Bücher September/Oktober 2021

Das ist eine eher magere Ausbeute, aber das Buch von Ross – oder die „Wagnerschwarte“, wie eine Hamburger Dame es kürzlich nannte – nahm wirklich sehr viel Zeit in Anspruch. Ähnlich wie „High on the Hog“, das um Klassen interessanter und dichter ist als die gleichnamige Netflix-Serie. Die beiden Bücher haben mich recht lange begleitet, während ich „The Mothers“ und „What are you going through“ von Sigrid Nunez (letzteres auf dem iPad) innerhalb von jeweils zwei Tagen runtergerockte. Bei Romanen muss ich mir nichts merken, die lenken kurz ab, aber von denen nehme ich weitaus weniger mit in den Rest des Lebens als von Sachbüchern. Aber das ist sehr schön, so abgelenkt zu werden.

Tagebuch Freitag, 29. Oktober 2021 – Laugencroissants und Bücherbiotop

Morgens am Briefkasten festgestellt, dass die FAZ mal wieder nicht da war; den Weg zum stummen Verkäufer mit einem Besuch bei der Bäckerei verbunden und Laugencroissants erstanden, die ich sonst meist am Wochenende hole. Aber gestern fühlte es sich nach dem meh-igen Donnerstag so an, als könnten Laugencroissants gut tun, und das taten sie auch.

Gearbeitet, nicht zum Zeitunglesen gekommen (war ja klar), lange mit Hamburch telefoniert, viel nachgedacht.

Abends auf dem Sofa eingeschlafen und daher früh ins Bett gegangen, weil ich offensichtlich schon zu müde für eine lausige Serienfolge war.

Eigentlich sollte die hohe, schmale Kommode in den Keller, jetzt, wo ich einen Kleiderschrank habe, in den ihr Inhalt passen würde, aber als ich sie zur Zeit des Schrankaufbaus mal neben die flacheren Kommoden im Schlafzimmer stellte, siedelten sich dort wie von selbst Bücher an, die sich sonst auf meinem Nachttisch stapeln. Und wer wäre ich, ein Bücherbiotop zu vernichten. Kommode bleibt, Book Nook bleibt, alles super. (Hier den üblichen Rant zu Ikea-Spaltmaßen trotz penibel-genauem Aufbau einfügen.)

„I don’t know who it was, but someone, maybe or maybe not Henry James, said that there are two kinds of people in the world: those who upon seeing someone else suffering think, That could happen to me, and those who think, That will never happen to me. The first kind of people help us to endure, the second kind make life hell.“

Sigrid Nunez: What are you going through, New York 2020, eBook, S. 137/138 von 213.

Tagebuch Donnerstag, 28. Oktober 2021 – Meh

Der ganze Tag war eher so meh. Gefühlt nichts Spannendes gelesen, gefühlt nur Buchstaben von einer Seite des Texterflözes auf die andere geschaufelt. Immerhin was halbwegs Neues zum Abendbrot zubereitet: das sichere Paprikagemüse (Paprika musste weg), aber nicht einfach aufs Brot gelegt, sondern Kichererbsenpfannkuchen dazugemacht. Die sollte ich öfter machen. Kichererbsenmehl, Wasser, ordentlich Chilipulver, fertig.

Über die Außenwirkung als Texterin und Kunsthistorikerin nachgedacht, wie so oft in den letzten Jahren. Was wollen Besucher auf meiner Website, wie kann ich ihnen sagen, was ich alles kann? Wie ebenfalls so oft in den letzten Jahren nicht wirklich weitergekommen. Meh halt. Immerhin die Veröffentlichungen aktualisiert, obwohl da nicht so irrsinnig viel Neues dazugekommen ist, aber jetzt halt das Opus Magnum.

Nicht mal Martinů hat geholfen.

Gerösteter Brokkoli mit Mandeln und Kardamom

Mal wieder ein Rezept aus der NYT, deren Cooking-Account auf Insta dafür sorgt, dass ich nie von dieser App loskomme. Sehr einfach zu machen, geht schnell, schmeckt großartig. Als Beilage zu allem; ich habe den Teller einfach so leergeputzt. Sieht unspektakulärer aus als es schmeckt.

Den Ofen auf 200° Ober- und Unterhitze vorheizen, ein oder zwei Bleche mit Backpapier auslegen.

Ca. 800 g Brokkoli (zwei kleinere Köpfe) in mundgerechte Stückchen brechen.

In einer Schüssel
230 g Frischkäse glattrühren.
4 EL griechischen Jogurt dazugeben sowie
1 TL Salz,
1 TL schwarzen Pfeffer,
1/2 TL gemahlenen Kardamom,
1/4 TL frisch geriebene Muskatnuss,
90 g (3/4 cup) gemahlene Mandeln sowie
3 EL Zitronensaft.

Alles gut miteinander vermischen, dann den Brokkoli in die Schüssel geben und am besten mit den Händen dafür sorgen, dass jedes Eckchen Grünzeug was von der Mandelsauce abbekommt. Alles aufs Blech geben, für zehn Minuten backen, dann die Brokkoliröschen wenden und weitere zehn Minuten backen. Das darf alles ruhig etwas angesengt aussehen, ich habe es fünf Minuten länger drin gelassen. Das war’s. Zitronensaft drüber, herrlich.

Tagebuch Dienstag, 26. Oktober 2021 – Everything, Gotham, Going Through

Vor einigen Tagen vertwitterte ich schon einen Link zum Atlantic, wo ein Buch von David Graeber und David Wengrow sehr gut besprochen wurde. „Human History Gets a Rewrite“ rezensiert das Werk The Dawn of Everything: A New History of Humanity.

Der Artikel fasst gut zusammen, was ein anderer Blick auf die Menschheitsgeschichte bieten könnte:

The Dawn of Everything is written against the conventional account of human social history as first developed by Hobbes and Rousseau; elaborated by subsequent thinkers; popularized today by the likes of Jared Diamond, Yuval Noah Harari, and Steven Pinker; and accepted more or less universally. The story goes like this. Once upon a time, human beings lived in small, egalitarian bands of hunter-gatherers (the so-called state of nature). Then came the invention of agriculture, which led to surplus production and thus to population growth as well as private property. Bands swelled to tribes, and increasing scale required increasing organization: stratification, specialization; chiefs, warriors, holy men.

Eventually, cities emerged, and with them, civilization—literacy, philosophy, astronomy; hierarchies of wealth, status, and power; the first kingdoms and empires. Flash forward a few thousand years, and with science, capitalism, and the Industrial Revolution, we witness the creation of the modern bureaucratic state. The story is linear (the stages are followed in order, with no going back), uniform (they are followed the same way everywhere), progressive (the stages are “stages” in the first place, leading from lower to higher, more primitive to more sophisticated), deterministic (development is driven by technology, not human choice), and teleological (the process culminates in us).

It is also, according to Graeber and Wengrow, completely wrong. Drawing on a wealth of recent archaeological discoveries that span the globe, as well as deep reading in often neglected historical sources (their bibliography runs to 63 pages), the two dismantle not only every element of the received account but also the assumptions that it rests on. Yes, we’ve had bands, tribes, cities, and states; agriculture, inequality, and bureaucracy, but what each of these were, how they developed, and how we got from one to the next—all this and more, the authors comprehensively rewrite. More important, they demolish the idea that human beings are passive objects of material forces, moving helplessly along a technological conveyor belt that takes us from the Serengeti to the DMV. We’ve had choices, they show, and we’ve made them. Graeber and Wengrow offer a history of the past 30,000 years that is not only wildly different from anything we’re used to, but also far more interesting: textured, surprising, paradoxical, inspiring.“

Bitte lest einfach den Rest der Rezension, das klang nämlich alles spannend. Eine Frage, die bei mir allerdings sofort im Hinterkopf aufpoppte, war: Wird auch die Neuerzählung eine Geschichte von großen Männern, die große Taten vollbringen? Oder anders: Wie sieht es mit der Betrachung von weiblicher Geschichte aus? Davon steht in der Besprechnung leider nichts.

Ich musste an ein anderes Buch denken, das ich seit gefühlt zehn Jahren mit mir herumtrage und nie durchlesen werde, weil es irre dick ist. Ich habe es auf Papier und ernsthaft irgendwann als eBook gekauft, damit ich es unterwegs lesen kann, denn es wiegt geschätzt drei Kilo (eat this, Infinite Jest). Daher las ich, gerade in der Zeit, als man noch in Fußballstadien konnte, gerne in diesem Werk über die Geschichte der Stadt New York bis 1898. Dort stieß ich erstmals bewusst auf andere, funktionierende Gesellschaftsordnungen als die, in der ich groß geworden war.

Das Buch erwähnt die Überraschung der ersten niederländischen Kolonialisten (Frauen kamen erst später), als sie auf die Ureinwohner trafen, die sich so ganz anders organisiert hatten als die Europäer. Seit mindestens 6500 Jahren lebten Menschen in der Gegend des heutigen New York („second generation of human residents“). Ungefähr 500 v. Chr. lernten sie den Umgang mit Pfeil und Bogen, begannen zu töpfern und bauten Kürbisse, Sonnenblumen und vermutlich Tabak an. Als die Europäer in Nordamerika ankamen, lebten ungefähr 15.000 Lenape im heutigen Stadtgebiet und vermutlich bis zu 30.000 weitere Menschen im Großraum des heutigen New York.

„These weren’t the well-defined, organized ‚tribes‘ or ‚nations‘ that populated the imaginations of European colonizers. Except under very unusual circumstances, the Lenapes identified themselves primarily with autonomous subgroups or bands consisting of anywhere from a few dozen to several hundred people. Nor did they reside in ‚villages‘ as that word was understood by Europeans, but rather in a succession of seasonal campsites. In the spring or early summer, a band could be found near the shore, fishing and clamming; as autumn approached, it moved inland to harvest crops and hunt deer; when winter set it, it might move again to be nearer reliable sources of firewood and sources of smaller game.“

Weil die Ureinwohner:innen keine festen Wohnsitze hatten, waren ihre Unterkünfte schnell aufzubauende Langhäuser, in denen mehrere Dutzend Familien miteinander lebten. Häusliche Gerätschaften, Werkzeuge und Waffen waren einfach konstruiert und gering im Gewicht, um besser transportiert werden zu können. Die niederländischen Kolonialisten stellten erstaunt fest, dass die Natives ihre Eisentöpfe verschmähten – sie waren zu schwer. Die Nicht-Sesshaftigkeit sorgte auch dafür, dass sich kein Besitz entwickelte und weniger Müll produziert wurde, weil sich keiner ansammeln konnte – jedenfalls theoretisch: „Pearl Street in lower Manhattan would get its name from the mounds of oyster shells left by Lenape bands along the East River shore.“ Weil man sich ständig neu niederließ, wurden Wälder und Böden nicht bis zur Besinnungslosigkeit ausgenutzt, sondern hatten Zeit, sich zu erholen, bis sie für die Menschen wieder reich genug waren, um sich dort erneut niederzulassen.

„Lenape bands prepared and maintained their woodland planting fields by the slash-and-burn method, clearing out but the largest trees and bushes, then burning off the rubbish and underground every spring. This brought fallow land into cultivation quickly and returned essential nutrients to the soil, extending its productive life well beying the two or three years possible with the European system of crop rotation. […] The abundance that so amazed early Europeans was thus no mere accident of nature, for ‚nature‘ was an artifact of culture as well as geology.“

Was die Kolonialisten am wenigsten verstanden, war die Abwesenheit von Klasse und Besitz.

„By custom and negotiation with its neighbor, each Lenape band had a ‚right‘ to hunt, fish, and plant within certain territorrial limits. It might, in exchange for gifts, allow other groups or individuals to share these territories, but this did not imply the ‚sale‘ or permanent alienation known to European law. In the absence of states, moreover, warfare among the Lenapes was much less systematic and brutal than among Europeans.“

Dazu kam noch, dass die Gesellschaft der Lenapes matrilinear organisiert war.

„Families at each location were grouped into clans that traced their descent from a single female ancestor; phratries, or combinations of two or more clans, were identified by animal signs, usually ‚wolf‘, ‚turtle‘ or ‚turkey‘. Children belonged by definition to their mothers’s phratry: if she was a turtle, they were turtles. Land was assigned to clans, and the family units that comprised them, for their use only: they did not ‚own‘ it as Europeans understood the word and had no authority to dispose of it by sale, gift, or bequest. If the land ‚belonged‘ to anyone, it belonged to the inhabitants collectively.“

Worin sich Europa und die Neue Welt nicht unterschieden, war die Aufteilung der Arbeit entlang von Geschlechterlinien. Frauen übernahmen dabei den Großteil, sie waren für die Kinderaufzucht zuständig, das Kochen sowie die Arbeit auf dem Feld, womit 90 Prozent der Nahrung abgedeckt wurde. Zusätzlich waren sie für die Errichtung und den Abbau der bereits erwähnten Langhäuser zuständig und trugen das Gemeinschaftseigentum von einem Ort zum anderen.

Lenape-Männer hielten diese Arbeiten für unmännlich und konzentrierten sich aufs Jagen und Fischen.

„European observers were often appalled to find them relaxing after their return while the women toiled away in the fields, though this reaction had less to do with sympathy for the women than with ideas about ‚laziness‘. Europeans believed that agriculture was a respectable occupation for men, while hunting and fishing were chiefly recreational: one was work, the other mere sport.“

Die unterschiedlichen Ansichten darüber, was ein gutes, sinnvolles Leben ausmacht, waren offensichtlich sehr unterschiedlich.

„[T]hat the Lenapes lived so contentedly in what looked to Europeans like a setting of wonderful ‚natural‘ abundance made them all the more contemptible. How could people living in such a place fail so utterly to take advantage of the opportunities that lay all around them? They ought to have been civilized and rich, but they weren’t. It was only a short step to the conclusion that they didn’t deserve to be there at all.“

(Zitate aus: Edwin G. Burrows/Mike Wallace: Gotham: A History of New York City to 1898, Oxford 1999, S. 5–11.)

Ich lese außerdem gerade einen Roman – wobei ich nicht weiß, ob es wirklich einer ist oder ein fiktives Essay, es mäandert jedenfalls sehr: What Are You Going Through von Sigrid Nunez, auf Deutsch „Was fehlt dir“, hier eine schöne Rezension von Johanna Adorjan, leider hinter der Paywall. Dieses Zitat sprang mich gestern an:

„George Balanchine said, If you put a group of men on the stage, you have a group of men, but if you put a group of women on the stage, you have the whole world.

If you put a group of women in a book, you have ‚women’s fiction‘.“

Moussaka

Mit schlimmen Fotos, denn es ist Winter und ich habe keine vernünftiges Licht mehr abends in der Küche, aber das hat mir gestern so gut geschmeckt, dass ich es notieren möchte.

Mein charmanter Biokistenversender kündigt immer schon eine Woche vorher an, was in der nächsten Kiste drin ist. Daher wusste ich, dass eine Aubergine auf mich wartet. Zusätzlich gucke ich immer auf der Website, was so gerade im Angebot ist, und wie es der Zufall will, gab es veganes Hack. Das ist doch ein perfider Plan gewesen! Gleich mitbestellt und die Auflaufform aus dem Schrank geholt.

Das Rezept aus der „essen & trinken“ reicht für eine riesige Form, ich habe es grob halbiert und werde drei Tage davon essen. Drüben gibt’s noch einen Gurkensalat dazu, bei mir war es schlichter Blattsalat.

Erstmal lauter Einzelteile vorbereiten: Kartoffeln, die Auberginen, wir brauchen eine kleine Bechamel und braten lustig Hack mit Tomatensauce an.

500 g vorwiegend festkochende Kartoffeln ungeschält kochen, danach pellen und in Scheiben schneiden.

2 Auberginen, je ca. 250 g, waschen und in 1 cm dicke Scheiben schneiden. Auf einer Platte ausbreiten, ordentlich salzen, 15 Minuten rumstehen lassen. Danach das Salz abwaschen und die Scheiben sehr gut trocken tupfen. In
Pflanzenöl goldbraun frittieren und auf Küchenpapier abtropfen lassen.

Für die Bechamel-Sauce
1 kleine Zwiebel mit
1 kleinen Lorbeerblatt und
1 Gewürznelke spicken.
250 ml Milch mit der gespickten Zwiebel aufkochen und 10 Minuten ziehen lassen. Zwiebel aus der Milch nehmen.
1 guten EL Butter bei mittlerer Hitze zerlassen.
1 gehäuften EL Mehl zugeben und unter Rühren mit einem Schneebesen kurz anschwitzen. Milch unter ständigem Rühren nach und nach zugießen, aufkochen und bei milder Hitze 10 bis 15 Min. kochen. Mit Salz, Pfeffer und frisch geriebener Muskatnuss würzen. Notfalls nochmal durchpürieren, wenn die Sauce klumpig wird.

Die Sauce mit
2 Eiern mischen, hab ich vergessen, hat auch so geschmeckt.

100 g Gouda grob reiben. In meinem war noch schwarzer Knoblauch (danke, Biokiste), daher sieht die Oberfläche etwas wild aus.

1 Knoblauchzehe hacken.
1 Zwiebel würfeln.
1–2 Tomaten grob hacken.

In einer Pfanne
500 g gemischtes Hackfleisch in
Öl krümelig anbraten. Zwiebel und Knoblauch dazugeben, sowie
3 TL Tomatenmark. Kurz mitbraten, dann die Tomaten dazugeben und alles mit
200 ml Wasser ablöschen.

Das Ablöschen habe ich mir gespart, ich wollte gar nicht so viel Sauce. Mein Veggie-Hack kam schon in einer Tomatensauce, daher habe ich das Gemüse kurz angebraten, das fertige Hack dazugegeben, alles einmal ordentlich durchgemischt und gut war’s. Da war auch kein Tomatenmark mehr nötig. (Aber ordentlich Salz und Pfeffer.)

Jetzt kann endlich zusammengebaut werden. Eine Auflaufform mit den Kartoffelscheiben auslegen, darüber nun abwechselnd Auberginenscheiben und Hack schichten. Alles mit der Bechamelsauce abdecken und den Käse darüberstreuen. Im auf 200° Ober- und Unterhitze vorgeheizten Ofen für 30 Minuten backen. Mit einem Salat und einer Pfefferminzoblate servieren.

Tagebuch Sonntag, 24. Oktober 2021 – Eis, Sep Ruf und Hermann Levi

F. und ich machten uns am späten Nachmittag noch einmal zur Lieblingseisdiele Ballabeni auf, bevor diese irgendwann im November ihre Türen für dieses Jahr schließt; für mich gab es griechischen Jogurt mit Orange sowie Zabaione, wie immer auf der Bank an den Pinakotheken genossen.

Das Ballabeni befindet sich im Sep-Ruf-Haus gegenüber vom Museum Brandhorst. Das Haus wurde Anfang der 1950er-Jahre erbaut und feiert gerade seinen 70. Geburtstag. Die Sep-Ruf-Gesellschaft hat deswegen einen kleinen Schaukasten direkt an der Eisdiele bestückt, um darauf hinzuweisen. Dort ist die hübsch-verklärende Formulierung zu lesen, dass Ruf zu den bedeutendsten Architekten nach 1945 gehört, was natürlich elegant ignoriert, dass der Herr auch schon vor 1945 entworfen hat. In meinen Recherchen zur Diss habe ich seinen Namen unter anderem bei der Mustersiedlung Ramersdorf gefunden.

Ich liebe das Ruf-Haus an der Theresienstraße allerdings sehr und las den Schaukasten interessiert durch. Dort ist unter anderem eine Kopie eines Artikels aus der „Revue“ zu lesen, in dem ein junges Ehepaar beschrieben wird, dass sich eine der neuen Wohnungen kauft. Der Artikel nennt es eine „sogenannte Eigentumswohnung“, was wohl heißt, dass das Konzept des Wohnungserwerbs noch recht neu war. Hatte ich auch noch nie drüber nachgedacht. Beim Eisessen Dinge lernen ist mein Jam.

Danach schlenderten wir zum Künstlerhaus, in dem wir uns eine Soirée zu Hermann Levi anschauen wollten, die im Rahmen des Projekts „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ stattfand. Im Künstlerhaus überlegte ich auf der Treppe zum Festsaal natürlich, wie oft wohl Herr Protzen hier hochgestiegen war, aber laut der Wikipedia wurde das Haus 1944 großflächig zerstört.

Der Artikel macht mich irre, wie so viele Artikel über die NS-Zeit. Solche Sätze, Alter: „Das Münchner Künstlerhaus blieb bis auf weiteres verwaist. Die Zeit der unbeschwerten Feste war mit Aufkommen des Nationalsozialismus beendet. Ein Ball im Februar 1933, initiiert von dem Maler Anton Leidl, war die letzte selbständige Veranstaltung des Künstlerhaus-Vereins.“

Ich zitiere aus meiner Diss:

„Walter von Ruckteschell wurde im November 1933 zum Präsidenten der Münchner Künstlergenossenschaft, nachdem Eugen Hönig diesen Posten verlassen und den des Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste übernommen hatte. Das sorgte für eine enge Zusammenarbeit der beiden Organisationen; im Juni 1934 tagte die Reichskammer im Münchner Künstlerhaus, das von Mitgliedern der MKG festlich ausgeschmückt wurde. […]

Am 24. Juli 1938 ging die MKG mit anderen Münchner Künstlervereinigungen in der neu gegründeten Kameradschaft der Künstler auf. Gauleiter Adolf Wagner machte den Reichsminister der Finanzen per Brief darauf aufmerksam:

„Das Vermögen der Künstlervereinigungen, besonders das des Münchner Künstlerhausvereins e. V. und der Münchner Künstlergenossenschaft soll auf die Kameradschaft der Künstler München e. V. übertragen werden. Die Kameradschaft der Künstler soll alle künstlerischen schöpferischen Menschen auf Grund des Leistungsgrundsatzes zu einer kameradschaftlichen Gemeinschaft vereinigen, deren bestimmende Grundlage die nationalsozialistische Weltanschauung ist. Sie dient demnach ausschließlich gemeinnützigen Zwecken.“[1]

Dieser Zusammenschluss folgte angeblich „einem Wunsche nach Zusammenfassung aller künstlerischen Kräfte“.[2] Paul Rosner „übergab Vermögen und Kunstbesitz dem Sektor Bildende Kunst in der Kameradschaft der Künstler, der auch die Geschäftsräume der MKG und die ständige Ausstellung im Maximilianeum“ übernahm.[3] Rosner wurde Erster Vorsitzender bzw. Leiter des Sektors Bildende Kunst der neuen Kameradschaft.

Hitler förderte die Kameradschaft der Künstler indirekt, indem er ab Juli 1938 monatlich 10.000 RM auf deren Konto überweisen ließ. Offiziell war diese Summe für die Förderung des Künstlernachwuchses in München bzw. den „Wirtschaftsbetrieb des Künstlerhauses“ vorgesehen.[4] Die Kameradschaft verfügte so über außerordentlich große finanzielle Mittel, die ihr regelmäßig zukamen. Eine größere Hypothek wurde ihr 1942 erlassen mit der Begründung, „dass es sich beim Künstlerhaus um ein Unternehmen handelt, das sich des besonderen Interesses des Führers erfreut.“[5]“

[1] BayHStA, MK 51588: Adolf Wagner an den Reichsminister für Finanzen, 27.7.1938.
[2] StdA München, ZA-9129: Möhl, Friedrich: „Unsere Künstler als Kameraden“, in: Neues Münchener Tagblatt, 26.1.1939.
[3] BayHStA, HdDK 132: Einladung zur konstituierenden Hauptversammlung des Sektors „Bildende Kunst“ in der Kameradschaft der Künstler München am 25.1.1939. Laut Tagesordnung wurde zu diesem Zeitpunkt das Vermögen der MKG an die Kameradschaft übergeben. Vgl. auch StdA München, ZA-9129: N. N.: „Münchens Künstler erhalten ein eigenes Ausstellungsgebäude“, in: Völkischer Beobachter, 26.1.1939.
[4] BArch R/43 II/1646b: Hans Heinrich Lammers an den bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert, 14.8.1938. Siebert hatte im Juli 1938 um eine „Spende des Führers“ gebeten, und zeitgleich das Haushaltsbudget für den Künstlerhausverein von jährlich 5000 RM auf 50.000 RM erhöht, vgl. BArch R/43 II/1646b: Ludwig Siebert an Gauleiter Adolf Wagner, 20.7.1938, sowie BArch R/43 II/1646b: Ludwig Siebert an Adolf Wagner, 29.6.1938. Eine Auszahlungsordnung der Reichskanzlei weist die Auszahlung von monatlich 10.000 RM „bis auf weiteres“ aus, vgl. BArch R/43 II/1646b: Auszahlungsanordnung der Reichskanzlei, 10.4.1939.
[5] BayHStA, MK 51588: Bayerisches Staatsministerium für Finanzen an das Staatsministerium des Inneren, 31.10.1942.

Zurück zu Herrn Levi. Von der Veranstaltung hatte ich durch den Newsletter des Stadtarchivs München erfahren, das auch die Organisation übernommen hatte. Das klang nach: Wir hören ein bisschen Musik von Levi, sehen einen kurzen Dokumentarfilm und bekommen ein paar Briefe vorgelesen. Im Prinzip war’s das auch, aber zusätzlich stellte der Musikwissenschaftler Martin Wettges Ausschnitte aus seiner Dissertation zu Levi vor, die leider noch nicht geschrieben ist. Er wies auf die Zeitschrift „Kneipzeitung“ der Künstlergesellschaft Allotria hin, die Levi 1884 eine Ausgabe ihrer Zeitung widmeten, und erwähnte die rassistische Zeichnung auf dem Titelblatt. Wir hörten ihn am Flügel zusammen mit einem Tenor der Wiener Staatsoper, die unter anderem das Lied „Der letzte Gruß“ aufführten. Ohne Wettges Hinweis hätte ich das Lied vermutlich nicht auf YouTube gesucht, danke!

Der kurze Dokumentarfilm erwähnte die Kontroverse um Levis Grab in Garmisch-Partenkirchen, dessen Entwurf die Künstlerin Franka Kaßner klugerweise ebenfalls mit „Der letzte Gruß“ betitelte. Der größte Teil des Films befasste sich aber mit Levis Dirigententätigkeit in Bayreuth, vor allem der von ihm geleiteten Uraufführung des Parsifal. Ich zitiere etwas länger Alex Ross und sein „Die Welt nach Wagner“, S. 297–300:

„Bei der Premiere von Parsifal stand der Dirigent Hermann Levi im ‚mystischen Abgrund‘ [das mit einem Deckel unsichtbar gemachte Orchester, A. G.]. Er war Kapellmeister der Hofoper in München und Nachfahre vieler Generationen deutscher Rabbiner. Wie ein jüdischer Musiker dazu kam, Wagners ‚Bühnenweihfestspiel‘ zu dirigieren, ist eine kuriose Geschichte. Ludwig II. hatte das Ensemble der Hofoper für den Parsifal nach Bayreuth ausgeliehen, und Levi war dabei. Wagner hatte damit seine Schwierigkeiten. Er schätzte Levis musikalische Arbeit, nannte ihn sein ‚Alter Ego‘, fand es aber sonderbar, dass ausgerechnet das ‚christlichste aller Kunstwerke‘ von einem Juden dirigiert werden sollte. Er schlug vor, Levi taufen zu lassen – ein respektloser Vorschlag, den dieser ablehnte. Levi dirigierte Parsifal als Jude. In den folgenden Jahren ließ er koscheres Essen nach Bayreuth bringen, wenn sein Vater ihn besuchte.

Der Schriftsteller und Dramatiker Paul Heyse warf Levi, vor, sich einem Mann verpflichtet zu haben, der ‚jede Gelegenheit wahrnimmt, seinem fanatischen Hass gegen Deine Stammesgenossen Luft zu machen.‘ Levi musste in Wagners Diensten tatsächlich Demütigungen hinnehmen, verlor aber nie den Glauben an den Menschen Wagner und seine Musik. ‚Er ist der beste und edelste Mensch‘, sagte Levi zu seinem Vater. ‚Auch sein Kampf gegen das, was er Judentum in der Musik und in der modernen Literatur nennt, entspricht den edelsten Motiven, und daß er kein kleinliches Risches [ein jiddisches Wort für ‚Bosheit‘ im Zusammenhang mit Antisemitismus] hegt, (…) beweist sein Verhältnis zu mir, zu Joseph Rubinstein, und seine frühere intime Beziehung zu Tausig, den er zärtlich geliebt hat.‘ Levi spricht hier von den Pianisten Rubinstein und Carl Tausig, die ebenfalls ein schwieriges Verhältnis zu Wagner hatten. Rubinstein, der an einer psychischen Erkrankung litt, hatte sich Wagner als einen Juden vorgestellt, der ‚nach Erlösung durch Mittätigkeit an der Aufführung der Nibelungen‘ trachtete, wie Cosima in ihrem Tagebuch schrieb. […]

Die Juden in der Umgebung Wagners werden seit langem als Paradebeispiel für den Selbsthass dargestellt. Der Philosoph Theodor Lessing behauptet in Der jüdische Selbsthass von 1930, Levi und andere hätten Wagners antisemitische Tiraden im Grunde bestätigt, weil sie ihm nicht widersprachen. Der Historiker Peter Gay charakterisiert die Beziehung zischen Wagner und Levi als eine beinahe masochistische, bei der das Opfer sich einem Gebieter freiwillig ausliefert. Laurence Dreyfus dagegen ist überzeugt, dass diese Pathologisierung Levi nicht gerecht wird. Der Dirigent blieb unabhängig und unterhielt auch während seiner Zeit in Bayreuth Beziehungen zur jüdischen Gemeinschaft und zur Münchner Synagoge. Philipp Eulenberg, ein Vertrauter von Wilhelm II., berichtete dem Kaiser in einem Brief, wie Levi extremistische Äußerungen in den Unterhaltungen in Bayreuth unterdrückte, indem er Hustenanfälle vortäuschte, wenn Cosima gegen fremde Einflüsse in der deutschen Kultur wetterte. Alles in allem scheint Levis Verhalten weniger ein Beispiel für Erniedrigung zu sein, sondern eher ein Fall von doppeltem Bewusstsein. Howard Winant bezeichnet das als Internalisierung von Rassenunterschieden, ein Abwehrmechanismus gegen die Unterdrückung. Die Existenz jüdischer Wagnerianer wurde zum ersten Mal während der Kontroverse über die Neuauflage von Das Judenthum in der Musik diskutiert, da eine beträchtliche Anzahl von Juden dem Komponisten die Treue hielten. Tausig schickte 1869 ein Telegramm an Wagner, in dem er schrieb, dass eine Lohengrin-Aufführung in Berlin den Schaden wettgemacht habe, der durch den Aufsatz entstanden war: ‚Kolossaler Erfolg des Lohengrin, alle Juden versöhnt.‘ Als das Telegramm öffentlich wurd, entspann sich eine Diskussion, ob eine solche Versöhnung überhaupt möglich sei. […] Bis zum Ende des Jahrhunderts und darüber hinaus diskutierten jüdische Opernbesucher. Einige plädierten für einen Boykott, andere argumentierten, dass ‚wir uns besser rächen können, wenn wir seine Musik hören.‘ […] Für einige deutsche Juden war die Verbundenheit mit Wagner eine Art Schutzschild, das ihre Andersartigkeit reduzierte und sie als gute Nationalisten auswies.“

Wettges erwähnte, dass Levi selbst die rassistischen Äußerungen von Houston Stewart Chamberlain „interessant“ nannte.

Der Abend im Künstlerhaus war unerwartet dicht und spannend, allerdings auch über zwei Stunden lang. Wie F. so schön meinte: „Wie am Freitag bei Levit – alles toll, aber man kann irgendwann nicht mehr sitzen.“ Entspannter Spaziergang nach Hause, erneut viel mitgenommen. Das war ein außergewöhnnlich schönes Wochenende, aber jetzt tun mir die Füße weh und mein Kopf ist erstmal voll.

Tagebuch Samstag, 23. Oktober 2021 – Restaurantbesuch

Ich hatte noch den ganzen Tag Schostakowitsch … nicht im Ohr, dafür waren die Fugen und Präludien zu kompliziert, die ich am Freitag hören durfte, aber im Kopf, im Hirn, im Bauch, irgendwie war ich die ganze Zeit damit beschäftigt, das Konzert zu verdauen. Das hat sich sehr gut angefühlt, mal wieder so herausgefordert geworden zu sein.

Erstmal Bach angeworfen, dessen „Wohltemperiertes Klavier“ ein Vorbild für die Fugen von Schostakowitsch waren. Ich wollte aber doch lieber die Goldberg-Variationen hören, die Levit ebenfalls eingespielt hat.

Und abends ging es dann ins Broeding, zum ersten Mal wieder seit Juli 2020. Den Herbst und Winter über hatte F. sehr oft das Menü außer Haus zu mir getragen, um mitzuhelfen, dass der Laden nicht pleite geht. Sein Name wurde auch vom Sommelier wiedererkannt, der sich zudem den ganzen Abend darüber freute, dass ich mich den ganzen Abend über jeden Wein freute. Nichts fotografiert, nichts gemerkt – außer den Vin d’Orange als Aperitif, sehr gut, hier die SZ darüber –, nur genossen und geredet und gefreut. Übermütig wieder zu Fuß den Heimweg angetreten, aber was mir Freitag so gut getan hat, war auf vollen Magen nicht ganz so die schnafte Idee. Ich merke mir: Nach gutem Essen ruhig in die Bahn setzen.

Seit Langem konnte ich mal wieder die Rechnung übernehmen. Corona und Diss in ungünstiger Kombi hatten für einen grauenhaften Kontostand in den letzten 12, 16 Monaten gesorgt. Seit Kurzem sieht es dort aber wieder besser aus, und so konnte ich mich für die vielen Einladungen durch F. mal mit immerhin einer revanchieren.

Darüber nachgedacht, wofür ich Geld ausgegeben habe, bevor jetzt wieder brav gespart wird: Biokiste (weil Essen mich glücklich macht), endlich wieder ein Zeitungsabo (damit ich nicht verblöde und nur im Internet rumhänge) und ein Staubsaugerroboter (keine Begründung notwendig, beste Erfindung ever und ist lustig zum Zugucken). Sobald das neue Macbook Pro raus ist (also im Laden steht), wird das gute alte, Diss-gestählte und deswegen ewig in meinem Herzen seiende MacBook Air von 2012 dann auch endlich ersetzt, denn es läuft wirklich auf seinen letzten Platinen, und dann habe ich alles, was ich brauche.

Tagebuch Freitag, 22. Oktober 2021 – Konzertbesuch

Und zwar ein richtiger, nicht nur so vom Balkon runtergucken.

Der Tag und die Woche waren eher stressig gewesen, ich war latent genervt und überlegte ernsthaft, zu Fuß zur Location zu gehen, um den Kopf freizukriegen, aber dann hätten mich meine Nachbarn gehasst, weil ich vermutlich wie ein Fitnessstudio geduftet hätte. Das kam eh irgendwann nicht mehr in Frage, weil ich noch auf meine geliebte Biokiste wartete, die immer Freitags geliefert wird. Bisher kam sie immer um die Mittagszeit, einmal gegen 15 Uhr, aber gestern wurde es 18 Uhr, und sie war immer noch nicht da. Spätestens um 18.30 wollte ich aufbrechen, denn der Veranstalter hatte schon im Vorfeld kundgetan, dass die Impfausweise bzw. Testergebnisse geprüft würden, man solle etwas mehr Zeit für den Einlass einplanen. Um 18 Uhr 15 whatsappte ich meiner Nachbarin, ob sie meine Kiste entgegennehmen könnte – ich konnte nicht zu ihr hoch, weil natürlich genau dann die Isarländer Kistenjungs geklingelt hätten, ist klar –, also ob es okay wäre, wenn ich unten einen Zettel an die Haustür usw. Sie sagte natürlich ja, ich malte den Zettel, warf mich in die Konzertklamotte – und in dem Moment, wo ich aus der Tür wollte, kam die Kiste. 18.26 Uhr. Schnell noch den Salat in den Kühlschrank gelegt, aber dann hurtig los, denn Herrn Levit lässt man nicht warten.

Der Einlass war stressfrei, ich zeigte die Corona-App, es wurde genau aufs Datum geschaut und mit dem Perso verglichen, und dann durften F. und ich rein. Sein Mütterchen wartete schon drinnen auf uns, wo F. drei alkoholfreie Sekte anschleppte, denn bei über 1000 Leuten und nur 3G und nicht 3G+ darf angeblich kein Alkohol ausgeschenkt werden. Ich komme nicht mehr mit mit den Vorschriften, ich gehe einfach weiterhin so gut wie nirgends hin und trage FFP2-Masken, fertig.

Das Konzert sollte eigentlich schon im April stattfinden und eigentlich sollte es die Waldsteinsonate geben sowie „The people united will never be defeated“. Besonders darauf hatte ich mich schon sehr gefreut, denn das Stück hatte ich durch Levits Twitterkonzerte kennen- und schätzen gelernt. Stattdessen gab es 24 Fugen und Präludien von Schostakowitsch (1950/51), wofür ich im Nachhinein sehr dankbar war. Von Schostakowitsch kannte ich nur eine Oper und wusste daher gar nicht, was mich erwartet. Aber das ist ja eine Geisteshaltung, die einen seit Monaten durch die Pandemie begleitet. Und alle so yeah.

Sobald es losging, kamen wie erwartet die Tränen, war klar, damit hatte ich schon gerechnet. In solchen Momenten denke ich immer an meine Gesangslehrerin, die meinte, das sei so toll, dass ich so nah an meinen Emotionen wäre. Aber das nervt halt auch. Wo andere denken „Da sitzt ein Mann am Flügel und macht Musik“, ist es bei mit immer „Da VOR MEINER NASE sitzt ein Mann DEN ICH VON DUTZENDEN TWITTERKONZERTEN KENNE DIE ECHT OFT DEN TAG GERETTET HABEN und macht MÜSIQUE OMG SO SCHÖN ACH HERRLICH TASCHENTUCH ACH NEE MASKE“. Okay, Maske hat sich vielleicht bald erledigt, aber gestern wurde die im Saal von allen brav getragen. Auch Herr Levit kam mit schwarzer medizinischer auf die Bühne und legte sie lässig auf den Steinway, bevor er spielte.

Ich versuche hier gar keine Beschreibung. (Was hab ich eigentlich in zwei Semestern Musikwissenschaft gelernt?) Es gab Fugen und Präludien, bei denen ich den Atem anhielt, andere, bei denen ich dachte, gleich brechen Finger oder Tasten, wieder andere, bei denen ich doch etwas ratlos abschweifte, aber dann hatte mich Levit gleich wieder. Ich war völlig gebannt von seiner Spannung, die er selbst zwischen den Stücken irgendwie aufrecht erhielt. Erst Ende des zweiten Teils ging mir so langsam die Puste aus, auch das Publikum wurde leider immer unruhiger. Das Konzert begann um 8 und ging ernsthaft bis 23 Uhr. Ne Menge Musik auf harten Stühlen. Ich war recht dankbar, dass es keine Zugabe gab; erstens war das wirklich genug, und nach diesem dicht geschlossenen Zyklus hätte alles andere deplatziert gewirkt. So gab es Applaus, Blumen und dann gingen F. und ich zu Fuß ein Stündchen durch München.

Die Fuge 15 in Des-Dur war die, bei der ich Knochenbrüche erwartete. Ein völlig irrer Ritt, bei dem danach der halbe Saal hörbar ausatmetete und erleichtert war, dass wir da alle heil durchgekommen waren. Und direkt danach kam das Präludium in b-moll, bei dem dann nochmal die Tränen flossen. Warum auch immer fühlten sich diese beiden Stücke für mich wie ein Bild der Pandemie an: zunächst die Wut, das Unverständnis, das Zusammenreißen, das dann nicht mehr haltbar ist und irgendwann haut man auf den Tisch, an die Wand, brüllt vom Balkon, keine Ahnung. Bam. Huch? Was jetzt? Verdammt. Und nach einer kurzen Atempause guckt man um sich rum, wie es einem so geht, wie es den Lieben geht – und wagt sich vorsichtig wieder vor die Tür, zu Treffen mit mehreren Menschen. Und irgendwann in ein Klavierkonzert. Das Präludium hörte sich für mich so an, als wäre die Spannbreite der Oktaven nicht sehr weit, noch begrenzt, da sind noch eine Menge Tasten rechts und links der Hände, da ginge noch was. Aber noch nicht. Jetzt noch nicht. Noch reißen wir uns zusammen und nehmen mit, was geht, ohne es zu überreizen. Wie Abende mit einem Mann am Flügel, der Musik macht.

Tagebuch Mittwoch/Donnerstag, 20./21. Oktober 2021 – Tippeditipp und kochedikoch

Was man halt so macht. Außerdem hatte ich gestern mein vierzehnjähriges Twitter-Jubiläum. Wie jemand so schön unter den betreffenden Tweet kommentierte: „Man weiß nie, ob man gratulieren soll.“ True.

Beim Googeln nach „Mangold, Paprika, Zucchini“ auf einen Reisauflauf mit Feta gestoßen, was sehr praktisch war, denn davon musste auch noch ein Stück weg. Bisschen Eiersahne drüber, ab in den Ofen, lecker.

Spontan sehr verliebt in diesen Insta-Account. Schon die Überblicksseite hat mich total beruhigt, weil sie so wunderschön ist.

In der gestrigen Mittagspause lagen nach dem stürmischen Vormittag alle Fuß- und Radwege mit Laub voll. Durch diese Häufchen musste ich natürlich swoosh-swoosh durchgehen, die Füße dabei hochheben und Blätter aufwirbeln. Fast hätte ich den Radfahrer nicht gesehen, weil ich so auf meine Füße konzentriert war. Ist aber alles gut gegangen. Und ich habe mir ein kleines Sträußchen für den Schreibtisch mitgenommen.

Ein Hamburger Texter meinte neulich spontan im Google-Video, dass ich so eine schöne Wandfarbe hätte. Danke! (Sie sieht offensichtlich bei jedem Licht anders aus.) Neuerdings hängt Oma im originalen 1930er Jahre unentspiegeltem Bilderrahmen hinter mir, auf die ich auch angesprochen wurde, weil ich erst in diesem Call gemerkt habe, dass sie in meinem Bildausschnitt hängt.

Gestern im Deutschlandfunk kennengelernt: Malcolm Arnold. Hier sein „Grand Concerto Gastronomique for eater, waiter, food and orchestra Op. 76“ (1961).

Fremdgebloggt

Das Deutsche Historische Museum in Berlin bat mich um einen Blogbeitrag als Begleitung der Ausstellung zu den sogenannten „Gottbegnadeten“. Aber gerne doch. Nachdem ich gestern schon über die Autobahnen etwas ausgeplaudert habe, gibt es heute nebenan im DHM-Blog einen winzigen Ausschnitt aus der Zeit nach 1945. In der Diss hat diese Episode ungefähr 5 Seiten und noch mehr tolle Zitate, aber es wird auch mit weniger Zeichen klar, wie verhaftet im Gestern einige Künstler und Künstlerinnen nach der NS-Zeit noch waren.

Da drüben steht dann auch, wann die Diss veröffentlicht wird, aber ich verrate euch das gerne auch hier: Im Februar 2022 könnt ihr das Ding endlich erwerben. (Oder euch als Bibliotheksnutzerin das total aktuelle E-Book leihen. Dann müsst ihr die ganzen Links in den Fußnoten nicht abtippen. Team Bibliothek forever!)

Tagungsnachlese, eher unwissenschaftlich, aber mit der Pointe meiner Diss

In der letzten Woche verfolgte ich teils per Zoom, dann vor Ort eine Doppeltagung im Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Die ersten anderthalb Tage ging es um „Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder in der Kunst des Nationalsozialismus“, dann noch einen Tag um „Kunst im Nationalsozialismus – Forschungsfragen, Forschungsperspektiven, Forschungsinfrastrukturen“. Für den ersten Teil hatte ich einen Vortragsvorschlag eingereicht, der aber eher zu Recht abgelehnt wurde, da hatte ich mein Spezialinteresse (Autobahnen) einen Hauch erweitert (Autobahnarbeiter, exklusiv männlich) und ohne großes theoretisches Fundament abgegeben. Das fehlte allerdings, wie ich etwas kritisch bemerkte, auch bei vielen anderen der Vorträge und daher merke ich mir jetzt für den nächsten Call for papers: immer schön blumig bleiben, dann ist die Chance größer, angenommen zu werden.

Für den zweiten Teil bat mich mein Doktorvater um einen Kurzvortrag von lauschigen acht Minuten über mein Promotionsthema, was wir vier Vortragenden in dem betreffenden Block eine Woche vor der Tagung nochmal per Mail mitgeteilt bekamen, sinngemäß: „Ihr habt acht Minuten und dann klaue ich euch das Mikro.“ Aka: „Wir wollen alle in die Kaffeepause.“ Ich habe vermutlich wie immer zu schnell gesprochen, daher musste man mir nicht das Mikro wegnehmen.

Ich habe bei der ganzen Tagung kaum mitgeschrieben, sondern meist einfach nur zugehört, aber einiges will ich doch festhalten.

Gleich die erste Vortragende sprach über das Thema, was mich am meisten interessierte: „Die Darstellung des Arbeiters in der Industriefotografie nach 1933.“ Ich war etwas zwiegespalten nach dem Vortrag, denn er enthielt für mich nicht viel Neues, zeigte mir aber gleichzeitig, wieviel ich mir dann doch schon angelesen hatte, gerade in der Vorbereitung für die Einreichung. Die Vortragende lehrt an einer US-amerikanischen Universität und sagte den Satz, den ich mir als erstes notierte, sinngemäß: „In den USA gibt es weitaus weniger Berührungsängste mit dem Thema ‚NS-Kunst‘ und auch weitaus weniger Legitimationszwang.“ Ohne das beurteilen zu können, nicke ich das ab: Das ist immer noch schwierig zu vermitteln, warum es wichtig ist, sich mit Kunst, Werbung, Abbildungen etc. aus dieser Zeit zu befassen. Propaganda – ja natürlich. Eindeutig ideologisches Bildmaterial – muss man auch nicht diskutieren. Aber warum ich nun unbedingt was über Gemälde von Autobahnen wissen will, muss ich immer erklären.

Wir sprachen ganz zum Schluss noch über die Bezeichnung „NS-Kunst“ und warum sie falsch ist. Die Blumenstillleben auf den Großen Deutschen Kunstausstellungen gaukelten zwar eine unpolitische Sphäre vor, sind aber auch Stillleben, Naturalismus, Kunst aus den 1930er Jahren, Kunst des 20. Jahrhunderts, vielleicht systemkonforme Kunst des NS, aber eben keine NS-Kunst. Muss ich mir selbst auch oft genug sagen, weil es so herrlich bequem ist, einfach alles zwischen 1933 und 1945 Entstandene, das offiziell gezeigt und verkauft wurde, mit diesem halbgaren Etikett zu belegen.

Elisabeth Angermeier vom Stadtarchiv München sprach über vier Nachlässe aus ihrer Sammlung von Pressefotografen bzw. einer Pressefotografin. Die Fotografin war Maria Penz, die mir vorher noch kein Begriff war. Spannende Bilder und ich möchte dringend in diesem Nachlass wühlen. (Die Dame hat auch die Autobahn fotografiert.)

Ich lernte das Werk „Das größere Opfer“ von Adolf Reich kennen. Auf den ersten Blick mag es erstaunen, auf der GDK ein großformatiges Gemälde zu sehen, auf dem ein Versehrter und eine junge Witwe zu sehen sind, aber es sagt aus: Stellt euch nicht so an in den Bombennächten, könnte noch schlimmer sein. Perfides Ding. Es hing allerdings komisch in einer Ecke mit einer Skulptur vor sich, daher blieben vielleicht doch ein paar Zweifel.

Ein Vortrag befasste sich mit den Frauenbildern in Frauenzeitschriften und ganz vorsichtig formuliert sind die Themen Schönheit, Kochen und Mode nicht so sehr weit weg von dem, was die „Brigitte“ uns heute noch verkaufen will. Apropos „Brigitte“: Sie geht auf die Zeitschrift „Das Blatt der Hausfrau“ zurück, das im „Dritten Reich“ unbeanstandet erschien. Wusste ich auch noch nicht.

Generell bot die Geschlechterthematik mir nicht irre viel Neues, aber wir stellten alle in der Diskussion eher überrascht fest, dass das Thema Mutterschaft in Kunst und Werbung nicht den Platz hatte, den wir erwartet hatten. Die Geburtenrate stieg auch trotz der tollen Mutterkreuze längst nicht so an wie von den Parteistrategen erhofft.

Für mich spannend war aber die Erinnerung daran, dass das „Dritte Reich“ kein monolithischer Block war, sondern sich veränderte, anpasste. Wo die Frau zunächst als dem Mann untergeordnet propagiert wurde, wurde sie spätestens 1939 zur Gefährtin und Schicksalsgenossin (Stichwort „Heimatfront“). So wie die Gesamtgesellschaft sich von einer angenommenen (und nicht vorhandenen, weil ausgrenzenden und rassistischen) Volksgemeinschaft entwickelte – zu einer Kampfgemeinschaft, einer Kriegsgemeinschaft, einer Schicksalsgemeinschaft und schließlich einer Opfergemeinschaft. Gerade auf letztere berief sich dann das halbe Land nach 1945.

Im zweiten Teil der Tagung ging es hauptsächlich um die Datenbank, auf die alle zur Kunst zurzeit des NS Forschenden vermutlich dauernd zurückgreifen: GDK-Research. Als mein Doktorvater mich im April um einen Vortrag bat, nahm ich das Thema daher auf; eine Woche vor dem Vortrag hieß es, brauchen wir doch nicht, aber ich beließ mein Manuskript wie geplant. Im Zuge der Forschung zu Protzen fielen mir nämlich durchaus einige Dinge auf, und genau die erwähnte ich im Vortrag. Ich kann ihn hier mal wieder nicht komplett publizieren, Stichwort Bildrechte, aber ich bekam positives Feedback und möglicherweise habe ich dem DHM in Berlin einen Neuzugang in der Sammlung verschafft.

Aber die Pointe meiner Arbeit kann ich jetzt verbloggen, weil die auch Teil meines Vortrags war und damit in der Öffentlichkeit ist. Daher hier ein unbebilderter Ausschnitt aus dem Vortrag, wo es ging mit Links zu Bildern:

Protzens Werk „Straßen des Führers“ von 1939 ist heute vermutlich das bekannteste Gemälde von ihm. Es wurde auf jeder wichtigen Überblicksausstellung zu sogenannter NS-Kunst in der Bundesrepublik gezeigt, also 1974 bei „Kunst im 3. Reich“ in Frankfurt, 1999 bei „Aufstieg und Fall der Moderne“ in Weimar sowie zuletzt 2016/17 in Bochum, Rostock und Regensburg bei „Kunst und Politik im Nationalsozialismus“. In Frankfurt und Bochum war es das einzige Werk zum Thema Autobahn, in Weimar hingen gleich vier Werke von Protzen dazu, auch hier war er der einzige Maler mit diesem Sujet.

Ein zweites Werk zum Thema Autobahn von Protzen ist die „Donaubrücke bei Leipheim“ von 1936. Es hing zwischen 2016 und 2020 im Saal 13 der Pinakothek der Moderne und dürfte daher inzwischen von mehr Menschen gesehen worden sein als „Straßen des Führers“. Anhand dieser beiden Werke sieht man schon den Spielraum, den Protzen bei seinen Werken zur RAB nutzte – von der eher neusachlichen Darstellung zur naiv-naturalistischen.

Generell lassen sich zwei Hauptmotive bei der RAB-Malerei erkennen: die fertige Strecke oder die Baustelle. Die fertigen Strecken schmiegen sich meist elegant in die Landschaft, wie hier bei Wolf Panizzas „Aufstieg zum Irschenberg“ oder Hans Neumanns „Am Seehammer See“ (im Link das erste Bild). Das war bereits eine Anforderung an die Straßenplaner. Im Gegensatz zu den italienischen Schnellstraßen, die kurz vor der RAB entstanden, sollten die Autobahnen nicht möglichst schnell von A nach B führen, sondern möglichst schön.

Ein drittes Motiv ist die menschliche Arbeit – dieses Motiv habe ich allerdings sehr selten gefunden, eher kleinformatig und meist nur in den früheren Arbeiten, hier die „Mangfallbaustelle“ von Ernst Vollbehr von 1934. Im Unterschied zur Malerei waren Menschen eher Subjekte von Fotografien.

Die häufigste Abbildung der Gemälde war das unfertige Bauwerk – die Baustelle. Die Künstler und Künstlerinnen nutzten oft Fotos als Vorlage. In mehreren Quellen kommt deutlich zur Sprache, dass diese Art Gemälde keine künstlerische Auseinandersetzung sein sollte, sondern eine möglichst genaue Abbildung im repräsentativen Format. Hauptabnehmer dieser Werke waren NS-Organisationen, Firmen, die am Bau beteiligt waren sowie die Organisationen der RAB wie zum Beispiel Raststätten oder die jeweiligen Bauleitungen der Bauabschnitte. Diese veranstalteten für die Künstler Gruppenfahrten zu den Baustellen, damit diese das Bauwerk naturgetreu abmalen bzw. Skizzen anfertigen konnten.

Trotz des immer gleichen Motivs sind stilistische Unterschiede zu bemerken. Neben eher naturalistischen Wiedergaben wie bei „Straßen des Führers“ gab es auch deutlich neusachliche Abbildungen wie Wilhelm Heises „Mangfallbrücke im Bau“, das als besonders gutes Beispiel für diese Bildgattung in diversen zeitgenössischen Publikationen herausgestellt wurde (im Link das drittletzte Bild).

Zurück zu „Straßen des Führers“. Mir standen zwei wichtige Quellen für meine Arbeit zur Verfügung. In Protzens Nachlass, der im Kunstarchiv Nürnberg verwahrt wird, finden sich vier Fotoalben: Von den dort notierten 685 Werken sind 409 als Schwarzweißfoto erhalten. Hier findet sich auch SdF, allerdings mit folgender Annotation: „Mittelstück?“ Was für mich ein Beleg dafür war, dass die Alben erst nach Protzens Tod 1956 angelegt wurden – man konnte ihn offensichtlich nicht mehr fragen.

Die zweite wichtige Quelle ist das Werkverzeichnis, dessen Kopie heute bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen verwahrt wird. Im Werkverzeichnis, das der Künstler von 1916 bis ca. 1947 führte, sind 570 Werke notiert. Protzen notierte hier ebenfalls kein Einzelgemälde, sondern ein Triptychon: Zum Mittelteil mit den Maßen 169 x 255 cm kamen zwei Seitenflügel mit den Maßen 190 x 115 cm.


(Screenshot GDK-Research)

SdF wurde nur ein einziges Mal vor 1945 ausgestellt, nämlich auf der GDK 1940, wo es auch erst als Nachhängung gezeigt wurde, es ist erst im Ergänzungskatalog verzeichnet. Es wurde für 6000 RM an die Reichskanzlei verkauft und ist damit Protzens teuerstes Werk. Es gelangte allerdings nie nach Berlin, sondern wurde bis Oktober 1943 im Haus der Deutschen Kunst verwahrt, bevor es in Altaussee eingelagert wurde. 1946 findet es sich auf einer Bestandsliste der United States Forces Austria, bevor es 1949 dem bayerischen Staat überstellt wurde. Das Werk war also im NS-Staat nur für wenige Monate auf einer einzigen Ausstellung zu sehen. Trotzdem gilt es heute als „das“ Autobahngemälde.

Im Zuge meiner Recherchen stolperte ich eher per Zufall und durch die Hilfe von Thomas Bachmann vom Staatsarchiv München über die Seitenflügel. (Hier bewusst kein Foto, da müsst ihr auf die Diss warten.) Der Mittelteil zeigt eine Baustelle – anders aber als zum Beispiel bei Heises Mangfallbrücke ist sie eingebettet in eine heimelige Landschaft. Protzen malte diese Brücke mehrfach – das Zwiebeltürmchen ist allerdings nur hier zu finden. Es stand auch nicht auf der Originalbaustelle, wie Fotos belegen. Protzen wich hier also von der Vorlage ab, was für ihn sehr ungewöhnlich war.

Gleichzeitig verknüpfte er das Motiv der Baustelle mit dem der menschlichen Arbeit, die auf den Seitenflügeln zu sehen ist. Mit ihnen gemeinsam ergibt auch die Rahmeninschrift mehr Sinn. „Rodet den Forst“ beschreibt den linken Flügel, „Sprenget den Fels“ den rechten und „Überwindet das Tal“ den Mittelteil. Die auf dem linken Flügel zu sehende rote Fahne trug im Original noch ein Hakenkreuz, wie ein Foto im Nachlassalbum zeigt. Es ist das einzige mir bekannte Triptychon einer Autobahn und auch das einzige mit einer derart programmatischen Inschrift. Es ist zudem das einzige in Protzens mir bekanntem Werk. Protzen reichte übrigens das gesamte Triptychon, nicht nur die Mitte zur GDK ein, wie Aufkleber auf den Seitenflügeln zeigen.

Für die Dissertation arbeitete ich natürlich auch mit GDK-Research. Ich nutzte die Datenbank vor allem, um nach Schlagworten wie Autobahn, Arbeiter, Straße etc. zu suchen. Meine Funde glich ich mit den gedruckten Katalogen ab. So konnte ich erstmals auflisten, wieviele – oder eher: wie wenige – Werke es zu den Reichsautobahnen auf der GDK überhaupt gab, diesem einzig genuinen Bildmotiv des Nationalsozialismus, nämlich gerade 44, wovon nur 18 größerformatige Ölgemälde waren. Sieben davon stammten von Protzen, der damit die meisten Gemälde dieses Typs auf den GDK zeigte.

Mein Grundgedanke während der zweieinhalb Tage war der, den ich früher immer auf den republicas hatte: „Endlich normale Leute.“ Endlich wissen alle, was man meint, wenn man GDK sagt oder RKK oder Ziegler oder Rosenberg. Man muss sich nicht für sein Forschungsinteresse rechtfertigen und hat sofort 800 Anknüpfungspunkte in jedem Gespräch.

Eigentlich bin ich ja immer noch eher menschenscheu und finde Zoom vom Sofa aus super, aber F., der olle Wissenschaftsprofi, nörgelte mich in die Präsenzveranstaltung: „Das sind deine Peers!“ Und natürlich hatte er recht. Viel mitgenommen, viel nachgedacht. Nur darüber geärgert, dass ich erst am dritten Tag dran war und daher vorher nicht so viel Rotwein in Gesellschaft trinken konnte wie erhofft.

Tagebuch Freitag bis Sonntag, 15. bis 17. Oktober 2021 – Erholen

Okay, am Freitag habe ich mich noch nicht erholt, sondern weiterhin mit recht hoher Schlagzahl gearbeitet. Deswegen war das Wochenende auch nur für Rumliegen, Kochen, Essen und Lesen da, und genau das habe ich dann auch gemacht.

Ich hatte kurz überlegt, zum Fußball nach Augsburg zu fahren, wollte dann aber doch eher auf dem Sofa bleiben, und selbst dort hatte ich nicht so recht Lust, das Spiel ganz zu gucken. Noch vor dem blöden Ausgleich durch Bielefeld ausgemacht und lieber Kürbis in Misobutter mariniert. Vielleicht sind Fußball und ich doch allmählich durch. Schade um die gute Stadionwurst.

In der Biokiste war unter anderem eine Tüte Grünkohl, eine Mango (kommt heute ins Mittagsmüsli) sowie wunderschöner Mangold.

Am Freitagabend gab es Pastinaken-Gnocchi, die ich in Butter schwenkte, in der ein bisschen zerrupfter Mangold und Grünkohl waren. Das schmeckte hervorragend, sah aber grauenhaft aus, daher müsst ihr euch das einfach vorstellen.

Unsere freitägliche Date Night begann leider recht spät, weil ich noch werben musste. Daher war der Samstag auch eher zum Ausnüchtern und Käsebrotessen da.

Den Sonntag begann ich spät mit Buttermilk Pancakes, damit die Buttermilch mal alle wird, die ich seit letzter Woche in Maisbrot und Misokuchen verarbeitet hatte. Ist sie jetzt.

Und weil Miso gerade die Zutat der Stunde ist, gab’s abends Kürbis, den ich in Misobutter im Ofen röstete (mit Grünkohl), dazu Pasta.

Im Buch High on the Hog: A Culinary Journey from Africa to America erinnern die Schlusskapitel an eine weitere Ebene, in der Nahrung und Politik miteinander verknüpft sind. Ich spreche erneut eine Leseempfehlung aus, aber das kennt ihr ja alle schon. Die Autorin besucht aus anderen Gründen Atlanta und dabei auch Paschal’s, um das „legendary fried chicken“ zu probieren. In den wenigen Sätzen kann man zwischen den Zeilen auch etwas zur Stadtplanung bzw. -entwicklung lesen, die sich bis heute nicht groß geändert hat.

Paschal’s is one of the restaurants where Martin Luther King and his disciples planned some of their Civil Rights strategy. […] It seems that every Southern city has a similar restaurant in the former black part of the town. During the Civil Rights Movement, it was the place that became the hub where people from the movement met und planned their strategy. […] The menus all harked back to the comfort food of the South: Pig was the preeminent meat, and the pungent aroma of chitterlings often perfumed the kitchen. […] Paschal’s and other places like it, South and North, were pivot points of history: places where black entrepreneurship met up with the growing national movement […] They were hubs in vibrant African American communities. In the North, they were refuges for homesick expatriate black Southeners, places where those who had ridden the trains and walked the roads northward in search of better opportunities could gather and indulge their physical und psychic need for the food of their remembered Southern pasts. In the South, the restaurants were places where African Americans knew that they would be welcomed in establishments when welcome was most assuredly not offered by white establishments. […] The food that flourished in these restaurants during the 1960s and 1970s came to be known as soul food because it fed the spirit as much as the body on the long march to institunionalized equality.“ (S. 199–201)

Im Februar 1960 nahmen vier Schwarze junge Männer an einem Woolworth-Tresen Platz und warteten geduldig darauf, bedient zu werden. Die Greensboro Four sind die heute bekannteste Gruppe von Sit-ins, die mit dafür sorgten, dass die sogenannte Rassentrennung im Süden nach und nach aufgehoben wurde.

„Ella Baker, a Shaw University student and an SCLC organizer, reminded [a conference] that it was about ‚more than a hamburger‘ – an aptly culinary image for a movement that began with four young college students deciding to sit in for their lunch and their rights. The culture-changing protest was not about the mainstream food that was served at the lunch counters: the sixty-five-cent roast turkey, fifty-cent ham and cheese sandwich, or even about America’s totemic apple pie, offered for fifteen cents. It was simply about equality. The sit-ins drew the curtain back from the country’s dirty little secret and showed the inequality of American life to the world. […] Food became the metaphor for society. […] While many Southern whites were content with being served by African Americans who held the jobs of restaurant cook, home domestic, or lunch counterman, they were not prepared to share their space at the counter or the table with those from whose hands they were served daily.“ (S. 205/206)

Harris geht auch noch einmal auf die Entwicklung von „soul food“ ein – und wie sich die Nation of Islam davon distanzierte.

„For the younger generation, the Civil Rights Movement morphed into the Black Power movement, and there was a growing pride in things black and in the culture that had survived enslavement. It went hand in hand with a hunger to learn more about the black experience and a national feeling of solidarity among blacks. In the early 1960s this pride manifested itself in what could be termed a ‚soul‘ movement. […] The word ‚soul‘ was at first used among blacks to establish a cultural community, as in ‚soul brother‘ and ‚soul sister‘. It was initially used to denote kinship in the struggle, in much the same way as the terms ‚brother‘ and ‚sister‘ had been honorifics in the black church for generations. However, as with many other African American cultural innovations, the term was rapidly coopted by the mainstream, and soon there were soul combs on the market along with soul T-Shirts, soul haidos, soul handshakes, and certainly soul music. The term ‚soul food‘ harks back to this era, when everything that was black and of the moment had soul, and the word’s use signaled a change in atitude toward the food of the African American South.“ (S. 206/207)

Harris beschreibt, wie uneinig die Meinungen darüber waren, was genau nun Soul Food war: die Nahrung, von der die Sklaven und Sklavinnen auf den Plantagen leben mussten? Die eher gering geschätzten Teile von tierischer Nahrung wie Innereien und Schweinefüße? War es das Essen, das die vielen Schwarzen Restaurants nun offerierten und sich dabei auf alte Rezepte beriefen? War es, im Gegensatz zur spärlichen Variante, die hier am Anfang genannt wurde, genau das Gegenteil von „Sklavennahrung“: bekannte Zutaten, aber nun mit deutlich mehr Fett und Kalorien und Zucker und Genuss? „Soul food, it would seem, depends on an ineffable quality. It is a combination of nostalgia for and pride in the food of those who came before.“ (S. 208)

Viele Kochbücher aus dieser Zeit, die von Schwarzen verfasst wurden, feierten genau diese Tradition:

„In the 1960s, soul food based on the slave diet of hog and hominy became a political statement and was embraced by many middle-class blacks who had previously publicly eschewed it as a relic of a slave past. It became popular and even celebrated. […] The Nation of Islam (NOI) originated in the early part of the 20th century but came to national prominence in the 1960s […] It preached an Afro-centric variation of traditional Islam and provided a family-centered culture in which gender roles were clearly defined. […] Followers abjured their ‚slave names‘, frequently taking an X in its place and adopted a strictly regimented way of life that included giving up eating the traditional foods that were fed to the enslaved in the South. […] Pork had become so emblematic of African American food that the forbidding of it by the Nation of Islam was radical.“ (S. 208–211)

In den 1970er Jahren verbanden sich verschiedenen Einflüsse auf das Essverhalten Schwarzer Amerikaner:innen. Nahrung blieb politisch, aber trennte nicht mehr.

„Up until the 1970s, the food of African Americans could be loosely categorized by class. The upper classes ate a more European-inspired diet, while the underclass consumed a diet evolved from the slave foods of the plantation South. […] The 1970s, however, exploded all hypotheses. Certainly many African Americans still clung to the traditional foods of the South. However, after the decades of Civil Rights gains and with the growing awareness of the African continent and its diaspora, increasing numbers of blacks of all classes throughout the nation began eating a diet that was widely varied and reflected a newly discovered pride in African roots and international connections. […] the food of African Americans began to evolve into a cuisine that honored hog maws and collard greens and yet allowed for West African foufou, Carribbean callaloo, brown rice, and even tahini.“ (S. 215/216)

Kastenkuchen mit Misopaste und Ahornsirup

Auf den Kuchen machte mich F. aufmerksam, was mir gestern eine wunderbare Mittagspause bescherte. Und eine gute Ausrede. „Weihnachtsgeschenk? Wieso Weihnachtsgeschenk? Ich hab dir doch im Oktober einen Kuchen gebacken!“

Das Rezept stammt aus der NYT, wie so oft. In den kleinen Kastenkuchen kommen lauter Zutaten rein, bei denen ich nicht gedacht hätte, dass sie ein stimmiges Gesamtergebnis produzieren, aber genau das ist dabei rausgekommen: Man schmeckt alles, was drin ist, aber sehr fein und gut dosiert.

Für eine Kastenform von 20 cm Länge.

In einer kleinen Schüssel
240 g Mehl, Type 405, mit
knapp 2 TL Backpulver sowie
einer guten Prise Natron vermischen. Beiseite stellen.

In einer Schüssel
150 g Kristallzucker mit
einer guten Prise Salz und
der abgeriebenen Schale von einer Orange vermischen. Mit den Fingern alles für ein paar Minütchen verkneten, der Zucker müsste sich leicht orange färben, aber vor allem herrlich duften.

100 g Butter (die NYT möchte 113),
70 g helle Misopaste und
60 ml Ahornsirup dazugeben und alles ein paar Minuten zu einer gleichmäßigen Creme aufschlagen.

2 Eier nacheinander einarbeiten, wer mag, noch
1 1/2 TL Vanilleextrakt, habe ich weggelassen. Die Mischung könnte ausflocken, einfach ignorieren.

Nun die trockenen Zutaten aus der Mehlschüssel auf einmal hinzugeben und ganz kurz unterrühren, es soll sich alles nur gut vermischen. Weitermixen und währenddessen noch
80 ml Buttermilch ebenfalls nur kurz untermischen.

Alles in die gebutterte (bei mir noch mit Backpapier ausgelegte) Kastenform geben, die Oberfläche glattstreichen und im auf 180° C vorgeheizten Ofen für 40 Minuten backen. Gucken, ob die Oberfläche nicht zu dunkel wird, notfalls locker mit Alufolie abdecken (musste ich nicht). Ab Minute 50 Stäbchenprobe machen, bei mir hat der Kuchen 60 Minuten gebraucht, aber mein Ofen spinnt gern mal rum.

Zimmerwarm abkühlen lassen, aus der Form nehmen, auf ein Gitter stellen und optional mit einer Glasur überziehen (hab ich gemacht). Dafür
1 dicken EL Aprikosenkonfitüre mit
1 weniger dicken EL Wasser aufkochen, pürieren, nochmal aufkochen und sofort mit einem Pinsel auf den Kuchen streichen. Komplett auf dem Gitter auskühlen lassen.

Tagebuch Mittwoch, 13. Oktober 2021 – Mein erster Vortrag vor Fachpublikum

Das war alles sehr inspirierend und lehr- und hilfreich und jetzt muss ich erstmal mit ein bisschen Werbung wieder runterkommen.

Ich habe mit einem von mir sehr geschätzten Kunsthistoriker über unsere gemeinsame Liebe zu Grossberg gefangirlt und auch dafür haben sich die drei Tage Doppelstress Wissenschaft/Geldverdienen gelohnt.