Nicht beim Frühstücken anklicken

Lu definiert den Begriff „Katzeninhalt“ völlig neu.

(tschuldigung)

Extremely Loud & Incredibly Close

Seit ein paar Tagen in der Mache: Extremely Loud & Incredibly Close von Jonathan Safran Foer. Ich kann zu dem Buch noch nicht viel sagen, außer dass es sich ziemlich spannend anliest. Was mir aber aufgefallen ist, sind die kleinen Referenzen, die erstmal nach gar nichts klingen, aber dann plötzlich funktionieren, weil einem Dinge oder Geschehnisse einfallen, die nicht mal annähernd im Text vorkommen, die aber wahrscheinlich jeder von uns im Hinterkopf hat. Das Buch spielt in New York, und ein Absatz einer Anrufbeantworternachricht lautet folgendermaßen:

Message one. Tuesday, 8:52 A.M. Is anybody there? Hello? It’s Dad. If you’re there, pick up. I just tried the office, but no one was picking up. Listen, something’s happened. I’m OK. They’re telling us to stay where we are and wait for the firemen. I’m sure it’s fine. I’ll give you another call when I have a better idea of what’s going on. Just wanted to let you know that I’m OK, and not to worry. I’ll call again soon.

Reicht schon. Jeder weiß, dass Dad es nicht mehr nach Hause schaffen wird. Mich fasziniert dieses globale Wissen, das jeder bei bestimmten Daten oder Namen sofort abrufen kann. Wenn irgendwo aus heiterem Himmel der Satz vorkommt „Am 9. November war ich in Berlin“, weiß jeder, wohin die Geschichte geht. Wobei diese Geschichte wohl eher ein positives Ende hat. Der Ausschnitt aus Extremely Loud & Incredibly Close dagegen wirft sofort einen Schatten auf den weiteren Fortgang der Geschichte. Nur durch die Erwähnung einer Uhrzeit und der Tatsache, dass man auf die Feuerwehr wartet.

Spooky.

Benimm dich, du Sau!

Wer nicht genau weiß, wohin mit der Serviette bei Tisch oder wieso man eigentlich pünktlich zum Essen zu erscheinen hat, für den gibt es jetzt ein gar schönes Buch mit ganz tollen Regeln, die keinem Reimschema gehorchen. Ich verlinke dieses Meisterwerk natürlich nicht, weil ich auch (geringfügig) daran mitgearbeitet habe, sondern aus reiner Nächstenliebe. Und weil ich nicht will, dass mir mein ungebildeter Tischnachbar mit seiner Gabel mein Auge aussticht.

We will rock you Who let the dogs out Keep on running oder: Warum Frau Gröner diese Songs in den nächsten zwei Wochen nicht mehr hören will

Frau Gröner war nämlich beim American Football und ist jetzt taub. Genauer gesagt war Frau Gröner beim Spiel der Hamburg Sea Devils („Gooooo, Sea Devils, ready to rock, ready to roll“ – wenn ich den Vereinssong richtig verstanden habe) gegen Düsseldorf Rhein Fire, meine heimlichen Lieblinge der NFL Europe, weil die die schönsten Trikots haben. Und viel bessere Cheerleader („Pyromaniacs“) als die langweiligen Sea Pearls.

Ich war vor ungefähr 15 Jahren das letzte Mal in einem Fußballstadion, und das nicht mal zum Fußball. Genesis spielten damals im Niedersachsenstadion, und ich Weichei hatte Tribünenkarten, nachdem ich das Erlebnis Innenraum bei Michael Jackson nicht sonderlich genossen hatte. Ich erinnere mich, dass man wahnsinnig weit weg vom Geschehen saß. Umso mehr war ich über das Innere der AOL-Arena (formerly known as Volksparkstadion) begeistert, wo ich auch auf der Tribüne saß, aber trotzdem das Gefühl hatte, fast direkt am Rasen zu sitzen. Die Ränge sind ziemlich steil angeordnet, so dass man vielleicht etwas weiter oben sitzt als in „klassischen“ Stadien, aber dafür eben auch näher dran.

Die NFL Europe ist so eine Art Trainingslager für US-Talente, die in der Sommerpause der NFL ein bisschen Spielpraxis kriegen sollen. Und deshalb wurden vor dem Spiel sowohl die deutsche als auch die amerikanische Hymne angestimmt. The Star-Spangled Banner wurde vierstimmig und sehr schmissig von einer mir nicht bekannten Boygroup aus Hamburg dargeboten. An der deutschen Hymne versuchte sich laut Stadionsprecher ein Tenor, der seit 30 Jahren an der Hamburger Oper singt. Wahrscheinlich hat er in dieser Zeit noch nie das Deutschlandlied singen müssen, denn er hat es trotz Zettel in der Hand nicht geschafft, den Text fehlerfrei hinzukriegen. „Sind des Glückes Unterpfand“ ist aber auch ne echt schwere Zeile. Und die Melodie ist auch nicht ohne, ich weiß. (Oh Mann.)

Ich habe mich im Publikum recht wohl gefühlt, auch weil ich zum ersten Mal nicht das Gefühl hatte, mein Shirt erklären zu müssen. Zur Feier des Tages habe ich mein Indianapolis Colts-Shirt mit der 18 getragen. Generell waren neben vielen Blue Devils– und Sea Devils-Shirts viele Trikots von NFL-Mannschaften vertreten. Direkt vor mir saß ein Minnesota Viking, und drei Reihen weiter unten saßen die St. Louis Rams friedlich neben den San Francisco 49ers. Das Publikum kam mir jünger vor als ich den gemeinen deutschen Fußballfan einschätze, aber da kann ich mich irren. Da ein Football-Spiel ungefähr drei Stunden dauert, kann man doppelt so viel Bier in sich reinkippen als beim anderthalbstündigen Fußballmatch, was dazu führte, dass der Rückweg zur S-Bahn ziemlich lautstark von den üblichen Deppengesängen begleitet wurde, womit alle Unterschiede zum Fussi-Publikum wieder dahin wären.

Apropos Deppengesänge. Ich als Rudeltier fand es sehr schön, dass nach jedem Spielzug ein bisschen Schunkelmusik über die Lautsprecher kam, um das Publikum ja nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Und natürlich, damit die Cheerleader einen Rhythmus zum Mithüpfen hatten. In der Überschrift habe ich schon ein paar der Knaller aufgelistet, bei denen man schön mitgrölen konnte. Auch immer gerne durchs Stadion gejagt wurden Song 2, Kids, Let’s have a party, Highway to hell und – mein Liebling – bei gelungenen Spielzügen der Düsseldorfer Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern.

Ansonsten habe ich mich über die zwei debilen Maskottchen der Vereine amüsiert, die drei Stunden lang an den Seitenlinien rumgehüpft sind (the Studentenjob from hell), mich über die äußerst sauberen Toiletten gefreut und über den Mann mit der mobilen Zapfanlage auf dem Rücken, der per Schlauchpistole die 0,5l-Becher (im vollen Zustand stapelbar – dass ich das noch erleben darf) füllte. In den letzten 15 Jahren hat sich das Gebahren im Stadion doch arg gewandelt. Als ich vor 100 Jahren mit meinem Papa in Hannover mal Irland gegen UdSSR geguckt habe, musste man noch stundenlang am Getränkewagen anstehen. In der AOL-Arena rannten die ganze Zeit freundliche Verkäufer mit allerlei Backwerk und Zuckerzeug direkt vor meiner Nase rum. Kein Wunder, dass so viele Fans den obligatorischen Sportfan-Bierbauch vor sich hertragen. (Nein, mein Bauch ist ein Filmfan-Eisbauch.)

Wer dieses Erlebnis auch mal genießen möchte, kann das zum Beispiel am 30. April um 19 Uhr (Kick Off) tun. Dann empfangen die Sea Devils die Cologne Centurions und kriegen wahrscheinlich auf die Fresse. Macht aber nix. Das Spiel war mir vorgestern auch irgendwann egal. Ich fand’s einfach nett, ein bisschen mit der Masse mitzusingen, beim Touchdown hysterisch rumzuhüpfen und mir die Finger wund zu klatschen und den Cheerleadern bein Puschelschwingen zuzugucken. Ich bin in zwei Wochen wieder dabei. Und dann zieh ich mein Brett Favre-Shirt an.

(Ach so, Devils – Rhein Fire: 31:24.)

„Ich will dir eigentlich was Liebes sagen, aber ich glaube, ich muss rülpsen.“

Von den Alten lernen

Konfirmandenblase. Hat mein Opa immer gesagt, wenn meine Schwester und ich alle zehn Minuten lang aufs Klo gegangen sind.

Vogelkekse. So hießen bei meiner Omi Löffelbiskuits, weil Wellensittich Pitti die immer gekriegt hat. Ich sage immer „Ich muss noch Mascarpone und Vogelkekse einkaufen“, wenn ich Tirami Su machen will. Glücklicherweise nicht zum Verkaufspersonal. Das Wort Löffelbiskuit kommt mir bis heute schrecklich überkandidelt vor.

Tiet-Schört. Meine Omi konnte kein Englisch. Ich weiß zwar nicht, warum man T-Shirt nicht Ti-Schört aussprechen kann, aber ich kann Omi leider nicht mehr fragen.

Rockers. Sammelbegriff für Musiker aller Art. Ich erinnere mich, dass meine Oma mich einmal mit der BRAVO in der Hand abgefangen hat, auf deren Titelbild der Gitarrero von Barclay James Harvest abgebildet war, dessen Frisur größer war als sein Instrument. „Das sind doch alles Nichtsnutze, diese Rockers da. Wer sone Haare hat, kann doch nich richtich im Kopp sein.“

Beetenbartsch. Ostpreußische Rote-Beete-Suppe, die meine Omi gerne mit einer Speckstippe serviert hat. Ich muss gestehen, ich habe sie nienienie gegessen, weil ich die rote Farbe zwar unglaublich faszinierend fand – aber gleichzeitig auch unglaublich eklig.

Pikus der Buntspecht. Lieblingsansage von meinem Opa beim Skat-Spielen. Immer wieder gern genommen auch „Beim Grand spielt man Ässer“, „Wer einen kann, soll einen mitnehmen“, „Nimm ihn du, ich kann ihn auch nicht“ oder „Pik? Steck den Finger in den Arsch und quiek“.

Annamernalinke. So hieß die uralte Puppe, die meine Mutter auf der Flucht von Ostpreußen in die damalige DDR und schließlich in die Nähe von Hannover geschleppt hat und die dann bei meiner Omi und ihrer Schwester auf einem Stuhl im Flur saß. Sie hatte immer und ewig ihr rotes Strickkleid an, ihre braunen Haare waren ebenso lang wie verzottelt und ihre Papp-Haut über dem Papp-Körper bröselte an allen Ecken und Enden. Aber Annamernalinke hatte ja auch eine weite Reise hinter sich. Beziehungsweise Anna Minna Linke, aber bis ich verstanden hatte, dass das drei Worte waren und nicht nur eins, war ich mindestens 15.

(inspired by Franziskript, wenn auch nur sehr um die Ecke)

Patenkind-Content (mal wieder)

(Pic by Robert Grischek)

Emilia ist jetzt zehn Monate alt. Sie kann noch nicht Mama sagen und noch nicht Papa und erst recht nicht Lieblingspatentante Anke, obwohl ich mich sehr bemühe, ihr diesen wohlklingenden Begriff nahezubringen. Der Kerl vermutet deshalb, Emilia sei ein bisschen langsam und hat ihr den Spitznamen Stulle verpasst, der bei den Eltern nicht ganz so gerne gehört wird. Angeblich sei das im Berliner Raum eine Beleidigung („Eh, guck mal, der Depp da, voll stulle, der Typ“). Ich kann das nicht beurteilen, aber Emilia hört sowohl auf ihren Taufnamen als auch auf Stulle. Anscheinend mag sie den Namen. Vielleicht mag sie den aber nur, weil man das Ding, das sich hinter dem Namen verbirgt, in den Mund stecken kann. Emilia ist zurzeit ganz groß darin, sich alles in den Mund zu stecken, was reinpasst. Gerne auch mal die eigenen Füße. Füße sind sowieso toll. Beim Osterfrühstück hat sie minutenlang an den Füßen vom Kerl rumgespielt, obwohl die nur in Socken steckten, während meine in total tolle bunte Sneakers verpackt waren. Die waren aber nicht so angesagt. Dann hat Emilia entdeckt, dass der Kerl nicht ganz frisch rasiert war (vulgo: Acht-Tage-Bart), worauf erstmal alle anderen Menschen im Raum abgemeldet waren, weil der Bart so klasse war. Seitdem heißt der Kerl bei den Kindseltern nur noch Der Bart. Das nur nebenbei, weil ich ja gerne dafür angekackt werde, dass ich meinen Liebsten so schnöde Der Kerl nenne. Der Bart sage ich jetzt auch ab und zu, was dazu führt, dass der Kerl sich immer dann rasiert, um mich zu ärgern, weil ich auch so gerne an seiner Gesichtsbehaarung rumspiele.

Aber zurück zum Patenkind: Nachdem Emilia durch pädagogisch wertvolles Spielzeug geschickt vom Bart abgelenkt wurde – „Und jetzt den kleinen gelben Becher in den großen roten stecken … nein, nicht den roten in den gelben … nee, das klappt wirklich nicht … du kannst das doch … das ist der Vorführeffekt … komm, wir spielen was anderes“ –, konnten wir gemütlich frühstücken. Danach habe ich das Kind auf den Schoß bekommen und durfte ewig in Emilias wahnsinnigwuscheligweichen Haaren rumpusten und ihre Babyhaut beneiden küssen und ihre kleinen Finger angucken, die ganz schön kratzige Fingernägel haben, und dann hab ich sie einfach machen lassen, was sie wollte, was aber nicht so gut ankam, weil sich Emilia natürlich Ostereierstanniolverpackungen in den Mund stecken wollte und Servietten und Parmaschinken und Kuchengabeln. Ich habe lautstark eine antiautoritäre Erziehung vertreten, wurde aber überstimmt und durfte stattdessen versuchen, Emilia für das Wort Nein zu begeistern. Die Kindsmutter berichtete, dass dieses Wort erstmals an der Zimmerpalme geübt wurde, deren Blätter man sich auch ganz prima in den Mund stecken kann, wenn man denn unbedingt will.

Ansonsten hat Emilia weiterhin die coolsten Klamotten, die ich je an Babys gesehen habe, ist längst aus meinen tollen Nikes rausgewachsen und kann schon stehen, sich aber noch nicht wieder hinsetzen, was dazu führt, dass Mama den ganzen Tag hinter ihr steht, weil sie sich klasse am Tisch hochzieht und dann nicht weiß, wie sie wieder runterkommt. Außerdem kriegt sie locker die abgerundeten Ecken der Kindersicherung von den spitzen Tischkanten ab und findet das Sperrgitter vom Wohnzimmer zur Küche total doof. Ich ebenfalls, denn ich kann da genausowenig drüberklettern. Zum nächsten Frühstück setze ich mich solidarisch mit ihr vor das Gitter und nöle und beklage den eingeschränkten Zugang zum Kühlschrank, wo der Parmaschinken liegt und vielleicht noch ein paar Ostereier.

(Nein, ich will immer noch kein eigenes. Aber Stulle könnte ich den ganzen Tag knutschen. WERD ENDLICH ALT GENUG FÜRS KINDERKINO!)

(adamtoons)

Jemanden ins Leere labern lassen.

nichtfunktionierende anmache. #2 du fragst mich, warum ich so lange am computer sitze hier, was ich da lese, und nein, anstatt dich zu ignorieren und die kopfhörer wieder aufzusetzen bin ich auch noch so nett und erkläre dir was ein weblog ist. zeige dir zwei, drei besonders schöne.
du schaust keine 30 sekunden hin, und erklärst mir dann, dass das ja ausgemachter schwachsinn sei, warum, wofür, warum im internet, warum so halbanonym, warum die selbstzensur, und meinst ganz ernsthaft, dass du dir literarische qualität eher woanders holen würdest.
dann sagst du einen satz in dem folgende menschen eine party haben: hermann hesse, khalil gibran, antoine d’exupery (sic!), annette von droste hülsdorf (sic!), wilhelm busch, anselm grün und michael ende. oh je.
ich lächle. soll ich dir sagen, dass in meiner literarischen welt andere leute verkehren? nein, lieber nicht. ich glaube du würdest sie nicht kennen. oder soll ich noch mal versuchen und dir erklären, dass ich manches bloggen für literatur halte, und dass mich jeden tag menschen bereichern, rühren, glücklich machen mit dem was sie schreiben? lieber nicht, das kann ich mir sparen. denn bloggen, das ist ja quatsch, findest du.

Allein für diesen Beitrag gehört Caro auf meine Blogroll.

(Und alleine für diese Topics-Liste gehörte trunken und genau auch auf meine Blogroll, wenn es da nicht schon drauf wäre.)

Road to yesterday

Manchmal wünsche ich mir, ich hätte dich schon früher kennengelernt.

Ich hätte gerne gewusst, welche Klamotten du in der Schule getragen hast und wie du auf den Klassenpartys warst. Warst du einer von denen, die ihre gesamte Plattensammlung angeschleppt und niemand anders ans DJ-Pult gelassen haben? Warst du einer aus dem Organisationskomitee, der dafür gesorgt hat, dass die Luftschlangen verschiedene Farben hatten? Hast du Nudelsalat mitgebracht? Bist du überhaupt zu Partys gegangen? Wie warst du in der Schule? Hast du abgeschrieben? Abschreiben lassen? Immer gemeldet? Lieber still vor sich hingelernt? Hat dir Schule Spaß gemacht? In welches Mädchen hast du dich heimlich verguckt? Die mit den langen braunen Haaren oder die mit den kurzen blonden? Hast du Tagebuch geschrieben? Warst du im Fußballteam? Hast du Basic und Pascal gelernt? Hast du die Namen deiner Lieblingsband auf deine Federmappe gemalt? Wer waren deine Lieblingsbands? Wieso hast du studiert, was du studiert hast? Wieso bist du nicht in eine andere Stadt gezogen? Hättest du das gerne gemacht? Wo wärst du hingezogen? Wen hättest du kennengelernt? In wen hättest du dich verliebt? Welcher Nebenjob hat dir am meisten Spaß gemacht? Wieso spielst du kein Instrument? Wollten deine Eltern, dass du eins spielst? Musstest du Weihnachtslieder auswendig lernen? Hast du mal Mixtapes für jemanden aufgenommen? Wer war sie? Was war auf der Kassette drauf? Hast du Gedichte geschrieben? Hast du die noch? Wann war dein erstes Mal? Wie oft warst du schon verliebt? Wie oft bist du geliebt worden? Wolltest du mal mit jemandem zusammenziehen? Wie hat deine Studentenwohnung ausgesehen? Wie war es, als du das erste Mal Geld verdient hast? Mit was hast du es verdient? Wie war dein erster Chef? Wie waren deine Kollegen? Arbeitest du gerne allein? Arbeitest du lieber im Team? Welche Bücher haben dich bis hierher begleitet? Welche CDs? Welche Stofftiere? Welche Freunde? Bist du anders als vor 20 Jahren? Als vor zehn? Als vor fünf? Wieso bist du anders? Fühlst du dich besser als früher? Weiser? Angeknackster? Nur älter? Nur anders? Wie anders? Was hättest du dir gerne bewahrt? Wieso war das für dich wichtig? Wieso ist es weg?

Manchmal wünsche ich mir, ich hätte dich schon früher kennengelernt. Dann müsste ich dich das nicht alles fragen, während wir alte Musikvideos kommentieren und du mir sagst, dass du Road to Nowhere schon damals doof fandest.

Aus der Buchmitte entspringt ein Redefluss

Minusvisionen von Ingo Niermann. Das Interessante an dem Buch ist nicht, dass alle Wagemutigen mit ihren Geschäftsideen auf die Fresse gefallen sind (das weiß man ja vorher, mieser Spannungsbogen, doo), sondern dass alle Biografien so schön durcheinander mäandern. Meine Eltern finden es ja schon seltsam, dass ich mein Studium nicht beendet habe („Du wirst nie eine anständige Arbeitsstelle kriegen“ – überhaupt: Arbeitsstelle, sagt auch keiner mehr, Job, Beschäftigung, Arbeitsplatz höchstens, Arbeitsstellen gibt’s nur da, wo’s auch Betriebsräte gibt und ne Kantine) oder dass ich ab und zu den Arbeitgeber gewechselt habe und das garantiert auch noch mehrere Male tun werde („Früher blieb man 40 Jahre in einem Betrieb, und dann gab’s ne goldene Uhr“) oder dass ich noch keine Kinder habe („Deine Cousine hat schon zwei“) oder dass ich einen Job habe, für den es keine geregelte Ausbildung gibt („Ich weiß immer gar nicht, was ich meinen Freundinnen sagen soll, was du eigentlich machst“). Im Vergleich zu den Lebenslinien in Minusvisionen bin ich der normalste Mensch der Welt.

Wie es leuchtet von Thomas Brussig. Sonnenallee hab ich von ihm nicht gelesen, und nach dem Film wollte ich das auch gar nicht mehr, sentimentales Gelabere, pseudolustig, ach guck mal, die komischen Schuhe, och, jetzt hamse den Robert Stadlober erschossen, nee doch nicht, wasn Glück, ach guck mal, die komischen Schuhe. Wie es leuchtet lesen ist ein bisschen wie Big Brother sehen: Die banalste Nebensächlichkeit ist gleich zehn Sendeminuten wert. Das Buch beschreibt die Zeit der Wende aus der Perspektive von ungefähr einer Milliarde Charakteren, die alle gehetzt über die Seiten wuseln und sich ab und zu treffen. Es ist nicht uninteressant und nicht langweilig, aber das war Big Brother auch nicht, und trotzdem hatte man die ganze Zeit das Gefühl, man könnte irgendwie was Sinnvolleres machen, abwaschen oder so.

Geschichte vom Nichts. Peter Glaser war der literarische Held meiner Jugend und Tempo das erste vernünftige Magazin, das ich damals in der Hand hatte und das meinen Horizont um (metaphernschwache) Lichtjahre erweitere. Gonzo, Coupland, 100 Zeilen Hass, Bei der Geburt getrennte Zwillinge, Michael Stich würde für Waffenkonzerne werben, Björk popelt während des Interviews, bei Michael Kühnen hat das AIDS-Virus mal Recht gehabt, und Peter Glaser erzählt von Legosteinen. Seine Kolumnen haben mich damals Satz für Satz überrascht, ich konnte es manchmal gar nicht glauben, zu welch irrsinnigen und vor allem irrsinnig schönen Kombinationen man ganz normale Worte, die ich jeden Tag für Pubertätsproblembesprechungen verschwendete, zusammensetzen konnte. Geschichte vom Nichts hat auch viele irrsinnige Sätze, aber mir fehlt der Zusammenhang, mir fehlt der Punkt, bei dem ich in den Tempo-Kolumnen aufrichtig beeindruckt war. Ichweißichweiß, es ist gemein, die Texte mit 20 Jahre alten Arbeiten zu vergleichen, aber für mich persönlich war Glaser damals besser. Oder anders. Oder er passte eben zu mir. Oder er hat genau die Worte gefunden, die ich damals gesucht habe, ohne zu wissen, dass ich sie finden will.

Talking to myself von Yohji Yamamoto. Meine ehemalige Art Direktorin und ich haben diversen Kunden auf diversen Briefings jahrelang eine Idee verkaufen wollen und sind jedesmal gescheitert: eine Broschüre in japanischer Bindung. Wollte nie einer haben, weil produktionstechnisch zu aufwendig blablabla. Umso mehr hat es mich gefreut, diese Art der Bindung bei Herrn Yamamoto zu finden und dazu noch einen genähten Rücken und ein gesticktes Cover. Noch mehr freut mich an dem auf 7000 Exemplare begrenzten Buch (ich bin die Nummer 5155), dass es voll ist mit Zeichnungen und Fotos von Kleidern (habe ich erwähnt, dass ich Yamamoto verehre und ich auf die Bayreuth-DVD von Tristan und Isolde warte, auch wenn da Langweiler Domingo singt, aber Y. hat die Kostüme gemacht) und lustigen japanischen Schriftzeichen, die ich natürlich nicht verstehe, weswegen jede Seite in meinen bloßbilingualen Augen nicht wie eine normale Buchseite mit Bild und Text aussieht, sondern nur wie ein Bild. Das ganze Buch ist ein Bild nach dem anderen. Die englische und französische Übersetzung ist beigelegt, aber ehrlich gesagt habe ich bis jetzt noch keinen einzigen Satz von Yamamoto gelesen, warum er designt und wie und ob er dazu was isst und wenn ja was, ist mir eigentlich egal, ich will doch nur die Bilder von den Kleidern angucken und die japanisch gebundenen Seiten umblättern.

Bridget Jones: The Edge of Reason

Ich kann mich an Bridget Jones’ Diary nur schwer erinnern, aber schon damals fiel mir Renée Zellwegers völlige Talentlosigkeit zum Komischsein auf. Ich bin ja sowieso kein Fan von ihr, aber lustig geht sie gar nicht. Da nützen auch ihre albernen Kostüme nichts und die dämlichen Situationen, in die sie gerät, und ständig ihr ungünstig proportioniertes Hinterteil in Großaufnahme (was ja sowieso immer der garantierte Brüller im Kino ist – schnarch). Ich erinnere mich aber daran, das Buch ganz nett gefunden zu haben und den Film leidlich unterhaltsam, was auch daran lag, dass ich Hugh Grant als Arschloch sehr gerne sehe.

Der zweite Teil Bridget Jones: The Edge of Reason (Bridget Jones: Am Rande des Wahnsinns) ist leider überhaupt nicht mehr unterhaltsam: Es herrscht absolut null Chemie zwischen Renée und ihrem geliebten Colin Firth, Bridgets Arsch ist immer noch nicht lustig und ihre Aktionen, mit denen sie sich zum Klops macht, sind so kreuzdämlich, dass man schon fast Mitleid mit ihr und ihrer Blödheit hat. Was mir bei dieser lustlos runtergekurbelten Unterdurchschnittskomödie aber am meisten auf den Keks gegangen ist: Muss man Bridget jetzt schon in einen thailändischen Knast stecken, weil sie angeblich kiloweise Koks im Gepäck hatte, um noch ein paar Witze aus der müden Story zu kitzeln? Mal abgesehen davon, dass es meiner Meinung nach ein paar geschmackvollere Orte gäbe, die dafür in Frage kämen, waren die „Witze“, die sich aus der Situation ergaben, alles andere als gut. Ich fand es jedenfalls einfach nur noch peinlich, wie dünne Thai-Prostituierte in miesem English Like a Virgin singen und zum Schluss von Bridget Schokolade und Wonderbras geschenkt bekommen. Auch Hugh Grant scheint nicht wirklich Lust zum Arbeiten gehabt zu haben, genau wie der Drehbuchautor, was dem Film mein Urteil „Noch blöder als ich erwartet hatte“ einbringt.

Shall We Dance

Shall We Dance (Darf ich bitten?) fängt ziemlich gewöhnlich an: Wir erleben Szenen einer lang eingefahrenen Ehe zwischen Richard Gere (bäh) und Susan Sarandon (ein bisschen verschenkt), wir sehen Richards langweiligen Job als Notar, und dann dürfen wir miterleben, wie er Abend für Abend an einem Tanzstudio vorbeifährt, in dem eine einsame Schönheit (Jennifer Lopez – bäh) sinnierend am Fenster steht. Von sich selbst überrascht beginnt Gere eine Anfängertanzkurs, ohne seiner Frau etwas davon zu sagen. Die üblichen Fragen dräuen am Horizont: Verliebt Gere sich in Lopez? Sie sich etwa in ihn? Lässt Susan sich jetzt scheiden? Booo-ring!

Netterweise passiert nichts von alledem. Stattdessen lernen wir noch weitere Charaktere kennen, die ebenfalls ein paar Wünsche mit sich herumtragen, von denen sie vielleicht noch gar nichts ahnen und die durchs Tanzen erfüllt werden. Oder die Figuren tanzen, um ihrem ansonsten banalen Dasein ein bisschen Glanz zu verleihen. Einer dieser Menschen wird von meinem heimlichen Schwarm Stanley Tucci verkörpert, der in Shall We Dance einen wundervollen Bogen von Enttäuschung, Scham, Aufbegehren, Spaß und Triumph spielen darf. Aber das Tanzen ist nie die Hauptsache, obwohl wir viel davon anschauen dürfen. Im Fokus bleiben stets die Figuren, für die Tanzen ein Vehikel ist – für was auch immer.

Shall We Dance schleicht sich ganz langsam in dein Herz. Man will den Film da eigentlich gar nicht drinhaben, weil Gere so doof aussieht beim Tanzen und Jennifer Lopez gar nicht geht als traurige Verlassene, aber alles andere hat überraschend viel Gefühl und Wehmut und Freude, und ganz plötzlich mag man alle Figuren und fiebert beim obligatorischen Tanzturnier mit und freut sich schließlich mit allen über ein klassisches Happy End. Kein Meilenstein, aber ein überraschend ehrliches, kleines, rührseliges Filmchen.