Tagebuch Sonntag, 22. November 2015 – St. Markus

Im Moment hadere ich mal wieder mit sehr vielem. Mit der Trennung, mit dem doofen Gefühl, das ich habe, wenn ich bei F. im Arm liege und heulen muss, weil ich an den Kerl denke und dass er echt der Letzte ist, mit dem ich das ausdiskutieren möchte. Mit der neuen Wohnsituation, die sich mal richtig gut und dann wieder richtig scheiße anfühlt. Mit der Uni, die mich immer, immer glücklich macht, die es mir aber auch immer, immer schwerer macht, an einen anderen Job als die Wissenschaft zu denken, was vielleicht nicht unbedingt ein sinnvoller Plan ist. Mit den Freundinnen, die viel zu weit weg sind und mit denen ich gerne dauernd gemeinsam Wein trinken wollen würde anstatt einzeln mit ihnen zu telefonieren. Mit dem Gefühl des Entwurzeltseins und dass ich mir das ganz alleine zuzuschreiben habe. Mit dem Zeug-Vermissen – den Gesangsunterricht in Hamburg, das Viel-Geld-Verdienen, überhaupt Geld verdienen, sorglos Zeug einkaufen und wissen, ich kann’s mir leisten und ich hab Platz, es unterzubringen. Mit dem schlechten Gewissen, dass das alles totale First-World-Problems sind, aber es sind nun mal welche und es sind meine.

Wenn ich hadere, kapsele ich mich meist ab und verstumme und mache das mit mir aus. Oder ich trinke zu viel. Oder ich gehe in eine Kirche. Letzteres hab ich gestern gemacht. (Es gab Wein zum Abendmahl, insofern ist die zweite Klarkomm-Methode sogar auch in Ansätzen erfüllt.)

Vor Kurzem habe ich mich aus Hamburg ab- und in München mit Erstwohnsitz angemeldet. Ich habe auch brav „evangelisch“ im Meldebogen angekreuzt und so war ich nur mild überrascht, als vor einigen Tagen die Zeitung meiner neuen Kirchengemeinde im Briefkasten lag. Bisher bin ich in München zu St. Matthäus am Sendlinger Tor gegangen, weil die Kirche sowohl von außen als auch von innen schön was zum Gucken hergibt. Aber gestern dachte ich, ach, schauste doch mal bei St. Markus vorbei, wenn sie dich schon so freundlich einladen.

Ich suchte auf Google Maps nach dem Weg, dachte mir, hm, wo steht denn da ne Kirche, dachte mir dann aber, die werde ich schon sehen, wenn ich davorstehe, ist ja ne Kirche, die erkennt man ja, und so war’s dann auch. Genauer gesagt war mein Gedanke: Ach du bist das! denn die Kirche kann ich prima sehen, wenn ich vom Haus der Kunst nach Hause radele, die Von-der-Tann-Straße in Richtung Ludwigstraße, auf die ich dann rechts einbiege. Von der Kreuzung aus habe ich die Kirche schon oft gesehen. Und jetzt ging ich endlich mal rein.

Ich war rechtzeitig da und konnte mich erstmal in Ruhe im Kirchenraum umgucken, wo mich die inkonsequente Neogotik etwas verstörte. Ich vermisste Kapitelle an den Säulen, fand die gotischen Bögen an den Emporen auch nur so hingeschludert und überhaupt passte das Kirchenschiff nicht so recht zum deutlich schlichteren und moderneren Chor, der dazu auch noch viel dunkler war als das Schiff – wenn auch nicht so dunkel wie auf dem Wikipedia-Bild. Das Kreuz hing an der Seite, was ich auch eher unschön fand; ich will auf Jesus draufgucken, wenn ich in der Kirche bin (oder wenigstens auf ein Abbild von ihm). Dafür waren der Empfang sehr freundlich, die Stühle bequem und die Reihen deutlich besser gefüllt als in jeder Hamburger Kirche. Ich stolperte mal wieder über einige Stellen in der Liturgie – in Bayern singt man an anderen Stellen dem Pastor oder der Pastorin (eat this, Katholen) was zu als in Hamburg –, aber ansonsten fühlte ich mich sofort zuhause.

Nach genau dem Gefühl hatte ich gesucht: zuhause zu sein. Wenn ich hadere, fühle ich mich in meinem gewohnten Umfeld fremd, irgendwie falsch, neben der Spur, aus dem Takt. In der Kirche kann ich mich (größtenteils) an der Liturgie festhalten, an den Liedern, die ich sofort intuitiv singen kann, auch wenn ich sie nicht kenne, und natürlich an der Gemeinschaft, in die ich eintrete, wenn auch nur für eine gute Stunde. Aber ich weiß, ich bin in jeder Kirche willkommen, ich kann kommen, wie ich bin und ich werde aufgenommen, wie ich bin, ohne dass jemand was will oder mich beurteilt. Ich bin da, weil alle anderen auch da sind. Und so kam ich zur Ruhe, konnte den Kopf auf andere Dinge konzentrieren als auf die, mit denen ich gerade hadere, und durfte auch endlich das Abendmahl mal wieder feiern.

Wenn es irgendeinen Brauch gibt, der mich erdet, dann ist es dieser. Gemeinsam um den Altar stehen, dem Pastor oder der Pastorin (gestern war es eine Pastorin) in die Augen schauen, wenn er oder sie dir symbolisch den Leib und das Blut Christi übergeben, den schweren Kelch zum Mund führen, einfach mal still stehen und still sein. (Nebenbei: Ich lehne für mich das Oblatenstippen ab, das kommt mir immer wie Kaffeekränzchen vor.) Zum Schluss fassten wir uns alle an den Händen, die Pastorin segnete unseren Kreis, wir sagten dem Nachbarn oder der Nachbarin ein „Friede sei mit dir“, durften nochmals der Orgel zuhören und dann war alles gut, ich war in der Spur und im Takt und alles war gut.

Alles war gut.