Tagebuch, Samstag, 30. Juni 2018 – Kopf runterfahren

Seit Tagen merke ich an mir, dass mir Namen nicht mehr einfallen. Nach den ersten Gedanken in Richtung ALZHEIMER GEHIRNTUMOR NÄCHSTES JAHR WIRST DU 50 fällt mir dann meistens ein, dass ich seit der Abgabe der Masterarbeit im letzten Juli keinen Urlaub mehr hatte. Ich war mit F. im Juli 2017 für zwei Tage in Kassel auf der documenta und dann im Februar ein hektisches Wochenende in Frankfurt, um noch die Weimar-Ausstellung in der Schirn mitzukriegen, aber ansonsten war ich nicht wirklich weg aus München. Ein paar Hamburg-Trips, teils beruflich, teils privat, meistens halbe-halbe, ein langes Wochenende in der alten Heimat bei den Eltern, was nie Urlaub ist, sondern eher Stress – netter Stress, aber Stress – und einen halben Tag in Halle auf dem Rückweg kommen noch dazu. Ansonsten habe ich mich nie wirklich ausgeruht und den Kopf aus allem rausgezogen. Direkt nach der MA-Arbeit garantiert, da ging auch nichts mehr, aber auch das fand auf dem heimischen Sofa statt und unter dem Vorzeichen „Du musst jetzt wieder Werbung machen, sonst sitzt zu in einem Jahr im alten Kinderzimmer, weil du München nicht mehr finanzieren kannst.“ Auch nicht unbedingt entspannende Vorzeichen.

Seit Januar diesen Jahres bin ich wieder eher Texterin als Doktorandin, was immerhin das letzte Problem deutlich verkleinert hat. Dieses Jahr ist locker finanziert und ein paar Reserven für das nächste konnte ich auch schon zurücklegen, wie man das als Selbständige halt macht. Trotzdem hoffe ich ein bisschen darauf, dass noch ein paar mehr Jobs reinkommen, denn dann kann ich auf der Baustelle wieder ruhig schlafen.

Wenn ich nicht für Geld am Schreibtisch gesessen habe, tat ich das für Luft, Liebe und Wissenschaft (Bloggen, rührselige DMs an F. schreiben, Dissertation). An so ziemlich jedem Tag, an dem ich wusste, ich muss nichts für die Werbung machen, drängelte der kleine Doktorhut im Hinterkopf, dass ich dann gefälligst was für die Diss tun sollte. Da ich ja nie weiß, wann der nächste Job bei mir aufschlägt, sollte ich doch bitte jede freie Zeit für die Kunstgeschichte nutzen. Natürlich habe ich auch diverse Tage einfach vor Netflix vergammelt, das muss schließlich auch sein. Aber gefühlt habe ich mir seit Juli letzten Jahres keine vernünftige Auszeit mehr genommen. Also mehr als hier mal einen Tag und da mal ein Wochenende. Ich bräuchte gefühlt mal mindestens eine Woche weg von hier, in eine andere Stadt, Museen angucken, viel zu viel essen und lange schlafen.

Eigentlich hatten F. und ich Paris für dieses Jahr geplant, vielleicht wird’s jetzt doch eher Wien, das war letztes Mal so nett da, wir werden sehen. Aber ich ahne, dass ich allmählich wirklich mal raus muss. Mir machen derzeit meine Jobs Spaß, mir macht die Wissenschaft noch mehr Spaß, aber sobald ich mit diesen Pflichtteilen des Tages durch bin, fährt mein Kopf quasi auf Null runter. Wenn mich am Donnerstag nicht ausgerechnet Facebook an den Geburtstag meines besten Freundes erinnert hätte, hätte ich den glatt vergessen, so sehr ist mein Kopf schon raus.

Gestern lag ich dementsprechend nur rum, guckte Serien und Fußball, und schlief auch alleine zuhause, um mal ohne Wecker oder Sonnenlicht wach zu werden (letzteres ist bei F. immer mein Problem, weil der Herr kein Freund von Jalousien oder Gardinen ist, was das Allererste ist, womit ich mich in neuen Wohnungen, in die ich einziehe, beschäftige: Tageslicht muss beherrschbar sein!). Ich ging gestern normal um kurz vor Mitternacht ins Bett – und wachte heute gegen 11 Uhr auf. Ich glaube, mein Körper möchte mir irgendwas sagen.