Tagebuch, Samstag, 28. Mai 2016 – Knäuel

Ich habe vor wenigen Tagen einen Tweet geteilt, auf dem Trauerarbeit bzw. Heilung als nicht-linear bezeichnet wurde. Als ich nach dem Bild googelte, fand ich ein anderes, das es gefühlt noch besser ausdrückt. (Quelle unklar, taucht irrwitzig oft bei Pinterest auf.)

grief

Ich befinde mich seit fast zwei Jahren in einem Trennungsprozess; zunächst von einer Stadt, dann von einem Beruf, dann von einem Lebensgefährten und zum Schluss von der gemeinsamen Wohnung. Das ist eine Menge, und das vergesse ich gerne. Ich spreche oft davon, Dinge jetzt abzuhaken oder ich warte darauf, dass Dinge abgehakt sind, denn sie liegen ja jetzt hinter mir, dann sollen sie gefälligst auch nicht mehr weh tun. Das schlaue Lektorgirl meinte neulich (und ich behaupte, ich habe ihr Augenrollen durchs Telefon gesehen), dass ich diese Metapher mal lassen sollte. Und je länger dieser Prozess dauert, desto mehr sehe ich das ein. (Knurrend.)

Es kostet mich gerade wieder viel Kraft, durch meinen Tag zu kommen. Mal abgesehen davon, dass mein Schreibtisch überquillt, liegen unvermutet Stolpersteine wie eine miese Note im Weg, die mich kurzfristig völlig aus dem Konzept gebracht hat. Ich habe für das Geschichtsreferat gelesen wie bescheuert, aber mir hätte schon am Tag des Referats klar sein müssen, dass irgendwas im Argen liegt, denn wenige Stunden vor der Präsentation habe ich noch Folien in Powerpoint ausgetauscht. Wenn ich mit einem Referat glücklich bin und weiß, was ich tue und wovon ich spreche, ist die Präse meistens tagelang vorher fertig. Hier fielen mir am Tag selbst noch Ungenauigkeiten auf, die sich vermutlich auch auf meinen Vortrag ausgewirkt haben, nach dem ich sowieso sehr unsicher war, ob meine Kommiliton*innen irgendwas mitnehmen konnten. (Laut meiner Sitznachbarin ja.)

Jetzt könnte ich das ganze natürlich professionell abhaken und sagen, ja mein Gott, das ist eine Note, guck dir einfach alle deine anderen Noten an, die sind besser, trink nen Tee, kauf Schokolade, fahr ne Runde Rad. Aber da sind wir wieder beim Abhaken. Ich bin die weltschlechteste Abhakerin aller Zeiten. Ich nehme mir alles zu sehr zu Herzen, weswegen ich auch am liebsten alleine zu Hause bin, denn da kann mir nichts passieren, da kann mir nichts weh tun. Tut es neuerdings natürlich trotzdem, denn mein komplettes Zuhause erinnert mich daran, dass ich ein anderes verloren habe, und mein Alleinsein erinnert mich daran, dass ich mal zu zweit war. Also flüchte ich an den Schreibtisch, denn wo soll ich sonst hin, in öffentlichen Bibliotheken heult sich’s deutlich unentspannter. Konzentrieren konnte ich mich aber auch nicht richtig, denn momentan denke ich alle fünf Sekunden: Ich will nach Hause.

„Nach Hause“ bedeutet nicht wieder auf die gemeinsame Couch vor den Fernseher in Hamburg. Damit war ja offensichtlich irgendwas nicht in Ordnung, sonst hätte ich das alles nicht hinter mir gelassen.

Zuhause bedeutet stattdessen die Sicherheit einer langjährigen Beziehung. Zuhause bedeutet, einen Job zu haben, den man beherrscht und der ausreichend was aufs Konto bringt. Zuhause bedeutet, Freundinnen in der Nähe zu haben, die einen in Notzeiten ans Händchen nehmen und viel Rotwein bestellen. Zuhause ist ein langer ruhiger Fluss und nicht das komische Knäuel, in dem ich mich gerade befinde. Ich ahne, dass ich Dinge durcheinander bringe, dass ich Dinge als Zuhause bezeichne, die vielleicht gar nicht so viel Gewicht haben müssten. Keine Ahnung. Ich stecke in einem Knäuel, ich kann gerade nicht so weit gucken.

Ich wünschte mir, dieses Prozesshafte würde irgendwann mal aufhören, dieser Schwebezustand. Immer wenn ich denke, so, München, das isses, Studium läuft, Job wird schon irgendwie kommen, selbst mit einer so doofen Jahreszeit wie Sommer hab ich mich hier angefreundet, immer dann kommt das Knäuel um die Ecke, ich verheddere mich in Kleinkram und will nach Hause und irgendwas abhaken. Und weil alles so prozesshaft und im Werden und Vergehen ist, habe ich nicht mal ein anständiges Ende für diesen Blogeintrag. Der fasert jetzt einfach so aus.