Kunst gucken: Neue Pinakothek, München

Ich erwähnte schon einmal kurz meinen Besuch in der Neuen Pinakothek („neue“, gnihihi), aber ich wollte euch noch ein paar meiner Lieblinge ans Herz legen. Für euren Besuch und für meinen nächsten. Die drei Stunden, die ich hatte, waren viel zu wenig bzw. nach einer gewissen Zeit konnte ich eh nicht mehr richtig gucken. In diesem Zusammenhang weise ich auf eine Studie hin, die sich mit dem Museumserlebnis beschäftigt:

„Man muss offenbar nicht unbedingt großes Vorwissen mitbringen, um mit zeitgenössischen Werken etwas anfangen zu können. Das mag viele überraschen, denn immer mal wieder hört man ja, die moderne Kunst sei so furchtbar voraussetzungsreich. Eine Heerschar von Pädagogen lebt eben davon: den Besuchern alle Hintergründe, Absichten, Verweise beizubringen, damit sich ihnen der eigentliche Kunstwert erschließe. Tröndles Studie weist nun die Richtig- und Besserwisser in die Schranken. Die Kunst, so zeigt seine Untersuchung, ist nicht so sehr Kopfsache. Sie ist vor allem eine körperliche Erfahrung.“

(via Christina Brunn auf quote.fm)

Während meines Rundgangs habe ich mir ein paar Werke notiert, ein paar andere mit dem iPhone fotografiert, nur um später zu bemerken, dass nicht nur der Ausstellungskatalog, sondern auch mein Handy alles andere als geeignete Medien sind, um die Bilder wiederzugeben. Binsenweisheit, aber: Wenn man vor einem Bild steht, sieht man es zum ersten Mal.

Zunächst sah ich mir die eine oder andere Berglandschaft an, dann ein Goethe-Porträt, dann kam ein Raum, an dessen vier Wänden jeweils ein Bild hing: ein Ausblick von einem römischen Haus über die Stadt, jeweils aus einer anderen Himmelsrichtung. Ich habe nur den Petersdom wiedererkannt, aber es sah so aus, als ob er auf einer relativ großen, freien Fläche stünde. Gerade mal 150 Jahre her und trotzdem ein ganz anderer Anblick. (Ja, auch ne Binsenweisheit, ich weiß.)

Das erste Bild, vor dem ich länger verweilte, war Karl Friedrich Schinkels „Dom über einer Stadt“. Einerseits blieb ich stehen, weil, ja … weil man gar nicht anders kann als vor diesem Bild stehenzubleiben. Gleichzeitig ärgerte ich mich darüber, weil ich das Gefühl hatte, es seit total auf Effekt hin gemalt worden. Aber vielleicht ist mein Gehirn auch zu werbeverseucht und unterstellt überall eine „LOOK AT ME LOOK AT ME“-Mentalität.

Johan Christian Dahl faszinierte mich mit mehreren Bildern: einmal mit dem „Morgen nach einer Sturmnacht“ und zum zweiten „Frederiksholms Kanal in Kopenhagen mit dem Brauhaus Christians IV“. Letzteres, weil es, genau wie Schinkels Bild, Licht effektvoll einsetzt, was sich aber nicht so mitten in die Fresse rein anfühlt. Bei der „Sturmnacht“ mochte ich schlicht die Gestaltung: Der Hauptaugenmerk liegt auf dem weinenden, erschöpften Seemann, der sich an Land retten konnte, während auf der linken Seite, fast schon im Hintergrund, noch das Schiff vom Meer durchgeschüttelt wird.

An den Caspar David Friedrichs bin ich diesmal nicht hängengeblieben, auch wenn ich sie mir brav angeschaut habe (und innerlich dachte, ha, die in Hamburg sind cooler). Dafür zog mich eine Dame unwiderstehlich in ihren Bann: „Bildnis der Fanny Ebers“ von Wilhelm von Schadow.

Ich weiß ja immer noch nicht, von wem Luise stammt oder auch so ganz genau, von wann (wir sind irgendwo zwischen 1840 und 1850). Seitdem Luise bei mir ist, gucke ich Bilder aus der Zeit anders an: Finde ich Kleidung, die der von Luise ähnelt, oder eine Haartracht? Das habe ich bei Fanny zwar nicht gefunden, aber die Wirkung, die dieses Bild auf mich hatte, ist der Wirkung von Luise sehr ähnlich. Ich mochte die Ruhe, die das Bild ausstrahlt, genau wie die vielen feinen Details: der zarte Schal, die Blätter im Hintergrund, die Falten des Gewands.

Nebenbei scheine ich zum von-Schadow-Fan zu werden, denn ich besitze ein Buch, auf dem ein weiteres Bild von ihm auf dem Titel zu sehen ist. Das Buch heißt „Die Kunst des Biedermeier“ (seitdem ahne ich, dass Luise zu jung für ein Biedermeier-Bild ist), und auf dem Titel ist das „Porträt des Felix Schadow“ zu sehen, was mir außerordentlich gut gefällt. Das Buch steht direkt neben meinem Raffael-Wälzer, und ich sehe es jedesmal, wenn ich auf dem Sofa rumlungere. (Während Luise fieserweise hinter mir hängt.)

Das nächste Bild, an dem ich hängenblieb, war August Riedels „Eine Mutter aus Alvito“. Der sehr gute Audioguide erzählte mir etwas von den vielen Deutschen, die sich im 19. Jahrhundert in Italien aufhielten und aus ihren Alltagserlebnissen äußerst romantische Bilder zauberten.

Ich hatte an dem Morgen, als ich in der Neuen Pinakothek war, das zweifelhafte Vergnügen, ein ähnliches Tempo zu haben wie eine französische Schulklasse, die anscheinend zwei Stunden Zeit totschlagen musste. Sie hatten keine Führung, sondern bummelten oder gingen eilig durch die Säle. Mal waren sie vor mir, dann hinter mir, und deswegen gefiel mir jedes Bild, was mich kurz aus dem spöttischen Stimmengewirr rausreißen konnte. Das klappte auch bei Karl Theodor von Piloty sehr gut, denn sein Bild „Seni vor der Leiche Wallensteins“ ist gut drei mal drei Meter groß, weswegen es in einem würdig-großen Raum hängt, in dem man sich etwas besser verteilen kann als in den kleinen Seitenkabinetten. Hier gefiel mir besonders das Licht, das sich nur auf eine Bildhälfte zu konzentrieren scheint sowie so schlaue Details wie der noch rauchende Docht, der uns sagt, dass Wallenstein gerade erst gestorben ist – nachdem er seine Kerze ausgeblasen hatte. Sein Buch liegt noch offen, die eine Seite scheint sich gerade selbst umzublättern, und das Blut aus seiner Wunde läuft noch nicht in Bächen durch die Gegend; noch ein Zeichen, wie wenig Zeit seit dem Mord vergangen ist.

Spätestens bei Wilhelm Leibl war ich endlich allein, denn wie auch in der Hamburger Kunsthalle blieb ich bei seinen Bildern länger stehen. In der Neuen Pinakothek hängen mehrere Bilder von ihm, und ich unterhielt mich am längsten mit dem „Bildnis der Frau Gedon“, die laut Audioguide total davon genervt war, wie lange Old Leibl zum Malen brauchte. Sieht man dem Bild gar nicht so sehr an wie anderen, wie zum Beispiel der „Falknerin“ von Hans Markart, über den die Wikipedia genauso wie der Audioguide eher wenig Schmeichelhaftes zu berichten haben:

„Man spricht vom Makartstil bei der Wohnungseinrichtung des 19. Jahrhunderts, die durch großen Pomp, Plüsch, schwere Wandbehänge, Vertäfelungen und wuchtige Kronleuchter gekennzeichnet ist. Sie erfreute sich beim Wiener Großbürgertum der Gründerzeit großer Beliebtheit. (…) Seine Arbeiten zeichnen sich durch starke Sinnlichkeit und üppiges Pathos aus – allen ist ein Zug ins Theatralische eigen. Sie sind immer wieder als „Farbenrausch“ charakterisiert worden. (…) Nach seinem frühen Tod war das Gefühl allgemein, dass mit ihm eine Epoche zu Ende gehe, und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis er für Jahrzehnte fast zur Spottfigur wurde. Er übte allerdings einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf jüngere Maler aus, so etwa auf Gustav Klimt.“

Shoot me, aber mir gefiel die Dame mit dem Vögelchen auf dem Arm. Ja, auch sie war auch deutlich LOOK AT ME LOOK AT ME, aber dieses Mal fand ich es berechtigt, sie anzuhimmeln. (Ergibt keinen Sinn, weiß ich. Ich rede mich mit „Ist Kunst, die darf das“ raus.) Vielleicht macht ein Detail meine Faszination etwas nachvollziehbarer: Der Stoff des Ärmels war fast fühlbar, die Pinselstriche so dicht und dick und plusterig, dass ich gar nicht anders konnte als auf die Effekthascherei reinzufallen.

(In der Neuen Pinakothek darf man übrigens fotografieren, aber nur ohne Blitz. Ja, ich hab gefragt.)

Allmählich wurden die Augen müde, aber einige Bilder habe ich doch noch im Gedächtnis, zum Beispiel „Medea“ von Anselm Feuerbach, wo ein Bild quasi die gesamte Sage erzählt (und wo im Hintergrund ein außergewöhnlich türkises Türkis des Wassers mich fesselte – sieht man im Link natürlich nicht). Oder den „Münchner Biergarten“ von Max Liebermann, vor dem man einen ganzen Tag verbringen kann, so viele Details gibt es zu entdecken. Dafür sollte man Bier dabeihaben. Und schließlich die ganzen Franzosen, Monet, Manet, Degas, Renoir, de Toulouse-Lautrec, Cézanne, Rodin, alle da, alle toll. Wobei ich es schon lustig fand, dass ich vor 20 Jahren Monet am liebsten hatte und ihn heute eher naja finde, während ich Manet gerade neu entdecke und auch feststelle, dass Degas durchaus mehr zu bieten hat als die ollen Ballerinabildchen.

Dann kam van Gogh; ich erzählte bereits. Direkt neben ihm hängen ein paar Gauguins, mit denen ich überhaupt nichts anfangen kann. Und dann ist man quasi schon durch. Die letzten Säle sind schon 20. Jahrhundert und fühlen sich meilenweit weg an vom ersten Saal, in dem ich noch durch romantische Landschaften gepilgert bin, während mich hier die großformatige gelbe Kornlandschaft von (vergessen) blendete.

Im gut bestückten Museumsshop gleich mal den kompletten Katalog erworben zusammen mit einem Buch von Rilke über Rodin und einem biografischen Roman von Jutta Rebmann über Angelika Kauffmann. Von der habe ich zwar nichts gesehen, aber ich komme ja wieder.