Tagebuch Montag bis Mittwoch, 15. bis 17. Juni 2020 – Endspurt durch die Archive

München. Regen. Die Frisur hält … wenn man eine Regenjacke mit Kapuze hat. Mit dem Fahrrad ins ZI gerollt, dort die vorletzten fünf Kilo Bücher an den Platz geschleppt, Fußnoten korrigiert, Dinge nachgeschaut.

Mittags in der Zwangspause, damit lustig desinfiziert werden konnte, in die Stabi geradelt, wo mittags nicht lustig desinfiziert wird, ordentlich nass geworden, aber in anderthalb Stunden wieder getrocknet. Riesige Zeitschriftenbände mit dem Wägelchen durch den halbleeren, weil halb gesperrten Lesesaal gerollt, Dinge nachgeschaut. Dann mit einer Filmrolle in der Hand zum Raum gegangen, wo sonst die Filme angeschaut werden konnten, um festzustellen: Da geht nichts mehr. Momentan nur noch beim externen Anbieter für Kopien und Scans und Zeug möglich, derzeit in der Halle draußen. Hm. Dort bekam ich Einmalhandschuhe, um das Gerät zu bedienen, was sogar elektrisch die Filmrolle vorspulte, was mich freute, denn ich weiß nie, wie das mechanisch funktioniert und mache mich bei Filmen immer zum Deppen in der Bibliothek. Nachgeschaut, was ich wissen wollte, Film abgegeben, trocken aufs Rad gesetzt und am ZI wieder nass angekommen.

Dort die letzten fünf Kilo Bücher an den Platz geschleppt, Fußnoten korrigiert, Dinge nachgeschaut. Alles, was ich im ZI noch auf Papier nachgucken wollte, ist abgearbeitet, genau wie die Stabi. Nun nutzte ich den tollen Datenbankzugang zu Artprice, um Verkaufspreise für Werke meiner ganzen Autobahnmaler nachzuschauen, falls sie heute überhaupt noch gehandelt werden. Das war spannend.

Völlig ausgehungert um kurz nach 16 Uhr viel Zeug in Pfannen und Töpfe geworfen und auf dem Sofa genossen. Den Rest des Tages den Kopf ausgemacht, da ging auch nicht mehr viel, und ich musste eh früh ins Bett.

Dienstag verließ mein Zug – MEIN ZUG! – um 7.17 Uhr München in Richtung Nürnberg, wo ich ein letztes Mal in den Nachlass gucken wollte. Ein bisschen wehmütig war ich, ein bisschen vorfreudig – und als das Wägelchen vor mir stand und eine neue Liste vor mir lag, die ich noch nicht kannte, ein bisschen panisch. Denn, wer hätte es ahnen können: Das Kunstarchiv hatte in der Zeit zwischen meinem letzten Besuch (irgendwann im Sommer 2019) und jetzt den bisher ungeordneten Nachlass einen Hauch geordnet. Deswegen gab es jetzt ein Findmittel aka zwei Seiten mit Karton- bzw. Mappennummern und Signaturen. Woraufhin ich dachte, ich müsste 300 Seiten Fußnoten ändern, weil meine Quellenangaben nun nicht mehr stimmen.

Ich sah allerdings freudig nach ein bisschen hektisch Rumatmen, dass meine von mir liebevoll händisch auf die Kartons gemalten Nummern übernommen wurden. Das hatte ich vor zwei Jahren erledigt, um für mich eine Liste zu erstellen, was überhaupt alles in den Kartons drin ist. Teilweise waren diese Nummern jetzt noch in Signaturen unterteilt worden, das hielt sich aber alles in Grenzen.

Ich war also zuerst damit beschäftigt, traurig zu sein, dann panisch – und als ich dann alles, was ich fotografieren wollte, weil es beim ersten Mal nicht so gut geworden war und mein Doktorvater ja was erkennen soll im Abbildungsverzeichnis, fotografiert hatte, war ich wieder traurig. Irgendwie war ich erleichtert, dass ich durch war, aber gleichzeitig war das der größte Abschied. Ich habe zwar nur viermal durch den ganzen Berg gewühlt, aber vor allem im letzten Jahr halt sehr gründlich. Das war irgendwie „meins“, und jetzt, wo der Kram Signaturen hat und schicke Fotomappen, wo letztes Mal alles ungeordnet rumlag, fühlte sich das an, als wollte mir jemand mein Spielzeug wegnehmen. Oder als ob jemand in mein Revier eingedrungen ist, in dem doch bisher nur ich rumlief. Ganz seltsames Gefühl.

Den Rest des Tages war ich dann auch eher komisch drauf, schon auf der Rückfahrt las ich nicht und hörte keine Musik, sondern starrte nur aus dem Fenster und versuchte, flach zu atmen, weil Zug und Menschen. Abends brav die Corona-App geladen, aber weiterhin traurig gewesen. Jetzt ist es wirklich nicht mehr mein Spielzeug, jetzt gehört der Nachlass wieder allen, und sobald die Diss veröffentlich ist (nächstes Jahr?), habe ich alles aus der Hand gegeben, woran ich seit Jahren so emsig rumzuppele.

Gestern war dann wieder Fahrradfahren angesagt bei anständigen Temperaturen (fuffzehn Grad, genau meins) und keinem Regen. Auf mich wartete ebenfalls zum letzten Mal das Archiv des Deutschen Museums, wo ich nach dem ersten Besuch doch noch ein paar Signaturen einsehen wollte, kann ja nicht schaden. Ich fand nur sehr wenig, aber: Ich hatte auf einmal beim Blättern ein Schreiben von August Horch in der Hand. Das war für mich, die jahrelang Audi-Kataloge geschrieben hat, durchaus etwas Besonderes. Ich kann gar nicht beschreiben, warum eigentlich – es war ein bisschen so, als ob man einen Star trifft, den man ewig angehimmelt hat und über den man eigentlich längst weg ist, aber dann steht er plötzlich beim Bäcker vor dir und du merkst, da ist doch noch viel Zuneigung.

Den Rest des Tages (das ist meine Standardformulierung für diesen Blogeintrag) saß ich am heimischen Schreibtisch, korrigierte die Jahre 1940 bis 1942 und war’s zufrieden. Nicht mehr so traurig wie Dienstag, nur weiterhin komisch.

Vor mir liegt noch einmal die Bibliothek des Deutschen Museums, einmal das Depot der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen (TOTAL AUFGEREGT!), einmal die Bibliothek in der Neuen Pinakothek (KENN ICH AUCH NOCH NICHT) und ein allerletztes Mal Stadtarchiv. Dann hätte ich gerne noch einen gültigen Personalausweis, den ich kopieren kann, denn das hätte das Prüfungsamt gerne, dann melde ich mich bis spätetens nächsten Donnerstag zur Abgabe der Diss an, schreibe sie hoffentlich bis Ende Juni fertig und das war’s dann. Werde wohl noch zwei Wochen komisch drauf sein.