walter, einem Diplomaten der Bundesrepublik, dass sie als Mitglied der SS Aufseherin in Auschwitz gewesen war. Seine Reaktion, ich paraphrasiere launig, um das Thema mal kurz von mir wegzuschieben: „OMG wenn das rauskommt, meine Karriere ist im Eimer.“ So wenige Zeilen und so auf den Punkt – die Opfer sind egal, aber was ist denn mit uns, den braven Tätern, die ja nur Befehle ausgeführt haben? Uns geht’s doch auch nicht gut!

Es klingt im letzten Absatz an: Das ging mir alles deutlich näher, als ich erwartet hatte, weil es bei mir gerade sehr weit geöffnete Türen einrennt. Auch deswegen fand ich die Inszenierung extrem gelungen, denn das hätte ein moralinsaures Lehrstück werden können. Wurde es aber wegen des guten Bühnenbilds und vieler kleiner Details nicht.

Der erste Akt spielt komplett auf dem Kreuzfahrtschiff. Im Buch steht, copypaste aus der Wikipedia:

„Zweites Bild [des ersten Akts[. Appell in Auschwitz. – In Auschwitz beklagen sich SS-Führer über die Langeweile im Lager und die Schwierigkeit, die ihnen die Beseitigung der anfallenden Leichen bereitet. Sie trösten sich mit der Gewissheit, den Willen des Führers zu erfüllen: „Wir säubern die Erde für das große Deutsche Reich. Hier in Auschwitz machen wir Geschichte“.“

Wir sehen Auschwitz aber nicht, auch nicht angedeutet. Die SS-Leute sind hier Touristen in heutiger Kleidung, die entspannt auf dem Sonnendeck ein Bierchen zischen. Allein der Text (als deutsche und englische Übertitel lesbar) macht deutlich, wo wir sind und um was es gerade geht. Und diese Regieentscheidung fand ich hervorragend. Ich muss keine mehrstöckigen Betten sehen oder gestreifte Kleidung, die Chiffre „Auschwitz“ reicht schon, um Bilder in meinem Kopf zu aktivieren. Wir alle haben diese Bilder im Kopf. Dass die Herren heutige Kleidung tragen, hat für mich deutlich gemacht, dass Unmenschlichkeit, auch in diesem Ausmaß, jederzeit wieder passieren kann und dass jede*r zu einem Unmensch werden kann. Eine simple Umsetzung, aber ich fand sie gelungen.

Als der Vorhang zur Pause fiel, wollte ich nicht klatschten, ich war zu erschlagen von der Stunde eben. Was mir in der Oper noch nie passiert ist: Mir fiel die Musik kaum auf. Ich war so mit dem Text, dem Inhalt und den Bildern auf der Bühne beschäftigt, wo sich gut gekleidete Menschen über den Abgrund unterhalten, dass ich die Musik nur als Untermalung wahrnahm. Damit tue ich Weinberg vermutlich Unrecht, aber auch das überraschte mich beim Nachdenken. Ich war auf anstrengende Zwölftonmusik vorbereitet, fand die Musik in ihrer Spannung aber genau passend. Dass sie – für mich! – so unterging, irritiert mich immer noch.

Im zweiten Akt war sie aber deutlicher. Ich befürchtete die ganze Pause, dass auf der Bühne nun doch das Konzentrationslager zu sehen war, aber nein, das geht auch subtiler: Die Bühne stand mit weißgedeckten Tischen voll, alle schön in einer Reihe, gnadenlos in die Tiefe der Bühne hinab. Ich musste an die Schienen denken, die nach Auschwitz führen. Auf den Tischen standen perfekt ausgerichtet Teller und Gläser, die bei manchen Beleuchtungssituationen fast unangenehm strahlten; sie erinnerten mich in ihrer starren Ausrichtung an die Morgenappelle, die die Häftlinge teilweise stundenlang über sich ergehen lassen mussten. Ich stellte mir die Tische auch von oben vor und sah den Grundriss des Lagers vor mir mit seinen vielen Baracken, schön brav rechtwinklig, alles in Reih und Glied.

In diesem angedeuteten Ballsaal des Schiffes findet der komplette zweite Akt statt. Ich kam wieder aus dem Zucken nicht heraus, sowohl beim Text als auch bei inszenatorischen Details. Ein SS-Mann singt:

„Unser Kommandant ist ein großer Musikkenner, er hat die beste Geige angefordert. In meinem Trupp haben sie einen berühmten Musiker entdeckt und ihm befohlen, den Lieblingswalzer des Komponisten einzuüben. Er soll spielen, bevor er sich in Rauch auflöst. So ist er noch zu was nütze.“

Im Programmheft der Staatsoper steht das komplette Libretto, einschließlich der herausgekürzten Passagen, die eingegraut abgedruckt sind. Guter Job. Ich zuckte: Als die SS-Mannschaft, nun als Bordcrew des Dampfers kostümiert, zum Captain’s Dinner eine Torte mit auf die Bühne bringt, auf der eine Kerze steckt. Den Rauch der Kerze sieht man von links auf die Bühne wallen, bevor die Truppe hereinkommt. Zufall? Ich glaube nicht.

Ein weiteres Mal zuckte ich aus anderen Gründen: Lisa erniedrigt Marta, indem sie deren blaues Kleid zerreißt (die Lagerinsassinnen tragen alle schlichte, blaue Kleider). Darstellerin Elena Tsallagova singt daraufhin mehrere Minuten mit nacktem Oberkörper, und bei weiblicher Nacktheit auf der Bühne bin ich immer sofort aus dem Stück raus, weil ich darüber nachdenke, ob das jetzt sinnvoll ist oder wieder nur Scheiß eines männlichen Regieteams. Ist es hier immerhin. Lisa drängt Marta und Tadeusz, der „berühmte Musiker“, der zugleich Martas Verlobter ist, zu sexuellen Handlungen und spiegelt damit eine Szene aus dem ersten Akt, wo sie und Walter sich einander körperlich zuwenden. Das geschieht natürlich deutlich liebevoller und zärtlicher und insofern kann ich diese Nacktheit abnicken. (Nervt mich trotzdem immer, aber das ist mein persönliches Problem.)

Ein weiteres Detail, das mir in dem Akt aufgefallen ist: Die Insassinnen singen gemeinsam und werden dann nach und nach von SS-Schergen erschossen. Sie liegen auf und neben den Tischen, als plötzlich der komplette Chor in Ballgarderobe aus dem Hintergrund der Bühne auftaucht, alle Plätze an den Tischen besetzt und sich mit den Gläsern zuprostet. Sie steigen ungerührt über Leichen und trinken Sekt, während ein Körper zwischen ihnen liegt. Das bewusste Beschweigen und Ignorieren des Unrechts der Tätergesellschaft sowie die Machtlosigkeit der Opfer in der Nachkriegszeit und bisweilen bis heute habe ich noch nie so simpel und so überzeugend präsentiert bekommen.

Es gibt immer wieder Sätze, die mich kurz die Luft anhalten ließen: Wenn Lisa sich darüber beklagt, dass die Insassinnen sie trotz ihrer kleinen freundlichen Gesten irgendwie nicht nett fanden: „Sie waren alle blind vor Hass.“ Wer war hier blind vor Hass, verdammte Axt? F. so: „Subtil ist die Kunstform Oper ja nicht gerade.“ Nein, ist sie nicht, aber anscheinend kommen wir mit Subtilität und Gedenktagen und Geschichtsunterricht nicht weiter. So habe ich auch eine der letzten Szenen vor dem Epilog verstanden, wo einer der Ballgäste einen kleinen Fernseher auf die Bühne schiebt, auf dem Lisa, nun alleine im dunklen Saal, auf einer 30-Zentimeter-Bildschirmdiagonale Aufnahmen aus Auschwitz ansehen muss. Der Fernseher ist in Richtung Publikum gerichtet, wir sehen diese Bilder auch. Ich konnte sie aus der sechsten Reihe erkennen, und ich möchte glauben, dass auch die letzte Reihe im vierten Rang sie erkannt hat. Erneut: Wir alle haben diese Bilder im Kopf. Wir fragten uns allerdings schon, ob das ein bisschen ein Cop-out vor dem nörgeligen Publikum der Hauptstadt der Bewegung war: Man hätte das Ganze natürlich auch als Video über die ganze Bühnenbreite projizieren können. Ich behaupte, dieser kleine Fernseher, vor dem eine einzige Frau sitzt, ist genau das Gegenteil von Cop-out: Es liegt an jedem einzelnen, sich mit unserer Geschichte auseianderzusetzen. Und das ist mir inzwischen nicht genug. Es setzt sich eben nicht jede*r damit auseinander, sonst hätten wir keine 30 Prozent AfD-Wähler*innen. Es ist unsere verdammte gesamtgesellschaftliche Verantwortung, dieses Wissen in jeden einzelnen Kopf reinzukriegen. Es ist unsere Verantwortung, wieder dafür zu sorgen – oder überhaupt mal dafür zu sorgen –, dass Faschismus keine alternative Politik sein kann, dass Parolen aus dieser Zeit verachtenswert sind, dass Menschen, die diese Parolen verbreiten, keine cleveren Politiker*innen auf TikTok sind, sondern dafür zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Mit all der Härte, die der Staat gerade für RAF-Rentner*innen aufbieten kann, ohne dass ich jetzt hier Äpfel und Birnen vergleichen oder die Taten der RAF rechtfertigen will.

Nein, die Oper macht keinen Spaß, „Turandot“ – und selbst Wagner, ausgerechnet – sind deutlich entspannender, und man ist nach den gut zweieinhalb Stunden sehr schlecht gelaunt. Auf eine seltsame Weise dann aber auch nicht, denn es hat mich sehr glücklich gemacht, diese Kunst ansehen und anhören zu können. Wie erwähnt, liegt die Messlatte nun sehr hoch für weitere tagesaktuelle Inszenierungen. Mein großer Respekt und Dank an des Regieteam, von dem ich bisher noch keine einzige schlechte Inszenierung gesehen habe. Die nächste wird eine alte sein: Wir haben Karten für den „Tannhäuser“ von Kratzer und Team im August in Bayreuth, den ich schon mehrfach gesehen habe. Im Moment fühlt es sich so an, als könnte das mein letzter Wagner sein, den ich bisher immer verteidigt habe. Aber vielleicht war die gestrige Oper das letzte Argument, von diesem Komponisten nun doch mal Abschied zu nehmen. Auch das ist für mich ein überraschendes Ende dieses Opernabends.

Die Premiere wurde von BR Klassik übertragen, ihr könnt sie noch anhören.

Samstag, 9. März 2024 – Wordle und Strands

Am Freitag hatte ich einen unerwarteten Wordle-Erfolg: Mein übliches Startwort war das Lösungswort, weswegen ich das Rätsel logischerweise in einem Zug lösen konnte.

Die NYT, bei der ich als Abonnentin Wordle spiele, hat gerade ein neues Spiel in der Beta-Phase: Strands. Der Atlantic beschreibt, warum es so gut ist, vergleicht es mit Wordle und Connections, einem anderen NTY-Spiel und berichtet gleichzeitig ein bisschen was zur Historie von Spielen auf Zeitungsseiten:

„The word search is perhaps the lowest form of puzzle. As a staple of Highlights magazines and family-restaurant placemats, its purpose is to use up time, quietly. Stare at a grid of letters and find, amid them, a list of indicated words. Is this fun? It is not. The word search is paperwork, but for kids.

Over the years, many have tried to improve the puzzle, to make it more mature. Boggle, introduced in 1972, made word search competitive. SpellTower, a 2011 smartphone game, made it strategic. And now this week, The New York Times has put out Strands, the newest product in its games empire. Strands adds two new features to the classic place-mat game: The player must guess the words to find in each scramble based on a cryptic theme, and the scrambled words, which can bend in any direction, are arranged to use up the entire letter grid. These changes may not sound so transformational, but in the context of a word search, they’re a revelation. Many of the best games succeed by offering a novel take on something familiar. Strands does exactly that. […]

Not so long ago, newspaper puzzles seemed on the verge of extinction. As I argued with my colleagues Simon Ferrari and Bobby Schweizer in our 2010 book, Newsgames, the print media had made the very strange decision to cede a large market for daily puzzling to mobile-game developers such as PopCap, the maker of Bejeweled. Newspapers, we observed, had forgotten that readers needed to be welcomed into the daily news—which is mostly bad news. A friendly and comforting ritual would do the trick: the sports, the weather, the comics, the crossword. But companies like the Times had not yet bothered to translate that function effectively from print to web (or app), so others had taken it from them—and made billions of dollars. The news business got Candy Crushed.

Now that trend has been reversed. The Times’ revival of newspaper games, which really took off with the acquisition of Wordle in 2022, has helped bring in huge amounts of premium-subscription revenue, according to the company. Jonathan Knight, the paper’s head of games, told me that tens of millions of people play Wordle every week, and almost half as many play Connections. Success for a newspaper game, to Knight, means players “coming back to it every day.” The ritual is the thing.“