Filmfestspielhaus, die zweite

Der Eintrag von Samstag hat mich in Erinnerungslaune gebracht.

Das Schönste, was mir im Kino passiert ist:

Die Privatvorstellungen, die wir uns mit den englischen Originalfassungen im großen Saal nach der Spätvorstellung gegeben haben.

Wir hatten drei Säle: das Berlin hatte 450 Plätze, das Cannes ca. 150 und das Venedig ca. 100 (honk if you get it). Während Cannes und Venedig ihrem Namen als klassische Kinoschachtel alle Ehre machten, war das Berlin einer der schönsten Säle in Hannover, Prä-Cinemaxx. Rote Plüschsitze, die nach hinten anstiegen, ordentlich große Leinwand, Dolby Digital-Ton und – eine Klimaanlage, die ihren Namen verdient hatte. Beziehungsweise immerhin eine Lüftung, die nicht die Abluft des Chinamanns nebenan einsog so wie die Gebläse im Cannes und Venedig, wo man beim Filmegucken immer nach einer Stunde anfing, ans Essen zu denken.

Die Originalfassungen liefen immer im Venedig. Zu unseren Sondervorstellungen wurden die Filme gemütlich ins Berlin gebracht, wo wir schon die Standaschenbecher aus dem Foyer im Mittelgang platziert hatten. Wir haben Taxi Driver, 2001 – Space Odyssey, A Clockwork Orange und viele andere Filme auf einer anständigen Leinwand genossen, die ich sonst im 3×2-Meter-Format oder auf Video gesehen hätte. Dazu ein Bierchen und ne Kippe, Füße hochgelegt und keine labernden Nachbarn – that’s entertainment.

Mein dämlichster Fehler:

Im Berlin und im Venedig hatten wir relativ moderne Projektoren. Im Cannes allerdings stand ein uralter Haufen Blech, den ich persönlich geliebt habe, weil er so schön nach Film roch. Das Bauer-Maschinchen stammte aus den 30er Jahren und war ein Überbleibsel aus dem Pornokino, das vor dem Filmfestspielhaus in diesen Hallen angesiedelt war. Der Unterschied zu den Philips-Projektoren war, dass der Bauer ein Linksprojektor war, d. h. man musste den Film seitenverkehrt einlegen, damit die Tonspur auf der richtigen Seite war.

Mir hat Dirk das Vorführen beigebracht, den ich total klasse fand, weil er schon mindestens 25 war, einen Dreitagebart hatte und stahlblaue Augen. Deswegen habe ich ihm wahrscheinlich nicht wirklich zugehört, als er mir das mit dem Seitenverkehrt-Einlegen erklärt hat. Nur so kann ich mir erklären, was mir in meiner ersten Vorführschicht passiert ist. Damals lief Akira im Cannes, ich legte das Filmchen ein, startete und ging dann gemütlich eine rauchen, bis der eine Gast, der sich die 14-Uhr-Vorstellung gönnte, die Treppe zur Kasse runterkam und meinte, dass der Ton irgendwie arg seltsam wäre. Ich ging in den Saal, sah ein perfektes Bild und hörte – ein durchdringendes RRRRRÖÖÖÖÖÖÖÖ. Dirk saß unten vor den Monitoren und lachte sich tot, während ich im Vorführraum hektisch den Film durchschnitt, die wenigen Minuten, die schon gelaufen waren, vom Teller nahm, einen neuen Ring einsetzte, den Filmstreifen vor dem Projektor umdrehte und ihn neu einlegte, so dass die Tonspur auf der Seite war, wo sich auch die Tonlampe befand. Wenn ich Japanisch gekonnt hätte, wäre mir schon beim Bild aufgefallen, dass sämtliche Schriftzeichen spiegelverkehrt waren. Ich wollte dem Gast für die Unannehmlichkeiten ein Eis ausgeben, aber er hat lieber ein Bier genommen.

Mein teuerster Fehler:

Wir hatten seit einigen Wochen The Doors im Programm. Der Filmkopie lag ein Brief von Oliver Stone bei, doch bitte den Ton so laut aufzudrehen wie nur geht. Was bei uns im Berlin hieß: auf 10. Und das hätte noch lauter gekonnt. Nach einigen Wochen wanderte der Film ins Cannes, ins kleinere Kino. Dort war der Ton eher muckelig, aber damals war man ja schon dankbar, wenn’s wenigstens Stereo war. In einer Spätvorstellung kam ein Besucher an die Kasse und meinte, der Ton würde sich echt komisch anhören. Der Film lief zu dieser Zeit bereits über eine Stunde, und ich dachte mir, och nee, wieder so ne Nölnase, der jetzt erst auffällt, dass der Ton nicht ganz so der Bringer … aber egal. Ich sagte pflichtschuldig: „Ich schau mal nach“ und begab mich in den Vorführraum, wo mich ein bisher ungesehenes Bild erwartete und ich dem Zuschauer im nachhinein absolut recht geben musste, was den „komischen“ Ton anging.

Der Projektor war, wie gesagt, nicht mehr ganz der jüngste, und just an diesem Tag hatte er beschlossen, mal wieder ein bisschen mehr aus dem Leim zu gehen. An das raustropfende Öl hatten wir uns alle schon gewöhnt, auch daran, dass der Projektor viel zu heiß wurde, weswegen man sich manchen Stellen besser nur langärmelig oder gar nicht nähern sollte, aber das gehörte eben einfach dazu. Was nicht dazugehörte, war, dass sich direkt hinter der Blende ein winziges Metallteil irgendwie nach oben gebohrt hatte und nun den Film, der gerade auf dem Weg zur Tonlampe war, fein säuberlich in zwei Hälften zerteilte. Eine lief weiter durch den Projektor und brav auf den Teller, wo sie hingehörte. Die zweite Hälfte lief gelangweilt auf den Fußboden des Vorführraums. Und zwar die mit der Tonspur.

Alles, was ich tun konnte, war, mal wieder Freikarten auszustellen und dem Verleih zu beichten, dass wir soeben eine gerade mal sechs Wochen alte Filmkopie unwiderruflich zerschreddert hatten. Was unsere Versicherung so um die 20.000 Mark gekostet haben dürfte, denn so teuer war damals eine neue Kopie (wenn ich mich richtig erinnere). Und dann durfte ich der UFA mitteilen, dass sie ein bisschen Reparaturgeld in einen 60 Jahre alten Projektor stecken müsste.

Mein historischster Fehler:

Wir waren das einzige Kino in Hannover, das konstant mindestens eine Originalversion zeigte. Das brachte eine freundliche Englischlehrerin auf die Idee, doch mal bei uns nachzufragen, ob man vielleicht Easy Rider ins Programm nehmen könne – sie würde das gerade im Leistungskurs durchnehmen und das wäre doch toll, so einen Klassiker mal auf einer „großen“ Leinwand zu sehen anstatt auf Video im Klassenzimmer. Ich fand den Plan knorke, habe flugs eine Klassiker-Filmreihe zusammenfabuliert und bei der UFA um die Filme gebettelt, die ich wider Erwarten auch bekommen habe.

Easy Rider ist, wie wir alle wissen, ein sehr alter Film. Er war auch schon 1990 sehr alt, und das hieß, dass die Filmkopie praktisch nur noch aus Klebestellen und Laufstreifen bestand. Laufstreifen sind diese ekligen, ja, Streifen eben, die senkrecht durchs Bild laufen. Sie entstehen durch schlecht gepflegte Transportrollen, auf denen der Film zum Projektor läuft. Wenn die Streifen schwarz sind, hat man Glück, dann hat nur die unbeschichtete Rückseite des Filmstreifens einen Kratzer abgekriegt, das kann behoben werden. Wenn sie allerdings giftgrün sind, hat die beschichtete Seite eine Macke; diese Streifen bleiben und nerven. Was ich sagen will: Die Easy Rider-Kopie war nicht die beste, sondern mit viel gutem Willen gerade noch als fragil zu bezeichnen.

Es gibt für Filmkopien ein Bewertungssystem, damit der Vorführer so ungefähr weiß, welche Qualität er durch den Projektor jagt; die Noten gehen von 1 bis 4, und Easy Rider hatte eine fette 4. Zu Recht. Das hat ihm allerdings nicht das Genick gebrochen. Was ihm das Genick gebrochen hat, war die Tatsache, dass er im Cannes gelaufen ist – eine Woche nach dem Vorfall mit der Doors-Kopie. Offiziell war der Projektor repariert worden; inoffiziell hatte irgendein UFA-Hausmeister mit einem Hämmerchen das Metallteil in die Tiefen des Projektors zurückgeklöppelt und behauptet, dass das halten würde.

Hat es nicht. Auch Easy Rider endete zweigeteilt. Und damit auch die Geschichte der Originalkopien dieses Films in Deutschland. Der Verleih teilte mir mit, dass das die letzte noch existierende Kopie von 1969 gewesen sei. Und auch vom Bauer-Projektor hieß es Abschied nehmen: Er wurde in die ostdeutsche Provinz versetzt, und wir haben einen Philips gekriegt. Der Vorführraum im Cannes war danach nicht mehr derselbe.

Der beste Film:

Die Jungfrauenmaschine. War der erste Film, den wir im Filmfestspielhaus gezeigt haben. Davor war es, wie gesagt, ein Pornokino. Was dazu führte, dass ne Menge Stammkundschaft an die Kasse trat und „Einmal die Jungfrau“ haben wollte.

Ich habe selten Menschen so schnell wieder aus einem Kino kommen sehen.

13 Antworten:

  1. Sehr schön, Deine Kinogeschichten, erinnert mich auch an beste Vorführerzeiten.

    Schönes Malheur bei uns (nicht bei mir!! :-) war ein falsch zusammengeklebter “U 571”. Ende 2. Akt an Ende 3. Akt und die Tonspur nicht mehr aneinander. Aber bei so’nem durchschnittlichen U-Boot-Film fällt das ja erstmal nicht auf. Hinterher berichtete mir ein Kumpel, dass seine Freundin meinte, das müsse so sein. Hehe.

    Und mein skurrilstes Erlebnis war beim Licht-wieder-anmachen ein Zuschauer, der sich gerade -ungelogen!- die Fußnägel geschnitten hat. Geht’s noch?

  2. Ich kann mich doch tatsächlich dran erinnern, in einer Doors-Spätvorstellung im Filmfestspielhaus gewesen zu sein, mit meiner opernfanatischen Freundin nach einem Besuch in irgendeiner Oper oder Operette. Nach der Vordröhnung hat die etwas blecherne Abspielung eh keinen Unterschied gemacht. (Und ich war glaube ich nicht der fatalen beschriebenen Vorstellung — an das Ende kann ich mich zumindest noch erinnern.)

    Echt schade um das schöne Festspielhaus — zumal ich jedes zweite Mal, wenn es hier in Tübingen eine kleine Pause zwischen den Akten gibt, gebetsmühlenartig im Kopf rezitieren muß “den Filmvorführschein gibt es bei der Kreisbildstelle … den Filmvorführschein …”

  3. Das ist hart. Eine mir persönlich gut bekannte Person hat auf diese Weise die letzte in Deutschland existierende Version von “Barry Lyndon” erledigt und danach das Filmvorführen an den Nagel gehängt. Begründung: “Kein Job für Leute, die Film wirklich lieben.”
    Immerhin wurde so die Aufmerksamkeit des großen Kubrick, der ja seine Filme selbst verlieh, auf die unglückliche Stadt in Deutschland Norden, in der dies geschah, gelenkt.

  4. essen, astra kino.

    mo mit seiner freundin in “less than zero” (hach – jamie gertz! mein teenieschwarm!) im astra 2 geguckt. das astra 2 war eine kleine schuhschachtel für 40 leute wogegen das astra 1 ein richtig schönes kino war, mit grossem roten samtvorhang, der sich vor der werbung öffnete, während der letzten züge des “ice in the sunshine” langnese spots wieder schloss, um dann vor dem hauptfilm wieder effektvoll zur seite zu fahren.

    nun war “less than zero” (nach dem rman von “american psycho autor bret easton ellis) ja kein richtig grosser kassenschlager, sodass meine freundin und ich allein im kino sassen und die penetrante roland kaiser musikbeschallung ertragen mussten. in der harten pre-cinemaxx zeit haben in essener kinos ausschliesslich schlecht gelaunte frauen jenseits der 50 gearbeitet, die keine kinozielgruppenorientierte musik aufgelegt haben, sondern halt ihren eigenen schlagerkram. mo, nicht dumm, hat aber schnell in der ecke des kinos eine klappe entdeckt, hinter der sich einige schalter und knöpfe verbargen, die u.a. mit “musik an/aus” und “film start/stop” beschriftet waren. also erstmal die musik ausgemacht und – warum lange warten – auch gleich mal den film start knopf gedrückt. musik war aus, aber der film wollte nicht starten. noch 2 – 3 mal gedrückt, dann zurück zur freundin gesetzt und weitergeknutscht. kurz später stand alelrdings eine der schlechtgelaunten mitfünfziger kinokassierinnen aufgebracht im kino und keifte uns an, ob wir da an den knöpfen rumgespielt hätten. wir waren natürlich ahnungslos aber sie keifte weiter: “jetzt erzählt mir nix! die musik ist aus und drüben im grossen kino geht ständig der vorhang auf und zu! könnt froh sein, dass die filme noch nicht eingelegt waren…”

    mo

    ps in dem wort “streifen” nicht das r unterschlagen…

  5. Mo, erstens: Für das Knöpfedrücken hätte ich euch aus dem Kino geschmissen. Zweitens: Danke für den Hinweis :-)

  6. Ich kenne aus der Zeit um 1990 nur das “Weltspiele” in Hannover. Da wurden aber keine Filme (mehr) gezeigt sondern Parties veranstaltet.

  7. Mir fällt gerade erstaunlicherweise ein, daß Du im Filmfestspielhaus gelegentlich nach dem unvermeidlichen Langnese-Spot mit den Worten “Nix Langnese, SCHÖLLER!” reingekommen bist. Das warst doch Du, oder?

  8. A propos Langnese – Die Werbung früher war richtig gut! Mochte immer so gerne diesen Automechaniker, der dann seinen Schraubenschlüssel abgeleckt hat, nachdem die Frau am-Eis-leckenderweise an ihm vorbei ging. Die Eiswerbung z.Zt. (Schöller und Langnese) ist ja nur grauenhaft, welche Agentur macht diesen Sch… eigentlich?

  9. A propos Eis – Ich hatte unserem Kino einen Freßfreien Abend im Monat vorgeschlagen (nachdem sich ein allgemeines Knister-Popcorn-Krach-Schmatz-Tacochips-Stink-Verbot ja nicht durchsetzen läßt, so realistisch bin ich auch). Die Idee fanden sie ja eigentlich ganz gut, aber …

  10. Ach, Herr Sperber, SIE sind das! So sieht man sich wieder :-)

    Wir hatten eine gewisse Umstellungsphase mit dem Eisfilm, soweit ich mich erinnere. Wir haben irgendwann angefangen, Schöller statt Langnese zu verkaufen, aber wir hatten noch kein Schöller-Filmchen. Weiß ich aber nicht mehr genau. Jedenfalls war Eisverkaufen immer ne gute Sache. Wir hatten intern Wetten laufen, wer wieviel vertickt. Ich erinnere mich an eine Vorstellung, wo nur ein Gast da war, und meine Kollegin und ich sind beide mit jeweils einem Eiskorb in den Saal gegangen und wollten sehen, wer ihm ein Eis vertickt. Ich glaube, sie hat gewonnen.

  11. deine erzählungen lösen flashbacks aus… in den 80ern hab ich in einem programmkino in münster (im cinema/kurbelkiste) gearbeitet. damals fing´s an, dass die programmkinos um erstaufführungen kämpfen mußten. und wir waren stolz wie oskar (oscar?) , als wir nach harten kämpfen warren beattys “reds” in erstaufführung kriegten. an den film erinnert sich heute zurecht niemand mehr, aber eines weiß ich: er ist lang. sehr lang (7 akte, glaub ich). und nach der ersten vorstellung kamen die zuschauer zwar schwer beeindruckt, aber irgendwie verwirrt raus. also hat sich um 23.00 jemand in die 2. vorstellung gesetzt – und gemerkt, dass der verleih alle akte falsch bezeichnet hatte. und, wie gesagt, erstaufführung…, niemand kannte den film… also: vorstellung abgebrochen… und nachts 5 mann hoch den ganzen film durchgeguckt um rauszukriegen, in welche reihenfolge die akte gehören… nein, es war wirklich kein guter film, und schon gar nicht, wenn man ihn in der falschen reihenfolge gucken musste.
    übrigens und um deinen schmerz zu lindern: eine synchro-kopie kostete, soweit ich mich erinnere, in den 80ern bei den majors ca. 3000,-. dm, eine untertitelte ca. 5000,- mit 20.000 haben sich euch damals also ziemlich abgelatzt.
    thf

  12. Ein Freund (jaja…immer diese Geschichten, von Leuten die selber nix erleben) hat sich ganz wichtig einen Platz in einem Berliner Kino reserviert für die Vorstellung seines Liebelingsfilms “Diva” (1981).

    Als er etwas zu spät dort ankam wurde er von der Kino-Leitung persönlich und NAMENTLICH begrüßt, in den Vorführsaal begleitet und war der EINZIGE Zuschauer ;-).

  13. Im Dunkeln
    Wer Ankes schöne Filmfestspielhaus-Memoiren noch nicht zum mindestens dritten Mal gelesen hat, ist selber schuld.