Was schön war, Freitag bis Sonntag, 3. bis 5. Juli 2020 – Alles

Freitag war erstmal Zeug-erledigen-Tag: Steuer gemacht und Unterlagen für die Steuerberaterin eingetütet. Dann musste ich zu meiner Ärztin, einen neuen Schwung der Standardmedikamente besorgen. Ich war ein bisschen faul und dachte über die vier Stationen U-Bahn nach, überzeugte mich aber doch vom maskenfreien Fahrradfahren und war im Nachhinein sehr dankbar dafür, weil Radfahren halt toll ist. Auch wenn man sich durch eine Stadt quälen muss, in der Baustellen eher für Autos und Fußgänger:innen gedacht sind und ich sehr oft absteigen muss, um überblicken zu können, wo ich jetzt eigentlich langfahren darf.

Der Nachmittag gehörte dann „Hamilton“, dessen Aufzeichnung von 2016 Freitag auf Disneyplus startete, für das ein Freund *hust* Zugangsdaten hat, die ich nicht habe.

Ich kannte den Inhalt des Stücks, einige wenige Songs (ich habe den Soundtrack nie durchgehört) und alle popkulturellen Memes des Dings, aber ich war doch ziemlich begeistert vom Gesamtprodukt. Netterweise war nicht alles Hip-Hop, sondern es gab auch die schmachtigen Musicalnummern, die ich so mag. Sehr gute Balance, großartige Darstellerinnen, nur ein paar winzige Stellen, bei denen ich missmutig die Stirn runzelte, nicht zu viel Comic Relief, sondern genau richtig dosiert, viele Ebenen und psychologische Tiefen, auf die ich gar nicht vorbereitet war: Alles in allem hervorragende Unterhaltung, die ich mit englischen Untertiteln genoss, weil ich sonst nur die Hälfte mitgekriegt hätte.

Danach zog ich den Buchklotz der literarischen Vorlage aus dem Regal, der hier seit Jahren rumliegt, und fing endlich mal an zu lesen.

In Harper’s Bazaar sagte Lin-Manuel Miranda, dass die Aufzeichnung recht früh geplant war:

„I spent almost seven years writing Hamilton as a piece of theater—and the goal was for as many people to see it in that form as possible—in the same space as the performers, in the room where it happens. But we also know that access is always an issue with something as ephemeral as live theater, so we filmed the show before the original principals started to leave. We always wanted to democratize that experience—a snapshot of what it was like in the Richard Rodgers Theatre in 2016—and give everyone access to it.“

Und er hat noch was Gutes zu Kunst (und/oder Unterhaltung) zu sagen:

„Imagine this lockdown without any of the entertainment to which you’ve had access—no movies, no TV, no music, no books. Art is escape, art is catharsis, art is distraction, art is illumination—it’s what makes the hard times just a little easier.“

Abends kam F. vorbei und brachte den kleinen Luxus mit. Käse von Jamei, Brot von Julius Brantner und Wein, den wir im Wien im Mast getrunken hatten.

Pappsatt gemeinsam eingeschlafen.

F. hatte neben zwei Kilo Käse, Brot und Wein noch etwas zu mir geschleppt: eine Nähmaschine. Die hatte auf der Website eine angegebene Lieferzeit von acht bis zehn Tagen, was für mich ungünstig war, weil ich dann im Norden weilen werde, also ließ ich sie zu F. schicken – und das Ding kam einen Tag nach Bestellung an. Auch gut.

Zum Nähen braucht man Stoff, aber da ich meine ersten Maschinenstiche nach 35 Jahren nicht auf meinen guten Stoffen ausprobieren wollte, radelte ich zum Karstadt am Hauptbahnhof, betrat dort erstmals die Stoffabteilung und war logischerweise überfordert. So viel Zeug! So viel Auswahl! Nicht alles fand ich hübsch, und ich wollte auch zum Üben wenigstens was halbwegs Hübsches haben. Ich ging zu den Tischen, auf denen vorgeschnittene Reste lagen, die dementsprechend niedrigpreisig waren und fand zwei dunkelblaue Teile, eins davon in fieser Stretchqualität, die mich sofort reizte, weil ich ahne, dass ich dabei prima fluchen werde, und eins in burgunderrot, das mir sogar als Maskenstoff tragbar vorkam. Noch ein paar Rollen Garn eingepackt, endlich einen Fingerhut, den ich beim Handnähen schon öfter vermisst hatte, und ein paar Maschinennadeln, und dann radelte ich mit sechs Metern Stoff und Kleinkram für akzeptable 35 Euro wieder nach Hause.

Dort las ich brav die Bedienungsanleitung der Maschine durch, guckte erneut ein Video, über das ich vor Monaten gestolpert war, und das mir, warum auch immer, total die Angst vor dem Nähen nehmen konnte, fädelte profimäßig Unter- und Oberfaden ein und gab Gas mit dem Fußpedal. Dabei fiel mir wieder ein, dass mein rechter Fuß ja nicht mehr so genau weiß, was er tut, weswegen auch das wieder eine neue Bewegung war – vor 35 Jahren wusste mein Fuß halt noch, wie’s ging. Jetzt lernt er es neu, warum soll mein Kopf auch der einzige Körperteil sein, der dauernd was Neues lernen muss. Und meine Hände waren auch beschäftigt: Wie hält man den Stoff, wie bewegt man den – oder auch nicht –, was kann ich von meinen händischen Nähversuchen übernehmen? Ich war beschäftigt und zufrieden, finde aber, dass meine erste Maske mit Maschine unordentlicher aussieht als meine letzte von Hand. (Gerade Nähte sind gar nicht so einfach! Danke für die Tipps auf Insta.)

Samstag war auch der Tag, an dem ich erneut Nasi Lemak zubereitete. Der erste Versuch war okay gewesen, aber noch nicht brillant. In den letzten Wochen hatte ich mich etwas mehr mit Chili und Co beschäftigt und wagte einen erneuten Kochvorgang, dieses Mal mit meinen Mengenangaben und ein bisschen weniger Anchovis im Sambal, nämlich gar keine.

Das Sambal bestand aus fünf Chilischoten, allerdings ohne Kerne, Knoblauch, Schalotten, Tamarindenpaste (wenig!) und Krabbenpaste (auch wenig) und war dieses Mal hervorragend zwiebligSCHARF mit leichter Sauernote und Krabbengrund. Für den Kokosreis hatte ich leider kein Pandanblatt, aber der war auch so gut. Habe den Duft des Blatts trotzdem sehr vermisst, jetzt wo ich dauernd an der Tüte mit den getrockneten Limettenblättern schnuppere, weil sie so herrlich riechen. Erdnüsse und Anchovis wurden dieses Mal brutalst frittiert anstatt brav angebraten, es gab wieder Spiegelei statt einem gekochten und alles zusammen war: so – toll! Aus dem Handgelenk genau die richtige Menge an Schärfe produziert, mit der ich im Moment gut leben kann. Ich nenne meine Kochversuche „kinky food“, weil sie genau den Punkt zwischen Vergnügen und Schmerz treffen sollen – ich will schon merken, dass ich scharf esse, aber mein Mund soll bitte nach 15 Minuten aufhören zu kribbeln.

Abends nochmal „Hamilton“ geguckt, warum auch nicht. Gemerkt, dass der Darsteller des Königs der Herr ist, dessen Stimme ich als Kristoff in „Frozen“ so gern mag. Seitdem Ohrwurm der drei kurzen Songs von George III. Klickt bloß nicht auf den Link.

Für den Sonntag waren F. und ich mit einem charmanten Herrn verabredet. Meine erste Verabredung seit … weiß ich schon gar nicht mehr. Und das im Biergarten, in dem ich in diesem Jahr noch gar nicht war. Ich schlief nicht ganz so gut, weil ich Angst vor unverantwortlichen Horden in Alkohollaune hatte und ich eigentlich weiterhin alle nicht notwendigen Kontakte unterlassen möchte. Ich überzeugte mich selbst durch „ist an der frischen Luft“ und „wenn’s doof ist, gehst du halt wieder“.

(Über den geradelten Hinweg, der doppelt so lang war die Google behauptet, weil Frau Gröner manchmal zu doof ist, Karten zu kapieren, schweige ich hier sehr, sehr, sehr laut und noch einen Tag später irre angenervt von mir selbst.)

Man musste am Eingang ein Formular ausfüllen, wer zur Gruppe gehörte, mit Namen und Handynummer. Dann setzte man seine Maske auf, ging sich ein kleines Bierchen holen, hielt dabei Abstand und suchte sich dann einen der vielen Tische aus, die um 12 Uhr mittags noch sehr spärlich besetzt waren und in ausreichendem Abstand zueinander aufgestellt waren.

Das war deutlich entspannter als ich dachte, auch weil, hervorragende Idee, es Kellner:innen gab, die bei niedrigem Getränkepegel an den Tisch kamen und nach einer neuen Runde fragten. So rennen nicht alle dauernd durch die Gegend, wie es im Biergarten eigentlich üblich ist. Kostet, wenn ich richtig geguckt habe, einen Euro mehr, aber das ist es wert. Ich sah auch niemanden ohne Maske unterwegs, und am Tisch darf man sie natürlich abnehmen. Dadurch, dass die Tische weitläufiger standen, kam uns auch außer der Kellnerin niemand am Tisch zu nahe. Es gab keine Plastiktrennwände und Absperrbänder, wie ich es befürchtet hatte, sondern es war ein (fast) normaler, sehr angenehmer Tag im Biergarten, und ich merkte erst danach, wie sehr mir sowohl Gespräche mit anderen Menschen als auch das gewohnte Rumlungern beim Radler gefehlt hatten.

Nach vier Stunden Menschen, Bier und Sonne war ich allerdings völlig fertig für den Resttag und lungerte nur noch auf dem Sofa rum, wo ich gefühlt alle zehn Minuten kurz einnickte, wie es sich für Sonntage auf Sofas gehört.

Immerhin noch ne Runde Wäsche gemacht und ein Kilo Kirschen gegessen, aber ansonsten nur noch ins Bett gefallen und mich über drei gute Tage gefreut.