November-Journal, 22. November 2012

Morgens nicht aus dem Bett (beziehungsweise vom Sofa runter-) gekommen. iPhone klingelte um 8, ich wischte wieder und wieder über die Snooze-Funktion, und als es fast 9 war, sagte ich mir, wenn du jetzt nicht aufstehst, stehst du nie auf. Schließlich wartete um 10 mein Lieblingskurs mit dem Lieblingsdozenten, mit dem mich Frau Kaltmamsell verkuppeln will, weil ich nur schwärmerische Tweets über ihn bzw. seinen Kurs absetze. Was das Aufstehen nicht leichter, aber sinnvoller machte.

Gestern war wieder so eine Sternstunde: Ich lernte die metastasianische Oper kennen (nach ihrem bedeutendsten Librettisten, Pietro Metastasio). Extrem gerafft: Metastasio schrieb 27 Dramen, genauer gesagt, dramma per musica, die vertont wurden – klingt erstmal nicht außergewöhnlich, aber: Diese Dramen folgten immer den gleichen Gesetzen und sie wurden teilweise 50 bis 90 Mal von über 300 Komponisten vertont, von manchen gleich mehrmals. Diese Art der Oper hatte ihren Ursprung in Italien und verbreitete sich im 18. Jahrhundert wie ein Lauffeuer durch fast ganz Europa; der Balkan mochte nicht mitspielen, weil er gerade türkisch besetzt war, und die Franzosen wollten, naturellement, nicht Italienisch singen und hatten daher wie immer ne Extrawurst. Der Rest von Europa verfiel aber dem Schema der zwei Paare, die sich im Laufe der Oper kriegen, natürlich nicht, ohne wildeste Verwicklungen hinter sich zu bringen. Und mit „wildeste“ meine ich „wildeste“. Ich verstehe jedenfalls selten die Inhaltsangaben in Opernführern oder der Wikipedia, wenn ich versuche, die Handlung nachzuvollziehen – der letzte Versuch war Händels Xerxes – und war deshalb sehr froh zu hören, dass ich damit nicht alleine bin.

Der Dozent versuchte, uns die Handlung von Vivaldis L’Olimpiade per Schaudiagramm aufzuzeichnen, musste aber selbst dauernd nachgucken, wer jetzt mit wem verwandt ist, wer wen umbringen will und warum und wer sich zum Schluss kriegt („Die beiden sind sich eigentlich treu, werden aber durch die Umstände daran gehindert. Und die Dame ist seine Zwillingsschwester, aber das wissen beide nicht, und schon sind wir im ARD-Vorabendprogramm.“). Die Handlung ist stets dramatisch, das Ende so gut wie immer glücklich, und neben einer (oder zwei) angedeuteten Hochzeit(en) gibt es eine große Geste der Vergebung. Denn die Opern waren Auftragswerke der Fürstenhöfe, die sich mit diesen Werken ein bisschen selbst bepuschelten, weswegen auch immer ein Herrscher mitspielte, der die Vergebungsgeste ausführte.

Wir wollten gerade quengeln, dass das doch langweilig sei, immer die gleichen Storys zu hören, als der Dozent die Stichworte „romantic comedy“ und „Rosamunde Pilcher“ in den Raum warf, worauf wir brav verstummten. Überhaupt Film: Die Stars der Oper waren Stars wie heute die Jungs und Mädels aus Hollywood oder Fußballspieler. Sie verpflichteten sich für eine Saison an einem Hof, zogen dann an einen anderen weiter und wurden, bei gewissem Ruf, überall bewundert. Der Dozent beschrieb es so: „Die überregionale Wirkung der Opera seria kann mit heutigen Hollywoodfilmen oder Fußball verglichen werden. Da spielen Kastraten aber keine so große Rolle.“

Auch neu für mich war der irrwitzige Output. In Italien wurden 80 bis 100 Opern pro Jahr neu komponiert und aufgeführt, manche bis zu 30 Vorstellungen lang. Dann flogen sie vom Spielplan, und die nächste Premiere stand an. Und das Publikum war da: Es war völlig normal, so oft wie möglich in die Oper zu gehen, gerne auch in das gleiche Stück und gerne in alle 30 Vorstellungen. „Heute machen das ja nur noch verzweifelte Singles, so oft in die Oper gehen …“ *Murren im Saal* „… nicht Sie, dass Sie nicht so oft in die Oper gehen, merke ich, wenn ich das Repertoire abfrage.“

Ich hätte wie immer noch viel mehr zu erzählen, denn der Dozent hat ja auch viel mehr zu erzählen, und ich schreibe mit wie doof und freue mich nach jeder Stunde schon auf die nächste. Ich ahne, dass man das meinen Tweets anmerkt.

In der Vorlesung zur Kunstgeschichte sprinteten wir noch einmal durch die Gotik; wo ich mich letztes Mal in die Kathedralen von Chartres, Amiens und Reims verliebt hatte, durfte ich mich gleich noch mal verlieben, denn dieses Mal kamen die Portale und damit die ganzen Figuren und Figürchen dran, die so an den Eingängen rumlungern. Seit 800 Jahren, die Armen. Dafür sehen sie teilweise aber noch grandios aus. (Auf der Website von Reims gibt’s ein paar Alben zum Durchklicken.) Und die lustigen Zierblümchen auf den Wimpergen (ja, wieder was gelernt) heißen allen Ernstes Krabben. Ich kann mir immer nur die beknackten Worte merken, weil sie so beknackt sind.

Kein Anruf der Spedition, wann sie gedenken, mir meine Möbel zu liefern. Ich hab keine Nummer, unter der ich sie erreichen könnte, ich hab ja nicht mal einen Namen. Heute mal bei einer der drei Ikea-Nummern anrufen, die ich bis jetzt sammeln konnte, vielleicht wissen die, wer das erledigt.

Zum Trost vom temporären Mitbewohner mit Lauchsuppe bekocht worden. Musste mir anhören, dass ich ein spoilt brat sei, weil ich seinen Soave okay, aber nicht super fand. Seit wann ist „okay“ ein Schimpfwort? Okay ist okay. (Aber nicht super. Hm. Na gut.) Trauere meinen Weinvorräten in Hamburg nach. Da fällt mir ein: Ich hab hier noch kein Weinregal. Aber ich hab ja auch noch nix anderes. Seufz.