Montag/Dienstag, 15./16. März 2021 – Zweiter Pandemiegeburtstag

Der Montag fing eigentlich gut an: Ich raffte mich zum Wohnungsputz auf und sah, danach am Schreibtisch sitzend, erfreut, dass ich neue Dinge auf der Seite für die Impfanmeldung in Bayern anklicken konnte, die mich in Priogruppe 2 brachten, wo ich hingehöre. Ich setzte ein Schreiben auf, ging zum Briefkasten und hatte das Gefühl, irgendwie aktiv geworden zu sein, selbst etwas machen zu können. Ab da ging der Tag leider den Bach runter.

Zunächst bekam ich mit, dass es dem Mütterchen nicht so gut ging, dann, dass sich das Schwesterherz ähnlich fühlte, alles war auf einmal wieder anstrengend und doof, und dann kam die Nachricht rein, dass die Impfungen mit Astra-Zeneca ausgesetzt werden, gerade jetzt, wo die Infiziertenzahlen wieder nach oben gehen und die ganze Impfkampagne eh nur schleppend läuft. Natürlich ist es richtig, dass man sich seltsame Häufungen von Krankheits- oder sogar Todesfällen anschaut, aber soweit ich das überblicke, ist das Risiko, bei Corona eine Thrombose zu entwickeln, deutlich höher als das bei der Impfung. Ich habe aber natürlich nicht wirklich eine Ahnung, nur mal wieder, erneut, dauernd das Gefühl, wieder machtlos geworden zu sein. Und da erwischte mich dann erstmals der Pandemie-Heulflash. Wegen Stress oder Überforderung nah am Wasser zu sein – geschenkt. Aber Montag ergriff mich eine dicke Dosis Hoffnungs- und Mutlosigkeit und ich wollte mir ein Mental Health Year nehmen und einfach unter die Bettdecke kriechen.

Aus der üblichen Frustpizza wurde immerhin eine Portion Frusttofu mit Frustgemüse und ordentlich Thai-Würze drüber, was der Kühlschrank gerade so hergab. Das tat gut und machte die Welt wenigstens ein winziges bisschen besser. Limette, Fischsauce, Koriander, Chili, Knoblauch, Palmzucker, ihr gewinnt gerade sehr.

Die kurzfristig bessere Laune nutzte ich, um mein vom Doktorvater abgenicktes Diss-Dokument an den Wunschverlag zu schicken. 1.050.000 Zeichen und ungefähr 130 Abbildungen aka laut meiner Prüfungsordnung acht bis zehn Masterarbeiten. Demnächst hoffentlich in Ihrer Bibliothek.

Gestern beging ich den zweiten Pandemiegeburtstag. Ich zitiere meinen Blogeintrag vom letzten Jahr:

„Als ersten Gratulanten hatte ich morgens Papa am Ohr; er rief aus seinem Hirn die üblichen Floskeln für Geburtstage ab, die er in seinem Leben schon tausendmal verwendet hatte („Ehrentag“, „gutes Wetter“, „hab einen schönen Tag“, „Gesundheit ist das Wichtigste“) und fragte mich viermal, wie es mir geht, weil er vergessen hatte, dass er mich das schon dreimal gefragt hatte. Er beendete das Gespräch mit der Floskel, mit der er schon vor dem Schlaganfall unsere Gespräche beendete: „Ich geb dir mal Mama.““

Als ersten Gratulanten hatte ich morgens Papa am Ohr; er konnte keine Floskeln mehr abrufen, die man ihm nicht einsoufflierte. Ich hörte Mama aus dem Hintergrund einsagen: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburstag!“ Und dann ihn: „Ja, Glückwunsch zum Geburtstag.“ Stille. Ich: „Vielen Dank! Das freut mich, dass du anrufst. Geht es dir gut?“ „Ja, mir geht es gut.“ Stille. Mütterchen aus dem Hintergrund: „Geht’s dir auch gut?“ Papa: „Geht’s dir auch gut?“ Und so weiter. Alles im Falsett. Ich sagte ihm vor, was er mir sagen sollte, damit Mama das nicht machen musste, und bat ihn dann, mir Mama zu geben. Wenigstens das geht noch.

Danach wurde ein spontaner Tortenbeschluss gefasst, ich brauchte Zucker und Ablenkung und buk eine kleine Schwarzwälder Kirschtorte.

Während der Biskuit buk und danach die erste Sahneschicht im Kühlschrank festwurde, sah ich die neue Folge „Kitchen Impossible“, wo Sven Elverfeld ebenfalls Schwarzwälder Kirsch buk, was ich sehr lustig fand. Das wusste ich wirklich nicht, bevor ich mich für ein Rezept entschieden hatte; ich backe die Torte einfach gerne, weil Schokolade, Kirsch und Sahne halt immer funktionieren. Der Biskuit ging gestern nicht ganz so auf wie gewünscht, daher gab’s nur zwei Böden statt drei. Den untersten tränkte ich mit Kirschwasser und gab dann mit Stärke gebundene Kirschen darüber, die leicht mit Zimt und Zucker eingekocht worden waren. Darüber gab’s eine kleine Sahneschicht mit ein paar Schokostreuseln. Auf den zweiten Boden strich ich Kirschkonfitüre und klappte den dann so auf den ersten, dass die Konfitüre auf der Sahne über den Kirschen zu liegen kam. Danach wurde ordentlich Sahne auf die Außenhülle gespachelt und dann durfte er erstmal auskühlen.

Die komische Tortenplatte ist natürlich von meiner Mutter und die einzige, die ich besitze, die sich dreht. Mit der kann ich am besten Torten mit Sahne oder Buttercreme einstreichen, daher ist die bei Torten gesetzt, obwohl ich sie nicht übermäßig hübsch finde. Der Teller ist ebenfalls aus dem Norden und den mag ich.

Abends kam F. vorbei; im letzten Jahr hatte ich den Geburtstag ganz alleine verbracht, da war das Virus noch neu und wir dachten alle, wir sind im Frühjahr 2021 längst geimpft und gehen wieder ins Stadion. Ich mag gerade mal wieder nicht mehr darüber nachdenken, ich esse Käse und Torte und gehe auf die Yogamatte und nicht in die Bibliothek, bin traurig und ängstlich und entnervt und wütend und will immer noch unter die Bettdecke.

Behind the Scenes at a Five-Star Hotel

Stadtgeschichte, verknüpft mit Biografischem, gerne gelesen. Also bis auf die Details von verschuldeten oder gestorbenen Menschen.

„About eighty weddings took place at the Pierre in 2019. A certain subset of wealthy New Yorkers have attended numerous events at the hotel, and couples who’ve been married there have tried to transform the Grand Ballroom in ways that guaranteed that their wedding would not be forgotten. Sometimes, floral decorators have used netting to suspend thousands of flowers from the ceiling, so that guests felt as though they were standing beneath a garden. One decorator adorned the room with ten thousand peonies. There have been quite a few weddings with a winter-wonderland theme—at one, decorators used drapery to create the illusion of icicles hanging from above, rolled out a white carpet, and set up a snow machine. Jay Laut, a banquet captain at the Pierre, told me, “Sometimes we would just talk among ourselves and say, ‘Oh, my God, what a party they had!’ ”

To some of the staff, the wedding on March 7, 2020, stood out because it was a “second-generation wedding”—the bride’s mother had also been married at the hotel, three decades earlier. Seventy-eight employees worked the event, including thirty-two banquet servers, who performed their usual ballet of speed-walking into the ballroom while balancing a tray of plates on one palm. The role of banquet servers can be intensely demanding: they present multicourse meals, often on a razor-tight schedule, providing, as the hotel promises, “flawless five-star service.” “It’s a very stressful job,” Laut said. “We have to live up to the name of the Pierre.” During the busy seasons at the hotel—the spring and the fall, leading up to the holidays—banquet servers might have to work double and triple shifts. The March 7th wedding was the last large social event held at the Pierre. […]

Three months earlier, at the end of 2019, New York City had reached a record number of visitors for a single year: almost sixty-seven million. Its hotels had about a ninety-per-cent occupancy rate, the highest in the country. But in a matter of days covid-19 had put the entire industry in peril. When the pandemic began, there were about seven hundred hotels in the city, employing some fifty-five thousand people. A union called the Hotel Trades Council represents most of these workers, including those at the Pierre. On March 19th, the union’s president at the time, Peter Ward, appeared on the local news station NY1. “By this time next week, ninety-five per cent of the hotel industry is likely to be laid off,” he said. Ward’s grim prediction proved largely correct.“

Wir setzen die Reihe „Teetassen passend zur derzeitigen Lektüre“ locker fort.