Termin im Prüfungsamt

Die letzte Amtshandlung der Promotion stand an: Gestern radelte ich in der vorgezogenen Mittagspause, weil das Prüfungsamt natürlich nur bis 12 geöffnet ist, in eben dieses und überreichte dem Sachbearbeiter, der seit vier Jahren meine verwirrten Mails beantwortet, drei Exemplare meiner gedruckten Dissertation sowie die vom Doktorvater unterzeichnete Druckgenehmigung. Ich verstehe nicht, warum ich die jetzt noch einreichen muss, schließlich liegt das Ding da gedruckt rum, aber wie ich vor wenigen Tagen schon twitterte: Ich hinterfrage meine Promotionsordnung nicht mehr, ich arbeite sie ab. Und das war gestern das letzte, was noch abgearbeitet werden musste.

Beim Rückweg zum Fahrrad schlenderte ich noch ein wenig durchs Hauptgebäude. Der erste Weg ging natürlich zum Lieblingshörsaal, wo ich meine allererste Vorlesung hatte, wo auf der ersten Folie der Aachener Dom zu sehen gewesen war und ich innerlich dachte, oh, stimmt, Architektur, das gehört dann ja wohl auch zur Kunstgeschichte. Toll. In diesem Hörsaal hörte ich Spannendes über stilbildende Ausstellungen seit den 1950er Jahren, lernte die französische Romanik kennen und die altniederländische Malerei, erfuhr Wissenswertes über Klöster, Schlösser und Salzspeicher, bewunderte US-amerikanische und feministische Kunst des 20. Jahrhunderts, schwitzte im Sommer und fror dann, als es eine Klimaanlage gab oder sie mal benutzt wurde, drängelte mich durch Reihen von Senior*innen, die stets früher da waren als ich und überall die „Süddeutsche“ ausgebreitet hatten, und freute mich immer, wenn ich einen Klappsitz erwischte, der nicht nach unten durchhing. Irgendwann weiß man ja auch, in welchen Reihen die sind. Ich lernte, mich nicht hinter Leute zu sitzen, die sich Notizen auf dem Laptop machen anstatt per Hand, denn irgendwann checken sie Facebook und ich muss dann mitlesen, weil ich halt neugierig bin. Ich lernte, mich nicht hinter Grüppchen zu setzen, weil die gerne quatschen, und ich lernte, von wo man die Folien vernünftig lesen konnte und wo eher nur mit Interpretationsfähigkeiten. Das hört sich jetzt an, als wäre der Saal fürchterlich gewesen, aber warum auch immer war er mein liebster, vielleicht weil er der erste war. Die Sitze stammen gefühlt aus den 1960er Jahren, und ich mochte das „Rauchen verboten“-Schild an der Stirnseite, das mir sagte, dass das wohl irgendwann mal erlaubt gewesen war. Gestern wurde ausgerechnet in diesem Hörsaal eine Klausur geschrieben, die Türen standen offen, die wenigen Studis saßen Corona-gerecht verteilt, aber ich konnte natürlich kein Foto machen.

Dann eben vom anderen Hörsaal, in dem ich vermutlich ebenso viele Vorlesungen hörte wie im Liebling. Hier lernte ich unter anderem Cézanne kennen und schätzen, verstand, wie toll Fotografie sein kann und wie viele Kirchen in Rom rumstehen. Wenn ich mich richtig erinnere, schrieb ich hier meine letzte Klausur.

Über die große Treppe an der Rückseite des Gebäudes gelangt man ins Innere, wo sich der bekannte Lichthof befindet. Unten ist ein kleines Denkmal für die Weiße Rose, direkt vor der Denkstätte (kein Schreibfehler). Ich war in neuneinhalb Jahren nicht ein einziges Mal drin und auch gestern wollte ich nicht.



Der letzte Blick galt dem Speerträger, an dem man als LMU-Absolventin traditionell das Foto mit der Promotionsurkunde macht. Die liegt in vier bis sechs Wochen in meinem Briefkasten, und dann komme ich nochmal vorbei.

Ein bisschen musste ich weinen, war klar, ich wohne quasi am Wasser. Ich habe so irrsinnig gern studiert und ich bin sehr stolz auf den Titel, der sofort in den Perso kommt, sobald die Urkunde da ist.

Es fühlt sich etwas irreal an, weil die Welt bzw. zwei Staaten, die nicht wirklich weit von mir weg sind, gerade mit sehr anderen Dingen beschäftigt sind. Es fällt mir ein bisschen schwer, mich so richtig zu freuen, aber das ist eh nicht das Hauptgefühl, was ich gerade spüre. Es fühlt sich anders an als direkt nach der Abgabe der im Copyshop gebundenen Diss an die Prüfenden. Das war der dicke Brocken. Das hier ist quasi nur noch Pflichterfüllung. Aber es ist jetzt trotzdem die Ziellinie, auf die ich seit der Verteidigung im November 2020 zugelaufen bin. Der Schlusspunkt. Das war’s.

Ich werde noch ein bisschen vor mich hinwimmern und, wenn ich ehrlich sein darf, den Rest der Welt soweit wie möglich ignorieren, weil mich schlicht alles überfordert. Ich dachte, die Pandemie wäre das Schlimmste, was uns passieren kann, aber hey, nein, da kann man noch ein Schippchen draufpacken. Auch deswegen fühlt sich diese Ziellinie so seltsam und klein und unbedeutend an. Und ich ahne, dass dieser Blogeintrag auch eher für mich ist, um mir zu sagen, dass meine Leistung in den letzten gut vier Jahren alles andere als klein und unbedeutend ist.