21 Grams

21 Grams (21 Gramm, 2003)

Darsteller: Sean Penn, Benicio Del Toro, Naomi Watts, Charlotte Gainsbourg, Melissa Leo, Clea DuVall
Musik: Gustavo Santaolalla
Kamera: Rodrigo Prieto, Fortunato Procopio
Drehbuch: Guillermo Arriaga
Regie: Alejandro González Iñárritu

Der Titel des Film, 21 Grams, bezieht sich darauf, dass wir angeblich im Augenblick unseres Todes 21 Gramm an Körpergewicht verlieren. Ich habe den ganzen Film lang darauf gewartet, dass irgendetwas passiert, das diesen Titel rechtfertigt. Bis auf einen eher lahmen Monolog von Sean Penn am Schluss, dessen genauer Wortlaut auch schon auf dem Plakat steht, kam aber nichts. Was mich noch mehr verwirrt hat. Denn eigentlich geht es in 21 Grams nicht um den Tod, sondern um das Leben.

Die Geschichte: Die junge Ehefrau Cristina (Naomi Watts) verliert bei einem Autounfall ihren Mann und ihre beiden Töchter. Sie willigt ein, dass das Herz ihres Mannes dem todkranken Paul (Sean Penn) transplantiert wird. Dieser sucht nach seiner Genesung per Detektiv Angehörige des Spenders und findet Cristina. Aus Liebe zu ihr will er den Verursacher des Unfalls, Jack (Benicio Del Toro), einen ehemaligen Sträfling, der inzwischen zu Gott gefunden hat, umbringen.

Das Spannende an 21 Grams ist nicht unbedingt die Geschichte. Die kam mir seltsam bekannt vor, gewinnt aber durch die herausragenden Darsteller, die auch große Emotionen nie pathetisch rüberbringen, sondern einfach nur ehrlich und deshalb ergreifend gut sind. Das Spannende ist die Art, wie diese Geschichte erzählt wird. Statt sie linear vorzutragen, zerschneidet Regisseur Alejandro González Iñárritu (Amores Perros) sie in Einzelteile, seziert jede Gefühlsregung, jede Handlung, die unweigerlich eine nächste nach sich zieht, und hangelt sich so langsam, aber unausweichlich dem Ende entgegen.

Normalerweise bin ich ja ein Gegner derartiger filmischer Sperenzchen. Ich bin der altmodischen Meinung, wenn eine Geschichte gut ist, kann man sie ganz schlicht und ergreifend von vorne bis hinten erzählen, und sie wird mich bewegen, zum Lachen bringen, zum Nachdenken, was auch immer. Bei 21 Grams habe ich allerdings freudig überrascht festgestellt, dass es hier durchaus Sinn macht, die Geschichte anders zu erzählen. Durch das ständige zeitliche Vor- und Zurückspringen ergeben sich aus der Komposition der einzelnen Vignetten sehr schöne Gegensätze: Trauer und Freude, Schmerz und Glück, Leben und Tod prallen unmittelbar aufeinander, anstatt sauber getrennt voneinander stattzufinden. Und komischerweise macht es einem nichts aus, fast immer die Pointe eines Handlungsstrangs schon zu kennen, bevor man die Exposition sieht. Meistens jedenfalls. Die letzte halbe Stunde der 125 Minuten zog sich dann doch arg lang hin – da hätte ich mir ein bisschen weniger Verliebtheit in kleine Details gewünscht, vor allem, weil sich da die vergangenen Storys wirklich wie Ballast anfühlten, den wir und die Protagonisten doch schon längst hinter uns gelassen hatten.

Aber genau dieser „Ballast“ – Schuld, Sühne, Einsamkeit, Freude, Verzweiflung, Angst, Trauer, Liebe – ist es natürlich, der den Film vorantreibt. Cristinas Vater versucht, seine Tochter auf der Beerdigung ihrer Familie hilflos damit zu beruhigen, dass das Leben weitergehe, auch wenn sie das im Moment nicht glauben könne. Und sie sagt nur, dass das eine verdammte Lüge sei. Das Leben ginge eben nicht einfach so weiter. Und genau das zeigt der Film. Hier kommt die verschachtelte Erzählweise der Botschaft besonders zugute: Sie zeigt deutlich die Brüche in den jeweiligen Biografien. Keines der Leben der drei Charaktere geht einfach weiter.

Pauls Leben fängt quasi ein zweites Mal an; er glaubt sogar, durch das neue Herz ein neuer Mensch geworden zu sein. Eigentlich hatte er mit seinem Leben schon abgeschlossen und sogar aus purer Resignation einer Samenspende für seine Frau zugestimmt, damit diese über seinen Tod hinaus etwas von ihm haben könne, obwohl ihm diese Vorstellung überhaupt nicht behagt. Nach der Transplantation findet er zu seiner alten Stärke zurück, zu seiner eigenen Meinung. Allerdings nicht für lange Zeit. Auch dieses zweite Leben geht nicht einfach so weiter.

Cristina dagegen ist nicht nur die leidende Ehefrau, sie ist auch jemand, der sich aus Schmerz in längst abgelegte Gewohnheiten wie Drogen flüchtet. Und aus der vormals rationalen Frau, die keine Anklage gegen den Mörder ihrer Kinder erheben will, weil das niemanden wieder lebendig macht, wird eine leidenschaftliche Rächerin, die ihren Peiniger am liebsten selbst umbringen würde.

Die beste Rolle hat sich allerdings Benicio Del Toro als Jack Jordan geschnappt. Er begegnet uns in seiner ersten Szene als jemand, der Straßenkindern die Worte und Werke Jesu beibringen will. Er hat den Drogen abgeschworen, er hat seine Strafen für verschiedene Delikte abgesessen, er hat eine Familie, einen Job, und er geht in die Kirche. Und dann bringt er aus Versehen drei Menschen um, und sein gesamtes Weltbild bricht zusammen. Welche Irrungen und Prüfungen Gott, das Schicksal, das Leben auch für ihn bereithalten – nichts endet so, wie er es geplant hatte.

21 Grams lebt von außergewöhnlichen Schicksalen, die glaubhaft von Penn, Watts und Del Toro verkörpert werden. Er verliert sich nie in banalen Dialogen über Leben und Tod, sondern zeigt einfach nur, was uns alles passieren kann. Er ist ein kleines bisschen zu lang geworden, und man hat danach nicht wirklich gute Laune. Aber man nimmt eine Menge mit in sein eigenes Leben. Nur keine gute Erklärung, was der blöde Titel soll.

3 Antworten:

  1. Alte Haloscan-Kommentare hier. Dort bitte nicht mehr kommentieren.

  2. ein ganz großartiger film, danach war der abend gelaufen…
    del toro und penn hervorragend…
    für penn fans ist auch “i am sam” zu empfehlen

  3. Mit Grams verbinde ich eigentlich den Wetterbericht von Saskia, aber hier war es auch sehr interessant.