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Ich habe irgendwann angefangen, mehr zu schreiben als meine Hausaufgaben. In der fünften Klasse meinen ersten „Roman“, der logischerweise auf einem Ponyhof spielte und satte 40 Seiten umfasste. In der neunten Klasse habe ich mir so gut wie alle Chemiestunden damit vertrieben, ein weiteres Meisterwerk zu verfassen (diesmal mit einer Jugendgang in New York – hat man auch schon irgendwo mal gehört), aus dem ich am Ende des Jahres sogar vorlesen durfte, und für ne 4 im Zeugnis hat’s auch gereicht. Irgendwann kam der erste Herzschmerz und dementsprechend das erste Tagebuch; dann kamen pubertäre Träume, die in Songtexten verarbeitet wurden, die nie jemand gesungen hat – was auch am holprigen Englisch gelegen haben könnte. Irgendwann stand die erste Kurzgeschichte auf einem Blatt Papier aus meinem Nadeldrucker, die zweite, die dritte, die ersten Drehbuchexposes für die Schublade, die ersten spec scenes für diverse Bewerbungen an Produktionsfirmen, der erste pilot für eine Sitcom, der auch nie das Licht der Welt erblickt hat.

Und irgendwann mittendrin habe ich das Internet entdeckt und die vielen spannenden amerikanischen Weblogs. Kurz darauf habe ich die ersten deutschen gelesen, und als mir ein freundlicher Kollege ein hübsche Webseite basteln wollte, war klar: Ich will auch so ein Weblog haben.

Das war Anfang 2002. Seitdem schreibe ich mehr oder weniger regelmäßig nicht mehr Kurzgeschichten oder Drehbuchkram, sondern ein Weblog. Ich habe damit noch kein Geld verdient (wenn man vom Autorenhonorar mal absieht, was aber auch nicht reicht, um sich eine Villa Kunterbunt zu bauen, oder die gesparten Kinoeintrittskarten, weil ich ab und zu zu Pressevorführungen eingeladen werde). Ich habe nicht den Journalismus revolutioniert. Ich habe keinen Skandal aufgedeckt, keine kompromittierenden Bilder gefunden, niemanden zu Fall gebracht, niemanden zum Star gemacht. (Aber ich kann toll reimen.) Wenn man aus dieser Art Publikation einen fassbaren, zählbaren Nutzen ziehen will, ist dieses Weblog – überflüssig.

Theoretisch.

Praktisch habe ich meine Art zu schreiben verändert. Ob verbessert, mag dahingestellt sein, aber jeder Eintrag bringt mich dazu, über etwas nachzudenken, meine Gedanken in Worte zu fassen, diese nochmal zu überdenken, zu korrigieren und sie erst dann online zu stellen, wenn ich mir sicher bin, dass alles so klingt, wie es klingen soll.

Ich habe über dieses Weblog unglaublich viele spannende, lustige, kluge, faszinierende, freundliche, hilfsbereite Menschen kennengelernt – weil auch sie völlig nutzlose Weblogs schreiben, die keine müde Mark bringen. Ich habe Bücher geschenkt bekommen, Golftipps erhalten und Umzugskartons, Bettwäsche aus der Schweiz zugeschickt bekommen und DVDs in der Post gehabt, die ich schändlicherweise immer noch nicht rezensiert habe (kommt noch, wirklich!). Ich habe über so viele Tellerränder rübergeguckt, dass ich sie nicht mehr zählen kann. Ich habe mir vorher fremde Lebensweisen schätzen gelernt, Kochrezepte entdeckt, Buchtipps befolgt, Künstler kennengelernt, von denen ich sonst nie gehört oder gelesen hätte. Kurz gesagt: Ich führe ein reicheres Leben, seitdem ich ein Weblog schreibe und seitdem ich Weblogs lese.

Das Schönste, was mir diese komische kleine Internetpräsenz eingebracht hat, ist übrigens mit Geld gar nicht zu bezahlen. Es ist der Kerl, der längere Zeit mein Weblog gelesen und sich eines Tages gedacht hat, die Frau lad ich mal ins Kino ein. Jetzt, knapp drei Jahre später, ziehen wir zusammen, genauer gesagt, heute. Leider zieht das Internet erstmal nicht mit mir mit; ich werde ein paar Tage keine Tellerränder zum Drübergucken haben und kann auch selber nicht posten. Ich habe zwar ab Mittwoch in der neuen Agentur Internet, aber da soll ich schließlich arbeiten und nicht bloggen. (Ja, den Satz lasse ich mal so stehen.)

Was ich eigentlich sagen wollte: Jeder Spacken, der meint, Weblogs seien dazu da, Geld zu machen, hat keine Ahnung. Wenn’s zufällig klappt – klar, logisch, gerne, wieso nicht. Aber was Weblogs wirklich ausmachen – dass sie nämlich irgendwann viel, viel mehr sind als Buchstaben auf einem Bildschirm von angeblich doofen, einsamen Nerds, die nichts besseres zu tun haben, als über die Bahn zu meckern oder sich über Celebritys lustig zu machen –, das versteht nur, wer selbst ein Weblog schreibt. Sie sind eine einzigartige Form der Kommunikation, und ich für meinen Teil bin sehr, sehr froh, sie für mich entdeckt zu haben.

(Noch froher bin ich, wenn wir die Kartons alle ausgepackt haben und ich an dieser einzigartigen Form der Kommunikation wieder teilnehmen kann.)