6. August 2022 – Dem Kids Club winken

F. weilte die letzte Woche auf Wackööön, weswegen ich seine Dauerkarte für den FCA auf dem Küchentisch liegen hatte. Meine eigene hatte ich zu dieser Saison abgegeben, wobei sie streng genommen nie meine eigene war, sondern dem ehemaligen Sitznachbarn von F. im Stadion gehörte, der inzwischen lieber in der Kurve steht und mir deshalb vor Jahren seinen Platz angeboten hatte. In den letzten zweieinhalb Jahren war mir Fußball immer egaler geworden, was aber sehr wahrscheinlich daran liegt, dass ich ihn wegen Corona nur noch im Stream verfolgte und nicht mehr vor Ort. Bei der EM der Frauen sind mir die tiefen Kameraperspektiven noch fieser aufgefallen als bei der Bundesliga der Männer, und auf die ewigen, ewigen Close-ups von verschwitzten Menschen sowie dem Publikum kann ich absolut verzichten. Ebenso auf die Unsitte, Spielsituationen in Zeitlupe zu wiederholen, während das Spiel schon weiterläuft. Ja, Kevin oder Alexandra wurden da böse gefoult, aber die stehen beide schon wieder, can I haz the game plz?

Ich muss zugeben, wenn das Wetter gestern in München so fies heiß gewesen wäre wie die ganze Woche, wäre ich schön zuhause vor dem Ventilator liegengeblieben, aber: Es war für mich perfektes Fußballwetter – gute 20 Grad (ich hätte die Jacke gar nicht mitschleppen müssen, aber ich bin aus der Übung), bewölkt (kein Cap und keine Sonnenbrille in der zweiten Halbzeit nötig, wenn die Sonne an den Platz kommt) und ein bisschen windig (Wind ist immer gut, nicht nur beim Fußball). Außerdem hatte ich schlicht nichts Dringendes zu tun und ein 9-Euro-Ticket, was auch das innere Gequengel über den Kauf eines Bayerntickets verstummen ließ, über den ich eigentlich nur meckere, wenn Augsburg verloren hat (wovon man grundsätzlich ausgehen muss).

Die Fanszene hatte zum Tragen von Weiß aufgerufen, ich holte also pflichtschuldig meine zwei in den letzten Jahren erworbenen Trikots aus der Schublade, die immerhin im Grundton Weiß haben, das von Finnbogason mehr als das von Max. Dann fiel mir aber ein, wie unangenehm Treffen mit Fans von 1860 München sein können, die dich deutlich als Augsburg-Fan erkennen, ich ergoogelte mir, dass die Herren gestern ein Heimspiel hatten, weswegen die Chance durchaus da war, einigen von ihnen in der U-Bahn oder am Bahnhof zu begegnen und hatte schon wieder keine Lust mehr auf den ganzen Rotz. Wieso nicht einfach bis September warten, bis die Bundesliga der Frauen losgeht und ich zum Bayern-Campus radeln kann, in total egalen Klamotten? Hrmpf.

Ich zog ein neutrales Shirt an und knotete aber wenigstens meinen Schal ans kleine Stadiontäschchen. Den stopfte ich mir dann unter die Jacke, als meine U-Bahn einfuhr und ernsthaft der komplette erste Waggon, in den ich eigentlich einsteigen wollte, mit Blauen voll war, weswegen ich doch lieber in den nächsten Waggon einstieg. Immerhin war der Regionalzug nach Augsburg pünktlich und absolut nicht voll, wenn ich auch weder lesen noch Musik hören konnte, denn meine Noise-Cancelling-Dinger passen nicht mehr ins Täschchen, wenn da schon Sonnenbrille und Cap drin sind (man weiß ja nie, blöde Sonne), und lesen ging nicht, weil sich hinter mir zwei junge Herren über ihre Jobs unterhielten, die sie beide gekündigt hatten, der eine bei einem Start-up, dessen Name leider nie fiel, der andere bei einem großen Elektronikhersteller, dessen Interna ich durchaus interessiert mitverfolgte.

Spätestens in Augsburg-Haunstetten verflog dann alle schlechte Laune, weil gut gelaunte Fans um mich herumstanden und mit mir auf die Tram warteten, auch die der Gäste, Freiburg-Fans sind entspannt, bei denen gibt’s nie Stress (looking at you, Frankfurt, für mich die unangenehmsten Gastmannschaftsfans, mit denen ich nie in einer Bahn stehen will). Auf der Tramfahrt zum Stadion (Sitzplatz, woo-hoo!) guckte ich erstaunt aus dem Fenster und hatte das Gefühl, dass sich in den letzten zweieinhalb Jahren die Hälfte der Gebäude verändert hatte, aber ich nehme an, das ist Blödsinn und ich googele das jetzt auch nicht nach. Was allerdings garantiert stimmt: Die Bäume an der Fußwegstrecke von der Tramhaltestelle zum Stadion sind deutlich sichtbar gewachsen; einige meiner gewohnte Fotopunkte hatten mehr Grün im Sucher als je zuvor, weswegen ich das Geknipse bleiben ließ. Ihr müsst mir einfach glauben, dass die WWK-Arena noch steht.

Im Vorfeld hatte ich auf der Vereinswebsite nachgeschaut, wie inzwischen das Bezahlen im Stadion funktionierte. Ich hatte noch meine alte FCA-Card, wusste aber überhaupt nicht mehr, ob darauf noch Geld war und ob sie noch als Zahlungsmittel akzeptiert wurde. Wird sie noch, wie ich erfuhr, aber ich lud mir trotzdem die empfohlene App aufs Handy, mit der man nun auch zahlen kann und die direkt vom Konto abbucht; man muss also nicht mehr im Vorfeld Geld ausgeben. Finde ich gut, Handy hat man eh immer dabei.

Der Einlass ging blitzschnell, das Scannen von F.s ausgedruckter Dauerkarte auch; der FCA hat inzwischen digitale Dauerkarten, kein Plastik mehr, was für Sammler und Sammlerinnen vermutlich doof ist, aber auch hier: hat man dann halt praktisch auf dem Handy. Ich hatte den Ausweis in meiner Apple-Wallet, nutzte aber, warum auch immer, den Ausdruck, den mir F. vorsichtshalber gemacht hatte, daher kann ich nicht berichten, ob die Karte in der Wallet funktioniert. Das teste ich beim nächsten Mal, wenn ich mir eine Einzelkarte gönne, denn das wurde mir gestern – leider? weiß noch nicht – klar: Ich würde schon gerne wiederkommen.

Aber erstmal erledigte ich die üblichen Gänge, die ich immer im Stadion mache: erstmal aufs Klo und Hände waschen. Die Tür stand groß offen, was ich sehr sinnvoll finde, das hat mich schon immer genervt, dass man mit frisch gewaschenen Händen wieder eine Türklinke anfassen musste (auch dazu ist der Schal super), das entfiel jetzt. Dann ging es an die Fresstheke, die App im Anschlag und zusätzlich meine FCA-Card, die ich auf den Scanner legte: Da waren noch 36 Euro drauf! Das war ein bisschen so, wie einen Fuffi in einem Blazer wiederzufinden, der jahrelang im Schrank gehangen hat. Milchmädchen Gröner glaubt daher, gestern umsonst eine Wurst gegessen und eine Apfelschorle getrunken zu haben, denn mit der Kohle hatte ich gar nicht mehr gerechnet.

Dann ging’s rein, und ich war gespannt, wieviele der Leute, an die man sich in den letzten Jahren als Dauerkartennachbarn gewöhnt hatte, noch da waren. Es war gerade einer übriggeblieben, den ich erkannte und der sich sichtlich darüber freute, dass ich kam. Vor uns saß sonst ein Vater-Sohn-Gespann, aber möglicherweise sind die im Urlaub. Drei Herren vor uns, mit denen wir nie sprachen, die aber immer da sind, waren auch da, die Meckerriege hinter uns ist immerhin noch in Teilen vorhanden, aber neben mir saßen Unbekannte, auch auf meinem Platz, der von einem Vater besetzt war, neben ihm sein circa sechsjähriger Sohn in voller FCA-Montur. Neue Dauerkarten-Inhaber? Ich hatte im Vorfeld spaßeshalber im Ticketing nachgeschaut, ob mein ehemaliger Stammplatz noch frei war, aber er war es gestern nicht und er ist es auch die zwei nächsten Spiele nicht, die schon im Vorverkauf sind. Meh.

Es war sehr schön, die Kurve wieder zu hören (ich hatte vergessen, WIE LAUT ES IM STADION IST), es war schön, den Kasperl bei seiner wie üblichen falschen Vorhersage um kurz nach 15 Uhr auf der Stadionleinwand zu sehen, und es war schön, dem Kids Club wieder winken zu können, während die Hymne läuft und man mitsingt. („SCHÖÖÖÖNEN STADT!“) Die Kinder durften, wenn ich mich richtig erinnere, zu Pandemiezeiten(TM) nicht mehr auflaufen, aber jetzt war alles wieder wie früher(TM). Leider auch das Spiel der Augsburger: Das war ein grauenhafter Grottenkick. In der ersten Halbzeit war ich noch damit beschäftigt, wieder alles toll zu finden, aber in der zweiten ging gar nichts mehr, da bekam Augsburg vier Tore eingeschenkt und das zu Recht. Das erste ausgerechnet (der musste sein) von Gregoritsch, der fünf Jahre beim FCA war und nun in Freiburg spielt; er wurde vor Spielbeginn mit Blumen und Applaus verabschiedet, und auch deswegen wollte ich ins Stadion, um ihm nochmal kurz Danke sagen zu können.

Ich erwischte wegen kurzer Kloschlange (und weil viele schon vor Schluss gegangen waren) eine frühe Tram und damit theoretisch einen frühen Zug nach München. Der war aber nicht in der üblichen Regionalbahnlänge unterwegs, sondern erinnerte eher an eine Tram und war brechend voll. Ich quetschte mich ohne groß nachzudenken trotzdem noch rein, dann stehe ich halt 40 Minuten, Hauptsache nach Hause, denn ich hatte mit Entsetzen festgestellt, dass die Schwarze Kiste nicht mehr am Haunstetter Bahnhof stand; das war mir auf der Hinfahrt gar nicht aufgefallen. Die Kiste ist ein Truck, an dem man sich nach den üblichen Spielen das dringend nötige Trostbier besorgt und sich damit die Heimfahrt etwas angenehmer gestaltet. Deswegen wollte ich schnell heim: Da lagen ein paar Augustiner im Kühlschrank.

Der Zug zuckelte nach Haunstetten durch Augsburg-Hochzoll und Kissing, aber in Mering, also ungefähr 50 Kilometer von München entfernt, kam dann die Ansage, dass der Zug absolut zu voll wäre und der Lokführer nicht weiterfahren würde, bis einige ausstiegen. Von Mering kommt man nicht so ohne Weiteres weg, daher gab es nicht viele, die dieser Bitte nachkamen, auch ich blieb erstmal stur im Zug, aber nach 20 Minuten dämmerte mir, dass sich wohl irgendwer bequemen müsste, auszusteigen. Es kamen keine Durchsagen mehr, der Lokführer und ein Kollege gingen nun von Tür zu Tür, baten, wiesen auf Folgezüge hin – „der nächste kommt in zehn Minuten, in dem ist Platz“ –, was von nicht allen geglaubt wurde, meine App half auch nicht weiter, aber irgendwann dachte ich, irgendwer muss aussteigen, also steige ich halt aus. Ich verstand allerdings das Grundproblem nicht recht: Gerade nach Fußballspielen waren die Regionalzüge des Öfteren richtig voll, man stand in den Gängen, es kam niemand mehr so recht durch. Gestern schafften es eine Mutter und ihre kleine Tochter noch mit Bitten und Anstupsen, zum Klo zu kommen, ohne Probleme, dauerte halt nur ein bisschen, bis man ein paar Körper umgeschichtet hatte. Das war laut Lokführer nämlich seine Messlatte: Die Gänge müssten frei sein. Als ob die jemals nach einem Fußballspiel frei gewesen wären. Aber nun gut.

Ich stand nun also draußen mit ungefähr 50 weiteren Menschen und schaute dem stehenden Zug zu, als mehrere Polizisten auf den Bahnsteig kamen. Die waren anscheinend etwas deutlicher in ihren Ansagen und so leerte sich der Zug schneller als in den vergangenen 20 Minuten. Dann durfte das Züglein fahren, ich winkte, drinnen wurde geklatscht. Die Polizei erklärte mehrfach und jedem, dass wir garantiert in den nächsten Zug kämen, in dem wäre locker Platz, alles kein Ding. Die Beamt*innen waren dabei stets super freundlich und ruhig, wobei von uns auch niemand Stress machte. Kurz bevor der dann wirklich ziemlich leere Zug kam, marschierte allerdings noch Verstärkung auf den Bahnsteig, mit Sturmhauben, Kameras und Hunden, womit ich hier im Niemandsland gefühlt mehr Polizei gesehen hatte als vorher im Stadion. Ein Polizist meinte, sie hätten seit Einführungs des 9-Euro-Tickets an jedem Wochenende solche Situationen, und anscheinend sind an manchen Tagen dann wohl auch Sturmhauben, Kameras und Hunde nötig. Ich empfand das als totalen Overkill und wie gesagt, nach Spielen sind die Züge immer voll, aber gut, was weiß denn ich vom schlimmen 9-Euro-Ticket, das ich als Ersatz für mein Semesterticket angesehen hatte und womit ich in den vergangenen Monaten entspannt U-Bahn und Bus gefahren bin.

Im neuen Zug bekam ich sogar einen Sitzplatz und war zu der Zeit zuhause, in der ich auch sonst zuhause gewesen wäre, hätte ich gleich den späteren Zug genommen, aber dann hätte ich keine tolle Geschichte zu erzählen gehabt.

In weiser Voraussicht hatte ich vor der Abfahrt zwei Scheibchen Brezn-Gugelhupf aufgetaut, die gab’s jetzt mit flugs zusammengeworfenem Salat. Und endlich Trostbier.

Ich bin selbst erstaunt darüber, dass ich eigentlich eine gute Zeit hatte. Ja, das Spiel war grauenhaft und die Rückfahrt etwas unentspanner als erhofft, aber ich war wieder im Stadion, die Wurst war super, die Leute um mich herum nett, und bis auf wenige Momente war ich ziemlich gut gelaunt. Ich ahne, dass ich der Dauerkarte nicht mehr hinterhertrauere, wenn es wieder kalt wird und Augsburg weiterhin Müll spielt, aber ich ahne auch, dass ich mir wohl in den nächsten Wochen ein paar Einzelkarten gönnen werde. Denn das war dann doch ein schöner Tag. (Bin immer noch erstaunt.)