Watchmen (Comic)

Wann immer eine Comicverfilmung ins Kino kommt, gilt meine erste Frage dem comicsammelnden Kerl: „Hast du den?“ und meist zieht der gute Mann dann sofort den passenden Band aus dem Regal, gibt ihn mir mit wissendem, bedauerndem Gesichtsausdruck, ich vertiefe mich für zehn Seiten in die Superheldengeschichte und gebe ihm das Buch dann zurück mit der Bemerkung: „Nervt. Guck ich lieber als Film.“ Bei den Watchmen* war das zum ersten Mal anders, denn diese graphic novel hat mich absolut begeistert. Gut, man muss natürlich auch hier einfach hinnehmen, dass es Männer und Frauen gibt, sie sich verkleiden und die Unterwelt aufmischen, seltsame Namen haben und Dinge können, die Normalos nicht können. Das Besondere an Watchmen ist aber, dass es recht wenig um die Heldentaten der vielköpfigen Wächter-Schar geht, sondern eher: Was machen sie, nachdem sie das Kostüm an den Nagel gehängt haben? In welcher Welt leben sie bzw. wie finden sie sich in einem alternativen Amerika zurecht, das uns Autor Alan Moore hier auftischt, in dem Nixon seine dritte fünfte Amtszeit hat und man sich an der Schwelle eines Atomkriegs mit der UdSSR befindet?

Der Comic beginnt damit, dass einer von ihnen ermordet aufgefunden wird. Andere Wächter machen sich auf die Suche nach dem Mörder, und der Weg zum Täter führt über zwölf Bände, die ich innerhalb von zwei Tagen verschlungen habe. Die Geschichte mäandert durch Zeiten, Orte und Erzählebenen; es gibt Panels, die sehr filmisch sind, es gibt Einschübe, die ganz ohne Bilder auskommen und Bilder, die ohne Worte auskommen. Die Charaktere haben sehr dichte Hintergrundgeschichten, und immer wenn ich geglaubt habe, dass ich einen von ihnen kenne, erwartete mich auf der nächsten Seite eine neue Facette.

Watchmen erzählt nicht nur eine brillante Geschichte; was mich so fasziniert hat, war die Art und Weise, wie sie mir erzählt wird. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass diese Geschichte als Comic erzählt werden muss, dass sie als gewöhnlicher Roman längst nicht die Kraft entwickelt hätte, die sie hat. Da gibt es einen roten Faden, an dem man sich entlanghangelt, aber es gibt außerdem eine Figur im Comic, die einen anderen Comic liest, was man erst nach drei oder vier Bänden als grandiosen Subtext dechiffriert. Alle Hauptfiguren hängen miteinander zusammen und zwar mehr und tiefergehender als nur durch ihre gemeinsame „Arbeit“. Und selbst die Nebenfiguren, die mal in einem Panel am Anfang aufgetaucht sind, kehren zum Schluss zum großen, bösen Finale wieder zurück, und die Geschichte hat nicht nur einen atemberaubenden Anfang, sondern auch ein ebensolches Ende.

Ich habe Die Wächter auf Deutsch gelesen, weil sie eben in meiner Reichweite waren, werde mir aber auf jeden Fall noch das englische Original zulegen, denn manchmal fand ich die Texte dann doch etwas steif und ungelenk; keine Ahnung, ob das auf Englisch auch so ist. Und natürlich hab ich an den Frauenfiguren was zu nöckeln („Vielleicht war ich ein bisschen selbst schuld an meiner Vergewaltigung“ – GEHT’S NOCH?), aber das lasse ich jetzt mal. Watchmen ist als Comic eine absolute Empfehlung, auch für Leute, die (wie ich) sonst mit diesem Medium nicht so viel anfangen können.

Zur Einstimmung auf den Film, der am Donnerstag in Deutschland startet, läuft bei mir seit gestern ein Video von YouTube in der Endlosschleife. Bitte in HD genießen. Ich lasse mal den creator des Videos zu Wort kommen:

“A video compilation of the current clips from Watchmen. This video has the clips ordered in timeline of the actual story, so for those who have not read Watchmen yet, possible spoiler alert.“

Angucken.

* Vorsicht, der Link geht zur Wikipedia und verrät den gesamten Inhalt (nur falls den außer mir noch jemand nicht kannte). Und hier ist auch endlich Platz für den Fakt, dass Watchmen als einziger Comic auf der Liste der 100 besten englischsprachigen Romane seit 1923 vom Time-Magazin zu finden ist.