Tagebuch, Sonntag, 15. Mai 2016 – Eine Liebeserklärung an Masterchef Australia

Letztes Jahr um diese Zeit war fürchterlich. Eigentlich lief gerade mein letztes Bachelor-Semester, auf das ich mich fünf Semester lang gefreut hatte, weil ich endlich eine lange Arbeit schreiben durfte mit einem selbst ausgewählten Thema. Außerdem sollte es das letzte Semester in München sein; dann wäre das Studium vorbei gewesen, ich wäre nach Hamburg geflogen, hätte hier in München alles bei eBay vertickt und weiter im Norden Werbung gemacht.

Stattdessen stellte ich schon während des zweiten Semesters fest, dass mich die Werbung langsam, aber sicher mal kreuzweise konnte und ich Wissenschaft und Forschung viel toller, befriedigender, erfüllender und sinnvoller fand. Es stellte sich auch heraus, dass ich mich in München wohler fühlte als in Hamburg, was dazu führte, dass meine Beziehung immer spröder wurde, bis wir beide der Meinung waren, wir sollten uns trennen. Das passierte zwei Tage vor meinem 46. Geburtstag und damit zwei Wochen vor dem Beginn des Semesters, in dem ich meine sehnlichst erwartete BA-Arbeit schreiben wollte. Die entpuppte sich dann als ziemliche Nervscheiße, weil mein selbstgewähltes Thema kompletter Quatsch war, wie ich beim ersten richtigen Bearbeiten merkte. Auch der zweite Entwurf landete in der Tonne, und erst beim dritten, den ich ungefähr vor einem Jahr begann, war klar, der isses jetzt, denn schreibe ich jetzt besinnungslos zu Ende, bis ich ihn am 17. Juni abgeben werde.

Ich war vor einem Jahr also alles andere als eine in sich gefestigte, ruhige, besonnene Person – ich war stattdessen ein Hühnerhaufen an Emotionen, und wenn ich nicht hätte lesen und tippen müssen, wäre ich nur noch schreiend im Kreis gelaufen. Stattdessen schoss ich mich tagsüber mit Büchern im Zentralinstitut für Kunstgeschichte ab und verbrachte die Abende leergedacht im Bett, wo immer die gleiche Sendung auf dem MacBook lief: Masterchef Australia.

Masterchef lernte ich vor Jahren in der britischen Fassung kennen, die in einer kleineren Küche begann, mit anderen Regeln und mit so gut wie keinem Hintergrunddramaschnickschnack wie bei anderen Reality-Formaten. Es ging ums Kochen und fertig. Die Gerichte der Kandidatinnen wurden zunächst von einem Koch und einem Food Critic beurteilt, in weiteren Runden von anderen Kritikerinnen und Köchinnen; es wurde in Restaurants gekocht, für kleine und große Runden an Gästen, und zum Schluss gewann irgendwer, der oder die dann meistens einen eigenen Laden eröffnete (sogar erfolgreich). Die Serie hatte von Anfang an eine andere Qualität als die üblichen menschenverheizenden Shows, weswegen ich sie sehr gerne sah. Und: Sie kam nicht nur einmal pro Woche, sondern, wenn ich mich richtig erinnere, gleich viermal, meist 30 Minuten lang.

Irgendwann änderte sich das Format, die Küche wurde größer, es gab mehr Geschmalze drumrum, und ich guckte lieber was anderes. Im letzten Jahr, als ich abends einfach nicht mehr nachdenken wollte, stieß ich wieder auf Kochsendungen. Ich gucke zwar auch sehr gerne Serien, nehme von ihnen aber nichts mit außer einer vergnüglichen Stunde. Bei Kochsendungen lerne ich Zutaten kennen, Zubereitungsmethoden, Anrichtestile – ich musste sehr lachen, dass Vinoroma sich mal auf Instagram über den Trend beschwerte, Essen auf dem Teller halbmondförmig am Rand lang anzurichten; ich hatte diese Art gerade auf Masterchef gesehen und fand sie todschick.

Ich klickte in die US-Ausgabe der Serie rein. Kurze Zusammenfassung: fürchterlich (Stichwort Gordon Ramsay, der Unsympath aller Unsympathen). Die kanadische: nette Judges, aber dafür Product Placement galore und Gerichte, für die die Kandidat*innen in GB nicht mal in die Vorrunde gekommen wären. Ein letzter Versuch: Masterchef Australia. Dort war gerade eine Staffel gestartet, ich schaute erwartungslos rein – und war verliebt. In alles.

Die drei Juroren scheinen jede*n Kandidaten*in zu mögen und wollen nur das Beste. Es gibt keine Häme, keine doofen Sprüche, aber auch keinen blöden Pep Talk. Die Küche ist groß, aber gleichzeitig heimelig, die Kandidat*innen motiviert, aber nicht so hysterisch wie in der US- bzw. der kanadischen Ausgabe. Klar wollen sie gewinnen, aber das tun sie deutlich unaufgeregter als die Menschen auf der anderen Seite des Pazifiks. Und dann das Essen! Ich habe keine Ahnung von australischer Küche und Essgewohnheiten, aber anscheinend wächst man dort mit Meeresfrüchten auf, weiß, wie man mit Obst und Gemüse umgeht und fertigt dazu auch noch irrwitzig komplexe Desserts. Gerade ist die diesjährige Masterchef-UK-Staffel zuende gegangen und die habe ich nur noch nebenbei laufen lassen, weil ich nicht die zehnte Variante von Lamm plus zwei Gemüsesorten auf dem Teller sehen wollte. Bei Masterchef AUS lerne ich Zutaten kennen, von denen ich nicht mal wusste, dass es sie gibt, aber ich will sie jetzt alle essen.

Was mir an der Sendung am besten gefällt, ist der Spielmodus. Es gibt gewisse Grundformen der Wettkämpfe, aber die sind so clever variiert, dass sie nie langweilig werden. Mein Liebling ist die Mystery Box, die in GB überhaupt nicht vorkommt, was ich stark anprangere. In der Mystery Box liegen sechs bis acht Zutaten, aus denen die Kandidat*innen mindestens eine verwenden müssen, um in einer vorgegebenen Zeit ein Gericht zu zaubern. (Standards wie Mehl, Milch, Eier, Öl, Gewürze stehen immer zur Verfügung.) Meist haben die Kandidat*innen 75 Minuten Zeit, das heißt, Eiscreme hat die Chance, fest zu werden und Bratensaucen haben die Chance, Aromen zu bekommen. In Kanada hat fast jede Runde nur 60 Minuten, weswegen ich den Kanditat*innen sehr oft nur beim hektischen Schwitzen und Scheitern zusehe – oder eben bei Gerichten, die so unkomplex sind, dass sie mir egal sind.

Ich mag es, dass man verschiedene Zubereitungsarten ein und desselben Produkts sieht. Gestern war es mein gelieber Blumenkohl, den ich immer als Suppe oder frittiert esse, aber in nicht allzu ferner Zukunft werden ich ihn einlegen, zu einer Kruste verarbeiten oder einen Salat mit weiteren Texturen aus ihm zaubern. Aus der Mystery-Box-Runde wird das beste Gericht ausgewählt und die Köchin desselben darf dann die Hauptzutat für die nächste Runde aussuchen. Das mag ich noch lieber, denn jetzt haben wirklich alle das gleiche vor sich und müssen daraus etwas zaubern. Gestern war das Orangenmarmelade (ausgewählt aus den Möglichkeiten Erdnussbutter, Marmite oder eben Marmelade), und daraus wurden nicht nur wunderschöne Desserts, sondern zum Beispiel auch eine gegrillte Wachtel mit bergeweise Orangenfenchelzeug drumrum.

Die drei schlechtesten Köch*innen treten am nächsten Tag gegeneinander in der sogenannten Elimination Challenge an. Dort kommt meist ein*e Große*r des Fachs in die Küche (im letzten Finale war das Heston Blumenthal) und präsentiert ein irrwitzig kompliziertes Gericht, das die Armen dann nachbasteln müssen. Meist natürlich mit Rezept und Anleitung, aber bei einer Challenge hieß es auch schon mal ohne alles weitere: Ihr habt drei Stunden Zeit – baut uns eine Croquembouche. Ihr wisst ja, wie Windbeutel gehen und wie man Zucker spinnt. (Seit dieser Challenge weiß ich, dass es riesige Blechtröten gibt, in die man die Windbeutel stapeln kann.)

Die drei besten Köch*innen der Mystery Box spielen um die Immunity Pin. Falls sie die Pin gewinnen, können sie sich damit aus einer Elimination Challenge freikaufen, denn am Ende dieser Challenge geht immer eine*r der Kandidat*innen nach Hause. Beim Kampf um die Immunity Pin tritt eine*r der drei ebenfalls gegen einen Starkoch oder eine -köchin an. Die Kandidatin wählt die Hauptzutat oder die Art der Küche (italienisch, französisch, indonesisch …) oder auch nur süß/salzig, je nachdem, was die Judges vorgeben. Sie hat 75 Minuten Zeit für ihr Gericht, der Profi 60. Und: Die Judges probieren blind, das heißt, sie wissen nicht, wer was gekocht hat, und vergeben danach Punkte. Es passiert durchaus, dass eine kleine Laienköchin einen Star schlägt, aber meistens klappt das nicht. Total egal, denn es ist immer spannend, dabei zuzuschauen. Die restlichen Kandidat*innen (die Show fängt mit 24 an) stehen auf einer Galerie oberhalb der Küche, gucken zu und applaudieren. Und die Starköche plaudern gerne und verraten, was sie da gerade machen und warum.

Es gibt noch weitere Formate, die innerhalb der Sendung stattfinden – zum Beispiel die üblichen Challenges in Restaurants, wo man plötzlich nicht mehr eine Portion kochen muss, sondern 200 –, aber die Mystery Box bleibt mein Liebling. Und eben die Judges, die nicht zu viel und nicht zu wenig zum Gericht sagen, stets positiv sind und anfeuern und vor allem sehr wenige der blöden Reality-Platitüten drauf haben à la „Glaub an dich blablabla.“

Die Sendung läuft fünfmal die Woche und dauert jeweils fast eine Stunde. Das heißt, die Gerichte kriegen genug Platz, man bekommt ein paar Hintergrundinfos über die Kandidat*innen, aber nicht zu viel, und das Erzähltempo ist sehr angenehm. Das einzige, was nervt, ist die Hintergrundmusik, die so gut wie nie eine Pause macht.

Vor einem Jahr zappte ich in die siebte Staffel rein und war sofort süchtig. Und weil das Internet so nett zu mir ist, konnte ich auch die anderen sechs Staffeln anschauen und so abends vergessen, wie anstrengend gerade mein Tag ist. Nach 62 Folgen gewann Billie McKay, die seitdem bei Blumenthal in The Fat Duck arbeitet. Und seit ihrem Sieg habe ich mich auf die neue Staffel gefreut, die mich seit einer Woche schon wieder sehr glücklich macht. Auch wenn ich gerade kein emotionaler Hühnerhaufen bin. (Na gut, ein kleiner.)