Herr Wichmann von der CDU

Herr Wichmann von der CDU
(D, 2003)

Drehbuch und Regie: Andreas Dresen
Kamera: Andreas Höfer

Henryk Wichmann ist 25, Jurastudent und CDU-Kandidat für die Bundestagswahl 2002. Er tritt in der Uckermark an, ein von Gott und der Wirtschaft verlassenes Fleckchen in der Nähe von Berlin. Sein Gegenkandidat ist Markus Meckel, SPD, und sicherer Sieger in diesem Wahlkreis. Der Regisseur Andreas Dresen (Halbe Treppe) hat ihn im Monat vor der Bundestagswahl auf seinem Wahlkampf mit der Kamera begleitet.

Ich erinnere mich an den letzten Dokumentarfilm, den ich gesehen habe. Das war Bowling for Columbine, und ich habe ihn damals zerrissen: weil ich ihn falsch fand, zeigefingerig, laut, manipulativ. Ich finde es sehr schön zu sehen, dass es anscheinend auch noch andere Dokumentarfilme gibt, die genau diese Adjektive nicht verdient haben.

Herr Wichmann von der CDU kommt ohne Musik aus, ohne Interviews mit den Mitwirkenden, ohne hektische Schnitte, ohne Off-Kommentar. Wir erleben einfach einen jungen Politiker, der sich bemüht, seinem Wahlvolk seine Ideen zu erläutern. Wir begleiten ihn in Fußgängerzonen, auf Stadtfeste, auf Kundgebungen mit der Bundesparteiprominenz und erleben zum Schluss seine von vornherein sichere Niederlage gegen den übermächtigen Kandidaten. Und das schöne dabei: Selbst wenn wir keine Freunde der politischen Ausrichtung von Herrn Wichmann sind, selbst wenn wir uns einen Dreck für Politik interessieren, selbst wenn uns Henryk Wichmann vielleicht unsympathisch ist – wir finden ihn nie albern. Und das ist meiner Meinung nach ein großer Verdienst von Andreas Dresen, der sein Sujet nie der Lächerlichkeit preisgibt, was einfach, sehr einfach gewesen wäre.

Wichmann ist kein aalglatter Politprofi. Natürlich beherrscht auch er nach Jahren im Kreistag die Kunst, aus jedem Satz, den ein Passant ihm entgegenwirft, ein Stück seines Parteiprogramms zu drechseln. Natürlich weiß er, wem er wie nach dem Mund reden muss, um denjenigen wenigstens für einen Augenblick auf seine Seite zu bekommen. Aber er wirkt dabei nie abgebrüht, nie haben wir das Gefühl, da ist jemand, der bloß üppige Diäten im Bundestag abgreifen will. Auch wenn sein Slogan „Frischer Wind für die Politik“ noch so ausgelutscht ist – er scheint hinter ihm zu stehen. Er will anscheinend wirklich etwas verändern, und er glaubt daran, es schaffen zu können. Deswegen steht er sich die Füße unter seinem CDU-Sonnenschirm platt und redet mit jedem, der sich eigentlich nur für seine Kugelschreiber interessiert. Und deswegen wirkt er auch nie lächerlich oder künstlich; er ist ernsthaft bestrebt, eine Botschaft an seine Wähler zu bringen.

In einigen Momenten ist er aber eben doch noch unerfahren oder einfach zu jung. Wenn zum Beispiel die Bewohner eines Altenheimes ihm zwar brav zuhören, wenn er über die große Politik redet, aber aus ihren Antworten klar wird, dass sie eigentlich ganz andere Dinge beschäftigen. In diesen Momenten ist Wichmann kein Politiker mehr, sondern nur ein sehr junger Mann, der vor der absoluten Hoffnungslosigkeit des Alters kapituliert. Da wirken seine Sprüche von Aufschwung und dem viel beschworenen frischen Wind sehr, sehr einsam. Und der Film kommentiert auch hier nicht, gibt weder die Alten noch den Jungen preis, sondern lässt sie beide in ihrer Einzigartigkeit wirken.

Herr Wichmann von der CDU ist unterhaltsam, wenn man Anhänger einer anderen Partei ist, weil man sich dann genüsslich zurücklehnen und dem Jungspund beim Scheitern zusehen kann. Aber selbst dann bleibt ein Gefühl der Achtung vor Wichmann zurück. Eine Achtung vor der Aufgabe, der er sich stellt, von der Ehrlichkeit, die er noch besitzt, und gleichzeitig vor seiner Kraft, einen von vornherein aussichtslosen Kampf zu führen. Diese Achtung transportiert der Film, ohne uns in diese Richtung zu schubsen. Auch das ein angenehmer Kontrast zu gewissen anderen Dokumentationen.

Was bleibt, ist eigentlich nur die Frage: Wieso lässt sich ein Politiker beim Wahlkampf filmen? Es war klar, dass der Film ihm vor der Bundestagswahl keine entscheidenden Stimmen bringen würde, keine zusätzliche Medienpräsenz. Vielleicht wollte Wichmann einfach seine ganz persönliche Stellungnahme gegen die Politikverdrossenheit aufzeichnen. Ein Dokument, um sich selber davon zu überzeugen, dass es richtig ist, was er tut. Denn auch ihm muss klar gewesen sein, dass er gegen Meckel nicht den Hauch einer Chance gehabt hat.

Bei mir hat das funktioniert. Ich werde auch beim nächsten Mal nicht die CDU wählen. Ich habe auch nicht mehr Verständnis für einige der Programmpunkte bekommen, die Wichmann so eloquent aufzählt. Aber ich habe wieder ein bisschen mehr Respekt vor dem Beruf des Politikers, ganz gleich, welcher Ausrichtung. Denn wir begegnen im Film auch Vertretern des weiteren politischen Spektrums – und die sehen in ihrem Bemühen um Wählerstimmen ganz genauso aus wie Herr Wichmann von der CDU.

4 Antworten:

  1. Jetzt hatte ich mich auf die Kritik zu “Hidalgo” gefreut und dann lese ich da irgendwas von der CDU. Ich glaube, da ist was mit dem Verlinken schiefgelaufen :-)

  2. Jetzt müsste es gehen. Danke für den Hinweis.

  3. Danke sehr :-) Auch wenn die Kritik leider so ausgefallen ist, wie ich befürchtet habe. Werde ich ihn mir wohl lieber doch nicht ausleihen.

  4. Alte Haloscan-Kommentare hier. Dort bitte nicht mehr kommentieren.