Tagebuch Mittwoch, 29. Januar 2020 – Hausaufgaben

Vormittags in der Stabi mein Netzteil fallengelassen, weil ich nicht gleichzeitig fünf Zeitschriftenbände, einen Laptop, ein externes Trackpad, mein Notizbuch UND das Netzteil tragen kann. Als ich das Ding am Arbeitsplatz einstöpseln wollte, merkte ich, dass sich der eine Stift beim Fall verbogen hatte. Netterweise reichte der Akku, während ich die fünf Bände durchblätterte – und feststellte, dass genau die zwei Seiten, die ich im Nachlass als Kopie gefunden hatte und für die ich jetzt eine anständige Quellenangabe suchte, rausgerissen wurden. (Augenroll-Emoji.)

Danach las ich noch einen Aufsatz von 1960, kam mir aber doof dabei vor, den zu zitieren, weil alt. Mal sehen.

Ab nach Hause, das zweite Netzteil angestöpselt und die Hausaufgaben erledigt, die mir mein Doktorvater gestern aufgetragen hatte: „Machense doch mal nen Forschungsstand zur NS-Kunst.“ Erledigt und dabei wie immer sinnlos darüber aufgeregt, dass wir seit 40 Jahren nicht so recht weiterkommen, weil es viel zu wenige Wissenschaftler*innen gibt, die sich dieses Schmuddelthemas annehmen und wir deshalb dauernd die gleichen Diskussionen führen, nur zehn Jahre später oder zwanzig und mit neuen Kombattanten. (Augenroll-Emoji.)

Wenigstens gut gegessen: die klassische Alles-muss-raus-Pfanne. Nur echt mit dem Superdipp aus Jogurt, Majo und Ketchup.

Abends kam F. vorbei, der mich gebeten hatte, bitte nicht selbst mit meiner Rohrzange am Netzteil rumzubiegen. Er bog professionell, der Stift sah wieder gut aus, dann stöpselte er das Ding in eine Steckdose, aber ich wollte partout nicht meinen Rechner daran anschließen, denn da ist ja die Diss drauf, und obwohl ich zwei externe Festplatten habe, eine Dropbox, die Cloud und einen Stick, habe ich immer Angst um die viele Arbeit, die da drauf ist.

Tolle Idee: Ich schließe erstmal einen von meinen alten Laptops an, um das gebogene Netzteil auszuprobieren. Das alte Macbook von 2011 oder so rausgeholt, das natürlich noch einen anderen Netzteilanschluss hat, ist klar, Apple, du Nervladen. (Augenroll-Emoji.) Aber: Als ich die Schublade aufzog, um zu gucken, ob ich überhaupt noch ein passendes Netzteil hätte, fiel mir auf: Ich habe ja nicht den Stift des langen Kabels am Netzteil verbogen, sondern nur das kleine Aufsteckteil (da links im Bild), das ich immer nutze, wenn ich den Rechner mit mir rumschleppe und kein ewig langes Kabel brauche. Und dessen Design hat sich netterweise nicht zu den neueren Netzteilen geändert. Nupsi von einem alten Netzteil abgezogen, auf mein neues Netzteil gedengelt, eingestöpselt, läuft.

Noch ein bisschen Zeit in meiner derzeitigen Privatlektüre verbracht, die ich hier schon mal erwähnt hatte. In „Vom König zum Führer“ geht es um das Verhältnis des deutschen Adels zu den politischen Veränderungen während der Weimarer Republik und das liest sich alles sehr unerfreulich (aber schön geschrieben). Ich lese nicht mit Bleistift, weil ich sonst alles unterstreichen müsste, aber ab und zu male ich dann doch im Buch rum. In den letzten Tagen erfuhr ich viel über die Flucht des Kaisers 1918 nach Holland, über die ich auch noch nie so recht nachgedacht hatte.

„Gerade im Adel war die Kaiserflucht schließlich eine Voraussetzung für die Entstehung jenes symbolischen und politischen Vakuums, in dem verschiedene Führersehnsüchte und die Anerkennung von Hitlers Rollenwechsel ‚vom Trommler zum Führer‘ gedeihen konnten. […]

Zur Vorstellung, dem Kaiser hätte noch im November 1918 eine gangbare Alternative zum Rückzug offengestanden, gehörten zwei unterschiedliche Erklärungen der Zerstörung dieser vermeintlichen Alternative. Eine (schrumpfende) Gruppe von älteren, zumeist adligen Offizieren, Beamten und Flügeladjutanten und ihre publizistischen Hilfstruppen arbeiteten, meist in jahrelanger Kleinarbeit und z. T. gegen besseres Wissen, an der Legende des Führer-Kaisers, der von schwächlichen und unfähigen Beratern umgeben und verraten wurde, die schließlich seine ‚Reise nach Holland‘ durchsetzten. […] Auf der anderen Seite stand eine (wachsende) Gruppe v. a. jüngerer Adliger, die das Verhalten des letzten Kaisers als ‚Flucht‘ oder gar ‚Desertation‘ bezeichneten, in der die bereits in den Vorkriegsjahren offen kritisierte ‚Führungsschwäche‘ des Monarchen ihren dramatischen Endpunkt gefunden hatte. Dass sich die Vorstellung einer nicht genutzte Alternative als Illusion widerlegen lässt, schmälert ihre zeitgenössische Bedeutung nicht; innerhalb des Adels tauchte sie frühzeitig auf und blieb weit über das Ende des zweiten Weltkrieges hinaus Gegenstand erregter Debatten und Schuldzuweisungen. […]

Nur zwischen den Zeilen lässt sich aus dem Protokoll schließlich eine dritte Option hinauslesen, die in Berlin und Spa jedoch ins Gespräch gebracht und v. a. innerhalb des Adels zu einer noch nach Jahrzehnten nicht beendeten Debatte wurde: das Königsopfer, der inszenierte Tod des Kaisers auf dem Schlachtfeld.

Inhalt, Intensität und Langlebigkeit der Debatte um den Heldentod des Kaisers auf dem Schlachtfeld lassen sich unschwer nachzeichnen, unklar bleibt, ob sie Wilhelm II. offen als Forderung zugetragen wurde, was Groener als einer der Hauptbeschuldigten des Protokolls nachdrücklich behauptet hat. Nach seiner eigenen Darstellung hatte Groener in Spa die Auffassung vertreten, ‚dass der Kaiser unverzüglich sich auf das Gefechtsfeld begeben müsse, um dort den Tod zu suchen. Ein heroisches Ende des Kaisers würde die gesamte politische Lage mit einem Schlag verändern und selbst wenn er nur verwundet würde, so sei bei der Psyche des Deutschen Volkes ein Umschwung in der öffentlichen Meinung zugunsten des Kaisers sehr wahrscheinlich.‘ […]

Tatsächlich scheinen Groener und der Chef der Operationsabteilung des Generalstabes, Joachim v. Stülpnagel, handfeste Vorbereitung für eine Operation Königstod getroffen zu haben: Ein geeigneter Ort für eine vom Kaiser geführte finale Attacke wurde in den Schützengräben sondiert, Freiwillige für den ‚kleinen Spezialangriff‘ gesucht und gefunden. Parallel dazu entwickelten Offiziere der Seekriegsleitung den Plan, den Kaiser bei einem Angriff an Bord des Flaggschiffes der deutschen Flotte zu versenken – eine Variante, die den zu Lande unsicher erscheinenden Soldatentod mit größerer Sicherheit gewährleistet hätte.“

Stephan Malinowski: Vom König zum Führer: Deutscher Adel und Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2014, S. 229/230 sowie 235/236.

Eigentlich wollte ich nur die folgenden Sätze zitieren, weil ich sie so passend für die 1920er Jahre fand, allerdings dachte ich dann, dass die keiner ohne vorherige Einordnung kapiert. Aber jetzt seid ihr ja jetzt vorbereitet. Aus den Erinnerungen von Ottfried Graf v. Finckenstein:

„Der Monarchie trauerten nur noch die Walzertänzer nach, die mit einem Jazz nichts anzufangen wussten. Für uns hatte sie sich mit der Flucht des Kaisers selbst gerichtet.“