Entschleunigung

Ich habe gestern neun Stunden lang die letzten klemmenden Worte im Manuskript entklemmt, ein paar Absätze eingefügt, ein paar andere rausgeschmissen, habe die Quellenangaben vereinheitlicht und noch ein paar Links rausgesucht. Ich habe nicht mitgezählt, aber ich glaube, ich habe jedes Kapitel so um die 30 bis 40 Mal gelesen, überarbeitet, nochmal gelesen, ein paar Tage liegengelassen, nochmal gelesen, nochmal überarbeitet. Manchmal nur ein Adjektiv gegen ein anderes ausgetauscht, manchmal wildestes Textblockrumschieben. Und ich werde wahrscheinlich bis zum Abgabetermin am kommenden Samstag noch versuchen, meine letzten neun Karteikarten mit TOLLEN FAKTEN irgendwo unterzubringen. Wenn sie allerdings in den letzten 30 Durchgängen nirgends so richtig hingepasst haben, werden sie das wahrscheinlich auch bis Samstag nicht mehr tun. Schade um die TOLLEN FAKTEN.

Die vier Tage bei der re-publica, die ich größtenteils im gemieteten Appartement zugebracht habe, weil mein Kopf einfach nicht mehr wollte, haben schon ganz gut getan. Die letzte Woche war in der Agentur wieder Augen-zu-und-durchtexten angesagt, weswegen ich da kaum zu Atem gekommen bin. Gestern habe ich, wie gesagt, nochmal Manuskriptaufhübschung galore betrieben. Und deswegen ist heute am Samstag eigentlich der erste Tag, an dem ich so langsam wieder runterkomme. Von den 228 ausgedruckten Seiten, über die ich jetzt nochmal rübergehe. Von den insgesamt sechs Autokatalogen, die ich letzte Woche gleichzeitig in der Mangel hatte, davon drei Neukonzepte. Und von der Aufregung vor dem re-publica-Panel.

Ich habe noch vier Arbeitstage vor mir, und dann warten drei herrliche Wochen Urlaub auf mich, von denen ich eine in Rom auf einer Studienreise zubringen werde, worauf ich mich täglich mehr freue. Gefühlt fing der Urlaub aber heute schon an. Ich bin um kurz nach 6 wachgeworden – wahrscheinlich, weil mein Kopf immer noch am Buch arbeitet. Ich habe mir einen frischen Milchkaffee gemacht und bin dann um halb acht in den Bus geklettert, um zum Markt am Goldbekufer zu fahren. Dort bin ich einmal hin- und wieder zurückgebummelt, um dann Spargel, Kartoffeln, irgendwelche wild aussehenden Tomaten und ein paar Gurken zu kaufen.

Für den Rückweg habe ich nicht den Bus, sondern die U-Bahn genommen, um von unserer Lieblingsbäckerei neues Brot zu kaufen. (Topfbrot ist toll, aber ab und zu bin ich faul und kaufe mal wieder einen Laib.) Noch ein paar Ostereier vom Supermarkt nebenan und dann den Rückweg zu Fuß. Es war noch nicht viel Verkehr, der Marktmensch war äußerst freundlich, genau wie die Bäckereitante, an der Fußgängerampel vor unserer Wohnung bin ich kurz mit einer älteren Dame ins Gespräch gekommen, und wir haben uns gegenseitig frohe Ostern gewünscht. Zuhause habe ich eine alte Schüssel vom Geschirr von Mama Kerl aus dem Schrank gezogen und die Tomaten aufgestapelt, die neuerdings nicht mehr in der Speisekammer stehen, sondern auf dem Fensterbrett. (Ich gucke so gerne Tomaten an.) Dann habe ich mir frischen Tee aufgebrüht, dem Kerl durch die Haare gepuschelt und lungere nun auf dem Sofa rum, neben mir das Manuskript und die dampfende Teetasse, die Sonne scheint durchs Fenster, und von draußen hört man kaum Verkehr. Ich gucke mir noch ein bisschen beim Atmen zu und dann geht’s weiter. Ganz entspannt. Zum ersten Mal seit Wochen.