Wheezy Gröner

Ich bin allergisch gegen Katzen. Und, wie ich seit Donnerstag weiß, auch noch gegen Pferde.

Wir hatten unsere halbjährliche Unitrunde (Ringelpiez mit Anfassen, Verbrüderung, mal außerhalb der Arbeit mit Kollegen abhängen, Spaß haben, Kampftrinken). Die letzte ging in den Hanseatic Gun Club (wer Lust hat, wühlt sich in Anke1 bis zum 19. Mai durch), diese ging – keine Ahnung wohin. Uns wurde vorher nicht gesagt, was wir machen; die einzige Ansage war: „Warm anziehen.“ Also setzten wir uns nichtsahnend und gespannt um 11 in den gemütlichen Reisebus, prügelten uns altersgerecht um die Stullen und schaukelten auf die Autobahn Richtung Süden. Nach einer knappen Stunde erreichten wir Dahlenburg im Niedersächsischen, und die Ahnungen, die wir angesichts des mitgeführten Wäschekorbs voller Möhren und Äpfel schon hatten, bewahrheitete sich: Wir waren auf einem Reiterhof.

Direkt hinter dem Hoftor begann schon die Stallgasse. Die ersten Pferdchen guckten aus den Türen, die ersten Kollegen boten Leckerlis an, und Anke rotzte die ersten Taschentücher voll. Nach der Begrüßung durch die resolute Gestütsherrin mit Kleinkind im Schlepptau gab es die Stallführung, bei der ich nicht zum Niesen kam, weil ich die Luft anhielt ob des typischen Stallgeruchs, den ich seit meiner Kindheit nicht wirklich leiden kann. Klar, ich bin ein Mädchen und vom Land und damit prädestiniert zum Pferde-toll-finden (tue ich ja auch), aber den Geruch von den Viechern fand ich schon immer grenzwertig. Vor allem den Geruch von zehn von ihnen auf einem Haufen. Ich blieb also ein Anstandssekündchen im Stall, hörte den beknackten Namen zu (wer nennt ein dickes Pony Rebell?) und bahnte mir schnellstmöglich den Weg wieder nach draußen, wo ich in Ruhe weiterniesen konnte.

Die nächsten Attraktionen waren ein Esel, der ein beliebtes Fotomotiv war (Stadtkinder halt), und ein Wildschwein, das mit Weißbrot gefüttert wurde. Ein blondes Mädel mit pinkfarbenem Lippenstift und glitzernder Wimperntusche schickte uns dann auf den Weg zur Weide, wo wir zwei Stuten mit ihren Fohlen abholen sollten. Der Spaziergang in der Sonne tat gut, ich nieste nicht mehr, genoss die frische Luft und fühlte mich wie im Urlaub. Nach unserer Rückkehr gab’s erstmal Mittag; deftige Kartoffelsuppe, Brot, Bierchen dazu. Meine Art Partnerin übernahm die Rolle der Kompaniemutter und schöpfte aus riesigen Schüsseln die Suppe in Plastikteller, die auf den zwei großen Tischen verteilt wurden. Als wir fast mit dem Essen fertig waren, standen plötzlich zwei Ponys im Raum, an denen uns erklärt wurde, wie man Pferde striegelt und wie man auf ihnen reitet.

Ich kann es nicht mal leiden, wenn Hunde bei Tisch rumhängen, aber Pferde hatte ich bis dato noch nicht beim Essen gehabt. Ich wunderte mich mal wieder über die Landbevölkerung, ahnte aber auch, dass eine meiner Freundinnen (Tierärztin und Bauernhofbewohnerin) das völlig normal finden würde, dass da eben ein Hottehü im Esszimmer steht.

Nach dem Essen stand eine Planwagenfahrt an. Wer Lust hatte und über ein gewisses Maß an Können verfügte, könne aber auch nebenher reiten, wurde uns gesagt. Einige meldeten sich zum Probegaloppieren, und wir gingen dazu in die Reithalle.

Sobald wir in der Halle waren, merkte ich, dass mein Hals ein bisschen enger wurde. Ich nieste nicht mehr, sondern atmete flacher und angestrengter. Nach wenigen Minuten ging ich wieder ins Freie, wo es aber nicht besser wurde. Meine Lunge fing an, leise vor sich hinzufiepsen, aber ich dachte immer noch, ach, das wird schon wieder. Mein letzter Asthma-Anfall war Jahre her, ich hatte seit Ewigkeiten kein Spray mehr benutzt geschweige denn eins dabei, und irgendwie hatte ich anscheinend völlig vergessen, dass der enge Hals eben nicht einfach so wieder weggeht, sondern dass ich dafür Medikamente brauche. Anders kann ich es mir im Nachhinein nicht erklären, dass ich nichts gesagt habe, sondern mich stattdessen kurzatmig in den Planwagen gesetzt habe, in dem Decken für uns lagen, die mit Allergenen nur so imprägniert waren. Sobald wir losfuhren, wurde das Atmen immer schwieriger; ich reckte den Kopf zur Frischluft, die von vorne kam, und dachte überhaupt nicht daran, mal irgendjemand Bescheid zu sagen, dass es mir nicht gut ging. Alles, was ich dachte, war: atmen. Atmen. Atmen.

Ein Kollege fragte mich schließlich, ob alles okay sei, woraufhin ich nur noch keuchte, dass ich keine Luft kriege, gleichzeitig stoßatmete und anfing zu heulen. Der Planwagen wurde sofort angehalten, ich stolperte nach draußen und versuchte, in tiefen Zügen Luft zu holen, was natürlich nicht geht, wenn die Lunge schon dicht ist. Ich fiepste lustig weiter, Tränen der Anstrengung liefen mir über die Wangen, und anscheinend wurde das Gutsvolk angerufen, dass sie mich bitte mit dem Auto abholten und zum Arzt schafften. Ich habe davon nicht viel mitgekriegt. Ich weiß nur noch, dass meine Art Partnerin zum Händchenhalten mit mir gefahren ist und Smalltalk mit dem Gestütsbesitzer gemacht hat. Das Gestüt liegt auf dem platten Land; wir mussten erst zwölf Kilometer ins Nachbardorf fahren, um zu einer Apotheke zu gelangen. Die Angestellte dort schickte mich 100 Meter weiter zu einem Arzt, der das Stethoskop nur kurz an meinen Rücken hielt und sofort die Cortisonspritze aufzog.

Jeder, der Cortison verteufelt, hat noch nie Atemnot gehabt. Das Zeug wirkt wahnsinnig schnell; so ungefähr muss sich ein Junkie beim Schuss fühlen wie ich mich auf dem Behandlungsstuhl gefühlt habe, als meine Lunge innerhalb von Sekunden wieder frei wurde. Auf einmal ist der Druck um den Hals weg, die Luft geht wieder ganz tief in den Bauch rein und nicht nur bis zum Kehlkopf, die Verkrampfung löst sich, die Angst verschwindet.

Ich musste noch zehn Minuten da bleiben, weil der Arzt mich nochmal abhorchen wollte. Währenddessen hatte meine Art Partnerin irgendwelche Allergie-Tabletten für mich besorgt, die ich auch gleich in der Praxis schlucken musste. Danach wurden wir wieder auf den Hof gebracht, wo der Rest der Truppe inzwischen angekommen war. Unsere Unit-Mama hatte den Busfahrer angewiesen, mich nach Hamburg zurückzubringen, denn ich sollte natürlich nicht mehr direkt auf den Hof und am besten schnellstmöglich aus den Klamotten raus.

So kam ich in den fragwürdigen Genuss, ganz alleine in einem riesigen Reisebus über die dunkle Autobahn zu fahren. Der Busfahrer legte, ohne dass ich was gesagt hätte, eine DVD ein, und so guckte ich Wild Wild West, während der Bus sich seinen Weg durch das Hamburger Schanzenviertel bahnte, teilweise durch Straßen, in die ich mich nicht mal mit dem Auto reintraue, weil sie so eng sind. Sehr beeindruckend.

Mein Chef hat mich schwören lassen, zum Arzt zu gehen und mir wieder ein Spray verschreiben zu lassen, das ich dann bitte während der Arbeitszeit in der Schreibtischschublade aufbewahren soll, damit er weiß, dass mir nichts passiert. Das werde ich wohl tun. Obwohl es mich selbst am meisten überrascht hat, dass die Allergie bzw. das Asthma wieder da sind. Ich dachte, das Thema wäre seit Jahren durch. War wohl nix. Genauso hat es mich überrascht, dass man alles vergisst, was man bei Anfällen schon erlebt hat. Die Panik war wieder da, die Hilflosigkeit und auch gleichzeitig die irrige Annahme, ach, das wird schon wieder. Eigentlich müsste man sich doch daran erinnern, dass es eben nicht wieder wird, sondern dass man Hilfe braucht. Mein Hirn ist ein noch größerer Depp als meine Lunge.

8 Antworten:

  1. das hört sich profan an, aber diese geschichte ist grosses kino.

  2. Whoa. Da schnürt es einem schon beim Lesen den Hals zu. Gibt es eigentlich Therapien, um so eine Tierhaarallergie wieder loszuwerden/abzuschwächen?

    [Notiz am Rande: Frau Gröner hat nicht nur einen Kerl, sondern auch eine Art Partnerin. ;-) ]

  3. Liebe Frau Gröner,
    vielen Dank für´s Korrigieren des links + gute Besserung,
    Ihr MC

  4. Ohje, ich kenn das gut, wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Mir geht es im Frühjahr bei Katzen so. In so fern hast Du es besser, denn Pferde hat ja selten einer zuhause.

  5. Als Kind, war ich mal mit Freunden beim Schwimmen. Ich war ziemlich in der Mitte des kleinen Weihers, als ich plötzlich merkte, dass ich meine Fähigkeiten wohl etwas überschätzt hatte. Es kam Panik auf und mir wurde sehr schnell klar, dass ich Hilfe brauchte.

    Ich rief also um die Hilfe meiner am Ufer stehenden Freunde. Sie sahen zu mir rüber. Und für einen Moment sah ich mich schon gerettet. Die hielten das Ganze jedoch für einen Scherz und verulkten mich, während ich um mein Leben kämpfte. Ich rang nach Atem, schluckte Wasser, kämpfte und konnte es nicht fassen, dass meine Freunde mir mit doofen Kommentaren beim Ertrinken zu sahen!

    Hmm, da musste ich grad wieder dran denken, als ich Deine Geschichte gelesen hab..

    Ich hoffe Dir gehts gut!
    Viele Grüsse,
    Marlu

  6. Oh, Mann, Cortison habe ich gotttseidank noch nicht gebraucht, aber gerade erst erfahren, dass mich das mich ein katzenhaarverseuchtes Bett um den Schlaf bringt. Dabei dachte ich: Die Asthmaanfälle damals als Kind waren eh nur psychisch bedingt. Pustekuchen. Teilweise kriegt man Allergien durch Senibilisierung weg. Schonmal versucht?

  7. Hat Anne schon erzählt, aber etwas weniger ausführlich.

  8. Wer jemals seinen Partner mit Atemnot neben sich hat liegen haben, der wünscht sich alle Katzen zum Teufel! Asthma ist wirklich ätzend!