Tagebuch Mittwoch (war es Mittwoch? Wie spät ist es?), 1. Juli 2020 – Urlaub

Nach der Abgabe der Diss verordnete ich mir selbst Urlaub bis mindestens Sonntag. Momentan möchte mein Kopf sich auch noch nicht wieder anstrengen, also gab’s alle alten Rick & Morty-Folgen auf Netflix, die ich aufnehmen konnte. Zwischendurch unterstützte ich die lokale Wirtschaft durch den Kauf von 500 Gramm Kaffeebohnen für meine French Press bzw. Cold Brew, was ich im Moment häufiger trinke als Flat White. Ich testete einen neuen Hermes-Abholort an, zu dem ich mir ein Paket hatte schicken lassen und informierte mich, ob meine von mir ausgesuchte (bezahlbare) Nähmaschine wieder verfügbar war. Das war sie monatelang nicht, weil anscheinend alle Masken genäht haben. Jetzt wo sie wieder da ist, traue ich mich noch nicht so recht, sie zu bestellen und schlafe noch eine Nacht darüber.

Erneut Udon-Nudeln mit Sesam-Chili-Sauce, weil von der immer so viel da ist, wenn ich sie mache, dass ich davon drei Tage essen kann. Heute gibt’s den Rest, vermutlich mit Tofu. Meine Balkontomaten bestaunt, die ich als Corona-Projekt erst im April ausgesät hatte und nicht, wie man das anscheinend macht, schon im Februar. Sie sind meiner Meinung nach viel zu dünn und meine ollen Bambusstäbe doch nicht so stabil wie ich dachte, daher sind es eher Arbeitszimmertomaten, weil ich dem Balkon mit seinem fiesen Wind und den irren Regengüssen nicht traue. Die Pflanzen bilden gerade winzige Blüten aus und ich bin völlig fasziniert davon. Nächstes Jahr kaufe ich mir so ein Plastikgewächshaus für den Balkon und ballere ihn mit allem voll, was ich derzeit brauche (Thai-Limettenblätter, Chilis).

Ansonsten Schokolade gegessen und ein Buch gelesen, das nur entfernt was mit Kunst des NS zu tun hat. Irre.

Von Schrottwert zu Meisterwerk und zurück – Über Kunstfälschung

Schöner Artikel über Kunstfälschung und dem Genieglauben, der vielen Kunstwerken noch heute inhärent ist. Ich hadere ein bisschen mit der Beschreibung der kleingeistigen Kunsthistoriker, aber das ist jetzt anscheinend Berufsrisiko, mich davon angesprochen zu fühlen. (YAY!)

„Kunstfälschungen werfen interessante Fragen auf, wenn es darum geht, was wir bereit sind, als Kunst zu akzeptieren. Die Memoiren von Kunstfälschern werden trotzdem sehr selten als Beiträge zu dieser Debatte ernst genommen. Was auch deswegen schade ist, weil sie, im Gegensatz zu vielen Beiträgen von legitimen Kunsthistoriker*innen, meist sehr unterhaltsam sind – und tatsächlich von vielen Lai*innen auch gelesen werden. Biographien und Memoiren von enttarnten Kunstfälschern, bringen es regelmäßig zu Bestsellern. In Großbritannien ist die Autobiographie des Allround-Fälschers Shaun Greenhalgh, A Forger’s Tale. Confessions of the Bolton Forger von 2017 sogar als Observer Art Book 2018 ausgezeichnet worden. Zurecht, denn bei Greenhalgh bekommt man detaillierte Einblicke in künstlerische und kunsthandwerkliche Techniken. Schließlich hat er selbst seine Fälschungspraxis als eine Art experimentelle Kunstgeschichte verstanden. Seine Confessions sind außerdem eines der wenigen Bücher, aus denen man etwas darüber erfährt, wie sich außer- und unterhalb bürgerlicher Mittel- und Oberschichten die ästhetische Erziehung des Menschen konkret abgespielt hat; und das ohne ein schlechtes Gewissen darüber, die eigene Herkunft durch den sozialen Aufstieg verraten zu haben. Greenhalgh hat das Buch im Gefängnis geschrieben, nicht auf einem Lehrstuhl für Soziologie.

Auch bei ihm ist, wie in den meisten Fälscher-Biographien, die Bête Noire weniger die Polizei, sondern die Kunstexpert*innen, die ihm eigentlich schon längst auf die Schlichte hätten kommen müssen. Stattdessen haben sie eine Fälschung nach der anderen in den Handel durchgewunken – und erst jetzt, als klar ist, dass eines der “bedeutendsten” Meisterwerke, das Vermeer oder Campendonck oder Van Goghs jemals geschaffen haben, gar nicht von deren Hand ist, erscheint denselben Experten plötzlich augenfällig, dass das ja gar kein Vermeer oder Van Gogh oder Campendonck sein kann, so schlecht wie die Fälschung gemacht sei.

Tatsächlich hat die Transformation vom Meisterwerk zu Schrottwert, die ein Kunstwerk in dem Augenblick erfährt, wenn die eigentliche Urheberschaft erkannt ist, etwas Mystisches: Eben noch Campendoncks bestes Gemälde, nun schlecht ausgeführter Expressionismus-Kitsch. Es sind offensichtlich weniger die dem Werk immanenten ästhetischen Qualitäten, die es zum Meisterwerk machen oder seine ästhetische Beurteilung bestimmen, sondern es muss die Hand des Meisters auf sich gespürt haben. Wird sie abgezogen, verschwinden plötzlich die sichere Linienführung, die subtile Komposition und die exquisite Farbigkeit oder was auch immer die Superiorität des Bildes begründet haben soll. An ihrer Stelle erscheint ein aus Geldgier, Geltungssucht und Selbstüberschätzung zusammengeschmiertes Machwerk. Das Kunstwerk als Berührungsreliquie.“