Freitag, 10. Februar 2023 – Kunstgenuss

Morgens die hymnische Vermeer-Rezension verbloggt – und relativ spontan bei F. nachgefragt, ob ich zwei Tickets kaufen sollte. Kurze Beratung über den Termin, gesucht, gebucht. F. kümmerte sich um das Hotel, über den Weg nach Amsterdam machen wir uns später Gedanken – und um ein zu besuchendes Restaurant, wenn man schon mal da ist – und so begann ich den Tag schon sehr beschwingt.

Tipp: Der Ticket-Shop tut immer so als wäre er überlastet, man kommt aber doch relativ schnell rein. Und: Man wird bei der Ticket-Buchung gefragt, ob man das Milchmädchen von Playmobil gleich mitbestellen möchte – nicht dass es im Shop ausverkauft ist, wenn man vor Ort ist. Ich besitze das netterweise bereits, aber ich fand das trotzdem eine sehr schöne Idee.

Vormittags den Protzen-Aufsatz finalisiert und die Zeichenzahl von 53.000 auf eher erwünschte unter 50.000 gedrückt. Gute 49.000 sind unter 50.000. Jetzt noch Bildrechte einholen (NOOOOOO!), dann Abgabe.

Ich schlafe derzeit sehr gut, wache aber viel zu früh auf, weil mein Kopf die ganze Zeit im Vorfreudemodus auf den Job ist. Gestern hätte ich zwar ausschlafen können, aber ich war halt ab 5 wach. Dafür konnte ich mir einen kleinen Nachmittagsschlaf gönnen, denn F. und ich hatten abends noch was vor.

Wir genossen wieder einmal Speis und Trank, OMG der Trank, im Tantris. Der Abend fühlte sich anders an als alle unsere bisherigen Sterne-Essen, denn wir waren nicht nur zu zweit, sondern zu viert am Tisch. Daher rauschte die Zeit gefühlt an mir vorbei, ich bekam nichts vom Rest des Restaurants mit, wir schwelgten zwar wie immer über die Gänge und vor allem die Weine, OMG die Weine, aber unterhielten uns ungewohnterweise auch über andere Dinge. Als wir uns um halb eins in der U-Bahn trennten, fühlte ich mich genauso beschwingt wie morgens. Und satt und einen Hauch angetrunken, weil OMG.

Das war ein ganz hervorragender Tag.

Donnerstag, 9. Februar 2023 – Reinkommen

Morgens am Lenbachhaus musste ich meinen inzwischen erhaltenen Mitarbeiterausweis gar nicht mehr vorzeigen, der Wachmann im Foyer erkannte mich schon.

Mehrere Online-Meetings, in denen ich wie immer irrsinnig viel Zeug lernte. Ich notiere mir weiterhin Dinge in mein gutes altes Moleskine und habe das Gefühl, gerade ähnlich viel hineinzuschreiben wie zu besten Vorlesungszeiten.

Es macht einen großen Unterschied, ob man für sich selbst oder für ein Unternehmen online unterwegs ist. Ich hinterfrage jeden Satz. Was nicht das schlechteste ist, aber halt länger dauert als mal eben spontan mein Mittagessen auf Insta zu ballern. Oder gestern mein Abendessen, bei dem sich mein Leitspruch seit Monaten erneut bestätigt hat: Alles Herzhafte, wirklich alles ist besser mit einem dicken Löffel Crispy Chili drauf, drüber oder drin.

Vorgestern noch darüber gebloggt, wie mich die Handgriffe am PC irritieren, jetzt eben beim Amazon-Link-Einfügen nicht mehr den Apple-Griff benutzt, sondern irgendeinen sinnlosen, der am Mac nichts macht, am PC aber vermutlich super funktioniert hätte. Das kann ja heiter werden.

Einer meiner Jobs beinhaltet das Rumwühlen in unseren Foto-Datenbanken. Dabei wimmere ich quasi die ganze Zeit innerlich, weil ich mich an meine Diss erinnere, für die ich bei diversen Institutionen um Bildmaterial betteln musste, um es abdrucken zu dürfen, gegen Geld und mein Erstgeburtsrecht natürlich. Und jetzt sitze ich hier an der Quelle und könnte mir Batzillionen jpgs runterziehen, was ich natürlich brav nicht tue, aber ich überlege schon, ob ich vorsichtig nachfragen sollte, ob ich eins, nur eins, für den neuen Protzen-Aufsatz haben könnte. Mal gucken.

Ich erinnerte mich auch an eine kurze Diskussion, die F. und ich in Kaufbeuren hatten, nach dem Besuch der Ausstellung Nippon-Mania (weiterhin eine Empfehlung, los, hinfahren!). Wir saßen noch mit dem Direktor des Hauses, einem Kurator der Sammlung Goetz und den Inhabern der Micheko-Galerie hier in München zusammen, und es reichte das Stichwort Bildrechte, dass sich alle einig waren. In Gewissheit, ein nickendes Publikum vor sich zu haben, packten alle die schlimmsten Storys zu Bildrechten aus. Geifernde Kunsthistoriker*innen unter sich, es war ein Fest, und ich fühlte mich sehr verstanden. Ich hatte irgendwie geglaubt, dass Profis nach Jahren im Museumsbetrieb irgendwann abgehärtet sind, aber nein, das ist anscheinend auf ewig das Nervthema aller Nervthemen.

The Absolute Vermeer, in a Show More Precious Than Pearls

Ich habe selten eine zärtlichere Rezension gelesen als diese.

„What is a masterpiece?

There’s a kind of confidence, generous but wrong, we afford classic works of art. They have passed “the test of time”; they have beaten the suspicions of fashion, revealed some inner greatness no one can dispute. We look at the Venus de Milo and we quiver, just like they must have two thousand years back; we listen to Beethoven’s Ninth and our breath catches, from the same notes played in Vienna in 1824.

Only the history of culture screams back: it isn’t true! Much of Beethoven’s audience never heard a note of Bach, who lay in obscurity for decades after his death in 1750. Whole centuries went by when people looked at El Greco’s attenuated saints and disciples, and felt nothing. Our ancestors lived and died deaf to the achievements of Dickinson, Melville, Kafka, Hurston. […]

On the highways and in the lowlands of European painting, there may be no more perplexing case of reputational caprice than Johannes Vermeer (1632—75). He was well established in Delft during his life; his art sold; and yet for two centuries after his death, his small and silent pictures of women reading letters or pouring milk elicited no attention at all. When “Girl With a Pearl Earring” came up at auction in 1881, it hammered at just two guilders. Now Vermeer stops traffic; he diverts planes. And you wonder: that luminousness, that inner calm, how could this not stop everyone’s heart like it stops mine? […]

Really, the show is just about perfect: perfectly argued, perfectly paced, as clear and uncontaminated as the light streaming through those Delft windows. And in its proudly spare galleries I felt a little closer to understanding the intense grip of these diamond depictions on contemporary audiences, stronger still in the time of gigapixel reproduction. Why him, out of all the quiet masters of the eruptive 17th-century Dutch art market? Or better: why us? What happened to us, after Vermeer’s long oblivion, to leave us so susceptible to his hushed views of writers and maids? […]

Be quiet and look at the girl with pursed lips, reading a letter aloud in the half-light. The clouded, motionless view of Delft. The maid directing all her attention to the milk that pours from a humble earthenware jug. Nothing important is happening, and yet that nothing is everything now.

Vermeer has become one of our last defibrillators of absorption and awareness. He matters now precisely for his vindication that we have not wholly decayed into data receptors; that we are still human, and if only we find the right master we can slow down time. What is a masterpiece, in 2023? A thing that returns to you — vitally, commandingly, after this clamorous world of news and notifications seemed to have wiped them out — your powers of concentration.“

Der Autor vertwitterte den Link und hängte noch ein Gedicht von Wisława Szymborska an:

„So long as that woman from the Rijksmuseum
in painted quiet and concentration
keeps pouring milk day after day
from the pitcher to the bowl
the world hasn’t earned
the world’s end.“

Mittwoch, 8. Februar 2023 – Yay und meh

Ein sehr guter Tag, der dann abends zu einem eher doofen wurde. Schnell ins Bett.

Dienstag, 7. Februar 2023 – Der dritte erste Arbeitstag

Gefühlt war ich den halben Tag damit beschäftigt, meinem Gehirn zu sagen: Du sitzt nicht mehr am Mac, du sitzt jetzt an einem PeeZee. Da ist alles anders, und wenn du Apfel+L eingeben willst, um das @-Zeichen zu machen, schmeißt dich das System komplett vor die Tür, weil [irgendeine der seltsamen PC-Tasten] und das L eben etwas ganz anderes machen als dein guter, alter Rechner aus dem Home Office. Ich fühlte mich sehr oft wie mein Vater, dem wir die Handhaltung für eine Computermaus beibringen wollten und der das Ding immer weiter zur Tischkante bewegte anstatt es einfach anzuheben. Ich habe mich in 15 Jahren Selbständigkeit so an gewisse Handgriffe und Ordnerstrukturen auf meinem eigenen Mac gewöhnt, dass es vermutlich ein paar Tage dauern wird, bis ich nicht mehr ständig Quatsch eingebe, der Quatsch produziert. Und ja, ich nutze jetzt auch eine Maus, wo ich sonst mein Trackpad liebe, denn das PC-Trackpad hasst mich. Oder meine wurstigen Apple-Wisch-Gesten.

Aber abgesehen davon, dass ich mich zeitweilig sehr alt und doof gefühlt habe, war das ein ziemlich produktiver Tag und ich hatte große Freude daran. Denn ich hörte schon den Satz, den ich immer irgendwann auf jeder Arbeitsstelle höre, ganz egal, ob in der Kneipe, an der Uni oder in der Agentur: „Wie, du bist schon fertig?!?“ Meine Superkraft ist Geschwindigkeit, das weiß ich inzwischen.

Und ich musste an meinen eigenen ersten Rechner denken, der war nämlich auch aus dem Hause Microsoft und es lief das top-notch aktuelle Windows 95 darauf. Als ich 1999 nach Hamburg zog, um in einer Werbeagentur ein Praktikum zu machen, ging es mir genau anders herum als gestern: zuhause an den PC gewöhnt und nun auf einmal einen Mac vor der Nase. Ich weiß nicht mehr, welcher es war, aber ich erinnere mich daran, dass wir auf unserer Etage einen, EINEN Mac hatten, der schon ins Internet konnte. Es war ein iMac G3 in violett und man kam quasi nie dran, weil immer jemand anders schon dransaß. Damals war ich irgendwann eher zuhause irritiert, weil meine von der Arbeit gewohnten Mac-Handgriffe nicht mehr funktionierten. So kaufte ich mir vom ersten richtigen Juniortexterinnengehalt mein erstes Macbook und blickte, wie es so schön heißt, nie mehr zurück. Das habe ich sogar noch, es müsste das in der Mitte sein. Der Windows-PC ist hingegen längst Altmetall.

Montag, 6. Februar 2023 – Stadtarchiv

Wieder in alten Akten gewühlt, dieses Mal zur Verkehrsausstellung 1953 in München. Dabei interessiert auf das „Orchester des Arbeitsamtes München […] 60 Personen […] Beschäftigung als Förderungsmaßnahme der arbeitslosen Berufsmusiker“ gestoßen; das war in irgendeinem Planungsstadium wohl mal angedacht, aber im endgültigen Ablauf bzw. den diversen begleitenden Kulturprogrammen habe ich das Orchester nicht mehr gefunden. Herrn Protzen natürlich auch nicht, mpf.

Aber immerhin dieses optimistische Zitat: Die Ausstellung war auch eine Möglichkeit „zu beweisen, daß die Münchener Kunst auf dem Gebiete der Formgebung in der internationalen Konkurrenz wieder bestehen kann.“ Ministerialdirektor [Georg?] Heilmann, Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr, an den Bayerischen Obersten Rechnungshof, 1.8.1955. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die ganzen lieblichen Landschaften, die noch im Haus der Kunst hingen. Wenn nicht gerade Picasso hing.

Außerdem gelernt: 1953 gab es noch keinen deutschen Flugverkehr; alles, was im deutschen Luftraum rumflog, kam aus dem Ausland. Die Lufthansa startete nach 1945 erst 1955 wieder.

Mich über ein Motiv für Postkarten amüsiert.

Am späten Nachmittag Mittag gemacht, es gab mein geliebtes Thai Cashew Chicken. Immer wieder gut.

Sonntag, 5. Februar 2023 – Inge Morath

F. und ich gingen gemeinsam mit dem dritten Mitstreiter unseres winterschlafigen Podcasts endlich mal wieder in eine Ausstellung, über die wir aber ohne Wein und Mikro sprachen, sondern bei guten Burgern in weiterer netter Gesellschaft.

Inge Morath war mir kein Begriff gewesen vor der Ausstellung im Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung, wo es fast immer hervorragende Fotokunst für gar kein Geld gibt. Mir gefiel dieses Foto aus Paris von 1956 mit am besten, weil es mich an Manet erinnerte.


Inge Morath: France, Paris, Rue Saint Paul, 1955. Ich habe nicht im Katalog nach weiteren Werkdetails geschaut, das war der komplette Wandtext. Trage ich nach, sobald er im ZI steht.


Édouard Manet: „Bar in den Folies Bergère“, 1882, Öl auf Leinwand, 96 × 130 cm, Courtauld Institute of Art, London
Public domain, via Wikimedia Commons

Die freudlose Bardame, die den männlichen Blicken ausgesetzt ist, im Gegensatz zu Moraths Frau, die selbstbewusst in die Kamera schaut.

Samstag, 4. Februar 2023 – Partytime

Den halben Tag mit Hefeteig verbracht, einen kleinen Teil des Tages mit Sauerteig, sehr glücklich darüber gewesen. In other news: mich an Zimtschnecken überfressen.

Nachmittags ernsthaft das Spiel von Eintracht Frankfurt angeschaut, weil mein Schnuffi Philipp Max seit dieser Woche nicht mehr in Eindhoven spielt, sondern halt da. War nett, ihn wiederzusehen, wenn auch mit der 32 und nicht seiner 31. Trotzdem nervt mich Frankfurt. Oder besser: Mich nerven die Frankfurter Fans. Bei keiner anderen Gruppe Gästefans habe ich mich in Augsburg in der Tram unwohler gefühlt. Bei jedem Spiel gegen die Eintracht. Das wollen viele Kerle nicht so gerne hören, aber Männergruppen generell ängstigen mich. Große Männergruppen mehr, betrunkene noch mehr, überemotionale Fußballfans am meisten.

Abends mit F. auf einer kleinen Party gewesen – lustigerweise bei den gleichen Gastgeber*innen, die uns im Februar 2020 auf eine kleine Party eingeladen hatten, die unsere letzte Festlichkeit vor Corona gewesen war. „Vor Corona“ ist immer noch ein doofer und vor allem unpassender Begriff, aber ich bin gerade zu satt, um länger darüber nachzudenken.

Ich experimentiere weiterhin an der perfekten Zimtschnecke herum, aber ich ahne, dass ich seit gestern Mitglied im Team Tangzhong bin.

Freitag, 3. Februar 2023 – Kann gucken

Am Mittwoch holte ich meine fürchterlich teure Arbeitsplatzbrille vom Optiker ab, die ich vor einigen Wochen gekauft hatte. Ich wollte schon ewig eine Ray-Ban haben, aber die sahen immer total beknackt auf meiner Nase aus. Jetzt nicht mehr, mir ist anscheinend ein Ray-Ban-Gesicht gewachsen.

Ich gebe zu, so irre unterscheidet sich meine Brille für Bibliotheken, Archive und Museen nicht von der Alltagsbrille, hier vorn im Bild, aber was soll’s, diese Art steht mir halt. Ich möchte aber erwähnen, dass ich auch total fancy andere Gestelle ausprobiert habe, mit denen ich mich aber wie ein Clown gefühlt habe.

Am Donnerstag konnte ich die Brille schon für wenige Minuten im Lenbachhaus antesten, als ich meiner Kollegin dabei zusah, wie sie mir auf dem Bildschirm die Serverstruktur erläuterte, während ich ab und zu Notizen machte. Nach gefühlt einem Jahr ständigem Brille auf, Brille ab, um lesen UND schreiben zu können, war das ein sehr schönes – und verdammt teuer bezahltes – Vergnügen. Sorry, wenn ich so auf dem Geld rumreite, aber 1000 Euro habe ich bisher noch nie für eine Brille ausgeben müssen. Und dabei war das Markengestell noch das Schnäppchen.

Aber wie sinnvoll diese Investition war, merkte ich gestern im ZI, als ich die vorletzte Hand an meinen Protzen-Aufsatz legte. Mit der normalen Brille renne ich in der Bibliothek rum und hole Bücher aus den Regalen, dann setze ich die Arbeitsplatzbrille auf und kann wieder entspannt lesen, blättern, schreiben, recherchieren, ohne ständig meine Sitzposition ändern zu müssen (um näher an den Rechner ranzukommen) oder meine Arme zu verrenken (um Bücher von mir wegzuhalten). Und schick sehe ich dazu auch noch aus.

Bei der Recherche ist mir leider eine Ausstellung aufgefallen, die ich in meiner Dissertation übersehen hatte. Wenn Sie also bitte im Buch mal auf Seite 431 in der Ausstellungshistorie ein ergänzendes Post-it einkleben wollen oder im E-Book einen Kommentar (habe ich beides gemacht): 1988 war Protzens „Donaubrücke bei Leipheim“ (1936) auf der Ausstellung „Stationen der Moderne“ in Berlin zu sehen. Beleg: Berlinische Galerie (Hrsg.): Stationen der Moderne. Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Berlinische Galerie, Museum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur 1988. Berlin 1989, S. 286.

Donnerstag, 2. Februar 2023 – Zweiter erster Arbeitstag

Mein Job begann am Montag, aber nicht hier in München, sondern in den Bergen. Gestern war dann der zweite erste Tag, also der, an dem ich meinen Schreibtisch kennenlernte. Dafür musste ich meine Chefin anrufen, damit sie mich in die heiligen Hallen des Lenbachhauses ließ, weil ich alleine noch nicht reinkam. Das war schon schön, in eins meiner liebsten Museen zu gehen, aber nicht um Kunst zu gucken, sondern um Geld zu verdienen.

Der Tag war nur ein halber – ich habe nur eine Halbtagsstelle und die restlichen vier halben Tage waren für die zwei Tage in den Bergen draufgegangen –, daher hatte ich nicht damit gerechnet, viel zu schaffen. Ich konnte immerhin schon an einem Online-Meeting teilnehmen, und danach zeigte mir meine charmante Kollegin im Schnellverfahren unser Netzwerk, in dem ich mich die nächsten sechs Monate tummeln werde. Und dann war der halbe Tag schon rum, und da ich nicht gleich in der ersten Woche Überstunden machen wollte, ging ich nach Hause. Dort wartete für einen anderen Kunden ein weiteres Online-Meeting auf mich und ein bisschen Schreibarbeit. Was meinen Kolleginnen übrigens klar war: Ich hörte den völlig unerwarteten Satz „Wenn du gehen musst, musst du gehen, du hast ja noch andere Jobs.“ Ein Paradies.

Und schöne goldene Visitenkarten habe ich auch.

Abends kam dann F. zum Anstoßen auf die erste Woche vorbei; wir öffneten eine 375-ml-Flasche Champagner und aßen frisch gebackene Blini mit Kaviar, was eigentlich unsere Vorspeise an Silvester gewesen wäre, aber das fiel ja bekanntlich ins Klo.

Für die Blini nutzte ich dieses Rezept und kann es in Geschmack und Mengenangaben genau so weiterempfehlen. Und weil ich eifrig gleich beide im Dezember geplante Flaschen Champagner erneut kaltgestellt hatte, tranken wir nach dem Kaviarschampus die zweite Flasche einfach auch, die damals für Dessert und Mitternacht vorgesehen gewesen war. Weil: Feste feiern fallen usw.

Mittwoch, 1. Februar 2023 – Amtseid

Am Dienstag abend bestellte ich mir einen Schwung Bücher in die Bibliothek des Deutschen Museums, wo ich ab kurz nach 9 rumsaß und an meinem Protzen-Aufsatz feilte. Ein Buch hatte ich vergessen zu ordern, das saß zwar neongelb markiert in den Fußnoten, aber bis dorthin hatte ich, warum auch immer, nicht gescrollt. Aber: In dieser Bib, die größtenteils keine Präsenzbibliothek ist, bekommt man bestellte Bücher innerhalb von einer halben Stunde. Wie toll ist das denn bitte? Ich bestellte, arbeitete, holte das letzte Buch ab, arbeitete noch ein Stündchen und war um halb eins fertig.

Auf dem Rückweg fotografierte ich die beiden Skulpturen, die mir auf dem Fußweg hin ab U-Bahn Fraunhoferstraße aufgefallen waren. Die kleine Bavaria von Alicja Kwade ist der Nachbau der großen, nur ohne ihre Insignien. Und ich fotografierte natürlich, weil auch Bismarck eine Runde gezieltes Spray abbekommen hatte.

Den Amtseid „Ich schwöre Treue der Verfassung des Freistaates Bayerns“ schriftlich abgelegt, der wurde bei meiner Vertragsunterzeichnung vergessen. „So wahr mir Gott helfe“ als Satzabschluss durfte ich streichen, wenn ich wollte, was ich wollte, denn Gott hat im Staat meiner Meinung nach nichts zu suchen.

Nach der Unterschrift mal die Verfassung Bayerns angelesen. Wird schon passen.

Dienstag, 31. Januar 2023 – Bergfest (scnr)

Zweiter Tag unserer Klausur, auf der wir über all things Lenbachhaus redeten, bis mir der Kopf rauchte. Rückfahrt über den Irschenberg wie schon auf der Hinfahrt ohne Stau, aber dafür erwischten wir so richtig schön den ollen Münchner Feierabendverkehr – der sonst an mir vorbeigeht, weil ich U-Bahn fahre.

Moritz Hoffmann schreibt über jüdische Friedhöfe. Ich empfehle seinen Newsletter immer gern weiter.

„Kürzlich stieß ich in einer lokalen Facebookgruppe auf einen Post eines unzufriedenen Mitbürgers: Der städtische Friedhof sei schön, lediglich der kleine Abschnitt am Rand, in direkter Nähe von IKEA und Autobahnauffahrt, sei überwachsen, ungepflegt, die Grabsteine in keinem guten Zustand. Man solle doch die „hiesige Judengemeinschaft“ einmal dazu bewegen, ihren knapp 750 Quadratmeter großen Friedhof in einen schöneren Zustand zu bringen.

Nun war das vermutlich nicht böse gemeint. Der Verfasser, das stellte sich in der weiteren Diskussion heraus, war kein Muttersprachler und hatte von jüdischem Leben und vor allem jüdischem Sterben keine Vorstellung. Von der Information, dass es hier in Walldorf seit dem 22. Oktober 1940 keine jüdische Gemeinde mehr gibt, war er ganz offensichtlich betroffen. Der Austausch brachte mich aber dazu, noch einmal über die jüdischen Friedhöfe in Deutschland nachzudenken und auf eine Informationssuche zu gehen.“

Ich lese gerade Kaiserwetter von Karl Jakob Hirsch. Auf den Autor bin ich durch eine Ausstellung in der Uni-Bibliothek aufmerksam geworden, und es hat mich etwas erstaunt, dass ich als gebürtige Hannoveranerin noch nichts von Hirsch gehört hatte. Es ist außerdem recht ungewohnt, in einem Buch ständig über Straßennamen und Spezialitäten aus Hannover zu stolpern, aber gleichzeitig sehr lustig. (Lüttje Lage!)