Tagebuch Freitag, 7. Juni 2019 – Blümchenkaufen

Meine Kontakterin meinte Anfang der Woche launig, jetzt sollte der Kunde den Text aber wirklich freigeben, an dem wir seit geschlagenen acht Wochen rumhühnern, am Freitag kannste bestimmt endlich ne Rechnung schreiben. Ich läutete daher die Pfingstferien einen Tag früher ein, nahm mir nichts vor und stellte mir keinen Wecker. Ich wurde trotzdem recht früh wach, lüftete, bezog das Bett neu, verdunkelte dann die Wohnung und schloss alle Fenster, damit die herrliche Morgenkühle möglichst lange erhalten blieb. Dann bloggte ich, frühstückte, las Zeitung und finalisierte schließlich meinen Einkaufszettel, denn F. hatte sich für nachmittags das Auto seines Mütterchens geliehen, damit wir gemeinsam zu einem Gartencenter fahren konnten.

Eigentlich hatte ich seit Monaten Bücher und Blogs gelesen, um bei meiner ersten Balkonbepflanzung auch ja alles richtig zu machen, aber dann kam Väterchens OP (er ist noch in der Reha), eine Menge Orgakram und Zeug, und daher versäumte ich den kompletten Mai, der, soweit ich weiß, der beste Monat ist, um Blümchen ins Freie zu bringen. Aber hey, Anfang Juni sollte ja auch gehen. Ich wälzte weiterhin Bücher und Blogs, merkte mir seltsame Pflanzennamen, um brav nur Dinge zu kaufen, die damit zurechtkommen, den ganzen Tag in der Sonne zu stehen, lernte Worte wie „Drainage“ und „Wurzelfäule“, machte mir natürlich – natürlich – eine lange Liste und fuhr moralisch gerüstet und top informiert mit U-Bahn und Bus ins Gartencenter.

Kleiner Schlenker: Ich wohne recht nah an einer U-Bahn- und einer Bushaltestelle. Die eine U-Bahn, auf die man tagsüber höchstens fünf Minuten wartet, brachte mich in fünf Minuten zu einem der Münchner Knotenpunkte, dort musste ich nur eine Treppe hochgehen, um zur nächsten U-Bahn zu kommen, auf die man tagsüber höchstens drei Minuten wartet. Die hatte sogar zur Feierabendzeit einen Sitzplatz für mich und war klimatisiert; die erste nicht, aber damit rechne ich auf der Strecke auch nicht – vielleicht aber mit ein paar Leuten, die bei 28 Grad mal die Fenster öffnen. Ich fuhr 17 Minuten ans gefühlte Ende der Stadt (München ist SO WINZIG!), wo ich zwei Treppen hochmusste, um zum Bus zu kommen, der direkt an der Station auf mich wartete. Weitere drei Minuten später war ich an der Endhaltestelle, von wo ich noch ungefähr 150 Meter bis zu meinem Ziel gehen musste. Öffis sind super, und ich bin im Dostojewski wieder 40 Seiten weiter.

F. war schon da, aber noch nebenan im Baumarkt – ist das eigentlich ein Gesetz, das neben Gartencentern auch immer ein Baumarkt ist? –, weswegen ich schon mal alleine todesmutig in eine für mich neue Umgebung ging und guckte. (Mir fallen die drei Satzzeichen hintereinander im vorherigen Satz durchaus auf, aber ich lasse die jetzt mal so stehen, ich Danger Seeker.)

Vorne rechts waren lustige Gartengeräte, bergeweise Rasendünger, dann kam Bekleidung (also Handschuhe und Fußschuhe), links war der ganze Tierbereich, bei dem meine Nase immer sofort zuckt und wegwill. Ich schob mein Wägelchen in Richtung Blumenpracht – und war dann natürlich total überfordert. So viel herrliches Zeug! Aber erstmal die Basics: Balkonkästen in der richtigen Farbe und Größe. Befestigung dafür. Eine Gießkanne, die ich auch gefüllt noch heben kann (in der richtigen Farbe). Ein Schäufelchen für Erde und Blähton (noch so ein neues Wort). Erde und Blähton. Inzwischen war auch F. da, dessen Wagen mit dem schweren Zeug bestückt wurde, der Gentleman. Und nachdem alles andere gefunden war, stand ich erneut zwischen 1000 Blumen und wusste gar nichts mehr.

Meine Einkaufsliste war zwar hilfreich, aber im Prinzip auch egal. Ich richtete mich also nach „Da hinten steht eine Blume, die so aussieht wie eine, die ich mir online ausgesucht hatte“, prüfte am Schild, ob ich recht hatte, suchte nach der richtigen Farbe und packte meinen Wagen voll. Ich wollte eigentlich Blumen in Blautönen und Weiß mit ein oder zwei pinkfarbenen Akzenten. Jetzt ist es mehr Pink und Weiß mit einem Hauch Blau geworden, aber das ist auch okay. Als ich eigentlich schon fertig war, sah ich einen Berg Dahlien, bei dem ich sofort zugreifen musste. Eine meiner stärksten Erinnerungen an meine Oma ist ihr riesiger Gemüsegarten und die wenigen Blumeninseln dazwischen oder am Rand davon. Vor ihrem Haus standen immer Dahlien, in allen Farben und Größen. Ich behaupte, das ist der erste Blumenname, den ich mir in meinem Leben gemerkt habe (waren vermutlich eher Pusteblumen), und daher musste ich eine Dahlie kaufen. Zuhause stellte ich natürlich fest, dass sie viel zu groß für den Blumenkasten war, weswegen mein wohlkalkuliertes Pflanzkonzept nach Größe und Farbe von Vornherein keine Chance hatte. Jetzt habe ich eine einzelne Dahlie, für die ich wohl noch einen größeren Topf kaufen muss. Schlimm!

Zuhause sah dann nach dem Hochschleppen alles erstmal so aus:

F. machte sich wieder auf den Weg, ich zog meine Umzugs- und Malarbeiten-Klamotten an und begann mit der Arbeit. Die Befestigungen erwiesen sich als selbsterklärend, die Kästen passten hervorragend, ich konnte sogar den 60-Liter-Sack Erde von einem Ende des Balkons ans andere bewegen, ohne mir was wehzutun. Ich schaufelte Blähton in die Kästen, Erde darauf, puschelte ein bisschen Erde von den Wurzeln der Blumen und Kräuter ab, setzte sie ein, schichtete Erde um sie – erst mit der Schaufel, irgendwann mit den Händen, ging schneller und besser und ich saute den mit Zeitung ausgelegten Balkon nicht ganz so sehr ein –, und nach zwei Stunden sah die eine Balkonecke dann so aus:

Die Kräuter habe ich nicht fotografiert, Kräuter halt. Bei denen habe ich eigentlich noch mehr Angst, dass sie vor meinen Augen dahinsiechen, weil ich bis jetzt noch jeden Basilikumtopf auf dem Küchenfensterbrett kaputtgekriegt habe. Bei den Blumen habe ich etwas mehr Hoffnung. In Hamburg hatte ich mal eine Wohnung mit Terrasse, auf der irgendwann ein paar Topfpflanzen standen. Die hatte ich damals einfach gekauft, ohne vorher wochenlang Blogs und Bücher zu lesen, und die gediehen lustig vor sich hin, bis ich umzog in eine Wohnung ohne Terrasse und ich sie einfach stehenließ.

Ich war den ganzen Tag sehr zufrieden, freute mich über diverse Dinge wie frisch bezogene Betten, funktionierende Öffis, eine staufreie Autofahrt mit F., die Blümchen, die ich jetzt vom Schreibtisch aus immer sehen kann und die mir ausnehmend gut gefallen.

Dann öffnete ich abends dummerweise meinen Rechner, um das Eröffnungsspiel der Frauen-Fußball-WM zu schauen und sah eine Mail der Kontakterin sowie eine Sprachnachricht auf dem Handy, lernte, dass der Kunde mal wieder neue Ideen für den Text hatte, überflog das Dokument und schüttelte zum wiederholten Male den Kopf. Einen derartig seltsamen Job habe ich noch nie gehabt: Der Kunde hat eigentlich ein gutes Produkt, das man auch prima erklären kann, aber er ist sich selbst nie sicher, ob wir jetzt wirklich die Top-Eigenschaft desselben herausgestellt haben, weswegen er uns seit Wochen mit neuen Top-Eigenschaften beglückt und alte, schon eingebriefte und getextete, plötzlich unwichtig findet. Zudem korrigiert nicht ein Mensch die Texte, sondern anscheinend wird da basisdemokratisch über jedes Adjektiv abgestimmt, weswegen wir gerne fünf Korrekturwünsche für einen Satz im Dokument haben, die sich widersprechen oder als Frage formuliert sind. Meine Kontakterin und ich steuern so gut dagegen, wie es geht, aber inzwischen ist der Text nur noch eine reine Bullshit-Bingo-Wortwüste aus viel zu langen Sätzen, die, man weiß ja nie, sich auch dauernd wiederholen. Das möchte niemand mehr lesen. Schade, hätte schön werden können.

Diese Mail hieß aber auch: Wir drehen noch eine komplett sinnlose Runde von jetzt ingesamt gefühlt zehn sinnlosen Runden, und ich kann noch keine Rechnung stellen.

Ich seufzte tief, duschte vor dem Fußballspiel, das war dann immerhin halbwegs guckbar, beschaute mir zum Tagesabschluss nochmal meinen bunten Balkon, den ich auch aus dem Küchenfenster sehen kann, und ging frisch geduscht in ein frisch bezogenes Bett. Das rette den Tag dann doch noch.