Was schön war, KW 28/29 – Shopping High und Partyspaß

Die letzten Wochen waren für mich anstrengender als erwartet, was an der Situation mit Papa liegt. Ich mache es sehr kurz: Ich habe dem Mütterchen Anfang Juni geholfen, eine neue schwarze Bluse zu kaufen und auch ich hatte meine schwarzen Klamotten schon in München rausgelegt, damit mir F. die von einem Tag auf den anderen mit dem Zug mitbringen könnte. Dazu kam es glücklicherweise nicht, aber das ist die Situation, in der wir uns seit Ende Mai befinden. Seitdem habe ich Angst vor jedem Anruf meiner Mutter und jeder WhatsApp meiner Schwester, was mich doch eher unentspannt sein lässt. Ich habe für alles gerne einen Plan, den ich strukturiert abarbeite, egal ob es um einen Job oder die Packliste für den Urlaubskoffer geht. Diese Situation ist für mich neu und belastet mich, und ja, mir ist klar, wie egozentrisch sich ein Jammern über persönliche Stresslevel anhört, weil jemand im Sterben liegt. Aber dafür ist mein Blog halt auch da: Dinge sortieren, die ich glücklicherweise so noch nie sortieren musste. (Und mir ist auch klar, wie sehr dieser erste Absatz mit der Überschrift clasht.)

Ein weiterer Stresspunkt war die Hochzeit, zu der F. und ich am vergangenen Wochenende eingeladen waren. Menschenmengen und Small-Talk-Obligationen sind nicht erst seit Corona für mich Stress, die Hitze ist auch nicht mein Freund, und generell bin ich vor solchen Veranstaltungen grundsätzlich schlecht gelaunt, weil ich, Achtung, erneute Egozentrik, nichts Vernünftiges anzuziehen habe. Trotz aller Body Positivity kaufe ich immer noch extrem ungern Kleidung und habe mich in den vergangenen Jahren mit der Kombi Jeans, Shirt, Sneakers arrangiert. Für Sterneläden und Konferenzen wird es die dunkle Stoffhose und die dunkle Bluse (und Sneakers), in die Oper und ins Theater gehe ich inzwischen auch so. Aber das ist halt keine feierliche Hochzeitsklamotte, um die gebeten wurde. Für die kleinere Hochzeit von F.s Bruder im vergangenen Jahr hatte ich mir eine türkise Leinentunika gekauft und dunkle Schuhe, damit die zur üblichen Opernhose passten. Das war irgendwie nett, aber gleichzeitig habe ich mich doof gefühlt, weil alles – wie immer bei mir – so okay passte, aber nicht richtig. Also richtig im Sinne von „sieht aus wie für mich und meinen Körper gemacht, will ich nie wieder ausziehen“ und nicht „hängt okay, nichts quillt über, kann man einen halben Tag lang ertragen“.

Und dann legte F. die Latte noch höher, indem er ein bisschen Geld in die Hand nahm und sich einen ungemein schönen Anzug kaufte, mit Einstecktuch, Fliege, dazu ein passendes Hemd, Manschettenknöpfe, neue Schuhe, was soll ich sagen, der Mann sah traumhaft aus. Ich beneide Kerle so dermaßen um Manschettenknöpfe! Alleine dafür habe ich mit dem Nähen angefangen, damit ich mir irgendwann ein Blusenhemd nähen kann, das verdammt nochmal mit Manschettenknöpfen zu schließen ist.

Neben diesem Traummann wollte ich jetzt nicht in okay hängender Tunika auflaufen. Ich erinnerte mich an einen dunkelblauen Anzug, der seit Jahren bei mir im Schrank hängt und viel zu weit ist (dass mir das mal passieren würde). Damit hätte ich jetzt zu einer Schneiderin gehen können, aber mein Nähehrgeiz war erwacht. Ich schaute diverse YouTube-Videos, wie man Hosen und Jacken kürzt und enger macht, öffnete Omas Nähkästchen und schnitt (schnitt! Ich habe noch nie Hosenbeine abgeschnitten, das war sehr aufregend) und nähte dann stundenlang per Hand an der Hose herum. Ja, per Hand, ich fühle mich damit sicherer als mit der Maschine. War vermutlich zu viel Arbeit, aber die hat mir sehr viel Freude gemacht.

Mit endlich passender Hose und zugegebenermaßen nur halbwegs passender Jacke, denn an die hatte ich mich dann doch nicht ganz so rangetraut, drehte ich ein kleines Video von mir. Ich habe seit einiger Zeit wieder einen Ganzkörperspiegel, aber der befindet sich am Schlafzimmerschrank, vor dem in nicht großer Entfernung das Bett steht, weswegen ich nicht weit genug zurückgehen kann, um wirklich zu sehen, wie ich aussehe. Also stellte ich mein Handy auf den Schreibtisch, startete die Aufnahmefunktion und ging durch zwei Zimmer, um mich von allen Seiten anzuschauen. Das war eine interessante Übung in Selbstwahrnehmung; ich sehe mich sehr selten selbst, aber das war durchaus in Ordnung. Ich wagte sogar den Irrsinn, meine Bluse in die Hose zu stecken, was in diversen Ratgebern für dicke Frauen als totales No-go beschrieben wird, denn das kaschiert ja um Gottes willen den Hüftspeck nicht, SCHLIMM. Ich fand es aber durchaus nett, meine Taille mal wieder zu sehen, auch wenn man sie etwas suchen muss.

In dunkelblauer Bluse und eben diesem Anzug ging es dann mit F. in die Tantris-Bar, ich schrieb darüber. Ich fühlte mich äußerst wohl, auch ohne kaschierende Jacke rumzusitzen oder aufs Klo zu gehen und war mit dem Look sehr zufrieden. Bis F. vorsichtig meinte, dass der Anzug doch eher nach schwarz als nach dunkelblau aussehe und das wäre für eine Hochzeit vielleicht doch eher doof. Ich musste auch zugeben, dass meine dunkelblaue Bluse etwas heller aussah als der Rest von mir, und so hängte ich den Anzug wieder in den Schrank und hatte wieder kein Outfit und war wieder genervt.

Meine üblichen Adressen für Kleidung haben nichts, was mir halbwegs gefällt, denn anscheinend tragen dicke Frauen nur Dinge mit Strassscheiß drauf, wenn es festlich sein soll. Ich weiß im Nachhinein nicht mehr, welche Google-Suche mich schließlich zu Marina Rinaldi führte, vermutlich irgendwas wie „elegante kleidung große größen münchen“. Jedenfalls sah ich auf der Website diverse Outfits, ich die ich mich schockverliebte (das hier zum Beispiel. Oder dieses). Da ich bei dieser Marke noch nie eingekauft hatte, wagte ich mich todesmutig sogar in einen Laden anstatt blind Dinge online zu ordern und sie dann frustriert wieder zurückzuschicken oder faul und noch frustrierter zu behalten. Und so betrat ich seit Jahren mal wieder einen Shop, in dem es Kleidung für mich gab, wurde hervorragend beraten, mir wurden Optionen gezeigt, es wurden eine Hose und ein Blazer umgesteckt und zur Änderung gegeben, und diese Tunika konnte ich sogar gleich mitnehmen, die passte einfach so.

Der Blazer ist im Ansatz auf meinem neuen Twitter-Profilfoto zu sehen oder auf Insta, wo ich das spontane Badezimmerselfie postete mit der Absicht, es recht schnell wieder zu löschen, was ich dann nicht tat, weil felt cute nicht wieder wegging. Er ist nicht mehr auf der Website, was schade ist, denn für den bekam ich auf der Hochzeit diverse Komplimente, weil er einen lustigen Plisseeeinsatz an den Seite und im Rücken hat, was ihn erstens interessant aussehen lässt und mich zweitens weniger schwitzen ließ. Wobei ich eh wenig schwitzte, was mich genauso glücklich machte wie die Tatsache, dass Menschen mir Komplimente für mein Outfit machten. Das kannte ich noch nicht. Ich war im Vorfeld etwas misstrauisch gegenüber dem Begriff „Triazetat“ gewesen, weil für mich Kunstfaser bedeutet, dass es heiß wird und unangenehm. Eigentlich sollte ich nach meinen Tights und mehreren BHs und -Tops aus Kunstfaser für den Wohnzimmersport schon verstanden haben, dass nicht alles, was Kunstfaser ist, auch gleich doof ist, aber mei, es ist zu warm für vernünftige Gedanken. Google sagt, dass Triazetat das hässliche Wort für Kunstseide ist, und letzteres klingt natürlich gleich viel besser. Sowohl Anzug als auch Tunika haben sich herrlich auf der Haut angefühlt, viel leichter als erwartet (Blazer und Tunika haben durchaus ein gewisses Gewicht), nach den Änderungen saß alles perfekt und ich trug beides am vorletzten Samstag glücklich aus dem Laden. Ja, das war mehr Geld als ich jemals für Kleidung ausgegeben habe, aber ich ahne allmählich, dass es das wert war und bleiben wird. Kein innerer Stress mehr, wenn die nächste Einladung ansteht, kein Underdressed-Gefühl mehr im Sterneladen, sondern stattdessen sogar ein „Ich bin nicht nur gut, sondern sehr gut angezogen“-Gefühl, das ich sonst schlicht nicht habe.

Das alleine hätte die Hochzeit schon zu einem tollen Event werden lassen, aber es waren dann doch eher die Menschen und die Stimmung, und auch davon war ich schlicht überrascht.

F. und ich sind in den letzten zweieinhalb Jahren zu kleinen Einsiedlerkrebsen geworden. Wir waren gerade zu Beginn der Pandemie quasi nirgends mehr, nicht mehr spontan in Ausstellungen, noch weniger in Theater oder Oper, äußerst selten in Restaurants und am allerwenigsten traf man sich mit Menschen. Nach diesen vielen Monaten ist uns irgendwann klar geworden, dass der politische Wille nicht da ist, alle zu schützen; es wird sehr wahrscheinlich keine Impfpflicht geben, mit der alles deutlich einfacher werden würde, und der Wille zur Eigenverantwortung, an den so gerne appelliert wird, ist anscheinend auch nicht bei allen gleich ausgeprägt. Wir müssen uns also irgendwann entscheiden, entweder das körperliche Risiko einer Infektion einzugehen oder das psychische, nämlich weiterhin alleine zuhause zu bleiben, mit Menschen nur über WhatsApp in Kontakt zu sein, Kunst und Kultur nur im Internet wahrzunehmen und dabei allmählich wunderlich oder irre zu werden. Ich persönlich trage weiterhin Maske, wo es nur geht, bin inzwischen viertgeimpft und verzichte weiterhin auf vieles, aber auch ich kann allmählich nicht mehr. Die wenigen Restaurantbesuche, die ich mir mit F. gönne, haben jedesmal sehr gut getan. Und so war auch die Teilnahme an der Hochzeit überhaupt keine Frage, selbst wenn es im Vorfeld für mich Stress war. Aber auch ich Soziophobikerin habe nach diesen Monaten verstanden, dass selbst ich ab und zu menschliche Kontakte brauche, die über meine Eltern, Schwester und Schwager und F. hinausgehen, um nicht in meinem eigenen Saft durchzudrehen.

Und genau das hat dann das Hochzeitswochenende so perfekt werden lassen. Ich traf Menschen wieder, die ich seit Monaten oder sogar Jahren nicht gesehen hatte, und wir sprachen sofort über spannende oder lustige Dinge anstatt uns mit dusseligem Smalltalk aufzuhalten. Ich glaube, die meisten von uns haben genauso wenig Energie dafür wie ich, und uns ist allen klar geworden, dass es keine Zeit mehr zu verschwenden gibt. Wo es ging, holte ich mir kleine Ruheinseln für mich alleine; so saß ich am Vorabend der Hochzeit zwar kurz mit im Biergarten, setzte mich dann aber lieber mit einem Buch auf eine Bank im Schlosspark, stand am Hochzeitstag selbst lieber alleine im Schatten als in der gut gelaunten Menschentraube in der Sonne vor der Kirche, und ging nach Sekt und Kuchen und vor dem Abendessen mal für ein Stündchen aufs Zimmer, auch um von Blazer und Top in die Tunika zu wechseln. Derartig gestärkt wollte ich dann auch nach dem Buffet nicht wieder gehen, wie ich das sonst auf den wenigen Hochzeiten gemacht hatte, auf denen ich bisher war, sondern blieb noch auf ein Bier und dann auf noch eins und unterhielt mich mit vielen Menschen und grölte schließlich zu schlimmen Partyhits der hervorragenden Band mit, die ganz genau wusste, welche Knöpfe sie drücken musste, um die Tanzfläche stets voll zu halten. Ich hatte Sonntag keine Stimme mehr, war aber so tiefenentspannt und eindrückesatt wie seit Monaten nicht mehr. Die Angst vor den Anrufen und WhatsApp-Nachrichten bleibt; eine erhielt ich auch auf der Rückfahrt mit einem Freund aus München, aber sie erwischte mich nicht ganz so fies wie ich erwartet hatte. Anscheinend brauche selbst ich Krebs mal ein paar Menschen, die meine Schale tätscheln, damit der Rest irgendwie einfacher zu überstehen ist. Viel gelernt in den letzten Wochen – wie gut unsere Familie inzwischen miteinander klarkommt, auch in sehr schwierigen Zeiten und Sitationen, über mich, meinen Körper und unerwartete Lösungen wie „passende Klamotten kaufen“. Und dass ich bei „Fürstenfeld“ auch nach diversen Oktoberfesten immer noch nicht textsicher bin.

Ach hier, komm, Bild aus dem Hotelaufzug, still feeling cute. Die Farbe stimmt nicht ganz, die auf der Website ist korrekt.