Was schön war, KW 19 – Nicht so wirklich viel

Ich war die ganze Woche krank, lag ewig im Bett und war darob schlecht gelaunt.

Am Dienstag musste ich mich zum Arzt aufraffen, um eine Krankschreibung zu bekommen. Das habe ich in 15 Jahren Selbständigkeit null vermisst, dass jemand mir bescheinigen muss, dass es mir nicht gut geht. Letzte Woche freute ich mich noch darüber, dass ich Geld dafür bekomme, krank zu sein, diese Woche fiel mir ein, dass diese nette Sache bei mir aber immer mit schlechtem Gewissen den Kolleginnen gegenüber verbunden ist. Als Selbständige bekomme ich krank kein Geld, aber ich kann dann alle E-Mails ignorieren, das Handy stummschalten und in Ruhe gesund werden, denn: Ich bin krank, ich muss jetzt mal gar nichts. Als Angestellte denke ich die ganze Zeit an meinen vollen Schreibisch.

Ich weiß inzwischen, dass die Welt nicht untergeht, wenn man ein paar Tage fehlt (ja, echt!), aber mein Kopf wimmert trotzdem, weil er denkt, dass ich jetzt von allen gehasst werde, weil ich halt faul im Bett liege und so. Bullshit. Diese Woche hat mich auch daran erinnert, warum ich damals in die Selbständigkeit wollte: weil ich dann nur für mich verantwortlich bin und der Rest der Welt keine Ansprüche mehr auf mich hat. Das ist in meinen Augen genauso super wie Krankengeld. Ich muss zugeben, ich habe dieses Gefühl doch vermisst.

Sehr gute Besprechung von „Noch wach?“, die ausdrückt, was ich nur bauchgefühlig vermelden konnte: „Beef im Boys Club“ von Johannes Franzen, via seinem Newsletter, in dem er auch sein Buch über Schüsselromane verlinkt, das seit Kurzem frei verfügbar ist.

„«Noch wach?» [leidet] unter dem klassischen Problem eines Romans, der so offensichtlich eine Realität erzählen will: Er steht in Konkurrenz zu dieser Realität. Und die besitzt am Ende oft einen viel höheren Schauwert als die mühsame Fiktionalisierung.

Die privaten Nachrichten Döpfners, die die «Zeit» veröffentlicht hatte, kamen mit einer schmutzigen Authentizität daher, die ihre Protagonisten unmittelbar plastisch machte. Ein Roman wie «Noch wach?» hingegen muss sich die Frage stellen lassen, ob er mit der Realität, die er aufgreift, mithalten kann, und die Antwort muss in diesem Fall lauten: Nein, kann er nicht. Stuckrad-Barre hat sich an der Heraus­forderung, einen Enthüllungs­roman über Medien und Macht­missbrauch zu schreiben, gründlich verhoben. […]

Dem neuen Roman allerdings wird es ästhetisch zum Verhängnis, dass Stuckrad-Barre wirklich nur diese eine Sache kann. [schnoddrige Alltags­beobachtungen, umgangs­sprachlich, aber pointiert vorgetragen] Nun ist es natürlich gut für einen Autor, wenn er einen Sound beherrscht. Aber nicht jeder Sound passt zu jedem Thema. […]

Das zeigt sich nirgends so deutlich wie in der Darstellung der Frauen, deren Kampf dieser Roman doch eigentlich unterstützen sollte. «Noch wach?» ist ein gutes Beispiel dafür, dass es gründlich schief­gehen kann, wenn ein Mann versucht, Frauen eine Stimme zu geben. Denn die Stimmen der jungen Frauen erklingen vor allem in einer von Anglizismen durchsetzten überspannten Jugend­sprache, die im Modus des Romans vor allem so wirkt, als wolle der Autor sich über sie lustig machen […]

Dazu passt die politische Naivität, die den Roman durchzieht. Ein gelungener Medien- und Gesellschafts­roman muss toxische Strukturen individualisieren, um die konkreten Figuren zum Instrument sozialer Kritik zu machen. Bei Stuckrad-Barre ist aber alles Individualität. Wäre der Chef­redaktor nur etwas weniger böse, wäre der Freund nur etwas mutiger, wäre der Sender nur etwas netter – dann gäbe es kein Problem. […]

Statt am Versuch zu scheitern, ein grosses Buch über sexuelle Ausbeutung von Frauen am Arbeits­platz zu schreiben, hätte Stuckrad-Barre sich auf die Geschichte einer unrettbar vermachteten Freundschaft beschränken können. Dann wäre womöglich ein aufregender Roman dabei heraus­gekommen. Aber wohl kein lukratives mediales Gross­ereignis.“

Neues Buch angefangen: „Hiob“ von Joseph Roth. Ich sagte ja bereits, dass ich mich jetzt durch sein Gesamtwerk lese. Ich bin so fasziniert davon, dass der Mann über Dinge schreibt, die null mit mir zu tun haben, aber ich mich in seinem Stil so zuhause fühle, als hätten sie mit mir zu tun.

Außerdem gleichzeitig neu vor meiner Nase: „Göttinnen und Fußabstreifer. Die Frauen und Picasso“ von Rose-Maria Gropp, das den Blick vom ollen Genie ab- und seinen Frauen zuwenden will. Momentan klingt es mir noch arg atemlos, was natürlich der nicht überwältigenden Gesamtlänge des Buchs zuzuschreiben ist, das sich an ein breites Publikum und nicht uns Historikerinnen wendet, aber so ganz bin ich noch nicht überzeugt, ob das nicht zu atemlos geworden ist. Kaum hat man eine Frau kennengelernt, kommt schon die nächste ins Bild.

Heather B. Armstrong ist gestorben. (Link ohne Paywall) Auf Mastodon wurde ich angepault, eine Triggerwarnung vor solche Sätze zu setzen, aber ich frage mich, ob ein „CW: Suizid“ im Toot nicht denselben Effekt hat, als das Wort in einem Artikel zu lesen. Memo to me: mehr mit Content Warnings und ihren Sinn oder Unsinn beschäftigen.

Ich habe Dooce jahrelang religiös gelesen, alles, jeden Eintrag, irgendwann habe ich ihr Blog bis zum Anfang nachgelesen, weil ich ihren Stil so geliebt habe, ich habe angefangen, IN VERSALIEN zu schreiben, weil Heather das so machte. Auch als absolute Nicht-Mutter las ich ihren Eltern-Content sehr gerne, ich mochte ihre Fotos und ihre Einrichtung, das war alles nett und gleichzeitig rabenschwarz und voller Schimpfwörter.

Dass sie in den letzten Jahren noch stärker an ihrer Depression litt als zu den Zeiten, als ich sie las, habe ich nicht mehr mitbekommen. Die Nachricht von ihrem Tod hat mich doch mehr berührt, als ich dachte, sie war eben ein Teil meiner eigenen Internet-Geschichte. Mia Friedman von MamaMia schrieb den meiner Meinung nach besten Satz zu ihr, ich vertwitterte ihn bereits: „Through her blog, Heather taught me the value of sharing incredibly personal, complicated things and that out there someone has a wound in the shape of your words.“

Danke, Heather. Ich hoffe, du hast deinen Frieden gefunden. Say hi to Chuck from me!

Kaum gekocht, weil halt krank, viel Porridge mit einem Berg Obst drauf gegessen. Sehr gut.

Mich über einen Studi geärgert, der meinte, ausgerechnet in einem Seminar, in dem man besseres Schreiben lernt, ChatGPT anwerfen zu müssen und das als eigene Hausaufgabe abzugeben. So nicht, Burschi.

Der letzte ESC auf Twitter? Meine halbe Timeline war auf Mastodon, wo ich es aber nicht so bunt fand wie auf der Birdsite. Mal sehen, was nächstes Jahr ist.

Im E-Mail-Programm in den Einstellungen die Schrift größer gestellt. Ich werde alt. (Ist okay.)