Die neue digitale Sammlung der Pinakotheken – ein guter Anfang

Seit dem 6. April kann man sich online durch die Sammlung der Pinakotheken, des Museums Brandhorst und der Sammlung Schack wühlen. Jedenfalls theoretisch. Wenn es um den Bereich moderne und zeitgenössische Kunst geht, sieht man nämlich statt schöner bunter Bilder das hier:

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Der erste Name, den ich eingab, war Anselm Kiefer, weil ich mich mit dem gerade beschäftige. Keines seiner fünf Werke, die im Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlung sind, kann angezeigt werden. Bei zwei Bildern liegen schlicht noch keine digitalen Fotos vor, was ich nachvollziehen kann, bei drei weiteren scheint es Bildmaterial zu geben, das aber nicht gezeigt werden darf. Das liegt nicht an den Pinakotheken, sondern am dusseligen deutschen Urheberrecht, das mich mal wieder laut knurren ließ.

Der Pinakothek der Moderne gehört zum Beispiel Nero malt von 1974, das nicht auf der Website erscheint. (Hier kann man das Bild natürlich trotzdem sehen; ganz runterscrollen.) Das Museum als Eigentümer dieses Bildes darf es verbrennen, wenn es möchte, es kann aber kein Foto seines Bildes auf seiner Website zeigen – weil es schlicht zu viel kosten würde. Wolfgang Ullrich schrieb im letzten Jahr sehr schön über den Irrsinn der Verwertungsrechte:

„Die aktuelle Gebührenpolitik der meisten Verwertungs-gesellschaften könnte zu dem Schluss verführen, es sei tatsächlich eine Arkanisierung der Kunst angestrebt. So kommt die Nutzung eines Werkes, das auf einer Website reproduziert wird, in den meisten Fällen erheblich teurer als die Abbildung in einer Printpublikation. Die Differenz entsteht vor allem, weil bei Druckerzeugnissen nur einmalig eine Gebühr zu zahlen ist, während bei Veröffentlichungen im Internet im Allgemeinen nach Monaten gerechnet wird oder aber nach einem Jahr eine erneute Lizensierung erfolgen muss. So addieren sich die Beträge rasch zu hohen – zum Teil absurd hohen, unbezahlbaren – Summen. Diese Praxis entbehrt jeglicher logischen Grundlage, sind doch Bücher viel stärker als Websites auf Dauer angelegt, werden also auch nach Jahren und Jahrzehnten noch rezipiert. Man könnte das Vorgehen der Verwertungsgesellschaften als prohibitiv bezeichnen; sie sehen das Internet offenbar als schmutzigen, unseriösen Ort an, vor dem sie die von ihnen vertretenen Urheber und Werke schützen wollen. Auf die Wildnis der Sozialen Medien reagieren sie mit dem Versuch, streng exklusive Reservate einzurichten.“

Die Verwertungsgesellschaft, die für bildende Kunst zuständig ist, ist die VG Bild-Kunst. Anselm Kiefer wird nicht von ihr vertreten, wenn ich der hauseigenen Suche glauben darf. Trotzdem gilt für ihn wie für alle anderen auch: Werke von Künstler*innen, die nicht bereits seit 70 Jahren tot sind, dürfen nur gegen Gebühr abgebildet werden. Das kennen wir ähnlich von literarischen Werken. Auch dort kann ich die Schutzfrist nicht verstehen, weil ich sie erstens für viel zu lang halte und zweitens nicht nachvollziehen kann, wieso Nachkommen noch was von den Werken ihrer Väter, Großmütter oder Tanten haben sollen. Ich kann aber immerhin nachvollziehen, dass literarische Werke, die man sich als Buch kauft und mit nach Hause nimmt, Geld kosten. Ich kann aber nicht verstehen, wieso Künstler*innen Geld dafür bekommen, dass ein Werk, das sie verkauft haben, irgendwo abgebildet wird. Wenn es Werbung ist, klar – aber wenn es ein Museum oder eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ist, nein. Wirklich nicht.

Antje Lange, die für die Online-Kommunikation der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen verantwortlich ist, erklärte mir auf Anfrage, wie diese Rechte die Vermittlungsarbeit von Museen erschweren. Ein Beispiel: Auf den Seiten der Pinakotheken kann man durch die Alte, die Neue und die der Moderne online von Saal zu Saal bummeln – eine Funktion, die ich sehr gerne mag, weil man durch sie auch Bilder wiederfindet, von denen man sich weder Titel noch Künstler*in gemerkt hat. Ja, auch ich renne gerne mal hirntot durch Museen und freue mich einfach an den Werken. Eine Dozentin meinte mal, man lerne auch im Vorbeigehen. Der Satz ist seitdem mein Mantra. Zurück zum Rundgang:

Bei der Alten und Neuen Pinakothek, die Werke vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert zeigen, sind online Abbildungen zu sehen – bei der Pinakothek der Moderne, die, wie der Name schon sagt, eher Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts zeigt, nur in Ausnahmefällen. Lange: „Wir haben einen Museumsvertrag mit der VG Bild-Kunst, der uns eine gewisse Anzahl von Werken kostenlos zeigen lässt – aber der Rundgang durch die Pinakothek der Moderne ist deswegen nie vollständig online, weil die Anzahl der Werke diese Grenze deutlich übersteigt. Das finde ich bedauerlich, denn meiner Meinung nach sollte ein staatliches Museum auch für Menschen zugänglich sein, die nicht vor Ort sind.“

Die Rechte gelten übrigens auch für die sozialen Medien der Museen, wobei es dort Ausnahmeregelungen für laufende Ausstellungen gibt. Wenn die Pinakotheken auf Instagram eine Saalansicht mit zeitgenössischer Kunst posten, kostet das Geld. Die VG Bild-Kunst berechnet nach Klickzahlen und Dauer der Veröffentlichung – das heißt, wenn eine derartige Ansicht zu sehen ist, die keine aktuelle Ausstellung zeigt und damit gebührenfrei ist, müsste sie theoretisch zeitlich begrenzt sein, damit es nicht teuer wird. Man müsste also dauernd Dinge depublizieren – oder man lässt es gleich. Jetzt weiß ich wenigstens, wieso der Instagram-Account der Pinakotheken gerne die Alte vorstellt. Mir juckt es gerade sehr in den Fingern, durch alle Säle der Pinakothek der Moderne zu gehen und zu instagrammen, was das Zeug hält. Ich bin eine Privatperson ohne kommerzielle Interessen an den Werken – aber ich weiß gerade selbst nicht, ob ich sie herzeigen dürfte oder ob die Schlägertruppen der VG Bild-Kunst dann durch meine Streams marodieren. Was ich aus unserem Gespräch schon mal mitgenommen habe: Ich lästere nie wieder über eher unbeeindruckende Instagram-Accounts von zeitgenössischen deutschen Museen, weil sie schlicht nicht die Chance haben, so großartig zu sein wie das MoMA, dessen Stream vermutlich in jeder Präsentation als Benchmark hochgehalten wird.

Denn: Dieser Urheberrechtsnervkram ist ein deutsches Problem. Wenn ich zum Beispiel auf die Seite der Online-Kollektion des MET gehe, finde ich dort 62 Werke von Kiefer, alle in schönster farbiger Abbildung. Was das MET auch vorbildlich macht: die wissenschaftliche Informationstiefe für die einzelnen Werke. Nehmen wir als Beispiel mal Herzeleide (1979), das ich in meiner Hausarbeit vor einem Jahr erwähnen konnte – und noch weitere Werke Kiefers, von deren Existenz ich ohne die Online-Datenbank nichts gewusst hätte, weil sie in keinem Katalog erwähnt wurden, der mir physisch zur Verfügung stand. Zu den Werken findet man auf der Site nicht nur die kunsthistorischen Basisdaten (Herstellungsdatum, Maße, Technik), sondern eine vollständige Provenienz, einen Hinweis auf Literatur sowie eine Ausstellungshistorie. Die Pinakotheken beschränken sich momentan auf die Basisdaten, bieten aber – bei älteren Werken – die Möglichkeit zum Download der Bilder unter CC-BY-SA-4.0-Lizenz. Außerdem kann man sich das Datenblatt ausdrucken lassen. Die Daten sollen, laut Lange, in Zukunft noch ausführlicher werden, der derzeitige Stand ist nicht der finale. Als Messlatte gilt nicht überraschend das Rijksmuseum, das seine Werke hochauflösend zum Download anbietet und den Nutzer*innen alle Freiheiten lässt, mit den Schätzen zu machen, was sie wollen. Mein Lieblingszitat des dortigen Direktors: „If they want to have a Vermeer on their toilet paper, I’d rather have a very high-quality image of Vermeer on toilet paper than a very bad reproduction.“

Auch wenn ich die fehlenden Bilder in der Datenbank der Pinakotheken beklage, freue ich mich, dass ich überhaupt die Möglichkeit habe, einen musealen Bestand zu durchsuchen, denn das ist leider noch keine Selbstverständlichkeit. Neben München bieten Berlin und Dresden diesen Service, aber das war’s dann auch schon. Bei der digitalen Sammlung des Städel in Frankfurt bin ich mir nicht sicher, ob die komplette Sammlung erfasst wurde, die Hamburger Kunsthalle zeigt „300 Meisterwerke aus den Bereichen Malerei, Skulptur, Fotografie und Graphik sowie mehr als 15.000 Zeichnungen und Druckgraphiken aus dem Kupferstichkabinett“. Dass es nur so wenige vollständige Sammlungen online gibt, finde ich nicht nur für mich und meine berufsbedingte kunsthistorische Neugier schade, sondern auch für Laien. Eine Frage, die ich Lange stellte, war die nach der Zielgruppe der neuen Site – da kam in mir kurz die Werberin durch: „Die Online-Sammlung ist sowohl für die Wissenschaft als auch für das Museumspublikum konzipiert. Das Publikum profitiert vermutlich eher von den Inspirationen, die zu jedem Werk angezeigt werden [eine Art Empfehlungsbilderbogen]; für die Wissenschaft sind die Daten interessanter. Mir war es wichtig, die Datenbank nicht zu wissenschaftlich aussehen zu lassen; es sollte aber auch nicht so spielerisch sein wie die digitale Sammlung des Städel.“

Ich finde den Spagat gut gelungen – wenn jetzt noch die Datentiefe des MET erreicht wäre, wäre ich schon fast wunschlos glücklich, denn natürlich sind die fehlenden Bilder das Hauptproblem. Sie sind für mich auch als wissenschaftliche Quelle wichtig und nicht nur als Downloadmöglichkeit für einen schöneren Bildschirmhintergrund. Im Studium bezog ich meine Bilder aus dem Prometheus-Bildarchiv, einem Zusammenschluss von derzeit 90 kulturellen Institutionen, die ihre Bilder für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung stellen. Die LMU hat eine Lizenz, weswegen ich nach Herzenslust suchen, downloaden und Dinge in PowerPoint-Präsentationen einbauen durfte. Das Problem bei Prometheus ist: Viele bekannte Werke liegen in mehrfacher, teilweise dutzendfacher Ausfertigung vor – und kein Bild sieht so aus wie das nächste. Ich bleibe mal bei Kiefer als Beispiel, dessen Parsifal ich nur zweimal fand, aber selbst da sieht man schon das Problem:

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Ich kann mir schlicht nicht sicher sein, wie das Bild im Original aussieht, wenn ich nicht schon einmal selbst davor gestanden habe. Bei Manets Olympia, die ich 23 Mal fand, wird es noch klarer:

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Wie soll man bitte wissenschaftlich mit Bildern arbeiten, wenn man nicht mal weiß, ob man gerade die originale Farbgebung betrachtet? Gerade dafür sollte ich mich auf Museen verlassen können. Kann ich aber leider nicht: Das Kunsthaus Zürich, in dem der Parsifal hängt, zeigt quasi gar nichts auf seiner Seite, beim Musée d’Orsay kann ich immerhin die Olympia in recht kleiner Auflösung mit den Bildern in Prometheus vergleichen, um eine möglichst ähnliche Abbildung für meinen Vortrag zu benutzen. Ideal finde ich beides nicht. Hier sehe ich die Verantwortung bei den Museen, bei der Verwertungsgesellschaft, die Rechte freizugeben – und, darauf wies auch Ullrich hin, bei den Künstler*innen selbst:

„Aber selbst Wissenschaftler, die über Künstler publizieren, welche ihre Rechte von einer Verwertungsgesellschaft vertreten lassen, werden gelegentlich damit konfrontiert, dass man ihnen eine Reproduktionserlaubnis verwehrt. So machen es einige Künstler – zum Beispiel Andreas Gursky – zur Bedingung, dass ihre Werke in Farbe reproduziert werden. Das aber behindert – wegen der dann nicht finanzierbaren erhöhten Druckkosten – insbesondere Autoren von Doktorarbeiten, wissenschaftlichen Sammelbänden oder unabhängigen Büchern; Texte, die sich, vielleicht auch analytisch-kritisch mit der Ikonografie oder den Sujets des Künstlers befassen und die deshalb auf Abbildungen als Grundlage und Verifizierung einer Argumentation angewiesen sind, können im Extremfall gar nicht publiziert werden.“