Pumpkin Pie

Dieser Eintrag ist einer von der Sorte, die ich in anderen Kochblogs nur bedingt ertrage: erstmal ne Riesengeschichte erzählen und zum Schluss drei Zeilen Rezept. Deswegen mache ich das recht selten, aber bei Pumpkin Pie (einem weiteren Lebensmittel, bei dem ich mich weigere, es deutsch auszusprechen) muss das sein. Weil.

Ich habe ein kleines, blaues Ringbüchlein. Es ist nicht einmal postkartengroß, und darin klebe ich ausgewähltes Zeug ein: Erinnerungen an Reisen, schöne Momente, Menschen. Das Büchlein habe ich 1992 angefangen; was auf dem Foto aus dem Buch lugt, sind zum Beispiel ägyptische Pfund-Noten, eine chinesische Telefonrechnung, ein Abriss einer papiernen Frühstücksunterlage aus Israel, auf der ein paar hebräische Vokabeln stehen. Das Ticket der White Star Line, mit dem ich in London durch die Titanic-Ausstellung gegangen bin. Und ein Begleitzettel der Landesbibliothek Hannover, der im letzten Buch lag, das ich jemals für mein Studium ausgeliehen habe und auf dem eine Notiz von mir steht, ein Stück aus einem Songtext von Jackson Browne, Sky Blue and Black:

“Where the touch of the lover ends,
And the soul of the friend begins,
There’s a need to be separate and a need to be one
And a struggle neither wins“

Ein Stück Papier liegt mir besonders am Herzen: ein Einkaufsbeleg von meiner ersten Reise nach Amerika, bei der ich Karl besucht habe. Auf diesem Beleg ist als letzter Posten ein Kürbiskuchen eingebont – der erste, den ich jemals gegessen habe und für mich ein typisch amerikanisches Gericht. Das war für mich damals etwas ganz Besonderes, und das ist es bis heute, wahrscheinlich weil ich mich immer daran erinnern werde, wie ich mit Karl einkaufen war, in seinem Lieblings-Scott’s, wie wir in seinem türkisfarbenen Civic nach Hause gefahren sind, es uns auf seinem Sofa gemütlich gemacht, die Rosie-O’Donnell-Show geguckt haben und ich eben meinen ersten Pumpkin Pie gegessen habe – natürlich mit fieser Fertigsahne, die auch auf dem Beleg zu finden ist.

Nicht jedes Essen hat eine Bedeutung. Das hier hat eine. Wenn auch nur für mich. Ich habe danach nie wieder Kürbiskuchen gegessen, nicht mal bewusst, einfach weil ich ihn mit einem besonderen Moment und einem besonderen Menschen verbinde. Und jetzt, wo ich knapp fünfzehn Jahre später Gefühle von damals wiedererwecken kann, mit ein paar kleinen Zutaten, weiß ich nicht, ob ich mich darüber freuen sollte oder nicht. Weil ich schon beim Essen geflennt habe, genau wie jetzt beim Aufschreiben.

Das Rezept stammt von USA Kulinarisch. Ich hatte von meiner Kürbispolenta noch etwas Kürbis übrig – so bin ich überhaupt auf die doofe Idee mit dem Kuchen gekommen –, allerdings nur ein Drittel der Menge, die das Rezept gerne hätte. Für eine 18-Zentimeter-Springform war es perfekt. Hier ist das Rezept für eine 26er:

Aus

250 g Mehl,
1/2 TL Backpulver,
75 g Zucker,
1 Ei und
125 g kalter Butter

einen Mürbeteig herstellen. In Klarsichtfolie einwickeln und für mindestens eine halbe Stunde im Kühlschrank ruhen lassen. Dann ausrollen und die Springform damit auskleiden. Einen Rand von ungefähr drei Zentimeter Höhe basteln. Für die Füllung Folgendes mischen:

350 g Kürbispüree (ich habe dafür die Kürbisstücke bei 200 Grad für circa 45 Minuten im Ofen gebacken und danach püriert),
150 g brauner Zucker,
1/2 Teelöffel frisch geriebener Ingwer,
1/2 TL frisch geriebene Muskatnuss,
1 TL Zimt,
1 Prise gemahlene Nelken,
2 EL Zuckerrübensirup,
3 Eier und
200 bis 250 ml Schlagsahne.

Die Mischung auf dem Boden verteilen und alles im auf 180° vorgeheizten Ofen für circa 45 Minuten backen.

Der Kuchen hat genauso geschmeckt wie ich ihn aus Amerika in Erinnerung hatte: angenehm zimtig, aber nicht nach Weihnachten und nicht zu süß. Auch die weiteren Gewürze waren sehr rund und ausgewogen. Ich weiß trotzdem nicht, ob ich den Kuchen nochmal zubereiten möchte. Ich bin überrascht davon, wie nahe mir Essen kommen kann. Also nicht in dem Sinne, dass es böse ist, so wie mir jedes Essen bis vor einem Jahr vorgekommen ist. Sondern im Sinne von: Ach guck, den Schmerz hattest du schon wieder vergessen können. Nimm noch ne Gabel, vielleicht wird’s dann besser.

Wird’s nicht.