Was schön war, Dienstag, 5. November 2019 – Kapitelabschluss (haha)

Vormittags Geld verdient, danach wieder an der Diss gesessen.

Vorgestern hatte ich das dicke Autobahnkapitel, an dem ich gefühlt (und laut Blogeinträgen) ungefähr zwei Monate hauptsächlich saß und schrieb, vorerst abgeschlossen. Gestern fühlte ich mich dadurch gewappnet genug, den Forschungsstand aufzuhübschen, der bisher eine Liste von Texttiteln war, von denen ich aber nie so recht wusste, ob sie da reingehören oder lieber ins Autobahnkapitel oder doch gleich in den Hauptteil zu Protzen und der Diskussion über seine Werke. Nachdem ich jetzt aber das Autobahnding fertig hatte, wühlte ich mich durch den Forschungsstand, kürzte, löschte, formulierte um und erweiterte, erweiterte, erweiterte. Das Ding ist dann jetzt auch vorerst fertig. (Immer im Hinterkopf: haha, fertig, haha.)

Ich musste mir gestern mal wieder eingestehen, dass die Diss mein Everest an Text ist. Bisher habe ich immer stolz gewusst, lange Texte sind genau mein Ding, das kann ich, darin verliere ich mich nicht, weder in üppigen Werbekatalogen noch in meinem Buch übers Essen und Dicksein. Die 220 Seiten Manuskript dafür waren mir relativ schnell im Kopf klar, die musste ich quasi nur runterschreiben. Das sah übrigens so aus; ich habe beim Wiederlesen des nun über acht Jahre alten Blogeintrags festgestellt, dass ich immer noch gerne an schönen Tischen und mit einer Teekanne neben mir arbeite. Und es deutete sich vorsichtig an, dass Kunstgeschichte demnächst eventuell eine Rolle in meinem Leben spielen würde.


(Eins von zwei Regalen, die nach der Umräumaktion neulich jetzt hinter mir im Arbeitszimmer stehen. Schon nach wenigen Tagen mit Büchern vollgestapelt, wo-hoo! Nicht wo-hoo. Nicht im Bild: Teekanne rechts von mir.)

Die Diss kann ich aber nicht einfach so runterschreiben, weil ich noch gar nicht weiß, was ich schreiben werde, weil ich noch nicht alle Quellen gesehen habe, weil ich in Protzens Werken IMMER NOCH erst im Jahr 1937 bin und noch bis 1956 muss und weil ich nicht weiß, was mir alles auf dem Weg dahin noch begegnet. Deswegen ist jeder Satz, den ich schreibe, ein vorläufiger. Und weil es so irre viele Richtungen sind, in die ich schreibe, und es viel zu viel ist, um es dauernd noch einmal durchzulesen, was ich sonst immer mache, lese ich neuerdings alle zwei Monate mal über irgendwas rüber. Dann denke ich meist, oh, das ist schlau, das habe ich hübsch formuliert. Manchmal denke ich aber auch, was ist denn das für ein Quatschsatz, den streichen wir mal formlos. Aber grundsätzlich denke ich immer: Das hab ICH geschrieben? Weil ich schon längst vergessen habe, was ich im März oder Juli mal zu Papier brachte.

Auch deswegen wollte ich jetzt den Forschungsstand halbwegs runterrocken, damit ich nur noch anlegen muss, wenn mir noch irre neue Quellen oder Texte über den Weg laufen, womit ich aber eigentlich nicht rechne. Die Grundlagen zu den Autobahnen, Kunst im NS, Kunst in München im NS habe ich jetzt durch. Für Herrn Protzen hat sich noch nie jemand so richtig interessiert, aber auch über die wenigen Erwähnungen von ihm seit 1945 konnte ich durchaus was schreiben. Ich bin dann jetzt bei 187 Seiten angekommen, weiß nicht wie und habe keine Ahnung, was in ihnen drinsteht.

Erinnerungskultur in der DDR

Ich erwähnte neulich schon mal, dass mich die unterschiedliche Aufarbeitung des NS in Bundesrepublik und DDR interessiert. Die BPB hat dazu ein Dossier von 2008 wieder nach oben geholt, davon verlinke ich mal einen Text (via @frequenzfisch). Wie gesagt, 2008. (Nicht von den Fußnoten mitten im Text irritieren lassen, es geht darunter weiter.)

„Unmittelbar nach Beendigung des Krieges galt die Erinnerung in der sowjetischen Besatzungszone allen Opfergruppen. Es war unerheblich, ob es sich um Widerstandskämpfer kommunistischer, bürgerlicher oder christlicher Couleur handelte oder ob die Verfolgung aus rassistischen Gründen erfolgte. Kurz nach Kriegsende 1945 wurden als “Opfer des Faschismus” diejenigen bezeichnet, die “‘unter der Hitlerdiktatur heldenmütig für die Freiheit des deutschen Volkes’ gekämpft hatten, sowie die ‘Hinterbliebenen der von den Faschisten ermordeten Helden des deutschen Freiheitskampfes'”. Die Weiterführung des Zitats verdeutlicht jedoch, dass eine Hierarchisierung der Opfergruppen im Interesse der kommunistischen Erinnerungskultur und des Geschichtsbewusstseins vorgenommen wurde. Denn es heißt weiter: “‘Opfer des Faschismus’ sind die Juden, die als Opfer des faschistischen Rassenwahns verfolgt und ermordet wurden, sind die Bibelforscher und Arbeitsvertragssünder. Aber so weit können wir den Begriff ‘Opfer des Faschismus’ nicht ziehen. Sie haben alles geduldet und Schweres erlitten, aber sie haben nicht gekämpft.

Vor allem die Spitze der SED sah in den kommunistischen Widerstandskämpfern die bedeutendste Gruppe, die stets hervorgehoben wurde. So wurde zwischen “Opfern des Faschismus” und den “Kämpfern gegen den Faschismus” unterschieden. Die Erinnerung an die anderen Opfer wurde somit sekundär und verschwand größtenteils aus dem öffentlichen Gedächtnis. Jürgen Danyel weist darauf hin, dass “in der DDR […] die Euthanasie-Opfer, die Sinti und Roma, die ‘Asozialen’, die Homosexuellen und andere Minderheiten zu den lange vergessenen Opfergruppen” gehörten.“

Die Bundesrepublik hat sich auch nicht nur mit Ruhm bekleckert, gerade was die Integration von NS-Verbrechern und -Mitläufern anging, da war die DDR deutlich konsequenter in ihrer Ablehnung. Aber die Bundesrepublik hatte immerhin die 68er, in deren Zeit meiner Meinung nach eine intensivere Auseinandersetzung mit der eigenen oder der familiären Vergangenheit möglich war als der von oben verordnete Antifaschismus. Aber ich muss dazu noch viel lesen, das will ich jetzt genauer wissen. Hier ein zweiter Text aus dem Dossier: Geschichte der Erinnerungskultur in der DDR und BRD. (Ich bringe es immer noch eher selten über mich, „BRD“ zu schreiben, westdeutsche Prägung, ts.)

„In der Bundesrepublik lautete 1949 die Frage: Demokratisierung und gesellschaftliche Integration der NS-Funktionseliten, also der mittleren Garnitur, oder vorbehaltlose Aufarbeitung und Bestrafung der Verbrechen. In einer Art großen Koalition entschied man sich für den ersten Weg – ein allgemeiner Rechtfertigungsdrang und ein gemeinschaftlicher Wille, sich von Schuld und Verantwortung frei zu sprechen verband die meisten Deutschen miteinander. Vom Holocaust war bis zum Ende der 1950er Jahre kaum die Rede.

In der Öffentlichkeit wurde das “Dritte Reich” weitgehend totgeschwiegen. Nur Minderheiten, meist Opfergruppen, wagten die Schuld verdrängende Verharmlosung, die Vergangenheitsabwehr und die Schuldabwälzung zu stören. Im populären Geschichtsbild der Zeit erschien der Nationalsozialismus als unerklärlicher Einbruch, als Heimsuchung, ja Verhängnis und Hitler als Dämon. Außerdem wurden die NS-Diktatur und die SED-Diktatur über denselben Kamm geschoren und nach dem Mauerbau 1961 erschien die DDR nicht wenigen als ein KZ. Halbheiten bestimmten die Wiedergutmachung für die Opfer des Nationalsozialismus. Israel erhielt zwar Entschädigungszahlungen, doch in der Wiedergutmachung steckte zu viel Kalkül und Außenpolitik, als dass sie moralisch voll überzeugte: Gezahlt wurde dort, wo es die internationale – und das bedeutete damals: westliche – Reputation der Bundesrepublik gebot, im Westen. Osteuropäische Opfer gingen leer aus.

Das Klima und mit ihm die Erinnerung wandelte sich seit etwa 1958, als antisemitische Skandale die Republik erschütterten. Weit reichende Folgen ergaben sich aus den Reaktionen: Die Kultusminister verabschiedeten neue Richtlinien für den Geschichtsunterricht, der Gesetzgeber schuf den Straftatbestand der “Volksverhetzung” und auf Betreiben von Opfergruppen wurden endlich Gedenkstätten gebaut. Ferner richteten die Landesjustizminister die “Zentrale Stelle zur Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen” ein, womit sie die strafrechtliche Verfolgung von NS-Tätern vorantrieben. Intellektuelle wie Rolf Hochhuth kritisierten den Umgang mir der NS-Vergangenheit offen und ein Generationenkonflikt radikalisierte den Umgang mit der Vergangenheit. Die Verjährungsdebatten im Deutschen Bundestag seit 1965 – Mord verjährte nach 20 Jahren, durfte NS-Völkermord verjähren? – verzeichneten eine ebenso breite öffentliche Resonanz wie der Eichmann-Prozess in Jerusalem oder der Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main.“

Tagebuch Montag, 4. November 2019 – Arbeitstag

Für Geld gearbeitet, an der Diss gesessen, nur einen Liter Tee getrunken (man kommt ja zu nix), zwischendurch Halloumi mit allem Gemüse, was rumlag, geluncht.

Den ganzen Tag warme Füße gehabt. Yay for Home Office.

Diss lief gut, ich blieb bis halb neun am Schreibtisch und musste F. auf einen anderen Abend vertrösten, weil ich danach noch Zeitung lesen wollte. Never leave a hot keyboard.

Tohru Nakamura ist “Koch des Jahres”

F. und ich haben im Mai im Geisels Werneckhof gegessen. Ich habe mich sehr gefreut, meine eigene Einschätzung – „schmeckt alles super und zen-nig“ – im SZ-Artikel wiedergefunden zu haben.

„Tatsächlich kann Nakamura so gut wie wenige andere erklären, warum er ein bestimmtes Gericht auf den Tisch bringt und warum gerade in dieser Form. Sein Stil besitzt ein ungewöhnlich hohes Maß an Stimmigkeit – “was wir servieren, steht in einem totalen Einklang mit mir selber, ich bin damit absolut glücklich”, sagt Nakamura – eine Aussage, die sehr viel konkreter wird, wenn man seine Biografie kennt.

Denn der Sohn einer deutschen Mutter und eines japanischen Vaters ist in zwei kulinarischen Welten zu Hause. Wie kaum ein anderer deutscher Koch weiß er die europäische Hochküche mit der japanischen zu verbinden und zu etwas ganz Eigenem zu machen; zu einem Stil, der längst prägend ist für viele Köche.

Die japanische Küche hat in den vergangenen Jahren auf der ganzen Welt stark an Einfluss gewonnen. Nirgends dürfte der Respekt vor dem Produkt eine solche Bedeutung haben wie in der japanischen Tradition, egal übrigens, ob es sich um Aal, Wagyusteak, Birnen oder Algen handelt. Wissen, Spezialisierung und technische Fertigkeiten sind enorm, es gibt Köche, die über Jahre nur für die Verarbeitung einzelner Produkte ausgebildet werden. Qualität, Regionalität und Saisonalität haben in Japan fast kultischen Stellenwert. Und die Fermentation von Lebensmitteln mit Edelschimmelpilzen, ebenfalls eine japanische Technik, eröffnet völlig neue Geschmackswelten. Bei all diesen Themen geht es durchaus nicht allein um Genuss, sondern auch um Nachhaltigkeit. Um den Einklang mit der Natur. Und es geht um eine Philosophie, die sich, zumindest in Teilen, gut auf andere Küchenstile übertragen lässt.“

Tagebuch Samstag/Sonntag, 2./3. November 2019 – Zwei Krisen, ein Happy-End

Die letzten beiden Tage des langen Wochenendes, das ich mir seit Donnerstag selbst verordnet hatte; manchmal fühle ich mich einen Hauch urlaubsreifer als ich sein möchte. Viel gelesen, unter anderem bin ich auf Seite 225 von Pachinko (deutsche Übersetzung: Ein einfaches Leben) angekommen. Ich kann mich noch nicht entscheiden, ob ich den sehr schlichten Sprachstil als effizient oder spröde bezeichnen möchte. Gefällt aber.

Samstag wollte ich mal wieder etwas backen. Ich hatte noch eine gute Handvoll TK-Himbeeren, die endlich irgendwo reinwandern sollten, also googelte ich nach irgendwas Cheesecake-artigem, bis mir einfiel: Dein gutes altes Käsekuchenrezept klappt immer. Da klatsche ich einfach auf den vorgebackenen Boden die pürierten und etwas eingekochten Himbeeren und fertig.

Das klappte auch hervorragend, aber anscheinend habe ich meinen Eischnee nicht schneeig genug geschlagen, denn nach dem ersten Aus-dem-Ofen-Nehmen und Abkühlen, als ich ein Probestück abschneiden wollte, suppte mir die Mitte des Kuchens energisch entgegen. Hektisch die Springform wieder um den Kuchen gedengelt und nochmal in den Ofen gestellt. Währenddessen die Wohnung oberflächlich in einen besuchsfertigen Zustand gebracht, denn meine Nachbarin hatte sich spontan auf einen Flat White angekündigt. In der Halbzeit des Bayern-Debakel-Spiels testete ich den Kuchen erneut – und wieder war die Mitte nicht fest. What the hell? Für das dritte Nachbacken ließ ich das herausgeschnittene Stück einfach draußen, damit ich sehen konnte, wann nichts mehr flüssig war. Das klappte dann endlich, und lustigerweise war die Außenseite des Kuchens auch nicht überbacken. Trotzdem stehe ich der Mitte bis heute etwas skeptisch gegenüber und friere nur halbe Stücken ein. (Oder F. muss heute noch viel Käsekuchen essen.)

Eine nette Stunde geplaudert und guten Flat White getrunken. Jedesmal wenn ich schwitzend daran denke, wie teuer diese verdammte Maschine war, mache ich mir einen Kaffee und weiß wieder, warum sie so teuer war. Und wie sehr ich mich jeden Morgen über den Kaffee daraus freue.

Derzeit im Ausschank: Sidamo von Fausto, von denen man alles trinken kann (Liebling: Monaco), noch aus der dicken Kaffee-Geburtstagstüte im März. Die habe ich fast niedergerungen und freue mich schon aufs Nachbestellen von Oh, Harvey, der war der Kracher.

Sonntag stand dann endlich mal wieder ein Stadionbesuch an. Leider nur einer, denn sowohl der FCA als auch die Bayern-Damen hatten ein Heimspiel, aber beide würde ich zeitlich nicht schaffen. Ich entschied mich für die Jungs um 18 Uhr.

Dazu wollte am Rechner noch schnell mein Schwabenticket buchen, klickte erfahren auf der DB-Website rum, nur um ganz zum Schluss die Meldung zu bekommen: „Bezahlvorgang abgebrochen“. Keine Zeit zum neuen Versuch, hektisch 30 Euro in bar eingesteckt, in der U-Bahn einen weiteren Versuch am Handy gestartet, wieder dieselbe Meldung. Am Bahnhof dann am Automaten gelernt: Wenn man 23 Euro bezahlen muss, will der Automat nach zwei Zehnern keinen dritten mehr, sondern Münzen – die ich nicht hatte, sonst hätte ich sie eingesteckt. Zweiter Bezahlversuch mit der EC-Karte, die nicht akzeptiert wurde. Darum kümmere ich mich dann heute – WTF? –, kaufte an einem der eine Million Verkaufstände eine Wegcola, hatte nun Kleingeld, erstand ein Ticket und war zwei Minuten vor Abfahrt des Zugs hektisch und verschwitzt am Gleis. Herrgottnochmal. Ich noch so per DM an F., der nicht mitkommen konnte: „Wenn der FCA jetzt noch verliert – AN MIR HAT’S NICHT GELEGEN!“

Damit habe ich das ganze dann vermutlich gejinxt, denn nach einer wirklich guten ersten Hälfte und einem doofen 1:1 (Eigentor) kam eine beschissene zweite Halbzeit und das Spiel ging 2:3 verloren. Aber immerhin hat’s geregnet und mir war kalt. *knurr* Hätte vielleicht doch das 5:2-Spiel der Bayern-Damen gucken sollen.

Zuhause Frustpommes in den Ofen gehauen und die letzte Folge The Affair geguckt. Hm. Ich mochte die Serie vor allem in den ersten beiden Staffeln sehr gerne, die dritte fand ich grauenhaft, die vierte dann wieder okay, und mit der fünften haderte ich auch, allerdings nur mit der Storyline von einer Figur (ich versuche mal nicht zu spoilern). Das Finale erschien mir arg weichgespült im Vergleich zu den bisherigen Folgen, die ihre Figuren doch gerne mal durch die emotionale Mangel drehten. Trotzdem ein okayes Ende. Ich werde vor allem Helen vermissen, die ich in all ihren Irrungen und Wirrungen immer als konsequent – und konsequent suchend – empfunden habe. (Maura Tierney!)

Beim abendlichen Fertigmachen im Bad Deutschlandfunk gehört und gelernt, wer den Text zu Über sieben Brücken musst du geh’n geschrieben hat. Außerdem kennengelernt: King Princess, von der You Destroyed My Heart gespielt wurde, was mir sehr gut gefallen hat. Eben beim Bloggen das ganze Album durchgehört, über das der Guardian treffend schrieb: „It’s the sonic equivalent of putting on a full face just to sit at home smoking weed.“

Was schön war, Donnerstag/Freitag, 31. Oktober/1. November 2019 – All things grow

(Soundtrack zum Blogeintrag: Chicago von Sufjan Stevens)

Am eigenen Schreibtisch sitzen, schreiben können, lesen können, im Warmen sein können, ein Dach über dem Kopf haben.

Geld haben, um einzukaufen. Ist in diesem Jahr nicht ganz so üppig, aber es reicht. Das ist viel.

DMs mit jemandem austauschen, den man liebt. Menschen auf Twitter und Insta zugucken, die man mag, schätzt, unterhaltsam findet, anregend, anstrengend auf eine gute Weise. Sich bilden können.

Ein Geschenk von jemandem Wildfremden aus der Packstation holen. Gehen, im eigenen Tempo, in genau meinem Wetter (Team Herbst), in der geliebten Schnuffeljacke. Auf dem Rückweg ein Stück Kuchen vom Bäcker holen. Geld für Kuchen haben, Zeit, dazu noch einen Kaffee aufzubrühen, beides genießen, stumm und dankbar.

Auf dem Sofa einschlafen können, weil gerade nichts gemacht werden muss. Gar nichts.

Honigbrot, Tee, merken, dass die Blechpommes im Sonderangebot gar nicht so schlecht sind. Ich habe immer noch keine richtig guten selbstgemachten hingekriegt. Aber: Zeit und Lust dazu haben, es immer wieder zu probieren.

Ausschlafen.

Neue Folgen von Queer Eye auf Netflix, die bei mir immer den Effekt haben, mal wieder auf mich raufzugucken und zu merken, was ich alles habe, was ich alles kann, worin ich gut bin. Der gute alte Spruch, über den viele sich lustig machen außer denen, die ihn dauernd aufsagen müssen, um nicht wahnsinnig zu werden: Selbstliebe ist ein radikaler Akt, wenn die Gesellschaft, die Medien, Facebook oder deine angeblichen Freunde dir dauernd sagt, du bist nicht gut genug.

Den Artikel „Was ich lernte, als mein Vater starb“ lesen und genau das mitnehmen, was mich seit einigen Monaten auch beschäftigt:

„Wenn man Hinterbliebene wird, dann erkennt man (oder auch bereits in den Übergängen langer Krankheiten), wie Menschen ticken, wie sie gebaut waren. Wie bei Ruinen sieht man, wo die Stiegenhäuser waren, wo die stabilen Wände, wo die weniger belastbaren. Bei diesem schmerzhaften Prozess lernt man, wie man selbst gefertigt ist. Wo man Wände verstärken sollte. Welche man einreißen könnte, weil man sie selbst dort gar nicht braucht. Und wo man eigentlich lieber einen Balkon hätte. Beraubt der letzten Zeugen der eigenen Kindheit, verabschieden wir uns nicht nur von den Toten, sondern auch von den Menschen, die wir selbst früher waren. “Du sitzt jetzt erste Reihe fußfrei”, hat mir eine Freundin damals gesagt, und das klang knallhart, aber gut. Denn erste Reihe fußfrei bedeutet auch, dass es die eigenen Entscheidungen sind, die zählen und gelten, und das Bild von einem selbst, das man hat, nicht das, das ein anderer hatte, dem man womöglich lange zu entsprechen suchte. Und plötzlich erkennt man, ganz versöhnt, dass selbst dieser Mensch einmal versucht hat, jemand anderem zu entsprechen. Es ist die simple Erkenntnis: Auch die Eltern sind nur Menschen.“

Und ganz dringend das hier:

„”Wird es mir am Totenbett Sorgen machen?”, frage ich mich seither, um herauszufinden, wie es um die Größenordnung eines Problems tatsächlich bestellt ist. Da bleibt erstaunlich wenig übrig. “Wir werden alle sterben” nicht als Tragödie, sondern als Befreiungsschlag.“

Ich werde auf dem Sterbebett nicht denken, ach Mensch, hätte ich doch diese zehn Kilo noch abgenommen, hätte ich doch mehr Geld verdient, hätte ich doch noch mehr Zeug angehäuft. Ich werde denken, scheiße, die 100 Euro für diesen Rotwein hättest du doch ausgeben sollen. Und dann gebe ich sie jetzt aus. Und schreibe eine Dissertation, statt in der Agentur reich zu werden. Und werfe Zeug weg, weil ich genug Zeug habe.

Genug Zeug haben.

In der Küche beim Kochen zu Sufjan Stevens mitsingen.

Abends über Patisserie sprechen, über gutes Essen, dazu einen Wein trinken, der keine 100 Euro gekostet hat, aber trotzdem sehr gut ist.

Gemeinsam einschlafen und darauf vertrauen, dass Dinge wachsen, sich entwickeln und alles irgendwie gut wird.

Ein kontinentales Dankeschön …

… an Gabriele, die mich mit John Iliffes Africans: The History of a Continent überraschte. Das Buch wurde vermutlich in einem der vielen Artikel erwähnt, die ich in den letzten Monaten zum Thema Sklaverei und/oder Rassismus gelesen habe, ich weiß leider nicht mehr in welchem, aber ich erinnere mich daran, dass es als grundlegender Text genannt wurde, und grundlegende Texte sind ja immer gut.

Wenn ich in diesem Zusammenhang mal wieder auf das 1619-Projekt der New York Times aufmerksam machen dürfte, das ins Essays, Podcasts und weiteren Medien die Geschichte der Schwarzen amerikanischen Bevölkerung aufbereitet? Hier der Link zu einigen Gedichten und Storys, die mit diesem Satz angeteasert werden:

„I slide my ring finger from Senegal
to South Carolina & feel the ocean
separate a million families.“

Auch deswegen – wegen der Middle Passage – wollte ich mehr über die Ursprungsländer der Menschen wissen, deren Nachkommen sich heute Afro-Amerikaner nennen. (Wobei ich oft an ein Zitat von Whoopi Goldberg denken muss: „I am not an African-American. I am an American.“) Vor längerer Zeit hatte ich schon Kongo: Eine Geschichte gelesen, das ich euch sehr ans Herz legen kann, und jetzt bin ich sehr auf Africans gespannt.

Ach, wo ich eh gerade Links zum Thema durch die Gegend werfe: Hier einer zum New Yorker, in dem Maya Phillips über das National Museum of African American History and Culture (NMAAHC) schreibt, drei Jahre nach seiner Eröffnung. Ich durfte für den Ausstellungskatalog zu „New Museums“ auch über dieses Gebäude schreiben, und ihr könnt den Text auf meiner Arbeitswebsite lesen. Oder immerhin seine englische Übersetzung.

Gestern habe ich außerdem Michelle Obamas Becoming durchgelesen, was einerseits toll war, andererseits anstrengend. Ihrer Let’s-Move-Kampagne, die gegen Fettleibigkeit bei Kindern vorgeht, stehe ich in einigen Punkten kritisch gegenüber (BMI als Maßstab, was völliger Kappes ist), anderen Dinge, die die Obamas im Weißen Haus angestoßen haben, deutlich weniger (besserer, selbstverständlicherer Zugang zu Bildung, gerade für Schwarze Kinder). Im Buch schreibt sie auch über den Wahlkampf, bei dem sie gegen das Stereotyp der angry black woman anarbeiten musste, damit die armen Weißen keine Angst mehr vor ihr haben. Dieses Denken hat sie anscheinend immer noch gezwungenermaßen verinnerlicht, was mich irre macht. Nettsein schafft keine Veränderungen, und Rassist*innen erreicht man nicht mal als Friedensnobelpreisträger. Ihre Erschöpfung sieht man ihr im Clip ein bisschen an.

Aber eher ich mich weiter aufrege: Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut. Scheint ein Thema zu sein, was mich wirklich interessiert. Achtung, sehr ausgelutschter Begriff, aber trotzdem ein wichtiger: Das Thema macht mir immer wieder bewusst, welche Privilegien ich habe. Ich habe als dicke Frau in unserer Gesellschaft durchaus mit Vorurteilen zu kämpfen, aber ich habe noch nie Probleme wegen meines Namens oder meiner Hautfarbe gehabt und ich habe keine Ahnung, wie sich das anfühlt. Also höre ich den Leuten zu, die das leider wissen.