Mar adentro

Mar adentro (Das Meer in mir, E/I/F 2004, 126 min)

Darsteller: Javier Bardem, Belén Rueda, Lola Dueñas, Mabel Rivera, Celso Bugallo, Tamar Novas
Musik: Alejandro Amenábar
Kamera: Javier Aguirresaro
Drehbuch: Alejandro Amenábar, Mateo Gil
Regie: Alejandro Amenábar

Trailer (deutsch)

Offizielle Seite (spanisch)

Ramon Sampedro hatte mit 19 bereits als Matrose die Welt umsegelt und führte ein normales, unbekümmertes Leben, bis er an einem Augusttag 1968 kopfüber in zu flaches Wasser sprang, sich dabei das Genick brach und fortan vom Hals abwärts gelähmt war. Sein Bruder, dessen Frau und Sohn und sein Vater kümmern sich um ihn, aber nach fast 30 Jahren hat Ramon genug. Er hält sein Leben für unwürdig, will so einfach nicht mehr weitermachen und bittet daher vor Gericht um Sterbehilfe. Diese wird ihm allerdings mehrfach verwehrt. Ramon findet dennoch Freunde, die ihm helfen, und so stirbt er 1998 an einer Dosis Zyankali. Das Meer in mir erzählt seine – wahre – Geschichte.

Wie schon bei vielen anderen Filmen vorher habe ich mich auch hier gefragt, wie mir eine Story unterhaltsam verkauft werden kann, deren Ende ich bereits kenne. Und wie schon bei vielen Filmen vorher durfte ich miterleben, dass es die Charaktere waren, die mich gefesselt haben. Ramon wird mit einer melancholischen Leichtigkeit von Javier Bardem verkörpert, falls das Wort in diesem Zusammenhang überhaupt passt. Denn sonst ist Bardem auf der Leinwand sehr präsent und kraftvoll – und das meist durch seine Gestik, seine Postur, seine Körperlichkeit. Diesmal ist das einzige, mit dem er arbeiten kann, um Ramon wieder lebendig werden zu lassen, sein Gesicht: seine Mimik, seine Augen, sein Lächeln. Aber es funktioniert – Ramon erscheint nie als ein hilfloser Krüppel, der sich davonmachen will, ganz im Gegenteil. Er ist ein sehr einnehmender Mensch, der anscheinend seit Jahren nichts anderes tut als darüber nachzudenken, wie er seinem Schicksal enkommen kann. Und stark und intelligent wie er nun einmal ist, weiß er für sich, dass nur der Tod etwas an seinem Zustand ändern kann.

Ihm zur Seite steht Belén Rueda als die Anwältin Julia, die Ramon vor Gericht zum Tod verhelfen möchte – nicht ganz uneigennützig, denn auch sie leidet an einer Krankheit, die sie früher oder später zum Pflegefall werden lässt. Die beiden haben von Anfang an eine besondere Beziehung, die über das schlichte Begehren hinweggeht. Ramon erzählt Julia, dass er sich gerne ans Meer träumt, weil das trotz allem sein Lieblingsplatz sei. Und jetzt, wo sie da ist, kommt sie plötzlich in seinen Träumen vor. Die Szene, in denen er ihr am Strand begegnet, gehört zu den schmerzhaftesten im ganzen Film. Seit einer Film-Stunde haben wir Ramon zugesehen, wie er höchstens den Kopf dreht, mit dem Mund schreibt oder das Telefon bedient, wie er gefüttert und gewendet wird. Und plötzlich, fast unmerklich, bewegt sich Ramons Hand über seine Bettdecke. Die Decke wird beiseite geschoben, die Beine im Schlafanzug strecken sich plötzlich, die Füße stehen auf dem Fußboden, Ramon erhebt sich – und steht mitten in seinem Zimmer, als ob es das normalste der Welt wäre. Er schiebt das Bett vom Fenster weg, vor dem eine hügelige Landschaft lockt, geht in den Flur, dreht sich um, nimmt Anlauf und springt durch das Fenster in seine Traumwelt, durch die er unbeschwert, körperlos, hindurchfliegt, um Julia am Strand zu küssen.

Die Beziehung zu ihr entwickelt sich anders als geplant; genauso überrascht haben mich die weiteren Protagonisten: die Schwägerin, die nicht nur den Haushalt für ihre Familie führt, sondern sich auch um Ramon kümmert und ihn trotzdem nie als Belastung sieht; sein Neffe, der Ramons Gedichte abtippt und ihm Dinge bastelt, die ihm das Leben etwas erleichtern; der Bruder, der ihn trotzig zurechtweist, dass sich in seinem Haus gefälligst niemand umzubringen habe; der Vater, der senil durch den Film greist, nur um zum Schluss ganz schlicht und ergreifend zu sagen, dass nur eins schlimmer sei, als wenn ein Kind vor den Eltern stirbt – nämlich, wenn ein Kind vor den Eltern sterben will.

Und dann ist da noch Rosa, eine junge Frau, die Ramon bei einer seiner öffentlichen Bitten um Sterbehilfe im Fernsehen gesehen hat und nun ganz allmählich eine Freundin wird. Zum Schluss wird sie es sein, die ihm das Zyankali besorgt. Aber erst, nachdem sie erfolglos versucht hat, Ramon dazu zu bewegen, leben zu wollen. Sie erkennt, dass es der größte Liebesbeweis ist, ihn gehen zu lassen.

Das Meer in mir macht beide Positionen sehr deutlich: die der Menschen, die Ramon lieben und nicht möchten, dass er stirbt und diejenigen, die ihn ebenso lieben und genau deshalb möchten, dass er stirbt. Der Film bleibt dabei stets sehr behutsam und zurückhaltend. Die Dialoge sind keine großen philosophischen Auseinandersetzungen, sondern schlichte Gespräche voll Ehrlichkeit und Sehnsucht; die Gerichtsszenen zeigen keine geschwungenen Reden und Aufruhr im Publikum, sie sind fast nicht existent. Wozu auch. Sie verwehren Ramon das, was er sich wünscht, daher wird ihnen kaum Platz eingeräumt. Viel ausführlicher erzählt der Film vom alltäglichen Leben seiner Figuren, von Ramon, von seinen Freunden, in deren Leben Kinder zur Welt kommen, Menschen erkranken, sich streiten, sich versöhnen. Das Leben Ramons kommt einem dabei fast ereignislos vor, aber nicht umsonst oder banal. Ganz im Gegenteil: Er scheint umgeben von so viel Zärtlichkeit und Liebe, dass man ihn genausowenig gehen lassen möchte wie seine Familie.

Der Film ergreift keine Partei, er macht aus dem Leben nichts Heiliges und aus dem Tod nichts Begehrenswertes. Er zeigt nur, dass für manche Menschen der Tod schlicht eine Alternative zum Leben ist. Ramon sagt es selbst: „Wir haben das Recht zu leben. Aber nicht die Pflicht.“ Und so entlässt uns Das Meer in mir in unser eigenes Leben mit einer vielleicht neuen Wertschätzung für uns, für unsere Zerbrechlichkeit, aber auch unsere Stärke. Für Respekt uns selbst gegenüber und unseren Freunden. Und für unsere Entscheidungen. Wie immer sie auch ausfallen mögen.

2 Antworten:

  1. Ja, dieser Film gehört zu den nächsten, die ich mir angucken will, genauso wie der hier: http://www.kontroll-derfilm.de

  2. Ein sehr guter Film. Habe ihn auch gesehen und ist auf jedenfall sehenswert!