Was schön war, Montag/Dienstag, 28./29. Mai 2018 – Ein, zwei gute Tassen Tee. Oder sechsundzwanzig

Nachdem ich bei Dallmayr schon mal Kaffee bzw. Espresso kosten durfte, kam jetzt Tee dran. Dieses Mal war ich gewarnt: nicht alles trinken, was man dir hinstellt, sonst hörst du dein Herz wieder so laut schlagen! Aber dazu kam ich gar nicht. Auch wenn ich sofort zugegriffen hätte, so hübsch sahen die 26 Sorten aus, die da akkurat aufgebaut waren. Das sind übrigens längst nicht alle Teesorten, die das Haus vertreibt; momentan sind es ungefähr 120.


Im oberen Bild stehen ein weißer Tee, ein paar Grüntees und dann folgen die Schwarztees. Auf der anderen Seite des Tisches standen zunächst einige aromatisierte Schwarztees (wie Jasmintee, Earl Grey oder Chai) und dann Getränke, die im strengen Sinn kein Tee mehr sind, weil sie nicht vom Teestrauch stammen, sondern stattdessen Aufgüsse aus getrockneten Pflanzenteilen sind (Rooibos, Kräutertee, Früchtetee).

Der Leiter der Tee-Abteilung erklärte mir zunächst, wie und wo Teeanbau und Verarbeitung stattfindet. Was mich überraschte: Nicht China oder Indien sind die weltweit größten Exporteure, sondern Kenia. In China und Indien wird zwar mit weitem Abstand am meisten angebaut, aber eben auch das meiste bereits im Land getrunken. Die meisten der 10 Milliarden (kein Tippfehler) Tassen Tee, die täglich (auch kein Tippfehler) getrunken werden, werden in diesen beiden Ländern aufgebrüht. In Deutschland sind übrigens die Ostfriesen ganz weit vorne im Verbrauch. Das war zu erwarten, aber den Abstand fand ich dann doch beeindruckend: 300 Liter Schwarztee pro Jahr im Vergleich zu lausigen 29 (plus 35 Liter Kräuter- und Früchtetee) im Rest der Republik . Ostfriesland süppelt sogar mehr weg als England, das sich mit 205 Litern pro Jahr noch ein bisschen lang machen muss.

Ich erfuhr außerdem, wie genau aus den jungen Trieben eines Teebusches die lustigen Kringel werden, die in meiner Teepackung landen. Gepflückt werden am besten two leaves and a bud, also der oberste Trieb des Busches, der aus zwei Blättern herauswächst. In losem Tee kann man die Triebe mit bloßem Auge von den schmalen Blättern unterscheiden; sie sehen aus wie eingerollte Blätter und sind manchmal heller. Nach dem Pflücken dauert es nur wenige Tage, bis die nächsten Triebe nachgewachsen sind, die dann wiederum gepflückt werden. In Indien und China ist das Pflücken Frauenarbeit, während die Verarbeitung von Männern erledigt wird, in Kenia geschieht es genau andersherum.

Nach dem Pflücken werden die Blätter und Triebe sofort verarbeitet. Zunächst werden sie gewelkt, das heißt, sie liegen auf langen Sieben, durch die kalte Luft geleitet wird. Dadurch verlieren die Blätter und Triebe circa 30 Prozent ihrer natürlichen Feuchtigkeit. Danach folgt das Rollen, bei dem sie quasi zwischen zwei sich bewegenden Scheiben grob zerrieben werden. Der austretenden Zellsaft reagiert mit dem Sauerstoff – jetzt beginnt die Fermentation, die für die charakteristischen Aromen von Darjeeling, Assam oder anderen Sorten sorgt. Während der Fermentation verändert sich auch die Farbe der Teeblätter von grün zu rot, braun, kupferfarben etc. Ein Trockenvorgang stoppt die Oxidation. Danach laufen die Blätter über eine Art Förderband, die sie nach Größen aussiebt. Die größten Blätter und Triebe landen in den Lose-Blatt-Teepackungen, die kleineren eher in Tassenportionen wie Beutel. Ich musste mich hier von einem meiner Vorurteile über Tee verabschieden: Ich dachte bisher immer, in den Beuteln lande irgendwie weniger guter Tee als in den Packungen mit den losen Blättern. Jetzt weiß ich: Es stammt alles aus der gleichen Produktion, ist halt nur kleiner.

Jetzt wollte ich aber endlich was trinken. Teeverkostungen sind genormt, das heißt, die Menge von Tee und Wasser wird weltweit gleich eingesetzt. Abgewogen wird hier stilecht mit einer Waage, die genau 2,86 Gramm Tee abwiegt, das Gewicht einer alten englischen Sixpence-Münze. Danach wird das kleine Tassenkännchen mit 150 Milliliter Wasser gefüllt, und der Tee zieht genau fünf Minuten. Das Kännchen wird umgedreht, damit der Tee in die Schale laufen kann. Das sieht dann in Reihung sehr putzig aus, und jetzt weiß ich auch, wofür die Dinger Zacken haben.



Die Schalen stehen da übrigens nicht nur, weil sie hübscher aussehen als Tassen. Generell gilt für Tee: je dünnwandiger das Porzellan oder das Glas, desto besser. Kanne vorwärmen, kennen wir alle, den Tee am besten lose schwimmen lassen, damit er Platz hat (Teeeier sind böse!), und dann möglichst in eine Thermoskanne umfüllen, damit das ebenso böse Stövchen nicht zum Einsatz kommt. Ich gebe zu, ich benutze das Ding bei Assamtees, aber ich glaube, da ist es okay. Darjeeling verbrennt man damit allerdings ganz prima.

Diese Farben! Das kriegt Kaffee nicht hin, der braune Langweiler.

Weiter mit der Verkostung. Nach dem Ausgießen des Tees landen die Blätter auf dem Deckel des Kännchens, denn hier bekommt man schon den ersten Eindruck. Man prüft das Aussehen, aber vor allem den Duft. Ich zuckte sehr bei einem Sencha zurück, dessen Geruch ich in Richtung Fleischbrühe verortete, bis der Teeexperte meinte: „Spinat.“ Genau. Spinat. Muss ich nicht morgens zum Müsli haben, stelle ich mir aber zu Spiegeleiern super vor. Generell ist Tee ein guter Essensbegleiter, man sollte nur die richtige Sorte wählen. In chinesischen Restaurants zum Essen parfümierten Jasmintee zu bestellen, ist eher eine blöde Idee, und wenn ich mich richtig erinnere, trinkt man in China eh keinen Tee zum Essen, sondern davor und danach. Bestimmt top zum Schinkenbrot: der Lapsang Souchong, ein geräucherter Tee, der mich daran erinnerte, dass ich auch keine rauchigen Whiskys mag.

Genug an den Blättern gerochen, jetzt wurde Tee getrunken. Beziehungsweise nicht, denn bei einer Teeverkostung trinkt man nicht, sondern schlürft wie irre und benimmt sich wie auf einer Weinprobe, bei der man alles wieder ausspuckt.

Man nimmt mit einem großen, flachen Löffel Tee aus der Schale und schlürft, als ob er zu heiß wäre (ist er nicht). Dann zieht man wie beim Weintrinken Luft in den Mundraum, um die Aromen besser schmecken zu können, und schon spuckt man das schöne Zeug wieder aus. Bei den ersten Tees habe ich das sehr bedauert, beim sechsundzwanzigsten wusste ich, warum man nichts trinkt; ich blubberte auch so schon vor mich hin. Tee enthält übrigens mehr Koffein als Kaffee, gibt es aber nicht so brachial ab wie letzterer. Bei Tee ist das Koffein an die Gerbstoffe gebunden; es löst sich erst im Magen und hält dann den Koffeinspiegel über Stunden konstant, während Kaffee eher der schnelle Fix für eine gute halbe Stunde ist. Seitdem ich das weiß, überlege ich, ob der klassische Fünf-Uhr-Tee so eine clevere Idee ist. Ich schiebe den Brexit jetzt auf sehr unausgeschlafene und dementsprechend schlecht gelaunte Briten.

Ich fand es sehr spannend, die verschiedenen Aromen zu riechen und zu schmecken: die edle, florale Note im Darjeeling, der ganz milde Heuduft im Grüntee, die Zitrusnote im Ceylon, das Karamell im Rooibos. Oder eben auch nicht: Die Aromen verstecken sich gefühlt mehr als die im Wein, aber es kann sein, dass ich mich auf sie einfach schon länger konzentriere.

Ich trinke Tee gerne beim Arbeiten und Studieren und beschränkte mich bisher auf Assam als Ostfriesenteemischung (mit Milch), Darjeeling (pur) und Earl Grey (meistens pur, manchmal mit Milch). Vorgestern entdeckte ich den zarten Nilgiri-Schwarztee für mich und trank den ersten Chai, der nicht fies nach Zimt und Nelken im Rachen brennt. Ich mochte selbst den fiesen Jasmintee, der eigentlich alles erschlägt, und war überrascht von einem sehr frischen Kräutertee. Netterweise bekam ich eine Tüte Teepackungen mit und kann jetzt zuhause weiterüben.

Am Dienstag trank ich dann auch allen Ernstes Tee zum Frühstück anstatt Cappuccino. Und dann über den Tag verteilt noch weitere fünf Tassen. Ostfriesland, nimm dich in Acht!

Ein remigriertes Dankeschön …

… an Jakob, der mich mit Anat Feinbergs Wieder im Rampenlicht: Jüdische Rückkehrer in deutschen Theatern nach 1945 überraschte. Auf das Buch hatte mich F. aufmerksam gemacht, der dazu letzte Woche eine Lesung in den Kammerspielen besucht hatte. Wenn mein Kopf nicht so matschig von unseren vier Tagen unterwegs gewesen wäre, wäre ich mitgekommen, weil mich das Thema auch interessierte, und seiner Erzählung nach lohnt sich das Buch.

Über die Remigration von Künstler*innen nach 1945 hatte ich schon an der Uni gehört und natürlich spielt generell das Kulturleben dieser Zeit auch für meine Dissertation eine gewisse Rolle, auch wenn ich bis jetzt noch keine Bezüge zum Theater bei Protzen gefunden habe. Ich glaube aber, es kann nie schaden, auch über den Tellerrand der bildenden Kunst hinaus zu schauen, um generelle Strömungen in der Kultur ausmachen zu können. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

(Ich muss das Buch erstmal an F. verleihen, ich hoffe, das ist in Ordnung.)

Tagebuch, Sonntag, 27. Mai 2018 – „Long ago I was a king / Now I do this kind of thing“

Lange gemeinsam ausgeschlafen, rumgelegen, die Handys leergelesen. Irgendwann ging ich nach Hause und besorgte auf dem Weg noch zwei Schokocroissants für mein Sonntagsfrühstück, die ich mit Aeropress-Kaffee und Himbeermarmelade kombinierte.

Ein bisschen gearbeitet. Die Texte, die ich Freitag erstellt hatte, lagen lange genug rum. Jetzt las ich noch einmal drüber, änderte an ein paar Stellen etwas, war aber insgesamt zufrieden. Die gehen heute zum Kunden.

Eine andere Kundin meldete sich per Mail, dass ihr meine Texte sehr gut gefallen hatten. Das freute mich, denn das ist eine Neukundin, und beim ersten Schwung weiß man nie so recht, ob man den geforderten Ton getroffen hat bzw. alle Inhalte stimmen. Wir sprechen morgen dazu.

Ansonsten widmete ich mich dem riesigen Circe-Kapitel im Ulysses, das ich allerdings nicht durchbekam; irgendwie geriet mir ein Schläfchen dazwischen. Mein Plan ist es, das Buch bis zum 15. Juni durchgelesen zu haben, denn am 16. ist bekanntlich Bloomsday, und den könnte ich dann in diesem Jahr erstmals mitfeiern. Zumindest im Geist, nach Dublin fahren werde ich dazu nicht. Aber ich könnte eine schöne Zitronenseife kaufen.

Vorher muss ich aber noch ein bisschen lesen. Circe ist in Form eines Theaterstücks geschrieben. Die Regieanweisungen sind genauso surreal wie die theoretisch gesprochenen Texte, und was mir in diesem Kapitel zum ersten Mal im Buch passierte, ist, dass sich das Gefühl beim Lesen dauernd ändert. Klar gibt es auch in den anderen Kapiteln Spannungsbögen – oder eben nicht –, aber gestern stellte ich quasi alle fünf Minuten fest, dass ich mich anders fühlte als eben noch.

Es gibt Stellen, bei denen ich keine Ahnung habe, worum es gerade geht, aber auch das kenne ich schon, und ich glaube inzwischen, das muss so sein. Ich lasse mich von den Worten und Beschreibungen mittragen, ohne dass ich weiß, was sie von mir wollen; es ist ein bisschen wie Touristin in einem fremden Land zu sein, dessen Sprache man nicht spricht. Man wird zu irgendeiner Feier eingeladen, es gibt Dinge zu essen und zu trinken, die man nicht kennt, und man macht halt mit und es ist irgendwie okay. Wenige Seiten später merkte ich, dass ich traurig war und nicht einmal sagen konnte, warum eigentlich. Bloom muss sich verteidigen, er stottert Wortbrocken vor sich hin, beschreibt die Beerdigung, von der er kommt, bis sogar der Leichnam persönlich seine Aussage bestätigt. Wieder einige Seiten später scheint Bloom erst zum Bürgermeister Dublins zu werden und dann gottähnlich, es folgen Beschreibungen von üppigen Festivitäten mit riesigen Aufbauten und Menschenmengen, und ich wurde ehrfürchtig (und mochte die Beschreibungen gern).

„BLOOM My beloved subjects, a new era is about to dawn. I, Bloom, tell you verily it is even now at hand. Yea, on the word of a Bloom, ye shall ere long enter into the golden city which is to be, the new Bloomusalem in the Nova Hibernia of the future.

(Thirtytwo workmen wearing rosettes, from all the counties of Ireland, under the guidance of Derwan the builder construct the new Bloomusalem. It is a colossal edifice, with crystal roof built in the shape of a huge pork kidney, containing forty thousand rooms. In the course of its extension several buildings and monuments are demolished. Government offices are temporarily transferred to railway sheds. Numerous houses are razed to the ground. The inhabitants are lodged in barrels and boxes, all marked in red with the letters: L. B. Several paupers fall from a ladder. A part of the walls of Dublin, crowded with loyal sightseers, collapses.)

THE SIGHTSEERS (Dying) Morituri te salutant. (They die.)“

(Gabler-Edition, Kapitel 15, Zeilen 1541–1557)

Ein paar Seiten später musste ich sehr über die neuen Musen dieser neuen Zeit lachen:

„Bloom explains to those near him his schemes for social regeneration. All agree with him. The keeper of the Kildare Street Museum appears, dragging a lorry on which are the shaking statues of several naked goddesses, Venus Callipyge, Venus Pandemos Venus Metempsychosis, and plaster figures, also naked, representing the new nine muses, Commerce, Operatic Music, Amor Publicity, Manufacture, liberty of Speech, Plural Voting, Gastronomy, Private Hygiene, Seaside Concert Entertainments, Painless Obstetrics and Astronomy for the People.“ (1702–1710)

Dann wird Bloom plötzlich zu einer Frau und gebiert Kinder und ich las vermutlich mit offenem Mund und simpler Begeisterung.

„DR DIXON (Reads a bill of health) Professor Bloom is a finished example of the new womanly man. His moral nature is simple and lovable. Many have found him a dear man, a dear person. He is a rather quaint fellow on the whole, coy though not feeble-minded in the medical sense. He has written a really beautiful letter, a poem in itself, to the court missionary of the Reformed Priests’ Protection Society which clears up everything. He is practically a total abstainer and I can affirm that he sleeps on a straw litter and eats the most Spartan food, cold dried grocer’s peas. He wears a hairshirt winter and summer and scourges himself every Saturday. He was, I understand, at one time a firstclass misdemeanant in Glencree reformatory. Another report states that he was a very posthumous child. I appeal for clemency in the name of the most sacred word our vocal organs have ever been called upon to speak. He is about to have a baby.

(General commotion and compassion. Women faint. A wealthy American makes a street collection for Bloom. Gold and silver coins, bank cheques, banknotes, jewels, treasury bonds, maturing bills of exchange, I.O.U.s, wedding rings’ watch-chains, lockets, necklaces and bracelets are rapidly collected.)

BLOOM O, I so want to be a mother.

MRS THORNTON (In nursetender’s gown) Embrace me tight, dear. You’ll be soon over it. Tight, dear.

(Bloom embraces her tightly and bears eight male yellow and white children. They appear on a redcarpeted staircase adorned with expensive plants. All are handsome, with valuable metallic faces, wellmade, respectably dressed and wellconducted, speaking five modern languages fluently and interested in various arts and sciences. Each has his name printed in legible letters on his shirtfront: Nasodoro, Goldfinger, Chrysostomos, Maindorée, Silversmile, Silberselber, Vifargent, Panargros. They are immediately appointed to positions of high public trust in several different countries as managing directors of banks, traffic managers of railways, chairmen of limited liability companies, vice chairmen of hotel syndicates.)“ (1798–1832)

Dann sind wir wieder im Bordell, wo das ganze Kapitel spielt, die anwesenden Damen und ihre körperlichen Vorzüge werden beschrieben, was mich genervt hat, aber immerhin ist Stephen wieder da, dem ich so gerne folge. Und dann singt eine Motte ein Lied, das mich rührte, warum auch immer:

„I’m a tiny tiny thing
Ever flying in the spring
Round and round a ringaring.
Long ago I was a king,
Now I do this kind of thing
On the wing, on the wing!
Bing!“ (2469–2475)

„Long ago I was a king / Now I do this kind of thing“ fand ich sehr schön und gleichzeitig sehr traurig. (Ja, es ist eine Motte, schon gut. Trotzdem.)

Ich beendete das Kapitel bei circa Zeile 2700; auf mich warten noch ungefähr 2300. Die Drogen, die Joyce bei diesem Kapitel eingenommen hat, will ich auch.

Tagebuch, Samstag, 26. Mai 2018 – Och nö

Die Überschrift bezieht sich nur auf zwei Dinge von gestern, der Rest des Tages war okay. Was soll auch nicht daran okay sein, morgens ein bisschen Tram zu fahren und dann nach Hause zu spazieren (immer schön im Schatten), Kirschen zu essen, auf dem Sofa zu liegen, zu lesen und Serien zu gucken. Samstag halt. Vor dem Rumliegen kam noch ein bisschen Einkaufen, denn abends lief das Champions-League-Finale, leider ohne die Bayern, aber mei.

Zu einem Finale gehören zwingend Chips, Fingerfood und gute Getränke. Für die Getränke sorgte F., in dessen Wohnzimmer wir guckten, für Chips musste ich eben einkaufen gehen und wo ich schon mal da war, besorgte ich gleich ein bisschen Hackfleisch, denn das einzig wahre Fingerfood sind bekanntlich kleine Frikadellchen. (Ich klinge übrigens nie peinlicher, als wenn ich „Fleischpflanzerl“ bestelle, weswegen ich das nie mache, obwohl ich sie immer essen will.)

Um mich von den Hackbällchen abzulenken – von denen ich übrigens brav nur drei verspeiste und den Rest abends durch die Gegend trug –, kochte ich mir einen Kaffee mit einer neuen Kaffeesorte. Die hatte F. mir von seinem Sheffield-Besuch mitgebracht und beim Überreichen behauptet, sie schmecke nach Kirsche. Ist klar, Junge. Kirsche. Ha!

Der Laden, in dem F. den Kaffee erwarb, scheint von einem dieser neuerdings überall vorkommenden Kaffeenerds betrieben zu werden, die einem bereitwillig erzählen, woher sie ihre Ware bekommen und wie sie sie verarbeiten. Sehr löblich! Er berichtete, dass sie diese Sorte nur für die Aeropress benutzen, und als F. erwähnte, dass his girlfriend gerade lustig mit diesem Gerät rumexperimentiere, gab der Herr ihm gleich mal Mahlgrad und Ziehzeit mit, damit ich das ausprobieren könne. Kaffeemehl- und Wassermenge nannte er nicht, aber ich verließ mich wie immer auf das gute alte Brühchart vom Coffeecircle.

Zunächst öffnete ich aber die Verpackung und roch an den Bohnen. Mir kam ein Duft entgegen, der mich sofort an Campino Himbeer denken; ein cremiger, weicher Geruch mit ganz klaren Fruchtnoten. Dann bereitete ich mir einen Kaffee zu, denn jetzt war ich doch sehr gespannt. In meine Aeropress passen eh nur 200 ml Wasser, daher war die Variable schon mal weg. Ansonsten benutzte ich 14 Gramm halbfein gemahlenes Kaffeemehl und ließ es wie beschrieben drei Minuten ziehen. Der Kaffee duftete deutlich nach heller, fast unreifer Kirsche, schmeckte kaum nach Röstaromen, sondern frisch und fruchtig und ja, nach Kirsche bzw. nach Cranberrys. Die blieben als Abgang im Mund. Mir war es fast ein bisschen zu wenig Kaffee, denn eigentlich mag ich ja die kräftigen, holzigen Sorten lieber als die fruchtigen. Aber sowas hatte ich noch nie getrunken und war sehr verzückt. Jetzt gerade beim Tippen steht die nächste Tasse neben mir, dieses Mal mit gut 80 Grad heißem Wasser statt wie gestern mit 90 Grad heißem zubereitet. Hier verfliegt die Frucht deutlich schneller. Memo to me: ruhig das heißere Wasser nehmen.

Bis hierhin war ich noch gut gelaunt. Dann erfuhr ich allerdings per Mail, dass mein Lieblingsrestaurant in Hamburg zu Ende Mai seine Pforten schließt. Gut, dass ich noch einmal da war. Auch irgendwie passend, dass das ausgerechnet mit Kai war. Fühlt sich gerade wie noch ein Haken hinter Hamburg an.

Und dann gab’s Fußball. Ich bin ja grundsätzlich über Leute verspannt, die nie Fußball gucken, aber wenn, dann sollen die blöden Bayern bitte verlieren. Gestern war ich genauso drauf: Mir ist Liverpool herzlich egal, aber sie sollen bitte das blöde Real schlagen. Taten sie leider nicht. Aber hey, wir hatten Hackbällchen, Chips und Gin Tonic. Und das erste Tor von Bale war großartig.

Blätter, die die Welt bedeuten

Über die Blümchen, die auf Bühnen überreicht werden. Auch noch nie drüber nachgedacht, aber gerne gelesen:

„Es gibt jedenfalls auf dem Konzertpodium kaum ein effektiveres Mittel, einen Geiger, Pianisten oder Dirigenten gewaltlos auszuschalten, als ihm einen Blumenstrauß in die Hand zu drücken. Jetzt noch eine Zugabe spielen: unmöglich. Den Strauß weglegen: Ja, aber wohin? Auf dem Notenpult drohen Flecken auf der Partitur. Auf den Boden legen ist als Geste schwierig – Geschenk ist Geschenk. Zumal ein Blumenbouquet im Liegen auch nicht gut aussieht. Ansehnlich, rutschfest und quetsch­sicher ließe sich ein Strauß höchstens im Schalltrichter der Tuba verstauen. Am besten wäre es, dem Blumenboten den Strauß gleich wieder mitzugeben (an manchen Abenden bemerkt der Künstler im Rausch des Applauses ohnehin erst nach langen Sekunden, dass da jemand steht und in den Blumenstrauß lächelt). […]

Der mit Abstand schlechteste Platz zum Deponieren des Straußes ist der Konzertflügel. Es gibt zwar neben dem Notenpult eine kleine Fläche, die wie dafür gemacht scheint, aber Klavierbauer raten dringend davon ab: Ein auf den Flügel fallender Kronleuchter könnte vermutlich auch nicht mehr Schaden anrichten als ein noch blumenwasserfeuchter Rosenstrauß, den der Pianist beim Verbeugen mit einer ungeschickten Armbewegung in die Filzhämmerchen-Mechanik über dem Resonanzboden stößt (wenn Sie glauben, dies wäre an den Haaren herbeigezogen, irren Sie sich leider).“

Brabbelbrabbel HeimatNation brabbel

Über die Taktik von rechter Sprache: „Provozieren, relativieren, immer wieder die gleichen Begriffe platzieren: Der rechtsextreme Sprech ist als Grundrauschen in den Alltag eingesickert.“

„Die Frage „Kann man mit Rechten sprechen?“ ist daher falsch gestellt. Rechts-Sprech ist weder auf Dialog noch auf einen argumentativen „Sieg“ hin ausgerichtet, sondern funktioniert vor allem als semantisches Obstruktionsmittel. Wie im Fall Weidel wird das Sprechen zum Angriff auf Sprache und Logik selbst: In George Orwells Neu-Sprech aus „1984“ geht es darum, die Sprache so zu reduzieren, dass Zweifel und Kritik nicht mehr möglich sind. Der Rechts-Sprech funktioniert in derselben Weise: Die Reduktion macht eine kritische Auseinandersetzung ebenso unmöglich wie das taktische Nichtverstehen, die Besetzung der Diskurse durch vorrationale und nicht verhandelbare Begriffe (Heimat, Volk, Nation, Wert und Rasse beschreiben keinen Umstand, keine Erscheinung, keine Form, sondern ausschließlich den emotionalen Kern einer Ermächtigung) und schließlich die Wiederkehr der immer gleichen semantischen Floskeln. Es handelt sich um nichts anderes als um einen semantischen Krieg.“

The first cut is the deepest

Nele Heise schreibt darüber, dass durch die DSVGO Stimmen von Kindern und Jugendlichen im Internet kein Gehör mehr finden, weil sie keinen Zugang mehr zu sozialen Netzen haben.

„Es war Dienstag. Irgendwann am Abend. Ich höre ein Klappern der Kinderzimmertür, verwundert war ich natürlich, so spät noch, morgen Schule. Als ich das Zimmer betrete, liegt dort ein schluchzendes Kind, zusammengerollt auf seinem Bett. Was passiert sei, frage ich besorgt. Es habe nochmal auf sein Telefon geschaut. Und da habe gestanden, dass sein Instagram-Profil gelöscht sei. Und dann habe es versucht, das irgendwie zu ändern. Und jetzt wisse es nicht, was es tun soll. Und alles sei furchtbar. Und …

Mir blieb dann nichts weiter, als zu versprechen, dass wir helfen. Uns gleich am nächsten Morgen darum kümmern. Dass bestimmt alles wieder wird. Heute, eine Woche später, ist der Account immer noch gelöscht. […]

Da wird einem nicht nur ein Fixpunkt entzogen, um den sich die eigene kleine Welt gedreht, und der fraglos einen wichtigen Teil des adoleszenten Ichs ausgemacht hat. Denn: Mit dem hier wird Aufwachsenden nicht nur eine eigene (mit anderen Fans geteilte, identitätsstiftende, vor allem auch emotional so bedeutsame) Welt entzogen. Sondern auch die Möglichkeit, in die große, andere Welt da draußen zu blicken, gar in ihr selbst zu wirken. Durch eigene Postings, Kommentare, der Kommunikation mit anderen (direkt, öffentlich oder privat). Digital teilzuhaben, wenn man so möchte. Ein Anspruch – ein Recht vielleicht sogar -, das auch Kindern zusteht, zustehen sollte.“

(via Señor Rolando)

Tagebuch, Freitag, 25. Mai 2018 – Wechselbad

Der Morgen war furchtbar. Die alten Dämonen waren wieder da, nicht meine, aber über Umwege dann jetzt doch auch meine, und ich weiß, kein Mensch braucht diese kryptischen Blogeinträge, wir haben schließlich 2018 und nicht mehr 2002, aber der Morgen war furchtbar und ich weiß gerade selber nicht, warum ich das aufschreiben möchte, aber meistens kriege ich im Kopf irgendwas klar, wenn ich es aufschreibe. Wegschreibe.

Dementsprechend verheult und unkonzentriert radelte ich später in die Unibibliothek (ein Buch zurück, eins ausgeliehen) und danach in die Stabi (zwei ausgeliehen). Dort setzte ich mich in den Lesesaal, holte meinen Stapel Bücher aus der Ablage, zog noch ein weiteres aus dem Regal und begann zu lesen. Dabei merkte ich, wie gut das tat, den Kopf ganz weit von mir wegzukriegen und in ein Thema, das ich gerade für einen Kunden recherchiere. Ich fühle mich zwar immer, als ob ich meine Diss hintergehe, wenn ich nicht für sie, sondern für Geld in meinen geliebten heiligen Lesehallen sitze, aber eigentlich ist das ziemlich prima. Vier Stunden lang las und schrieb ich konzentriert und war recht schnell in meinem üblichen Modus: „Ach was? Das wusste ich nicht, gleich mal aufschreiben. Oh, hier ist noch was Schönes, gleich mal aufschreiben. Moment, das Buch eben hatte was anderes gesagt – aber ich hab hier ja noch fünf weitere rumliegen, da gucke ich auch noch rein. Und dann schreib ich es auf.“

Etwas besser gelaunt, aber immer noch fies am Wasser radelte ich nach getaner Arbeit nach Hause, aß mein derzeitiges Spätstück aus Erdbeeren, Blaubeeren und Vanillejogurt, las Zeitung, guckte eine Serienfolge und machte irgendwann abends Brotzeit. Zu warm zum Kochen.

Den Abend verbrachte ich damit, den Morgen aufzuarbeiten. Wir redeten lange und noch länger und noch länger und irgendwann war es Zeit für Whisky, denn irgendwann ist es halt immer Zeit für Whisky. Der tat sehr gut. Tief und fest geschlafen und deutlich erleichteter aufgewacht als gestern.

Tagebuch, Donnerstag, 24. Mai 2018 – Gelee

Motiviert in den Tag gestartet, um dann am Schreibtisch festzustellen, dass es ein Geleetag wird – einer dieser Tage, wo jeder Gedanke sich durch Glibber kämpft, bis irgendein Funke in den Tippfingern ankommt. Über eine Stunde an einem Absatz für einen Kundentext gefeilt, dann wenigstens noch ein Stündchen Recherche gemacht, aber auch hier: nur Gelee im Kopf.

Erstmal Kaffeepause. Vielleicht hilft das.

Half nicht. Aber immerhin hatte ich guten Kaffee und heute habe ich schönen Cold Brew. Arbeitsordner auf dem Rechner verlassen und ein bisschen im Dissertationsordner rumgewühlt, aber auch hier war nichts zu holen. Das Gute an der Selbständigkeit im Home Office: Ich muss jetzt nicht noch einen Nachmittag am Rechner totschlagen, damit meine Kolleg*innen und die Chefs denken, ich würde arbeiten. Stattdessen kann ich aufs Sofa gehen und meine Arbeit in die Zeit verschieben, in der der Kopf wieder mitmachen will.

Eine Folge Bob’s Burger, eine For the People, dann Ulysses gelesen. Ich bin endlich im Circe-Kapitel angekommen, dem Everest des ganzen Buchs, und ich ahne, dass ich darin ein bisschen versacken werde.

Brotzeit gemacht: Kürbiskernbrot, Brie, Schinken, Tomaten, Radi. Beim Hobeln von letztem ein Stück des Fingernagels des kleinen Fingers bis knapp vors Blut eingebüßt, weswegen ich gerade froh bin, nicht allzu oft das Ö tippen zu müssen, weil mein kleiner Finger momentan keinen geraden Abschluss hat; das fühlt sich sehr seltsam an auf der Tastatur. Eis als Nachtisch.

Immer noch den fiesen Ohrwurm von Christoph & Lollo, den ich seit Tagen loszuwerden versuche, aber immer, wenn ich nicht an etwas anderes denke, poppt eine Songzeile vor mir auf: „Keine Gage, keine Groupies, kein Applaus, kein Alkohol – das ist kein Vergnügen, das ist Rock’n’Roll.“

Was schön war, Sonntag bis Mittwoch, 20. bis 23. Mai 2018 – Wennebostel, Hannover, Halle, München

Sonntag: Wennebostel

Am Sonntag feierte mein Papa seinen 80. Geburtstag. Er hatte dazu die übliche Rotte an Verwandtschaft und Bekanntschaft eingeladen; der Landgasthof, in dem meine Familie quasi alles feiert von Hochzeiten bis zu Goldenen Hochzeiten, tischte wie immer bergeweise rustikale Köstlichkeiten auf, und wir ließen es uns von 11 Uhr morgens bis kurz vor 19 Uhr abends rundum gutgehen. Mich persönlich interessierte natürlich die Welfenspeise am meisten, mein allerliebster Nachtisch, von dem nie etwas übrigbleibt, was ich jedesmal anprangere. Ansonsten griff ich zum Huhn statt zum Wildschwein, genoss fiese Fertigkroketten, die ich genau deshalb nie kaufe, weil sie fies und fertig sind, aber auf einem Buffet findet ich sie super, nachmittags schmeckte eine Mascarpone-Himbeer-Torte ganz ausgezeichnet, und ich alleine vernichtete vermutlich ein bis zwei Flaschen herrlichen Kerner. Was man halt so in Landgasthöfen macht.

Mir gefiel auch der gebuchte Alleinunterhalter gut. Ich würde den Mann nie anheuern, weil er schlicht nicht zu meiner Altersklasse passt, aber ich mochte seine Professionalität sehr gerne. Er begrüßte uns alle, als wir draußen beim Empfangsschlückchen Sekt herumstanden, mit einem Lied auf dem Akkordeon und brachte fast alle dazu, Papa ein Geburtstagsständchen zu schmettern, wobei die ältere Generation weitaus textsicherer war als wir und die Generation nach uns. Danach hielt er sich wieder zurück und dudelte unaufdringliche Schlager im Hintergrund, teilweise am Keyboard selbst gespielt und gesungen, teilweise vom Band, während wir aßen und uns unterhielten. Nach Absprache mit meinen Eltern wurde dann zum Tanz aufgespielt. Irgendwann am Nachmittag verteilte er Textbücher, und wer wollte, konnte Volkslieder mit ihm singen. Ab und zu wurden Gäste mit in die Performance einbezogen, wenn sie wollten, keiner musste, alles ging. Das fand ich wirklich bemerkenswert, diese Grenze zwischen „ich muss für Stimmung sorgen“, „ich lasse alles einfach mal laufen, sorge aber für einen angenehmen Musikteppich“ und „ich unterstütze die gut gelaunte Feierlichkeit, ohne dass es peinlich oder penetrant wird“. Profi halt.

Worüber ich mich auch freute: dass meine Idee mit den ausgedruckten Fotokarten gut ankam. Meine Schwester hatte in den letzten Jahren nach und nach unsere ganzen Familienalben eingescannt und mir einen Berg an Zeug gemailt, aus dem ich Motive auswählte, die meiner Meinung nach Papas 80 Lebensjahre wenigstens punktuell abbildeten: mit seinen Eltern, mit Mama, die vor über 50 Jahren noch seine schicke, junge Verlobte war, dann mit meiner Schwester und mir, Hausbau, Urlaub, Feiern mit der Verwandtschaft, Nachbarschaftshilfe, Familienkram. Wir stellten einige Karten auf die Tische, andere aufs Buffet und es passierte genau das, was ich mir erhofft hatte: Die Menschen an den jeweiligen Tischen unterhielten sich über die Bilder bzw. die Abgebildeten, tauschten die Karten miteinander und guckten auch nach, was auf den anderen Tischen so stand. Simple Idee, prima Konversationsstarter. Profi halt. (SCNR.)

#papawird80

Ein Beitrag geteilt von Anke Gröner (@ankegroener) am

Abends war ich eigentlich platt, aber ich sehe meine Schwester und ihren Mann recht selten, weswegen F. und ich den Restabend bei den beiden auf der Terrasse verbrachten. Es wurde Rotwein gereicht und Pastis (Haselnussgeist für die Anti-Anis-Fraktion wie mich), wir vernichteten ein Kilo Nüsschen und ich stellte erstaunt fest, dass bestimmte Räucherstäbchen wirklich gegen Mücken halfen. Eigentlich stellte ich das erst einen Abends später bei meinen Eltern auf der Terrasse fest, wo ich ohne Räucherstäbchen fies gestochen wurde.

Spät und müde ins Bett.

Montag: Hannover

Früh und müde wieder wach. Keine Ahnung warum, aber F. und ich waren beide gefühlt vor 6 wach (ich auf jeden Fall). Wir hatten das Sprengelmuseum in Hannover geplant, das um 10 öffnete. Pfingstmontag war kein richtiger Montag, wo die meisten Museen geschlossen haben, aber der S-Bahn Hannover war das egal. Aus unserem kleinen Dörfchen fuhr nur jede Stunde eine Bahn, weswegen wir aber immerhin eine gute Ausrede hatten, um nicht noch stundenlang mit der Familie und der Verwandtschaft zu frühstücken – „wir müssen los, die S-Bahn, Feiertag und so“.

Auf dem Weg zum Bahnhof zeigte ich F. noch meinen Lieblingsjesus, der in der Kirche hängt, in der ich getauft und konfirmiert wurde und in der man mich meistens am Heiligen Abend antrifft, wo ich bei Weihnachtsliedern heule. Hier sieht man den Jesus im Header und auf dem Bild zum Abschnitt Gründonnerstag; ich selbst habe ernsthaft kein Foto von der Skulptur. (Memo to me: machen.) Ich mag an dieser Jesus-Darstellung die Gradlinigkeit, die Schlichtheit und dass die Figur nicht als Mensch an einem Kreuz hängt oder steht, sondern selbst das Kreuz bildet. Es sieht dabei aber nicht nach Leiden und Tod aus, sondern nach ausgebreiteten, empfangenden Armen. Er trägt keine Dornenkrone, und ich meine, selbst die Stigmata sind nicht zu sehen.

Ich mag voreingenommen sein, weil ich auf diesen Jesus seit über 40 Jahren gucke, aber ich kenne keine weitere Darstellung, die mir ähnlich gut gefällt, und ich habe gerade in den letzten Jahren des Studiums wirklich bergeweise gesehen. Das Gerokreuz im Kölner Dom kommt ihm in meiner Zuneigung recht nahe, wohl auch, weil es Jesus ebenfalls eher als Mensch denn als Gott zeigt.

Ich kannte das Sprengelmuseum größtenteils, aber F. noch nicht, und so ließ ich ihn bestimmen, wo er hinwollte. Okay, fast: Zuerst zerrte ich ihn in die Lichträume von James Turrell, die ich sehr liebe. Vor allem den, in dem man in absoluter Finsternis sitzt, bis sich nach sechs, sieben Minuten die Augen an das Fehlen von fast allem Licht gewöhnt haben und man ein Rechteck? einen schmalen Streifen? ein Kreissegment? aus Licht wahrnimmt, das vor einem in nicht bestimmbarer Entfernung auftaucht.

Wir gingen recht schnell durch die Kunst nach 45, die äußerst luftig hängt, das hatte ich etwas enger in Erinnerung. Aber: Das Museum hat seit Kurzem einen neuen, großen Anbau, und in dem hing dann auch all das, an was ich mich erinnerte, vor allem die Neue Sachlichkeit, die ich besonders sehen wollte. (Mein Liebling: das Mädchen im Café von Ernst Thoms. Darauf freute ich mich genau wie auf die Lichtspiele Turrells.) Was mir auch auffiel: Allmählich scheint sich der Umgang mit systemkonformer Kunst zwischen 1933 und 1945 zu ändern. Anstatt diese Zeit still zu übergehen, hängen wenigstens ein paar Exponate, zum Beispiel von Adolf Wissel oder Georg Schrimpf, an denen bzw. deren Begleittexten die gebrochenen oder konstanten Biografien ganz gut sichtbar werden.

Was der Anbau übrigens auch hat: ein großes Panoramafenster, von dem man auf den Maschsee gucken kann, bequem auf zwei Sofas. Man kann dabei auch einen Film über Arno Breker gucken, aber wir sahen lieber dem Regattastart der Drachenboote zu. Aber später bei einem Eiskaffee im Museumscafé guckten wir dann brav auf ein NS-Kunstwerk am See.

Im Untergeschoss waren wir schon recht müdegesehen, aber natürlich musste der Merzbau sein. Ich konnte mich nicht daran erinnern, schon einmal im El-Lissitzky-Kabinett gewesen zu sein, aber das machte uns wirklich wieder wach, was der Sinn der ganzen Raumgestaltung war. Man konnte Schaukästen kippen und Bilderleisten verschieben, und mit sowas kriegt man mich ja immer. Mal eben eine Wand vor einen Mondrian ziehen, warum nicht?

Ganz zum Schluss huschten wir noch in eine kleine Ausstellung mit Werken von Hans Uhlmann und Günter Haese, von denen mich letzterer total begeisterte. Er stellte aus dünnstem Draht, Uhrenfedern und ähnlich winzig-fragilen Metallgegenständen abstrakte Skulpturen her, die mich schlicht faszinierten. Hier sieht man ein paar von ihnen. Gerade die goldfarbenen Objekte erinnerten mich an die Eldorado-Ausstellung, die ich als Kind gesehen hatte: ein Überfluss an Reichtum und Schätzen. Hier ist es deutlich billigeres Material, aber der Gesamteindruck war der gleiche: ein Geschenk an Farbe, Material und Raumgestaltung. Leider waren wir beide doch recht platt, weswegen wir diesen Ausstellungen nicht mehr genügend Zeit ließen.


Die von Niki de Saint-Phalle gestaltete Grotte in den Herrenhäuser Gärten. Künstlerische Darstellungen von dicken Frauen haben bei mir immer gewonnen.

Nach einer Stärkung im Café ging es in die Herrenhäuser Gärten. Erstens, weil man in die halt reingeht, wenn man als Touri in Hannover ist, und zweitens, weil die Performance This here and that there von Vlatka Horvat angekündigt war, die spannend klang. Die Künstlerin und ihre drei Mitstreiterinnen bespielten die sogenannten Schwanenbecken, vier quadratische, flache Wasserbecken. Dort stellten sie Stühle in gewisse Formationen, lösten diese wieder auf und schufen neue Anordnungen. Das ganze lief an drei Tagen für jeweils acht Stunden, wofür ich die Damen sehr bewundere. Wir erwarteten nicht viel, saßen aber gebannt über eine halbe Stunde zwischen zwei Becken, und wenn meine Eltern uns nicht zum Abendessen erwartet hätten, wären wir bis zum Ende um 19 Uhr gelieben.

Es hört sich so simpel an – da stellen halt Leute Muster aus Stühlen ins Wasser –, aber genau diese Muster, die entstanden und wieder zerstört wurden, entwickelten eine spannende Dynamik, auf die ich gar nicht vorbereitet war. Ich wollte da eigentlich nur sitzen und nicht mehr rumlaufen müssen, es war schattig, ein leichter Wind ging, wir hatten eine bequeme Bank und Wasser, wir hätten einfach rumlungern können. Ich konnte mich aber nur kurz entspannen, denn erstaunlicherweise guckte ich den entstehenden Mustern und Formationen doch atemloser zu als erwartet. Im Becken rechts von uns entstanden aus den Stühlen gerade zwei Viertelkreise, und ich empfand es als unglaublich befriedigend, als aus den einzelnen, teilweise schräg gestellten Stühlen zwei herrlich symmetrische Kreisteile wurden. Genauso unbefriedigend bzw. aufwühlend empfand ich es aber, als dann nach einer kurzen Ruhezeit, in der das Bild einfach stand, Stühle wieder entfernt wurden und die Symmetrie brutal zerstört wurde. Jedenfalls kam es mir brutal vor. So ging es mir auch mit dem Bild, das im linken Becken enstand. Wir kamen an, als verschiedene Stuhlgrüppchen so standen wie Wartezimmeranordnungen oder an Flughäfen, mal hier ein Grüppchen, dann eins da drüben. Nach und nach entstanden vier Reihen, die aufeinander zuliefen, was die gleiche Befriedigung bei mir auslöste wie die Kreissegmente. Auf einmal war alles gut, alles passte, nichts anfassen bitte. Daran hielt sich die Künstlerin natürlich nicht, sondern nahm mal hier, mal dort einen Stuhl weg oder drehte ihn seitwärts, alles langsam, alles gemächlich, das Wasser plätscherte vor sich hin, die Blätter der Bäume und Hecken um uns herum rauschten im leichten Wind, es hätte alles so schön sein können, aber nein, es musste ja jemand aus einer perfekten Linie eine unperfekte machen!

Falls ihr die Chance haben sollten, diese Performance noch einmal irgendwo zu sehen: macht das mal. Hypnotisch.

Abends platt und müde bei meinen Eltern Reste des sonntäglichen Festessens verspeist, ein Herri getrunken (auch schon sehr lange nicht mehr gemacht), um zehn ins Bett, weil wirklich fertig. Dass Kunstgucken immer so anstrengend ist!

Wobei ich auch deswegen platt war, weil sich mein Introvert’s Hangover meldete. Ich leide nur bedingt körperlich vor mich hin, mein Öhrchen piept manchmal tinnitusmäßig, aber es geht immer wieder weg, sobald ich Ruhe habe, und ich bin verspannt, aber ich glaube, in bin immer verspannt. Ich merke aber, dass ich immer gnatziger und kurz angebundener werde, jede Smalltalk-Minute macht mich aggressiver und ich werde schlicht unleidlich, obwohl ich es gar nicht sein will. Der Sonntag hatte mich durch die vielen Menschen schon sehr gestresst, obwohl ich ihn genossen hatte, und Montag abend waren einfach alle Reserven verbraucht.

Dienstag: Halle

Auf der Zugfahrt nach Halle konnte ich die Reserven wieder auffüllen. Dazu reichten ein schöner Sitzplatz am Fenster und die Noise-Cancelling-Kopfhörer und schon war ich eine Stunde in meiner eigenen kleinen Blase. Danach ging es mir deutlich besser.

Die Moritzburg in Halle hatte Ende letzten Jahres ihre ständige Sammlung zur Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts neu gehängt; eine Leserin machte mich freundlicherweise darauf aufmerksam. Ich zitiere von der Website – der Text findet sich auch im begleitenden Blog zur Neuhängung:

„Etwas Besonderes stellt die Inszenierung der Kunst entlang der drei politischen Systeme in der ersten Jahrhunderthälfte dar und hierbei besonders die Thematisierung der Kunst im „Dritten Reich“. In einer diskursiven Gegenüberstellung wird sowohl das Fortwirken der Moderne in den 1930er und 1940er Jahren vorgestellt als auch die von den Nationalsozialisten offiziell anerkannte Kunst. Damit beschreitet das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) unter den Kunstmuseen in Deutschland einen neuen Weg in der Auseinandersetzung mit der eigenen Institutionsgeschichte sowie mit der deutschen Kunstgeschichte und der daraus abgeleiteten Präsentation der Sammlungsbestände.“

Das würde ich heftig abnicken. Ich bin blöderweise davon ausgegangen, dass es zur Neupräsentation einen Katalog geben würde, daher habe ich nicht fotografiert, weder Werke noch Beschriftungen, und als uns nach drei Stunden unten im Museumsshop klar wurde, dass es keinen gibt, war ich zu faul, nochmal hochzugehen. Daher kann ich euch jetzt keine Namen nennen, aber ich lege euch den Besuch dringend ans Herz, falls euch das Thema nicht schon zu den Ohren rauskommt, seit ich hier davon dauernd schreibe. Hier werden aktuelle Forschungsstände abgebildet bzw. als gut lesbarer Wandtext verfügbar gemacht (looking at you, Wandtexte in der Pinakothek der Moderne). Es wird klar, dass die Kunst eben nicht 1933 aufgehört und 1945, huch, wieder angefangen hat. Dass viele Maler und Malerinnen gewisse Spielräume hatten, die sie ausnutzten und eben nicht alles schwarz oder weiß war. Dass die NS-konforme Kunst noch längst nicht aufgearbeitet und dass jede Biografie anders ist und anders gelesen werden kann. (Genau das mache ich ja gerade mit Protzen.) Die wenigen Werke waren meiner Meinung nach sehr gut gewählt, weil sie eine gewisse Bandbreite abbildeten – das Grau zwischen dem Schwarz und dem Weiß halt, zwischen den Gottbegnadeten und der „entarteten Kunst“. Die Pinakothek der Moderne hat mit ihrem Saal 13 2015 (?) damit angefangen, NS-konforme Kunst in der Sammlung auszustellen, war aber einen Hauch zu zögerlich. Die Moritzburg hat das jetzt sehenswert und konsequent gemacht. Wie F., der sich seit drei Jahren meinen, Zitat, „Nazischeiß“ aufmerksam anhört und anguckt, sagte: „Saal 13, aber richtig.“

Das ganze Stockwerk war toll, nicht nur die kleine Ecke mit der Regimekunst. In der Neuen Sachlichkeit freute ich mich über zwei Bilder, die F. und ich gerade in Frankfurt bei der Weimar-Ausstellung gesehen hatten. Außerdem bewunderte ich frühe Werke von Franz Marc, die aber schon den späteren erkennen lassen, den ich ja eigentlich nicht so mag, diese Arbeiten dann aber doch. Beckmann geht ja eh immer, genau wie Lehmbruck, und ein paar Bilder halfen mir auch bei der Einordnung von Protzen weiter, zum Beispiel von Karl Völker.

Direkt nebenan ging es weiter – mit Kunst nach 1945 aus der DDR. Davon verstehe ich quasi nichts, aber den Raum fand ich bis auf seine wirre Wegeführung genauso begeisternd. Auch hier, aber ich muss nochmal betonen, davon keine Ahnung zu haben, hatte ich das Gefühl, einen aktuellen Forschungsstand präsentiert zu bekommen. F. war im letzten Jahr bereits schon einmal in der Moritzburg gewesen, und da wurde die DDR-Kunst noch verschämt als abstrakt präsentiert, so nach dem Motto, hatten wir auch. Der sozialistische Realismus wurde genauso verschwiegen wie heute eben die NS-konforme Kunst verschwiegen wird (womit ich beide keinesfalls gleichsetzen will). Nun kann man auch den Realismus anschauen, aber eben auch die Abstraktion, die Pop Art (noch nie davon in der DDR gehört) und die stetigen Auseinandersetzungen mit der vom System gewünschten Kunst. Auch hier: Spielräume. Alleine für Wolfgang Mattheuers Kain lohnt sich der Eintritt; das Bild kannte ich aus einem Uni-Seminar, wusste aber nicht, dass es hier hängt. Neu entdeckt habe ich für mich Hermann Bachmann.

Auch in diesem Museum blieben wir länger als geplant, daher war der Rest des Stadtaufenthalts kurz und schmerzlos. Ein Blick in den Dom (och jo), einen etwas längeren in die Marktkirche (die Decke!), und dann saßen wir noch knapp zwei Stunden im Schatten in einer gutbürgerlichen Kneipe, ich trank Schwarzbier, F. Pils, wir aßen Salzkrustenbraten bzw. eine Bauernpfanne und schleppten uns dann wieder in Richtung Tramhaltestelle. In den Trams war ich vorher schon von der Ansagestimme überrascht worden, denn das war die gleiche Dame, die mich in Hamburg in den Bussen der Linien 20 und 25 jahrelang genervt hatte mit ihrer Pause mitten im Namen meiner Endhaltestelle: „Kottwitz … straße.“ DAS IST EIN WORT, DU TRULLA VOM BAND!

Gegen 22 Uhr wieder in München. Endlich, seufzte ich in der U2, endlich wieder zuhause, endlich wieder allein sein.

Mittwoch: München

Urlaub vom Urlaub. Vormittags arbeitete ich kurz und erledigte beruflichen Kleinkram, dann ging ich einkaufen, um vor allem meine Brotvorräte wieder aufzufüllen – ich war ja ewig weg! –, aber dann lag ich nur noch auf dem Sofa, guckte unter anderem vier Folgen Masterchef Australia, zu denen ich am Wochenende nicht gekommen war, las, ruhte mich aus und schrieb über zwei Stunden an einem Blogeintrag *hust*. Ich muss mir meinen innerlichen Bildungsauftrag abgewöhnen. Wenn ich nur über mein Essen bloggen würde, wäre ich viel schneller fertig!

Tagebuch, Samstag, 19. Mai 2018 – Reisetag

Gestern warteten F. und ich um kurz nach 12 frohgemut am Münchner Hauptbahnhof auf unseren Zug, der uns in den Norden tragen sollte. Am Gleis gegenüber stand bereits ein ICE, der schon eine Stunde Verspätung hatte und ebenfalls in Richtung Hamburg fuhr. Ich grinste noch und bedauerte die Armen. Bereits da hätte ich wissen müssen, dass ich damit alle Göttinnen des Transports herausforderte.

Unser ICE kam dann auch schon mit 15 Minuten Verspätung an, kein Thema. Wir blieben aber trotzdem noch länger im Bahnhof stehen, weil irgendwas mit dem Triebkopf war. Mir egal, wir hatten Bücher und Getränke, saßen bequem in der 1. Klasse rum und mussten außer einer S-Bahn in Hannover keine Anschlusszüge erreichen. Eine gute halbe Stunde später als geplant starteten wir, und das einzige, was mich latent nervte, war das nicht funktionierende W-LAN. Ansonsten bekam ich mein bestelltes Baguette an den Platz, freute mich erneut und immer wieder über meine Noise-Cancelling-Kopfhörer, las die FAZ durch und guckte ab und zu im Internet nach, wie es Harry und Meghan so ging.

Den Ulysses hatte ich zwar dabei, war aber zu unkonzentriert, ihn zu lesen. Stattdessen ist bei mir gerade Hillbilly Elegy im Anschlag. Aber morgens entdeckte ich noch einen schönen Link zu einem anderen Menschen, der vor längerer Zeit mal Ulysses gelesen hatte, den empfehle ich euch mal weiter.

Dann waren wir in Göttingen.

Und da standen wir dann länger als geplant rum. Und noch länger, der Triebkopf, Sie wissen schon. Irgendwann hielt neben uns ein anderer ICE Richtung Hamburg, und über Lautsprecher wurden wir darauf hingewiesen, dass das Personal unseres Zuges nicht so sicher sei, wie lange das bei uns noch dauerte und dass wir umsteigen könnten, wenn wir wollten. Da in der 1. Klasse ja immer irgendwas frei ist und wir eh nur noch eine halbe Stunde Fahrt vor uns hatten, schnappten wir Koffer und Rucksäcke und wechselten Züge. Nach kurzer Zeit kamen dann alle, der Triebkopf war wohl doch matschiger als gedacht. Inzwischen hatten wir von München aus gesehen eine Stunde Verspätung, aber der ICE holte bis Hannover doch noch ein bisschen was rein und so kamen wir relativ entspannt an.

Den Abend verbrachten wir bei meiner Schwester und weiteren eingeladenen Verwandten, einer Gulaschkanone und Vanilleeis mit roter Grütze, wie sich das im Norden gehört. Und wie F. so schön sagte, wir haben es immerhin eine Stunde geschafft, nicht über Politik zu reden.

How to Survive Trump’s Presidency Without Losing Your Mind

In dieser Dankesrede versteckt sich eine schöne, aber trotzdem fürchterliche Parabel.

„Perhaps the most common refrain journalists hear from strangers is “I feel bad for you. I feel sad that following all this is your job.” The truth of the matter is that there is not enough hazard pay in the world. It’s hard not to want to shut it all off and just hope that some combination of Michael Avenatti, Bob Mueller, and the 2018 elections might restore normalcy. Normalcy would be nice, because weeks and months of being the head/desk emoji is hazardous to one’s mental health. Our brains, messed up from all that banging, still know something is amiss. It feels like the only way to exert any control at all over the insanity would be the capacity to turn it off.

And, of course, turning it off is exactly what a president who wants to kill the news is hoping for. Also, remember how reading and making the news are still all of our jobs?“

Tagebuch, Freitag, 18. Mai 2018 – Lesen und Schreiben

Vormittags ein Kundentelefonat gehabt, dann an mehreren Jobs gearbeitet.

Ein Geschenk für meinen Papa eingepackt, der heute Geburtstag hat.

Ein Leserinnengeschenk ausgelesen; das Büchlein hat genau für zwei Zugfahrten und ein halbes Stündchen auf der Couch gereicht und ich kann es sehr empfehlen. Ich zitiere nochmal die Rezension in der FAZ, denn sie bringt es auf den Punkt: „Terhoeven erzählt nicht zum wiederholten Male die Geschichte der Attentate und der entsprechenden staatlichen Reaktionen nach, sondern bietet eine systematische Einordnung von Vorgeschichte und Entwicklung der RAF.“ Und das alles sehr gut lesbar.

Has Wine Gone Bad?

Eine längere Abhandlung über natural wine und wie viel toller er ist als die olle Industrieplörre. So liest sich der Artikel jedenfalls über weite Strecken hinweg. Ich muss gestehen, ich habe noch keinen natural wine im Glas gehabt, bei dem ich nach diesem einen Glas dachte, ich hätte gerne noch ein zweites oder eine Kiste davon, ganz im Gegenteil. Vielleicht hatte ich bisher einfach Pech, aber ehe ich mich weiter durch literweise Pseudo-Cidre oder schwefeligen Apfelmost trinke, bleibe ich doch lieber beim total unbiologischen Massenwein. Der schmeckt mir nämlich schlicht besser.

Aber den Artikel fand ich trotzdem sehr lesenswert.

„The rise of natural wine has seen these unusual bottles become a staple at many of the world’s most acclaimed restaurants – Noma, Mugaritz in San Sebastian, Hibiscus in London – championed by sommeliers who believe that traditional wines have become too processed, and out of step with a food culture that prizes all things local. A recent study showed that 38% of wine lists in London now feature at least one organic, biodynamic or natural wine (the categories can overlap) – more than three times as many as in 2016. “Natural wines are in vogue,” reported the Times last year. “The weird and wonderful flavours will assault your senses with all sorts of wacky scents and quirky flavours.”

As natural wine has grown, it has made enemies. To its many detractors, it is a form of luddism, a sort of viticultural anti-vax movement that lauds the cidery, vinegary faults that science has spent the past century painstakingly eradicating. According to this view, natural wine is a cult intent on rolling back progress in favour of wine best suited to the tastes of Roman peasants. The Spectator has likened it to “flawed cider or rotten sherry” and the Observer to “an acrid, grim burst of acid that makes you want to cry”.“

(via Kaltmamsell)

Was schön war, Mittwoch/Donnerstag, 16./17. Mai 2018 – Eichhörnchenvorlesung und Kunstarchiv

Mittwoch ist Eichhörnchenvorlesungstag! So nenne ich bekanntlich die Vorlesung, die sich mit den Werkzeugen der modernen Malerei befasst. In der dieswöchigen Sitzung ging es um Farben, also nicht um ein Werkzeug, sondern um ein Material, aber auch hier lernte ich wieder tausend Kleinigkeiten, die mein Bild der Malerei um wichtige Bruchstücke ergänzten.

Wir begannen mit einer kleinen Einführung in die Geschichte der Farbherstellung, also wie aus Pigmenten und Bindemitteln die Farbe wird, die auf der Holztafel oder der Leinwand landet. Schon die Namen der alten Farben lassen erkennen, wie weit der Weg der Pigmente war, bis sie im zentralen Europa benutzt wurden. Das ist leider auch wieder so ein westlich-europäisches Denken – die Farben wurden natürlich auch in Asien und Afrika benutzt, wo diese Namen weitaus weniger Sinn ergaben. In Indigo steckt Indien (Bengalen) drin, und ich lernte die Indigo-Unruhen kennen, der mir bis dahin unbekannt war. Ultramarin („über das Meer“) wurde aus Lapizlazuli gewonnen, das hauptsächlich in Afghanistan abgebaut wurde (seitdem denke ich über die Farbe der afghanischen Burkas nach, bei denen ich mich schon länger gefragt habe: wieso sind die blau und nicht schwarz wie in arabischen Ländern die Frauengewänder?). Ich lernte, dass in der Renaissance die beauftragten Maler ihre Materialien genauso wie ihre Arbeitszeit abrechneten und dass Gold und Ultramarin extrem teuer waren, weswegen mit diesen Farbtönen nur die wichtigsten Bilddetails gemalt wurden (der Himmel als Goldgrund, das dunkelblaue Gewand der Maria). In Türkis steckt die Türkei, in Orange die exotische Frucht, in Indisch-Gelb … okay, das ist selbsterklärend. Was ich aber noch nicht wusste: Diese Farbe entstand aus dem Urin von Kühen, die mit Mangos gefüttert worden waren.

In diesem Zusammenhang lernte ich auch, dass Pigmente mit zu den ersten Dingen gehörten, die global gehandelt wurden. Einen wirtschaftlichen Buchtipp des Dozenten dazu lieh ich mir gleich aus. Und dazu noch ein Buch, das er empfahl, in dem es unter anderem um die schon angesprochenen Künstlerrechnungen geht und was sie uns über die Malerei der Renaissance verraten.

Wir kamen noch einmal auf den intellektuellen Kampf zwischen Linie und Farbe, disegno/colore, zu sprechen, der in der Renaissance begann, sich aber bis ins 19. Jahrhundert fortsetzte. Die beiden Spielarten der Malerei wurden gerne als männlich/weiblich positioniert, siehe das Bild von Il Guercino im Wikipedia-Link zu disegno. Das ging so weit, dass Charles Blanc in seinem Buch Grammaire des arts du dessin (1867) davon sprach, dass die Farbe nie die Macht über die Linie gewinnen dürfe, sonst würde sie die Malerei ruinieren so wie Eva die Welt ruiniert hätte. (Hier bitte das übliche Augenrollen meinerseits dazu denken.) Wir sahen auch wieder ein Bild von Gérôme, Der Farbenhändler (1890), in dem man, wenn man will, die Farbtöpfe mit den Pigmenten und den Stößel als weiblich/männlich interpretieren kann.

Wir sprachen dann über den Übergang von Tempera- zu Ölfarben, mit denen sich die Möglichkeiten der Darstellung deutlich veränderten. Weil Ölfarbe länger braucht, bis sie trocknet, kann man sie dementsprechend länger verarbeiten, verändern, mischen, während Tempera kaum noch nachträgliche Änderungen möglich macht. Vor allem für die Darstellung von menschlicher Haut und ihrer sinnlichen Qualitäten wurde Ölfarbe geschätzt, bis im 19. Jahrhundert der Historismus eine Zäsur schuf. Die Präraffaeliten in England sowie die Nazarener im deutschsprachigen Raum orientierten sich eher an alten Bildmotiven bzw. Malstil, während in Frankreich viele Künstler bewusst wieder zur Temperafarbe griffen, um der akademischen Ölmalerei etwas entgegenzusetzen.

Im 20. Jahrhundert bewarb Magna Paint ihre Acrylfarbe mit dem (sinngemäßgen) Slogan: „Die erste neue Farbe seit 500 Jahren.“ Ob das völlig stimmt, ließ der Dozent mal dahingestellt, aber: Die Acrylfarbe veränderte die Malerei erneut, ähnlich wie die industrielle Herstellung von Farben Ende des 19. Jahrhunderts den Welthandel mit Pigmenten veränderte bzw. zum Erliegen brachte. Anfang des 20. Jahrhunderts war übrigens das Deutsche Reich führend in der Herstellung; 90 Prozent aller Industriefarben stammten daher. Die zwei Weltkriege veränderten aber auch diese Industrie bzw. den Welthandel damit. (Ich wundere mich ja immer noch, was wir alles verkackt haben in unserer Geschichte. Es kommen immer wieder Details dazu, die ich noch nicht kannte.)

Zurück zur Acrylfarbe. Wir sahen unter anderem ein Bild von Thomas Hart Benton, dem Lehrer von Jackson Pollock, der mit der Moderne haderte. Sein Wandgemälde Instruments of Power from America Today (1930/31) besteht zum Teil aus Tempera, ein bewusst gewähltes Material. Pollock hingegen verwendete bewusst Acrylfarbe bzw. Autolack, der nicht nur andere Farbtöne aufwies, sondern sich auch anders auf seinem Malgrund verteilen ließ. Autolack kam im Eimer und musste nicht mehr auf Paletten angemischt werden; seine Drip Paintings wären mit althergebrachten Materialien gar nicht möglich gewesen. Er sagte 1951 in einem Interview: „Each age finds its own technique.“ Ich musste sofort an die Videokunst der 70er und 80er Jahre denken, die heute nicht mehr von anfälligen Bändern und Videorekordern abgespielt wird, sondern schon auf DVD existiert (noch). Oder die ersten Kunstwerke, die sich mit Computern und dem Internet auseinandersetzten und schon heute total veraltet aussehen, obwohl sie gerade mal 20 bis 30 Jahre alt sind. Gleichzeitig denke ich aber über die Renaissance der Malerei nach wie sie zum Beispiel Neo Rauch betreibt, der für meinen Geschmack immer barocker wird.

Gestern saß ich dann wieder im Kunstarchiv in Nürnberg und wühlte den Nachlass von Protzen ein zweites Mal durch. Seit dem ersten Durchgang hatte ich viel gelesen und mich weiter in dieser Zeit umgeschaut, aber vor allem hatte mein Kopf die Gelegenheit, alles sacken zu lassen. So sah ich gestern Dinge, die mir beim ersten Anschauen nicht aufgefallen waren. Zum Beispiel hatte ich seine vielen privaten Fotoalben nur flüchtig durchgeblättert, sah nun aber, dass viele Motive aus Urlauben oder von Wochenendausfahren sich in seinen Gemälden wiederfanden. Ich sah Ölbilder, die eindeutig auf die Grafikmappe von 1920 rekurrierten, ich konnte Namen und Daten besser einordnen, die mir jetzt in der Korrespondenz unterkamen (die leider nicht sehr reichhaltig vorhanden ist), und ich konnte generell sein Werkverzeichnis etwas aufmerksamer anschauen als beim ersten Mal, weil ich inzwischen ein bisschen besser weiß, wo ich hinmöchte.

Außerdem durfte ich gestern die 15 Kisten des noch unverzeichneten Nachlasses nummerieren und habe mir brav notiert, was ich in welcher Kiste oder Mappe finde; das wird mir bei den nächsten Durchgängen sehr helfen. Dass es noch weitere Durchgänge geben wird, ist klar, aber jetzt warte ich erstmal auf ein paar Antworten per Mail bzw. schreibe noch an weitere Menschen, Firmen und Institutionen, von denen ich mir Auskünfte erhoffe. Das wird! (Hoffe ich.)

Tagebuch, Dienstag, 15. Mai 2018 – Hilfestellung

Förderpreise 2018 der Landeshauptstadt München

Wir sprachen im letzten Podcast über die Ausstellung der Preisanwärter*innen. Gestern wurden die Gewinner verkündet. Ich freue mich sehr über die Auszeichnung im Bereich Schmuck für Annamaria Leiste, die mir persönlich in dieser Kategorie auch am besten gefallen hat. Auch die Siegerin im Bereich Fotografie, Mara Pollak, war eine meiner Favoritinnen; hier der Link zum ausgestellten Projekt „Zurückgebaut“, das ich sehr mochte und Florian eher doof fand. Einen Instagram-Stream hat die gute Frau auch, sehr schön, gleich mal folgen.

Beim Design von Christian Zanzotti waren wir uns halbwegs einig: die Whiskyflasche ist furchtbar, das Motorrad aber schon sehr geil. Auch die Arbeiten der Architektin Sofia Dona (Winterschlaf bzw. Herbarium) gefielen uns allen. Bei Philipp Gufflers Arbeit waren wir uns nicht einig, und das Werk von Babylonia Constantinides habe ich peinlicherweise übersehen, obwohl ich es aus dem Nebenraum schon gehört habe. Ich mochte ihre Installation Radiation Room bei Neue Favoriten III im Lenbachhaus allerdings sehr gern.

Tom Wolfe, Author of ‘The Right Stuff’ and ‘Bonfire of the Vanities,’ Dies

Den Mann habe ich größtenteils sehr gerne gelesen, Bonfire mehrmals. Charlotte Simmons fand ich allerdings sehr grützig. Die NYT versammelt noch mal ihre Rezensionen.

„Once asked to describe his get-up, Mr. Wolfe replied brightly, “Neo-pretentious.”

It was a typically wry response from a writer who found delight in lacerating the pretentiousness of others. He had a pitiless eye and a penchant for spotting trends and then giving them names, some of which — like “Radical Chic” and “the Me Decade” — became American idioms.

His talent as a writer and caricaturist was evident from the start in his verbal pyrotechnics and perfect mimicry of speech patterns, his meticulous reporting, and his creative use of pop language and explosive punctuation.

“As a titlist of flamboyance he is without peer in the Western world,” Joseph Epstein wrote in the The New Republic. “His prose style is normally shotgun baroque, sometimes edging over into machine-gun rococo, as in his article on Las Vegas which begins by repeating the word ‘hernia’ 57 times.”“

Ansonsten war gestern ein Tag, an dem ich nur Hilfestellung leisten konnte. Ein mir nahestehender Mensch kämpft gerade mit alten Dämonen, und ich konnte immerhin da sein. Ich hoffe, es hat gut getan.

Tagebuch, Montag, 14. Mai 2018 – Dinge geregelt kriegen

TOP 1: zum Prüfungsamt radeln und endlich mein Masterzeugnis im Original vorlegen. Für meine Immatrikulation als Doktorandin reichte das vorläufige Zeugnis und ich musste versprechen, das Original nochmal vorzulegen, sobald es mir ausgehändigt wurde. Das habe ich natürlich total vergessen (ich war ja immatrikuliert, nach mir die Sintflut), bis letzte Woche eine freundliche Mail kam, die mich darauf hinwies, dass ich dem Amt noch was schuldig wäre (es muss was Lebendiges in den Deich). Also hingeradelt, ohne Wartezeit eingetreten, Original vorgelegt, drei mitgebrachte Kopien abgestempelt bekommen, alles da. Neben der Prüfungsamtsdame saß übrigens eine Auszubildende (?), der erklärt wurde, was hier gerade passiert. Jetzt weiß ich, dass es anscheinend Leute gibt, die per Farbkopierer Masterzeugnisse fälschen. Ich gucke ja lieber Serien, aber das klingt auch wie ein interessanter Zeitvertreib.

TOP 2: dem Lieblingshörsaal Hallo sagen. Wenn ich im Hauptgebäude in der Nähe bin, gucke ich da immer sehnsuchtsvoll rein. Ich vermisse dich, klimatisierte und optimal verdunkelbare Holzkiste mit guter Akustik und bequemen Sitzen! Team B 201 forever! Let’s get tattoos together!

TOP 3: zur Stabi radeln und ein Buch abgeben. Eigentlich kein Ding, aber wenn vor einem in der Schlange ein Mädel mit zwei Büchertaschen steht, dauert es eben doch ein bisschen. Vor allem, wenn die Hälfte der Bücher auf die Karte ihrer Schwester ausgeliehen war und sie ein paar davon jetzt auf ihre eigene und überhaupt. Ging aber alles, ich gab mein lausiges Einzelbuch ab und radelte wieder nach Hause.

TOP 4: Wäsche waschen, Teil 2. Meine Samstagswäsche war trocken, nun kam das ganze Bettzeug dran.

TOP 5: Erdbeeren mit Vanillejogurt essen. Bester Tagesordnungspunkt ever!

TOP 6: Masterchef Australia gucken. Zweitbester Tagesordnungspunkt ever! Und dank der Zeitverschiebung nach Australien schon ab ungefähr 14 Uhr in diesem Interweb möglich!

TOP 7: Mails schreiben.

– an die Unibibliothek Münster, die die gleiche Grafikmappe von Protzen im Bestand hat, die ich mir Freitag im ZI angeschaut hatte. Bei uns fehlt allerdings ein nummeriertes Blatt – nach der 2 kommt die 4 –, aber die Gesamtzahl von 20 Blättern ist korrekt, denn nach der 20 kommt noch eine unnummerierte Seite. Da es diese Mappe anscheinend nur in diesen zwei Bibliotheken gibt und die Uni Münster das Ding als RaRa-Bestand nicht als Fernleihe rausrückt, fragte ich per Mail nach, ob ihre Mappe genauso aufgebaut ist wie unsere und wenn nicht, ob ich Blatt 3 bitte als Digitalisat oder Kopie kriegen könnte. Die Bibliothek antwortete nur kurze Zeit später, dass sie die Mail an die Abteilung Historische Bestände weitergeleitet habe, und von dort meldete sich ebenfalls nur kurze Zeit später jemand, der mir sagte, dass die dortige Mappe ein Blatt 3 habe. Da Protzen aber erst 1956 verstorben und sein Werk damit noch nicht gemeinfrei ist, darf das Digitalisat nicht ins Netz gestellt werden, sondern ich muss gegen eine kleine Gebühr einen Scan bestellen, den ich dann per Mail kriege. Hin- und hergerissen gewesen zwischen Freude über die schnelle Erledigung und die tollen Möglichkeiten der Digitalisierung und Ärger über das beknackte Urheberrecht und seine bescheuerten 70 Jahre Schutzfrist.

– an das Kunstarchiv Nürnberg, wo ich Donnerstag wieder sitzen und im Nachlass von Herrn Protzen rumwühlen werde. Dafür müsste mir der Nachlass aber ausgehoben werden und darum bat ich in der Mail.

– an das Lenbachhaus, in dessen nicht-öffentlicher Bibliothek sich anscheinend das letzte Exemplar eines Katalogs zu einer Ausstellung von Protzen und seiner Frau Henny Protzen-Kundmüller von 1976 befindet. Der Nachlass der beiden, den ich gerade in Nürnberg bearbeite, wurde von Protzen-Kundmüller sowohl dem Lenbachhaus als auch der Bayerischen Staatsgemäldesammlung überlassen mit der Auflage, eine Gedächtnisausstellung auszurichten. Die haben beide nicht mehr miterlebt – Protzen starb 1956, Protzen-Kundmüller 1967 – und sie war vermutlich nicht exorbitant groß, denn der Katalog umfasst gerade 16 Seiten. Aber auch die will ich natürlich sehen. Und ich hoffe insgeheim, dass vielleicht doch ein paar Unterlagen noch im Lenbachhaus oder bei der Staatsgemäldesammlung rumliegen, die ich in Nürnberg schmerzlich vermisse.

– nochmal an das Lenbachhaus, aber an eine andere Ansprechpartnerin. Dieses Mal geht es mir um die Bestände von Protzen im Haus, von denen ich gerne eine Liste hätte. Ein Anfang war natürlich die Datenbank Gemälde in Museen – Deutschland, Österreich, Schweiz Online, bei der ich generell nachschauen kann, welches Bild sich wo befindet, aber die einzelnen Häuser verzeichnen gerne noch für mich relevante Infos wie Zugangsdatum, Ankaufspreis oder ähnliches.

– nochmal die gleiche Mail, aber dieses Mal an die Pinakotheken, die über 100 Bilder von Protzen im Depot haben. Und eins in der Ausstellung. (Theoretisch. Ich weiß gerade selbst nicht, ob es derzeit im Saal 13 hängt oder für die Klee-Ausstellung weichen musste. Oh, die könnte ich mir auch allmählich mal anschauen. TOP für heute!) Die Liste hätte ich gerne, weil mir die Online-Sammlung, so praktisch sie für den ersten Eindruck ist, nicht weiterhilft wegen der bereits bemängelten Bildrechte. Ich brauche Abbildungen!

– ans Bundesarchiv in Berlin, um die Unterlagen der Reichskammer der bildenden Künste einzusehen und zu überprüfen, ob Protzen wirklich kein Mitglied der NSDAP war, wie er es im Spruchkammerbogen angegeben hatte, der netterweise im Nachlass liegt. Ich frage nicht nach, warum er da liegt und nicht in einem Archiv, sondern freue mich über einen Weg weniger.

(Ach, wo ich gerade nach „Spruchkammerbogen“ gegoogelt habe, weil ich mir plötzlich bei der Bezeichnung unsicher war: hier ist der Bogen von Oskar Schindler aus Regensburg.)

TOP 8: Zeitung lesen, Ulysses lesen.

TOP 9: Käsebrot, Gin Tonic.

TOP 10: den Abend mit F. verbringen. Gemeinsam einschlafen.

Alles abgearbeitet!

Was schön war, Sonntag, 13. Mai 2018 – Schlafen

Einen 50-minütigen Film über James Joyce geguckt (danke an @komplizin für den Hinweis). Weiter Ulysses gelesen.

Aber ansonsten:

Tagebuch, Samstag, 12. Mai 2018 – Ürovisiong

Ausgeschlafen, einkaufen gegangen, Leergut weggebracht, Wohnung zu gefühlt 70 Prozent geputzt, den Rest ignoriert (für sowas wird man erwachsen), Betten bezogen, Wäsche gewaschen. Den Newsletter der New York Times abonniert (nur für Abonnent*innen), der mir helfen soll, die Küche vernünftig zu organisieren. Kann ich eigentlich auch alleine, aber ich mag das Konzept Newsletter inzwischen recht gerne.

Mal wieder Cold Brew genossen, seit letztem Jahr mein Lieblingsgetränk im Sommer. Ich nutze dazu immer noch diese Flasche, die ich gerne weiterempfehle: gut zu reinigen, passt in die Kühlschranktür und man erspart sich das Umfüllen, wenn der Brew durchgezogen ist. Bisher habe ich, shame on me, bereits gemahlenen Kaffee dafür benutzt, aber seit einiger Zeit achte ich ja brav darauf, was mir so in die Kaffeetasse kommt. Daher habe ich meinen Vorrat an herrlichen Kaffeebohnen durchwühlt und trinke gerade diesen Kaffee von Kolla Kaffee in Rosenheim. Damit habe ich zum ersten Mal geschmeckt, dass Kaffee eine Frucht ist. Ich schmeckte kein anderes Obst heraus oder Nüsse oder Schokolade, sondern anscheinend das Kaffeearoma. Ich würde vielleicht ein winziges bisschen auf Birne gehen, aber das kann Einbildung sein. Der Cold Brew war keine Spur säuerlich, sondern frisch und fruchtig, aber eben keine Frucht, die ich kannte. Da ersparte ich mir sogar den kleinen Schwups Milch, den ich sonst gerne in die Cold Brew kippe.

Ich trinke schwarzen, kalten Kaffee. Das hätte mir mal jemand vor ein paar Jahren prophezeien sollen.

Nachmittags natürlich den letzten Bundesliga-Spieltag in der Konferenz verfolgt. Das Augsburg-Spiel war egal, auch wenn ich ehrlich gesagt auf eine Freiburger Niederlage oder wenigstens ein Unentschieden gehofft hatte, weil ich dem Laden das 3:3 im Hinspiel immer noch übelnehme. Hat nicht funktioniert, aber war wie gesagt egal. Der Verein beendet die Saison auf dem 12. Platz, was weder Fisch noch Fleisch ist, aber eben auch nicht die Abstiegsecke, in die der FCA vor Saisonbeginn von so ziemlich allen reingeschrieben wurde. Genau wie Hannover, die hinter dem FCA auf Rang 13 ins Ziel gekommen sind.

Die ganze Saison fluchte ich wie immer über Hamburg und nölte, dass sie doch bitte endlich absteigen sollten, aber je näher das Szenario rückte, desto wimmeriger wurde ich dann doch. Der Schlussspurt im Daumendrücken war vergebens: Der letzte Verein, der seit Gründung der Bundesliga im Oberhaus dabei ist, ist seit gestern nicht mehr dort.

Keine vernünftige Tageszeitung und jetzt auch keinen Erstligaverein mehr – rechtzeitig aus der Stadt weggezogen, würde ich sagen.

(Too soon?)

Abends den Grand Prix geguckt, wie er bei mir immer noch heißt und mich sinnloserweise über die gute Platzierung des deutschen Beitrags gefreut, der mir aber dann doch eher egal war. Noch egaler war mir allerdings der Siegertitel, den ich eigentlich toll finden müsste: eine nicht-normschöne Frau singt über die #metoo-Sache, aber mir ging das Lied total auf den Zeiger.

Was aber schön war: Twitter war mal wieder Twitter, wie ich es mag: eine launige Eckkneipe, in der nicht über Politik geredet wird, sondern wo alle Drinks mit Schirmchen haben und zu schlechter Musik mitgrölen.

Einen Kakao zur guten Nacht. Auch dafür wird man erwachsen.

Was schön war, Freitag, 11. Mai 2018 – ZI und gutes Essen

Morgens mit der U-Bahn in Richtung ZI gefahren, weil ich danach noch ein Paket abholen musste, von dem ich ahnte, dass es nicht auf meinen Gepäcktrager passen und ich es daher lieber zu Fuß transportieren würde.

Über den Königsplatz gegangen.

Das ZI liegt quasi rechts vom NS-Dokumentationszentrum im oberen Bild.

Konzentriert ein paar Stündchen an der Diss gearbeitet. Ich hatte mir eine Grafikmappe von Protzen aus dem Magazin bestellt, die aus 20 Blättern besteht und von 1920 stammt, also ganz vom Anfang seiner künstlerischen Entwicklung (er begann sein Studium 1919 in München, war aber bereits ausgebildeter Grafiker). In den Grafiken setzt er sich mit seiner eigenen Internierung auf Korsika auseinander; er lebte zu Beginn des Ersten Weltkriegs in Paris und wurde als feindlicher Deutscher auf der Insel festgesetzt. Die Bilder haben mich insofern überrascht, als dass sie völlig im Stil des Futurismus gestaltet waren, ich musste sofort an Boccioni denken. Mir sind noch keine bildlichen Auseinandersetzungen mit dem Weltkrieg in diesem Stil bekannt (der ja Krieg super fand, jedenfalls bis es zum Krieg kam), aber das liegt an mir, weil mir der Futurismus auf den Zeiger geht und ich mich nur im Vorübergehen bei meiner Arbeit zu Archipenkos Schreitender Frau (1912) mal mit ihm beschäftigt habe. Weltkriegsdarstellungen verbinde ich im Kopf immer sofort mit dem Expressionismus oder der Neuen Sachlichkeit, daher waren das gestern zwei spannende Stunden für mich, die ich mit Bildbeschreibungen verbracht habe.

Danach erledigte ich Fleißarbeit. In Protzens Nachlass befinden sich bergeweise Kataloge von Ausstellungen, an denen er teilgenommen hatte. Gestern griff ich im ZI zum unerlässlichen Nachschlagewerk zu diesem Thema, nämlich Ausstellungen von deutscher Gegenwartskunst in der NS-Zeit, für die Martin Papenbrock und Gabriele Saure die Mitteilungsblätter der Reichskammer der bildenden Künste ausgewertet und ein schnell durchsuchbares Kompendium gestaltet haben, in dem man nach Künstler*innennamen, aber auch nach Ort nach Ausstellungen suchen kann. Aufgeführt sind die jeweiligen Namen der Ausstellung, wann sie wo stattfanden, wieviele Exponate gezeigt wurden und wie der Katalog aussah (Seitenanzahl, Abbildungen, im besten Fall auch, wo der Katalog noch zu finden ist – meistens bei uns im ZI, yay). Ich hatte im Nürnberger Kunstarchiv, wo Protzens Nachlass liegt, bereits eine Liste begonnen mit allen Ausstellungen, die ich dort zu ihm finden konnte, inklusive Anmerkungen, ob Bilder von ihm im Katalog abgebildet waren, die ich noch mit seinem selbst angelegten Verzeichnis seiner Ölgemälde vergleichen will. Gestern ergänzte ich diese Liste, denn einige Ausstellungen fehlten – von denen hat er sich vielleicht keinen Katalog aufgehoben oder ihn bewusst nicht in den Nachlass überführt.

Was mir blöderweise auch auffiel: Das Buch listet nur Städte auf, die heute noch zu Deutschland gehören. Ich wusste aus dem Nachlass von Ausstellungen wie „Süddeutsche Maler sehen das Ordensland“ (Danzig 1942), wo Protzen laut annotiertem Katalog 16 Bilder ausstellte und sie teilweise zu Preisen von bis zu 7000 RM verkaufte. Zur Erinnerung: Ein Facharbeiter verdiente zu dieser Zeit ungefähr 2400 RM im Jahr. 7000 ist schon eine anständige Hausnummer. Diese Ausstellung fand ich nicht bei Papenbrock/Saure, genauso wenig wie „Deutsche Künstler und die SS“ (Breslau 1944) oder „Deutsche Künstler sehen das Generalgouvernement“ (Krakau 1943), die Protzen sogar in seinem Spruchkammerbogen angab – im Sinne von „wurde vom Reich bezahlt, musste ich quasi machen, obwohl ich selbstverständlich strammer Antifaschist war“ (ich paraphrasiere hier gerade wild, ich hoffe, das ist klar).

Zur ergänzenden Fleißarbeit nahm ich mir auch die üblichen Nachschlagewerke noch einmal vor, in denen gerne Literatur auftaucht, die mir unsere Suchmaschine nicht ausspuckt. So war es auch dieses Mal, sowohl bei Ludwig als auch bei Vollmer fand ich noch Stellen, an denen ich rumwühlen kann. Außerdem vervollständigte ich meine Liste zu Protzens Ausstellungstätigkeit im Glaspalast.

Mit wieder fünfhundert neuen Geistesblitzen und Baustellen im Kopf beendete ich meine Arbeit, holte mein Paket ab, verspeiste Jogurt mit Obst und wartete darauf, dass es Abend würde, damit ich mit F. essen gehen konnte.

Wir entschieden uns wie schon oft für den Georgenhof und ich aß erstmals Kartoffelbaumkuchen, der mir etwas zu kuchig und zu wenig kartoffelig war. Aber der Teller war ausnehmend hübsch und der Rest darauf auch genau nach meinem Geschmack.