Das Oktoberfest aus Fischkoppsicht

Was hatte ich für Schauergeschichten gehört! Für mich war das Oktoberfest in München immer eins: zu viele Menschen, die zu viel Alkohol in sich reinkippen und dann viel zu viele Dinge mit ihren Körperöffnungen in der Öffentlichkeit machen, die da nicht hingehören (sagt Oma Gröner jedenfalls). Und dann ging ich letzten Montag nachmittag (und Dienstag gleich nochmal) entspannt mit meinem local guide auf dieses Jahrmarktdingsda, in ein paar Zelte und irgendwann ziemlich gut gelaunt wieder nach Hause und frage mich seitdem: Haben mich die bösen Medien jahrelang sensationalistisch gegen eine wunderbare Tradition aufgehetzt? Lassen Sie uns das ergründen, meine Damen und Herren.

1. Bierzelte

Bier ist Alkohol, und Alkohol in übergroßem Maße genossen, ist nicht so nett für die Anwesenden, die diesem herrlichen Getränk in vernünftiger Weise zugesprochen haben, zugegeben. Beim Oktoberfest hat man sich aber anscheinend darauf geeinigt, dass es immer ein paar Idioten geben wird, die das noch nicht so richtig verstanden haben. Die schiebt man aus den Augen, aus dem Sinn auf den Kotzhügel, während der große, große Rest sich weiterhin in den Zelten vergnügt. Und dabei heißt „vergnügen“ nicht: sich die Hucke bis zur Besinnungslosigkeit zusaufen, sondern: „gemeinsam Spaß haben, ein paar Bierkrüge leeren und noch alleine wieder nach Hause finden, ohne sich vorher an fremde Gartenzäune zu übergeben“. Das geht. Habe ich zweimal geschafft.

Als das Angebot kam, mich aufs Oktoberfest zu begleiten, war ich ein bisschen eingeschüchtert (wir erinnern uns: sensationalistische Medienmaschine!). Ich dachte, ich müsse mich durch Horden von Besoffenen kämpfen, würde in den überfüllten Zelten Bierkrüge an den Schädel kriegen, während Mannschaftsbusse von Australiern auf den Tischen literweise Bier auf Ex wegkippen. Stattdessen war der erste Blick in ein Oktoberfestbierzelt – sehr angenehm. Es war die Augustiner-Festhalle, grün geschmückt, voll, aber nicht überfüllt, eine ordentliche, aber schöne Lautstärke und eine nicht zu laute Band. Also Band im Sinne von Humtata. Der Begleiter schlug vor, uns noch ein paar weitere Zelte anzuschauen, bevor wir uns an irgendeinen Tisch setzten, also guckten wir noch in die Ochsenbraterei, den Himmel der Bayern (Hacker-Zelt) und das Hofbräuzelt, bevor ich wieder ins Augustiner wollte.

2. Menschen

Die Stimmung war in jedem Zelt anders, genau wie die Deko und die Musik, und ich glaube, das jede_r sich sofort für irgendein Zelt entscheiden kann, ganz gleich, wie er oder sie drauf ist. Mir war nach Tradition und einem nicht ganz so jungen Publikum, und deswegen wurde es eben die Augustiner-Festhalle. Der Begleiter beeindruckte mal wieder mit Fakten, so zum Beispiel, dass Augustiner das Bier noch aus Holzfässern ausschenkt, deren Anstich mit einer Glocke angekündigt wird. Das haben wir einmal mitbekommen in den fünf Stunden, die wir an unserem Biertisch festsaßen. Im wahrsten Sinne des Wortes übrigens, denn wir haben beide seltsame Abschürfungen an den Ellenbogen mitgenommen, die wir danach auch an anderen Wiesn-Besuchern gesehen haben. Ich behaupte, der Schweiß verbindet sich mit dem Bier und/oder dem Wischwasser auf den Tischen zu einem Film, der den Tischlack auflöst, und der frisst sich in die Haut. Ja, genau.

Wir hatten keine Reservierungen und haben uns einfach zwei freie Plätze gesucht, was nachmittags anscheinend halbwegs problemlos möglich ist (man möge mich korrigieren, wenn das nicht so ist). An unserem Tisch saßen lauter Menschen, mit denen man dauernd anstoßen musste oder durfte – immer wenn die Band „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ anspielte, was sie recht häufig tat. Normalerweise bin ich ja soziophob wie nix, aber es gibt Dinge, die mich zum äußerst anhänglichen Monchichi werden lassen. Im Bild zwei davon.

Ein weiteres Kennzeichen der Menschen: Sie waren ebenfalls anhängliche Monchichis, was ich persönlich sehr charmant fand, auch wenn ich kaum etwas von dem verstanden habe, was sie mir sagen wollten. Bayerisch überfordert mich von allen deutschen Dialekten am meisten (okay, BAP-Kölsch verstehe ich noch weniger, aber ich glaube, das ist in Wirklichkeit Flämisch oder so was), weswegen ich meist nur freundlich „Na logisch“, „Aber hallo“ oder „Sicher, Dicker“ gebrüllt und mit den wildfremden Menschen angestoßen habe.

Weitaus weniger anhänglich war Maria, die schönste und beste Bedienung im Zelt (mit dem einzig richtigen Namen fürs Oktoberfest), die uns Entspannungspuschel mit jeweils drei Maß verwöhnte und sich allen Grabschversuchen der zu anhänglichen Monchichis zu erwehren wusste. Ich war selten so gelöst wie an diesem Biertisch und wollte ihn kaum verlassen, aber irgendwann hatte meine Konfirmandenblase (die nur bei Bier und Kaffee so memmig drauf ist) genug und wollte zum Klo.

Das Klo. Ein weiteres Schreckgespenst im Hinterkopf nach Australiern, fliegenden Bierkrügen und dem Kotzhügel. Und was soll ich sagen? Das Klo in der Augustiner-Festhalle war sauberer als so manches Uni- oder Agenturklo. Minimum eine Klofrau war ständig beschäftigt, und ihr Glück war es, dass die Maß in diesem Jahr 9 Euro kostete, was man natürlich auf 10 aufrundete, weswegen ich null Kleingeld in den Taschen hatte, weswegen ich nach dem dritten Besuch einen 5-Euro-Schein aufs Tellerchen legte.

3. Bayern

Dieser Teil wird mich wahrscheinlich einen Großteil meiner süddeutschen Leser_innen kosten, aber für mich als Norddeutsche ist Bayern vor allem eins: putzig. Die Berge, der Dialekt, die vielen Dörfchen mit den Kirchlein, die Dirndl, die Lederhosen, die Gamsbärte und die Volksmusik – das ist so knuffig. Was ich absolut positiv meine. Als ich vor fünf Jahren nach zwei doofen Bayreuther Aufführungen im Zug nach Nürnberg saß, von wo mich der Flieger wieder nach Hamburg bringen sollte, zuckelte der Zug so durch die Landschaft (ist das schon Franken? Krieg ich jetzt Kloppe?), und ich guckte so raus, mit Parsifal auf den Ohren, und dachte, schon schön hier. Wenn das mit dem Ruhesitz in der Villa auf Sylt nicht klappt, zieh ich nach Bayern.

So ähnlich ging es mir auf dem Oktoberfest. Mir ist schon klar, dass das inzwischen kein lokales Volksfest mehr ist, sondern eine riesige Gelddruckmaschine und Touristenattraktion, aber genau deshalb fand ich die Anklänge an bayerische Traditionen so charmant. Gut, wie PatschBella nicht müde wird zu betonen, weiß heute kaum noch jemand, wie man ein Dirndl trägt, und ich unterstelle auch so ziemlich jeder Touristin, dass diese Bekleidung einfach stimmungsmäßig dazugehört – so wie ich in der Allianz-Arena ein Gomez-Trikot anziehe, ohne jemals in meinem Leben Fußball gespielt zu haben. Trotzdem hat es mich sehr überrascht, dass geschätzt 50 Prozent aller Damen im Dirndl und ebenso viele Herren in kurzen Hosen unterwegs waren. (Wenn ich das mal sagen darf, liebe Kerle: gerne wieder.) Ich bin von der Rocklänge ausgegangen und habe mir bei jedem Dirndl, das irgendwo in Wadenmitte aufhört, gedacht, du bist Bayerin oder wenigstens im Geiste eine; bei allen anderen „Dirndln“ war ich mir sicher: Faschingsoutfit. Was mir aber als Nicht-Bayerin herzlich egal war; ich fand es nur schön, so viele von diesen Trachten auf einem Haufen zu sehen.

Eine besondere Häufung gab es auf der sogenannten Oiden Wiesn, wo das Publikum entweder richtig jung war (sehr viele Familien mit kleinen Kindern) oder sehr alt (Senior_innen). Die Oide Wiesn kostet Eintritt, die Fahrgeschäfte sind historisch, ich habe schuhplattlernde Kerle gesehen und Männer auf Tischen mit Peitschen, die, wir mir meine Timeline sofort um die Ohren versalisierte, Goaßlschnoizer heißen. (Ich wiederhole mich: PUTZIG!)

Der Begleiter und ich wählten aus den immerhin zwei Bierzelten das mit dem längeren Namen, nämlich das Musikanten- und Volkssängerzelt „Zur Schönheitskönigin“. Dort gab es nicht nur die lauten Männer mit den Peitschen, sondern das beste Bier, was ich je getrunken habe: Hofbräu Wiesn-Märzen.

Das Bier wird in gekühlten Steinkrügen ausgeschenkt, und wenn wir nicht noch das Spiel von Bayern München gegen Manchester City am Abend vor uns gehabt hätte, hätte ich auch davon drei getrunken. Oder mehr. So hat es immerhin zu einer richtigen Maß und einer Radler-Maß gereicht, während auf dem Podium mehrere Kapellen die übliche Volksmusik spielten und dazwischen Ansagen machten, von denen ich keine einzige verstanden habe. Toll.

4. Fazit

Lass es September werden. (Und dieses Mal miete ich mir ne Wohnung in München. Ist günstiger als die Hotelpreise zur Wiesn.)