Tagebuch Samstag, 2. Januar 2021 – Someone, something, yourself

Die NY Times beginnt gerade eine siebentägige Serie, in der sie uns dazu auffordert, gute Eigenschaften, die wir uns während der Pandemie (bzw., ich ergänze, ihrer Anfangszeit, wir sind ja noch mittendrin) angewöhnt haben, beizubehalten. Der erste Tipp war: Dankbarkeit zeigen.

Das ist für mich kein ganz neuer Gedanke. Als es mir vor Jahren schlechter ging, Umzug, Trennung, was weiß ich noch, begann ich hier im Blog die Rubrik „Was schön war“, um mich selbst daran zu erinnern, dass ich zwar gerade in einem Loch sitze, mich da aber auch wieder herausbuddeln kann anstatt immer tiefer einzugraben. Vorsicht, traurig sein ist etwas anderes als depressiv zu sein, daher stolperte ich auch über einige Formulierungen im Artikel zur Serie, in dem stand: „Numerous studies show that people who have a daily gratitude practice, in which they consciously count their blessings, tend to be happier, have lower stress levels, sleep better and are less likely to experience depression.“ Ich bin mir nicht sicher, ob Bloggen über gute Dinge wirklich davor bewahrt, depressive Schübe zu haben, aber schaden kann es sehr sicher nicht.

Der Artikel schlägt verschiedene Taktiken vor: Mails oder Briefe an Menschen schreiben, denen man für irgendwas dankbar ist – die muss man nicht abschicken, aber man sollte seine Gedanken verschriftlichen. Das kann das Mütterlein sein, das einen finanziell unterstützt (ich habe diese Dankbarkeit auf einer Weihnachtskarte notiert, die ich auch abgeschickte) oder die Verkäuferin beim Bäcker, die heute besonders freundlich war, oder der Mensch auf Twitter, der einen durch ein niedliche-Tiere-Video kurz hat lächeln lassen, was auch immer.

Eine Idee war, sich gleich auf drei Items zu konzentrieren, denen man dankbar ist: Someone, something, yourself. Denn das vergessen manche von uns auch gerne: sich selbst für etwas zu danken, auf sich selbst stolz zu sein, froh darüber zu sein, dass man sich hat. Musste ich auch erst lernen.

Ich möchte nicht wieder jeden Blogeintrag mit „Was schön war“ übertiteln, aber gestern passte das gut, weil ich gefühlt gar nichts gemacht habe, aber dann doch so viel, was schön war. Also: Was schön war, Sonntag, 2. Januar 2021, was gleichzeitig eine Übung in Dankbarkeit ist.

Zum ersten Mal ein neues Jahresdatum getippt. F. hatte gestern einen guten Gedanken: Er meinte, auch wenn alle sagen, 2021 ist erstmal wie 2020, die Grundsitation hat sich ja nicht geändert, hätte es für ihn doch einen psychologischen Effekt, eine neue Jahreszahl zu schreiben. 2020 war ein Jahr, in dem er konstant daran erinnert wurde, was gerade NICHT geht oder ging: die letzten vier Beethoven-Sinfonien der Wiener Philharmoniker, die im März abgesagt wurden. Wir hatten Karten für die Fußball-EM der Männer, er wäre in Budapest und Dublin gewesen, nach Dublin wäre ich mitgekommen, wir wollten am Bloomsday dort sein. Er hatte sich auf Wacken und Rage against the machine in Wien gefreut, auch nach Wien wäre ich mitgekommen, wobei mein Plan statt Musik eher rumliegen und Torte essen gewesen wäre, das geht in Wien ganz hervorragend. 2021 ist noch ein unbeschriebenes Blatt. Wir haben noch keine Termine, keinen gebuchten Urlaub, einzig eine Konzertkarte für Igor Levit im April liegt hier rum, aber wir gehen jetzt schon davon aus, dass das Konzert verschoben wird. 2021 ist anders anstrengend als 2020 und vielleicht ein bisschen weniger, ich zitiere seine DM: „Die Leere fühlt sich nicht mehr wie ein Verlust an, sie ist halt einfach.“

Ich bin dankbar dafür, einen schlauen Herrn an meiner Seite zu haben.

Einen Roggensauerteig in die Welt gesetzt. Heute ist erstmals Backtag mit dem neuen Wunderwerk. Als F. unser Silvestermenü aus der Innenstadt abholte, brachte er mir gleichzeitig aus der Hofbräuhaus-Kunstmühle sieben Kilo Mehl mit, ich habe nun erstmals Roggenvollkornmehl im Haus und noch drei andere Sorten, die ich vorher nicht besaß. Daraus wächst seit Tagen ein Sauerteig vor sich hin, und heute werde ich erstmals ein Roggenbrot ansetzen. Der Teig heißt Rosinante, wei Roggenbrot, RO, gell? Für den Weizensauerteig, den ich auch noch ansetze, fiel mir als erstes der Name Wehner ein, warum auch immer, also wird er so heißen.

Ich bin dankbar dafür, dass mir Blogleser:innen Bücher schenken, unter anderem eins über Sauerteig.

Lieblings-Frühlingszwiebelfladen gemacht. Beim letzten Einkauf clevererweise an Frühlingszwiebeln gedacht, daraus wird immer einmal Ottolenghis scharfer Tofu und einmal die Fladen. Ich glaube, das sind meine am häufigsten zubereiteten Gerichte, die schmecken einfach immer und immer wieder.

Ich bin immer noch und jeden Tag und wirklich wirklich wirklich dankbar für mein Foodcoaching im Jahr 2009 und meine nicht aufhörende Neugier auf Essen und Kochen, was jahrzehntelang für mich ein Trauerspiel, mit Angst besetzt und ein Weg zum Körperhass war. Es ist so großartig, einfach essen zu können. Deswegen gab es abends noch ein paar kleine Blueberry-Pancakes, ich esse gerade meine Gefrierfächer leer. (TK-Blaubeeren, Rest kommt heute ins Müsli. Oder mir fällt noch ein Kuchen ein, der dringend gebacken werden muss.)

Sport gemacht. Gestern war wieder die Cardio-Einheit dran, die ernsthaft anstrengt, weil sie viele Bewegungen erfordert, die mein Wackelfüßchen sowie meine Puddingärmchen nicht so gern mögen. Es ist die einzige Übungseinheit, bei der ich schon zwei, drei Stunden später spüre, dass ich was getan habe, es zieht hinten in den Oberarmen und hinten an den Oberschenkeln. Und genau das mag ich so gerne: meinen Körper als etwas Aktives zu spüren, als etwas, das etwas geleistet, geschafft hat. Wie eben schon angedeutet, war ich jahrzehntelang damit beschäftigt, meinen Körper zu hassen und ihn zu beschimpfen, weil er nicht dieser einen, winzigen akzeptierten Norm entspricht, die ich nicht mal selbst definiert habe, was für ein Scheiß! Dass ich meinen Körper inzwischen als etwas wahrnehme, das mir gefällt, das kräftig ist (im Rahmen meiner dieses Mal selbst gesetzten Maßstäbe), dass er mich trägt und schützt und er ein tolles Gehirn hat, das Doktortitel ausbrüten kann, dafür bin ich ähnlich dankbar wie für die Lust am Essen, denn damit hatte ich schlicht nicht mehr gerechnet.

Weiteres Tagwerk: Ein schlaues Buch weitergelesen und dankbar für den Input gewesen. Wieder mit der ersten Staffel des „Mandalorians“ angefangen, weil Baby Yoda großartig und niedlich und lustig ist; dankbar für hervorragendes Timing und gute Skripte von irgendwas, wo „Star Wars“ draufsteht, gewesen, das ist keine Selbstverständlichkeit. Dankbar für Sofa, Tee, mein Bett und ein Dach über dem Kopf gewesen.

Tischlein roll dich. Ein Artikel in der SZ über den neuen, alten Trend Teewägen. Ich kann euch leider gerade keinen Absatz daraus kopieren, weil ich mein wöchentliches Kontingent an Umsonst-Artikeln erreicht habe, aber das las ich gestern gern. Manchmal dankbar für Paywalls, bei denen ich selten auf Abonnieren klicke, sondern achselzuckend denke, dann eben nicht.