KW 30 – Manuskriptabgabe und keine Party

Ich hatte gehofft, dass vor meiner zweiten Schicht im Norden – die letzten 10 Tage der Reha meiner Mutter – noch eine CD aus dem Kunstarchiv in Nürnberg in meinem Briefkasten landen würde. Ich war Anfang Juni dort gewesen, hatte 54 Fotos im Nachlass von Protzen per Einlegeblatt markiert und um Einscannen derselben gebeten. Seitdem wartete ich auf eine CD oder einen Download-Link, denn diese 54 Bilder fehlten mir noch für die Manuskriptabgabe meines Protzen-Buchs Ende Juli. Ich versuche gerade, mir das Wort „Diss“ abzugewöhnen, denn gefühlt ist sie das nicht mehr. Promotionsordungstechnisch schon, aber buchmarktmäßig halt nur noch so halb.

Es kamen weder CD noch Link, und so fragte ich am Anfang Juli mal vorsichtig nach; ich bekam netterweise statt einer Mail gleich einen Anruf, dass die Rechnung schon längst bei mir hätte sein sollen, denn 54 Scans kosten mich 540 Euro, und die hätte das Archiv gerne vorab. Kein Problem, aber dann bräuchte ich halt eine Rechnung. Die Dame aus dem Archiv fragte nochmal in der Rechnungsabteilung nach, dort entdeckte man einen Zahlendreher in der Adresse, weswegen das Schreiben auch wieder nach Nürnberg zurückgegangen war, ich bat um die Rechnung per Mail, die kam auch sofort, ich überwies sofort und vermeldete das per Mail sofort – aber es kam keine CD, bis ich am 11. Juli wieder in den Norden musste.

Wir hatten den total unkomplizierten Plan, dass F. alle zwei Tage in meinen Briefkasten schaut, sich die CD auf seinen Rechner zieht, die Daten per WeTransfer an meine Schwester schickt, ich zu ihr fahre, denn dort gibt es INTERNET, alles runterlade und gemütlich bearbeite, um am 29. Juli entspannt mein komplettes Manuskript mit allen Bildern abzugeben.

Dieser tolle Plan klappte leider nicht, weil keine CD kam, die war wirklich erst da, als auch ich mit dem Köfferchen ins Haus rollte und den Briefkasten öffnete. Am 22., meinem Ankunftstag zuhause in München, brauchte ich erstmal Pause, nachdem ich überprüft hatte, dass ich die CD öffnen konnte und alle Bilder da waren. Waren sie, und sogar noch ein Bonusbild von einer Fotorückseite. Die sagte mir nichts, was ich nicht schon wusste, aber das fand ich trotzdem sehr nett, dass die kostenlos mitgescannt wurde, denn ich hatte die Fotos natürlich nicht aus den Alben gepult, als ich sie damals vor 100 Jahren per iPhone bzw. Spiegelreflex ablichtete, um mit ihnen arbeiten zu können, ohne ständig nach Nemberch zu müssen.

Am 23. war Date Night, da gönnte ich mir auch noch Pause, aber ab Samstag war ich dann hibbelig und arbeitete das Wochenende durch. Montag guckte ich nochmal über alles rüber und war zufrieden. Dienstag morgen guckte ich nochmal rüber, fand noch einen Fehler, korrigierte und war zufrieden.

Normalerweise lasse ich nach Korrekturen alles noch eine weitere Nacht liegen, schadet nie, aber irgendwie war mir danach, jetzt endlich einen Haken an das Ding zu machen. Den Text hatte ich geschätzt 180 Mal Korrektur gelesen, da sollte jetzt wirklich nichts mehr dran sein. Die Bilder waren nun auch alle da, bearbeitet und korrekt benannt, ich hatte alle Markierungen aus dem Dokument entfernt, die mal drin waren – los, Hase, jag es raus. Also schickte ich ein Word-Dokument und ein PDF mit jeweils 390 DIN-A4-Seiten an den Verlag und lud 1,6 GB Bilddaten auf die WeTransfer-Server. Dann twitterte ich, wie man das halt heutzutage macht nach großen Sachen, lehnte mich zurück und dachte vergnügt: Jetzt hast du ein paar Tage frei, dann kümmerst du dich um alles, was in den letzten vier Wochen liegen geblieben ist, Freitag gehst du auf eine Hochzeit im kleinen Kreis, das erste Mal seit … weiß ich nicht … dass ich mit mehr als vier Leuten irgendwo bin, und überhaupt musst du erst im September wieder in den Norden.

Dieses wohlige Gefühl konnte ich genau zwei Stunden lang genießen, bis mein Handy klingelte und mein Mütterchen mir sagte, dass sie ins Krankenhaus muss.

Schwester und Schwager waren im Süden, um die letzten Handgriffe für eine Wohnungsübergabe zu erledigen, die sie eh nur Etappen hatten erledigen können, weil wir uns ja die Pflege von Papa geteilt hatten, die waren unabkömmlich. Also packte ich meinen gerade ausgepackten Koffer wieder ein, buchte den nächstmöglichen Zug und fuhr wieder in den Norden, sehr müde und traurig.

Wir fällen hier gerade größere Entscheidungen, dem Mütterchen geht es den Umständen entsprechend, uns auch, aber das gehört alles nicht ins Blog. Überhaupt habe ich seit Längerem das Gefühl, dass vieles nicht mehr in mein Blog gehört. Ich lese kaum noch andere Blogs, schaue derzeit auch auf Twitter nur sporadisch in der Gegend rum und nicht mehr alle fünf Minuten. Vielleicht ändert sich das wieder, ich weiß es nicht. Jetzt gerade ist alles zu viel. Vielleicht erwischt mich auch mit Verzögerung nun die Lockdown- und Einschränkungsmüdigkeit, von der ich mich halbwegs gut ablenken konnte, weil ich an der Diss (der zukünftigen Ex-Diss) rumpuzzeln musste.

Was schön war. Seufz.

– Die Hochzeit habe ich leider verpasst, aber F. sah todschick aus in seiner Tracht, von der er mir ein Foto schickte. Meine neu angeschafften Plünnen müssen auf die nächste Hochzeit warten. (Keine Tracht.)

– Gestern war Papa um 20 Uhr schon so müde, dass man ihm Gute Nacht sagen konnte. Deswegen konnte ich ab viertel nach den „Fliegenden Holländer“ aus Bayreuth gucken. Die Kleinstadt-Inszenierung fand ich nervig bis doof, die Kostüme teilweise toll, größtenteils sozialistisches Elend und damit ebenfalls doof, die Idee, Senta durch zwei bunte Haarsträhnen und einen Hoodie als die totale Außenseiterin auszuweisen, lächerlich, jede Bankangestellte hat eine auffälligere Frisur, aber Asmik Grigorian als Senta war großartig. Das hat sehr gut getan, ihr in Ruhe zuhören zu können. Was mir auch gefiel und was, soweit ich weiß, eher den Hygiene-Vorschriften geschuldet war: die Inszenierung der Chöre. Auf der Bühne stand die Hälfte des Chores (oder Statisten, das weiß ich nicht), die nur die Lippen bewegten; die singenden Chöre waren geimpft und getestet auf Proberäume verteilt, schmetterten von dort und wurden auf die Bühne übertragen. Da eben eh nicht „vor Ort“ gesungen wurde, entschied sich Regisseur Dmitri Tcherniakov dafür, den Chor der Holländer nicht mal die Lippen bewegen zu lassen. Die saßen im 3. Akt beim Showdown einfach nur stoisch und bedrohlich da und fixierten den Chor der Norweger, um irgendwann, als ihre Einsätze lauter und dramatischer wurden, aufzustehen und mit wenigen Ausnahmen weiter eine unbewegliche Drohkulisse zu sein. Das war’s. Fand ich großartig.

– Diese seltsame Blume auf der Fensterbank in Papas Zimmer, von der ich wegen ihrer spitzgezackten Blätter immer dachte, sie sei ein Kaktus. Flora Incognita behauptete, es sei eine Ananas, aber Herr Doppelhorn konnte korrigieren: Es ist eine Aechmea oder schnöde: eine Lanzenrosette. So werde ich das Ding aber nie nennen, weil doof. Überlege zum ersten Mal, mir eine Zimmerpflanze anzuschaffen, die über Ficus oder Ikea-Grünzeug hinausgeht. Ihre Blüte betrachte ich jeden Tag, und beim, wie ich dachte, vorerst letzten Pflegeaufenthalt für mindestens vier Wochen, war ich ein bisschen traurig, dass ich nun die weiteren Entwicklungsschritte der Blüte von schlicht pink über pink mit roten Punkten zu pink mit roten und blauen Blüten nicht mehr beobachten konnte. Kann ich ja jetzt. Danke auch, Universum, du Nervensäge.