Was schön war, Sonntag, 28. Mai 2017 – Ruhetag

Den ganzen Tag bei runtergelassenen Rolläden auf der Couch verbracht, Sonntagszeitung gelesen, ab und zu was Kleines gekocht, ein, zwei Serienfolgen geguckt, Nach Schwimmkursen (Kraulen) für Erwachsene gegoogelt, Zugverbindungen nach Karlsruhe gegoogelt, die Arbeit nicht angefasst.

Me and my penis: 100 men reveal all

100 Geschichten über Männlichkeit. Und Penisbilder halt.

„What surprised [the author of the book] most? “A lot more men feel a sense of shame or anxiety about their size, or an aspect of their performance, than I would have thought. What really moved me is how much that shame and inadequacy had bled into different parts of their life.” She says many were teased as children about their penis and never recovered from it.

Not all felt inadequate, of course: she talks about how much she loved the man who compared his penis to a badly behaved uncle at a wedding, and the man who described his “as a barometer of my health” and wants “to put sex back on its pedestal”.

Dodsworth was amazed by how many found themselves talking about their fathers, in particular absent fathers, bad fathers, aggressive fathers. Often, their father’s penis was the first they had seen when they were young, and they found it intimidating.“

Die Fans haben nicht Helene Fischer ausgepfiffen, …

Die Eventisierung von Fußball nervt. In der Halbzeitpause will ich persönlich keine Show haben, sondern in Ruhe aufs Klo, was zu trinken holen oder auch einfach nur mal 15 Minuten ins Leere gucken. Eine Pause darf gerne eine Pause bleiben.

„Wer über Jahre ins Stadion geht, der bemerkt, wie der Fußball sich von Sport immer mehr zur Show wandelt. Es gibt Eröffnungsfeiern mit Djs, die Stimmung erzeugen sollen, aber oft in großer Peinlichkeit enden, die Ecken werden bei kleineren Vereinen vom lokalen Autohaus und bei größeren von DAX-Konzernen präsentiert, die Anstoßzeiten des Bundesliga-Spieltags werden immer mehr zerschossen (nächste Saison wird erstmals auch am Montag gespielt, was es für berufstätige Menschen immer schwerer macht, in ein Stadion zu gehen) und am Ende der Modernen-Fußball-Skala sagt der Adidas-Chef Kasper Rorstedt, er könne sich vorstellen, dass das Pokalfinale auch mal in Shanghai stattfindet. Wegen des asiatischen Marktes und man schließlich wachsen müsse. Kasper Rorstedt kann man nicht auspfeifen, Helene Fischer schon.“

Was schön war, Samstag, 27. Mai 2017 – Sutsche

Morgens wieder gegangen bzw. ein Drittel der Strecke in Etappen gelaufen. Der Friedhof, auf dem ich rumschleiche, hat vier Eingänge; einer davon führt auf eine etwas größere Straße und liegt gegenüber einer weiteren, die gerade auf ihn zuläuft. Dass der Eingang baulich deutlich anders ist als die anderen drei, ist mir erst gestern aufgefallen, denn durch die auf ihn zulaufende Straße wehte ein Wind, der mich auch immer erwischte, als ich am Eingang vorbeiging. Das war ähnlich schön wie im Hochsommer mit dem Rad an den Springbrunnen der LMU entlangzufahren – die kühlen einen auch immer für eine Millisekunde runter.

Laufend von einer Walkerin überholt worden. Ich bin anscheinend wirklich sehr langsam. Scheißegal. Ich laufe. Dabei muss ich immer an einen Satz aus der Reha denken, den meine damalige, stets gut gelaunte und positiv unterstützende Physiotherapeutin mal sagte: „Laufen ist eigentlich kontrolliertes Vorwärtsfallen.“ Ich neige dazu, mich zu weit nach hinten zu lehnen, wenn ich gehe oder stehe, weil mein rechter Ballen noch was kann, während meine rechten Zehen nur noch Deko sind; daher fühle ich mich auf dem hinteren Fußteil sicherer als auf dem vorderen. Beim Laufen habe ich mir angewöhnt, so zu tun, als würde ich mit dem Brustkorb ein Startband durchlaufen wollen, das heißt, ich lehne mich bewusst nach vorne. Alleine das macht das Laufen schon einfacher, und ich bin im Nachhinein nochmal dankbar für meine Therapie.

Nebenbei: Wie fantastisch das körpereigene Gleichgewichtssystem funktioniert, weiß man auch erst zu schätzen, wenn Einzelteile plötzlich haken.

Nachmittags exzessive Zeitungslektüre. Einen interessanten Buchtipp von Herrn Bahners bekommen; die dazugehörige Veranstaltung in meiner Nähe ist leider schon ausgebucht.

Abends dann wieder am Schreibtisch, wo ich mich unter anderem über eine Formulierung freute.

Das wissenschaftliche Schreiben ermöglicht es einem, recht übergangslos von einem Punkt zum nächsten zu kommen, daher auch die praktischen Unterteilungen in 1.2.1, 1.2.2 etc. Trotzdem versuche ich, wenn es möglich ist, einen Übergang zu schaffen, damit sich meine Arbeit eher wie ein langer Fließtext liest. Gestern konnte ich die Themen „Werke, in denen Kiefer Bilder von sich selbst nutzt“ mit „Werke, in denen Kiefer sich anderweitig mit der NS-Zeit auseinandersetzt“ schön verbinden, was zwar vermutlich nur mir auffällt, aber das war ein guter Moment beim Schreiben.

Was schön war, Freitag, 26. Mai 2017 – Lernen

Den Vormittag vertrieb ich mir mit Lesen, allerdings nichts für die Uni; mein Kopf war unwillig. Es war immerhin nichts ganz Fachfremdes, denn ich las weiterhin mit großem Genuss The Vanishing Man: In Pursuit of Velazquez von Laura Cumming. Cumming erzählt die Geschichte eines Gemäldes von Velázquez, genauer gesagt, spürt sie einem englischen Buchhändler im 19. Jahrhundert hinterher, der als einer der ersten (nach dem Maler selbst) erkannte, dass der angebliche Van Dyck auf einer Auktion eben keiner ist. Das Buch erzählt fast nebenbei vom Prado, dem spanischen Hof, der Wandlung vom Palast zum Museum, wie Kunstgeschichte in den vergangenen Jahrhunderten praktiziert wurde (wenn überhaupt – wir sind eine recht junge Disziplin), welche Wege Gemälde damals von Spanien nach England nahmen, wo sie ausgestellt waren (gerne in Herrenhäusern) und wo man sie als Publikum trotzdem sehen konnte. Ich lernte auch den Namen einer der ersten weiblichen Kunsthistorikerinnen Englands – Anna Brownell Jameson –, über die anscheinend, laut unserer Suchmaschine, seit 1983 nichts Namhaftes mehr veröffentlicht wurde. Kommt auf die Liste mit Dissthemen. Man weiß ja nie. Wer waren denn eigentlich die ersten deutschen Kunsthistorikerinnen? Keine Ahnung.

Nachmittags zwang ich mich dann aber wirklich an den Schreibtisch und watete durch Sekundärliteratur, puschelte an der Einleitung rum, schloss den ersten Teil von Kiefer ab (Thema Faszination des Faschismus und Verdrängung) und … hatte keine Lust auf den zweiten (die individuelle deutsche Schuld). Aber immerhin: Die angedachte Gliederung trägt, ich bin schon bei der Hälfte der Zeichenzahl, und alles liest sich gut. Bis zum ersten bis fünfzehnten Korrekturgang natürlich, wenn sich’s noch besser lesen wird.

Abends unfassbaren Burgerschmacht, aber keine Lust gehabt, die anderthalb Kilometer zurückzulegen, die mich von meinen Lieblingsburgern – und Lieblingspommes OMG – trennen. Auch keine Lust auf Foodora oder ähnliche Kuriere gehabt. Also in die Küche gegangen und Pasta mit irgendwas gezaubert, was ziemlich großartig war. (Spinat, Bacon, Schalotte, Pinienkerne.)

Apropos Pommes: Wenn irgendjemand einen Tipp für mich hat, wie ich diese wunderbaren belgischen Pommes hinkriege – eher dicker, außen knusprig, innen weich –, ohne dass ich 40 Minuten lang mit einem Thermometer über siedendem Öl hängen muss, gerne her damit. Ich habe zuhause noch nie richtig gute Pommes fabrizieren können und bin für jeden Hinweis dankbar. Pommes sind mein Endgegner. Und fisselige Patisserie, aber dafür hab ich keinen rechten Ehrgeiz.

Was schön war, Donnerstag, 25. Mai 2017 – Feiertag

Ewig ausgeschlafen. Ich hatte Mittwoch einen ausgezeichneten Tag im ZI und darob gute Laune, dann kam eine Mail, die mir diese Laune sofort vertrieb, dann ein Anruf, der meine Laune wieder besser machte, und dann verkosteten F. und ich einen hannöverschen Gin, den ich ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, mit vier verschiedenen Tonics. Goldberg wins again, aber das gibt’s bei uns um die Ecke nur in so ollen 0,2-Fläschchen, damit kann man ja nicht arbeiten. Wir bleiben daher beim Thomas Henry, den wir in 0,7 nach Hause schleppen können. Den Gin müsst ihr übrigens trotz cleverem Namen und schöner Flasche nicht kaufen. Mpf.

Dann wie gesagt, ewig geschlafen. Im Nachhinein glaube ich, dass diese Mail mal wieder einen Haken an etwas gemacht hat, was noch im Hinterkopf war, und da sind anscheinend trotz Enttäuschung so viele Steine von den Schultern gepurzelt, dass ich danach ewig schlafen musste.

Den gestrigen Nachmittag mit Buch und Gebäck auf der Couch anstatt am Schreibtisch verbracht, abends spontan bei netten Menschen viel Rotwein mit viel Käse genossen. „Wir haben eigentlich gar nichts zum Essen da.“ Und vier Stunden später saßen wir immer noch rum und knabberten.

Gemeinsam eingeschlafen.

Ein unsterbliches Dankeschön …

… an Sandra, die mich mit Rebecca Skloots The Immortal Life of Henrietta Lacks überrascht hat. Über das Buch bin ich durch einen Artikel in der NYT aufmerksam geworden, der über die TV-Verfilmung berichtete; den Artikel las ich gar nicht erst, sondern klickte nach einem Absatz stattdessen auf die Buchrezension:

„The woman who provides this book its title, Henrietta Lacks, was a poor and largely illiterate Virginia tobacco farmer, the great-great-granddaughter of slaves. Born in 1920, she died from an aggressive cervical cancer at 31, leaving behind five children. […]

To scientists, however, Henrietta Lacks almost immediately became known simply as HeLa (pronounced hee-lah), from the first two letters of her first and last names. Cells from Mrs. Lacks’s cancerous cervix, taken without her knowledge, were the first to grow in culture, becoming “immortal” and changing the face of modern medicine. […]

Bought and sold and shipped around the world for decades, HeLa cells are famous to science students everywhere. But little has been known, until now, about the unwitting donor of these cells. Mrs. Lacks’s own family did not know that her cells had become famous (and that people had grown wealthy from marketing them) until more than two decades after her death, after scientists had begun to take blood from her surviving family members, without their informed consent, in order to better study HeLa.“

Das klang nach einem Buch, das ich dringend lesen wollen würde. Vielen Dank für das Geschenk und die Widmung, ich habe mich sehr gefreut.

Was schön war, Dienstag, 23. Mai 2017 – Duh

Pünktlich um 9 saß ich im ZI, denn diese Woche ist Himmelfahrt, wo mein geliebtes zweites Zuhause fieserweise geschlossen ist, weswegen ich von Montag bis Mittwoch durcharbeiten wollte. Dann lasse ich die Arbeit Donnerstag in Ruhe, wobei mein Kopf ja eh weiterdenkt, und mache Freitag noch einen entspannten Ausklang.

Ich hatte gehofft, den Kiefer-Teil in dieser Woche wenigstens bis zum First Draft zu prügeln, aber ich weiß noch nicht, ob ich das schaffe. Gestern verbrachte ich nämlich vier Stunden mit … ja, mit was eigentlich? Eins der ersten Werke, die ich von Kiefer beschreibe, ist die Fotostrecke Besetzungen, die er schon 1969 als studentische Abschlussarbeit erstellt hatte, die aber erst 1975 veröffentlicht wurde, in einem Magazin namens Interfunktionen, das danach den Betrieb einstellen musste, weil alle Anzeigen zurückgezogen wurden und alle Künstler*innen, die für die Gestaltung zugesagt hatten, auch nicht mehr wollten. In Besetzungen inszeniert sich Kiefer, indem er sich in der Schweiz, in Italien und in Frankreich teilweise vor schicken Bauwerken wie dem Kolosseum, teilweise irgendwo am Vesuv fotografieren lässt, manchmal in einer Armeehose, machmal im Anzug. Das einzig wirklich Aufregende ist, dass er auf jedem Bild den Hitlergruß zeigt. Das kam 1975 nicht wirklich gut an, und damit endete die Geschichte von Interfunktionen. Marcel Broodthaers zog seine Beteiligung am Magazin mit der Frage zurück: „Who’s this fascist who thinks he’s an antifascist?“ [1]

Die Fotos, die in Besetzungen verwendet werden, nutze Kiefer 1969 noch drei weitere Male und zwar in Büchern: Heroische Sinnbilder I und II sowie Für Jean Genet (manchmal auch nur Für Genet genannt, ich habe den richtigen Werktitel noch nicht rausgefunden. Irgendwann werde ich würfeln). Über die Sinnbilder und Besetzungen gibt es ein sehr ausführliches Essay bei der Tate (mit Bildern), das mir durchaus noch was Neues erzählen konnte.

Aber auch dort fand ich nicht die kompletten 18 Bilder, aus denen Besetzungen besteht, und die hätte ich gerne mal gesehen. Ich wühlte in diversen Ausstellungskatalogen, die sich mit Kiefers Büchern befassten, aber auch die boten nur Auszüge. Ich las mich durch mehrere Bücher über Künstlerbücher, googelte, suchte, blätterte. Und nach vier Stunden, in denen ich ungefähr drei Sätze geschrieben hatte, fiel es dem kleinen, doofen Zehntsemester ein: Du sitzt hier an der Quelle, du dumme Nuss. Das ZI hat alles, ALLES. Die hauseigene Suchmaschine angeworfen, und natürlich ist die betreffende Ausgabe der Interfunktionen da. Nur als Rara-Bestand, aber das kann man ja bestellen. Ich füllte einen Bestellschein aus – und gleich noch einen für eine Ausgabe von 1943 von Die Kunst im Deutschen Reich, denn aus dem Heft bediente sich Kiefer in Sinnbilder auch noch, und freue mich nun auf heute, wo ich mal wieder in altem Zeug blättern werde.

Dann schrieb ich meine Interpretation der Werke auf, ohne sie in aller Ausführlichkeit gesehen zu haben, plötzlich war die Arbeit 10.000 Zeichen länger und ich verhungerte. Die Arbeit wie immer auf den USB-Stick gezogen, Feierabend, nach Hause geradelt, auf dem Weg die FAZ gekauft, weil ich gestern irrtümlicherweise die Rundschau im Briefkasten hatte, aber ich wollte die FAZ haben, weil ich eine Rezension zum neuen Münchner Tannhäuser erwartete. Die war auch da: „übersubventionierter Münchner Murks.“ Jetzt bin ich doch froh, keine 143 Euro für die Karte ausgegeben zu haben, gucke mir aber natürlich trotzdem den Gratis-Livestream am 9. Juli an. Alleine, um mich über den Man Bun von Klaus Florian Vogt zu amüsieren. (Trailer unterm Livestream-Link.)

Ach komm, Bonus-Pilgerchor.

[1] Mehring, Christine: „Continental Schrift. The Story of Interfunktionen“, in: Artforum 5 (2004), S. 178–183, hier S. 179.

< quote >

In der FAZ gibt es gerade eine Serie zur Weimarer Republik; Teil 1 und 2 sind schon online, gestern gab’s den dritten (Edit 28.5., ist jetzt auch online), aus dem ich zwei schöne Absätze zitieren möchte. Der erste bestätigte mir, was ich mir gerade für die Masterarbeit zum Thema Vergangenheitsbewältigung angelesen habe (den Begriff gibt es übrigens seit ungefähr Anfang der 1960er Jahre). Den zweiten fand ich schlicht sehr erhellend.

„Will man die Weimarer Republik gerecht beurteilen, ist ein Blick über die Grenzen hilfreich. Und dieser Blick ist ernüchternd: Kaum eine der nach dem Ersten Weltkrieg neugegründeten Demokratien überlebte die europäische Krise des Parlamentarismus, in fast allen ergriffen schon seit den 1920er Jahren autoritäre, faschistische oder Militärdiktaturen die Macht. Auch jetzt ist wieder ein europäischer Vergleich angebracht: Heute zählt die Bundesrepublik weltweit zu den stabilsten Demokratien, in kaum einem Staat sind nationalistische Populisten vergleichbar schwach, noch nie sind sie bisher in den Bundestag gekommen. Die Bundesrepublik zählt zu den wenigen Staaten, in denen die derzeitige Renationalisierung beziehungsweise ein auflebender Nationalismus keine Breitenwirkung erlangt hat, was nicht zuletzt auf den antitotalitären Grundkonsens in der Bundesrepublik und ihre nachhaltige Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur zurückzuführen ist.

Wie wesentlich es ist, die Jugend zu gewinnen, dafür bietet die Weimarer Republik ebenfalls ein warnendes Beispiel: Den überalterten demokratischen Parteien standen nur zwei gegenüber, deren Funktionäre, Mitglieder und Wähler überwiegend jung waren, die NSDAP und die KPD [.] Sie vermittelten scheinbar Zukunftsperspektiven und Aufbruchstimmung, die heutigen Nationalisten aber Untergangsstimmung.“

Horst Möller: „Zwischen Feinden und Freunden“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.5.2017, S. 6.

(Wo die eckige Klammer steht, ist im Original ein Doppelpunkt, aber das wären dann zwei Doppelpunkte in einem Satz, und bei solchen Scheußlichkeiten kommt meine innere Korrekturfee durch.)

Was schön war, Sonntag, 21. Mai 2017 – Zeitunglesen

Na gut, bevor ich Zeitung lesen konnte, musste ich erst mal auf Twitter meckern, dass meine Probe-Abo-FAS nicht im Briefkasten steckte. Der allwissende F. meinte, vielleicht liegt sie vor der Haustür, was ich spontan abstritt, aber ganz hinten im Köpfchen wachten Bilder auf von Tüten, die an Türklinken hingen. Ich stapfte erneut fünf Stockwerke nach unten – und natürlich war sie da. Korrekturtweet abgesetzt anstatt den ersten verschämt zu löschen. Trotzdem sorry an den/die Zusteller*in. Das wollte ich mir ja eigentlich schon längst abgewöhnt haben: das Rummeckern, ohne es zu hinterfragen. Ist anscheinend noch in Arbeit.

Aber dann: fast den kompletten Tag auf dem Sofa verbracht, ab und zu mal einen neuen Kaffee gekocht oder ein Nutellabrot geschmiert und halt Zeitung gelesen.

Ich habe in den vergangenen Jahren mehrfach versucht, die SZ, den Spiegel oder die FAZ auf dem iPad zu abonnieren, aber egal, in welchem Format sie da waren, ich habe sie kaum bis nie gelesen. Die New York Times und die Washington Post lese ich (als Abonnentin) auf der Website und nur dann auf dem iPhone, wenn mir ein Artikel in die Twittertimeline gespült wird. Sonst gucke ich da, genau wie auf Papier, nach den Inhalten, die mich interessieren. Das klappt, warum auch immer, auf der vollgeballerten FAZ– und der noch schlimmeren SZ-Website nicht, wobei die SZ mich zusätzlich noch mit blinkender Werbung nervt. Auf SpON versuche ich schon seit längerer Zeit zu verzichten, weil das noch atemloser ist als alles andere und mich jede dusselige Promi-Geschichte anödet. Ich weiß, ich kann die überlesen. Mache ich ja auch. Aber sie sind halt da. *krückstockfuchtel*

Deswegen genieße ich es sehr, wieder mit einer Papierzeitung vor der Nase entspannt irgendwo rumzusitzen und ebenso entspannt lesen zu können. Ich überblicke sofort, was mich auf einer Seite erwartet und muss nicht erst irgendwelche Headlines anklicken, nichts blinkt und nervt, es gibt keine Kommentare und kein Forum; es ist ein seltsam statisches Angebot, das ich nach zwei Jahrzehnten im Internet wieder zu schätzen weiß.

Dass es die FAZ und nicht die Süddeutsche geworden ist, die eher auf meiner politischen Linie liegt und die dazu auch noch einen nicht ganz unspannenden Lokalteil für mich da hätte, liegt natürlich am Feuilleton, das ich auch immer als erstes lese. Danach kommt das erste Buch mit Politik, wo ich bei fast jedem Kommentar mit den Augen rolle, ihn aber gleichzeitig als Gegenentwurf zu meinen eigenen Gedanken wahrnehme, was ich momentan auch als angenehm empfinde. Es ist, als ob man wissenschaftliche Aufsätze liest, die man danach in der Hausarbeit auseinandernimmt. So lese ich den Großteil der FAZ – und bin so schön beschäftigt.

Was schön war, Samstag, 20. Mai 2017 – Geisterbahnhof

Morgens freute ich mich über das rege Teilen und Herzen meines Eintrags von gestern. Dabei saß ich brav in der Bibliothek des Kunsthistorischen Instituts (mein geliebtes ZI ist nur von Montag bis Freitag geöffnet) und starrte hirntot einen Kiefer-Ausstellungskatalog an. Ich las meine bisherigen 30.000 Zeichen durch, korrigierte ein wenig an ihnen rum, fügte noch was ein, was ich Freitag in der Stabi erlesen hatte, aber so richtig konzentriert war ich nicht. Nach zwei Stunden klappte ich meinen Rechner zu und ging nach Hause, las die FAZ, deren Probeabo ich in ein richtiges Abo umwandeln werde, und zog mich dann langsam für die Arena um. Zur Feier des Tages wählte ich mal wieder das Gomez-Trikot, nachdem ich die letzten Male in normalen Shirts gegangen war, weil mir der Eventfußball des FCB inzwischen so auf die Nerven geht. Aber ich drückte ein bisschen Wolfsburg die Daumen, bei denen Herr Gomez gerade unter Vertrag steht, weil ich ihnen eher zutraute, den HSV zu schlagen als umgekehrt; bei einem Sieg von WOB wäre Ausgburg auf jeden Fall der Klassenerhalt sicher, ganz egal, wie sie sich selbst bei Hoffenheim anstellen. Bei einem HSV-Sieg musste mindestens ein Unentschieden her.

Die Fahrt zur Arena war entspannt, die U-Bahn nicht irre voll; ich war auch etwas spät dran. Die Kontrollen vor dem Stadion waren nervig wie schon die ganze Saison lang, und ich bin froh, dass ich mir das demnächst ersparen werde. Im Geiste dachte ich wehmütig an die WWK-Arena, wo es einen großen Eingang für Frauen und einen großen für Männer gibt, man ist schnell durch, und alle wissen, wo es hingeht – im Gegensatz zur Allianz-Arena, wo, ich schrieb es bereits mal, pro großem Tor vier Eingänge gibt und einer davon ist für Frauen, was durch ein ungefähr handgroßes Schildchen bekannt gemacht wird, das man, wenn man nicht öfter dort ist, erst erkennt, wenn man quasi davor steht. Deswegen gehen da gerne auch Kerle durch, die sich anscheinend lieber von Frauen abtasten lassen, während die meisten Frauen das eher ungern von einem Mann machen lassen, weswegen wir durch diesen einen blöden kleinen Eingang müssen, der immer voll ist, weil halt auch Männer durchrennen, und ach, ich reg mich schon wieder sinnlos und Stunden zu spät auf. Gestern stand immerhin noch eine zweite Frau an einem der anderen Eingänge, weswegen ich auch das tat, was alle tun: irgendwo hindrängeln, irgendwo reingehen.

Das Spiel gegen Freiburg war mir ziemlich egal, ich guckte immer ängstlich auf die Anzeigentafel, wo ab und zu die Ergebnisse aus den anderen Stadien eingeblendet wurden und hörte mit halbem Ohr den Augsburgfans hinter mir zu, die früher als eben diese Tafel informiert waren, wie es wo stand. Erst zum Schluss versiegte dieser Informationsfluss, und ich musste nach Ende des Spiels selber googeln: HSV schlägt WOB und bleibt erstklassig, WOB muss in die Relegation, und weil der wackere FCA ein 0:0 in Hoffenheim halten konnte, bleibt auch er erstklassig. Darauf eine Emoji-Tröte!

Am letzten Spieltag wurden wie üblich die Herren verabschiedet, die nicht mehr mitspielen wollen; das waren gestern unter anderem auch Xabi Alonso, der mir eher egal war, und Philipp Lahm, bei dessen Einspielerfilmchen ich dann doch ein wenig rührselig wurde. Die beiden bekamen vor dem Spiel dicken Applaus – und dann nochmal in der 85. und gefühlt 88. Minute, als beide ausgewechselt wurden. Freiburg hätte noch die Chance gehabt, sich aus eigener Kraft direkt für die Europaleague zu qualifizieren, weswegen ich nachvollziehen kann, dass ihnen das Theater rund ums Spiel eher auf die Nerven ging. Die Auswechslungen waren schon fast egal, denn da stand es 2:1 (es ging 4:1 aus) und Köln war schon durch, aber trotzdem hätte ich als Freiburger etwas mehr Krach geschlagen, zum Beispiel direkt nach der Halbzeit. Die ging nämlich deutlich später los als es eigentlich im heiligen DFB-Ablaufplan vorgesehen war, denn die mies getimte Halbzeitshow mit Anastacia (die lebt noch?) überzog deutlich, während die Spieler ernsthaft schon auf dem Rasen standen. Der Sitzplatzultra hat das etwas ausführlicher aufgeschrieben.

Dann war das Spiel irgendwann rum, und die Meisterfeierlichkeiten begannen. Alleine dafür wollte ich noch mal in die Arena, denn die hatte ich bisher nur im Fernsehen gesehen. Da hätte ich auch den besseren Blick gehabt, denn natürlich sind die Aufbauten in Richtung Kameras (und Businesslogen). Ich sah aber immerhin viel Konfetti und war sehr beeindruckt davon, wie lange sich das Zeug in der Luft hielt.


Auch die Rückfahrt war entspannt, ich las in meinem mitgebrachten Suhrkamp, bis die U6 am Odeonsplatz hielt. Die Meisterfeier des FCB fand auf dem Marienplatz statt, der dafür schon den ganzen Tag gesperrt war bzw. bei dem man sich auf Taschenkontrollen etc. einstellen musste. Ab irgendwann abends hielten dann die U-Bahnen nicht mehr dort, sondern fuhren direkt zum Sendlinger Tor durch. Genau wie wir jetzt: Die Bahn verlangsamte, als sie durch die orangefarbene Station fuhr, und ich genoss diesen für mich neuen Anblick. Die Station ist sonst ein einziger wuseliger Haufen Leute, und jetzt war alles leer. Ein echter Geisterbahnhof. Das war schön.

Ich feierte den Meistertitel und noch mehr den Klassenerhalt mit einem Stückchen Erdbeerplunder, den ich mir noch am Hauptbahnhof holte, nachdem ich gesehen hatte, dass am Sendlinger Tor schon alle Bäckereien dicht gemacht hatten, las die FAZ aus und erwischte einen Zwei-Stunden-Freispiel-Bonus bei Candy Crush, ich Partytiger, ich.

Mein rechter Fuß

Ich gehe seit Ende Februar regelmäßig walken. Und ab und zu wird aus dem Gehen ein winziges bisschen Laufen. Und das ist ziemlich toll, aber damit ihr versteht, warum das so toll ist, muss ich etwas ausholen. Bis 2001, um genau zu sein.

2001 hatte ich fiese Rückenschmerzen. Also fieser als die, die ich sowieso hatte seit ich 15 oder so war. Ich hatte eigentlich immer irgendwie Rückenschmerzen, auch als ich noch schlank war, aber 2001 wurden sie so schlimm, dass ich nicht mehr sitzen oder schmerzfrei gehen konnte. Das war ein schöner Bandscheibenvorfall, und die damalige Empfehlung lautete: viel Ruhe und Krankengymnastik. Dass sich das total widersprach, ist mir erst viel später aufgefallen. Ich habe also wochenlang im Bett rumgelegen, bis von meinen Bauch- und Rückenmuskeln überhaupt nichts mehr da war, ging aber immer brav zur Krankengymnastik. Dabei musste ich eine Übung machen, bei der man im Vierfüßlerstand den linken Arm und das rechte Bein von sich wegstreckt (oder umgekehrt). Eigentlich kein Ding, aber wenn man nicht mehr viele Muskeln hat, die das halten, gibt es ein komisches Geräusch in der Wirbelsäule, an das ich mich noch erinnere, und ein komisches Gefühl, dass irgendwie was anders ist als vorher, aber ich bin hier ja bei medizinischem Fachpersonal (das meistens keine Ahnung hat, wie man mit dicken Menschen umgeht, aber das wusste ich damals auch noch nicht), das wird schon passen. Ich turnte weiter, fuhr mit dem Bus nach Hause, merkte beim Gehen schon, dass ich irgendwie ein bisschen wackelig war, schob das auf meine Erschöpfung und legte mich wieder ins Bett. Und als ich eine Stunde später mal aufs Klo wollte, war mein linkes Bein nicht mehr da.

Die Kurzfassung: zweiter Bandscheibenvorfall, dieses Mal so schlimm, dass es aufs Rückenmark drückte, ich rief den Notarzt, kam ins Krankenhaus, da war ab Bauchnabel abwärts schon alles weg, Gefühl, Beweglichkeit, alles halt, und ich wurde einen halben Tag später operiert.

Normalerweise bleibt man nach operierten Bandscheibenvorfällen drei, vier Tage im Krankenhaus. Bei mir waren es vier Wochen. Ich konnte nicht mehr pinkeln, ich konnte zunächst auch nicht gehen, dann irgendwann mit Rollator, aber auch nur fünf Schritte, irgendwann klappte ich im Bad zusammen, weil mein Kreislauf nicht mehr wollte, aber das ist jetzt alles egal. Es war klar, dass nach dem Krankenhaus noch eine Reha sein musste, und da wurde ich dann liegend hintransportiert – nach Damp an der Ostsee. Wenn schon Reha, dann wenigstens am Meer. Der dortige Orthopäde nahm mir sofort den Rollator ab und drückte mir Krücken in die Hand, und als ich mich traute, nicht mehr mit den Oberarmen an der Wand langzugehen, damit ich nicht umfiel, ging das ganz gut. Sehr langsam, nicht sehr weit, noch sehr wackelig, aber ich konnte wieder gehen.

Ich merkte in der Reha aber, dass einiges anders war. Im Krankenhaus hatte ich nur irgendwelche Schlappen an den Füßen gehabt oder sogar nur Socken, jetzt musste ich aber Schuhe anziehen, um im Gebäude rumzugehen oder auch mal ans Meer zu kommen. (Ich merkte leider relativ schnell, dass man mit Krücken schwer bzw. gar nicht auf Sand gehen kann.) Ich zog also wie gewohnt den linken Turnschuh zuerst an und wollte dann in den rechten schlüpfen – aber es ging nicht. Mein Fuß wusste nicht mehr, wie man sich einen Schuh anzieht. Ich guckte mir genau an, was der linke machte und versuchte das rechts zu reproduzieren, aber es ging immer noch nicht. Es geht auch bis heute nicht; wenn ich irgendwo hinfahre oder fliege, habe ich immer einen Schuhlöffel im Gepäck, weil ich sonst nicht in meine Schuhe komme. Oder zumindest nicht in einen.

In der Reha lernte ich viele Dinge wieder, zum Beispiel aufs Klo zu gehen. Das erste Mal nach Wochen ohne Katheter zu pinkeln, war unfassbar großartig, und wenn der Weg zum Edeka gegenüber der Klinik nicht so weit gewesen wäre (200 Meter) und ich gewusst hätte, wie ich meine Schuhe anziehe, hätte ich eine Flasche Billosekt besorgt – und sie gleich wieder ausgepinkelt, ohne Katheter, fuck yeah!

Nochmal die Kurzfassung: Ich habe bis heute nicht alle Körperfunktionen wieder, und ich weiß inzwischen auch, dass das so bleibt. Vor allem mein rechter Fuß kann nicht mehr so viel wie früher, aber das merkte ich erst nach und nach. Die Schuhe waren nur der Anfang. Ich merkte irgendwann, als ich auf dem Fußboden meiner Agentur landete, dass mein rechter Fuß es anscheinend nicht mehr mitkriegt, wenn er an Telefonkabeln oder ähnlichem hängenbleibt. Deswegen gehe ich bis heute eher mit gesenktem Blick, vor allem auf unbekanntem Terrain, einfach weil ich nicht hinfallen will. Ich merkte irgendwann, als ich mitten im Zimmer nach hinten zu fallen begann, dass ich darauf achten muss, mich bewusst nach vorne zu lehnen, weil mein Fuß sonst einfach vergisst, was sein Job ist. Ich merkte irgendwann, dass ich nicht mehr wie gewohnt auf Leitern steigen kann, weil meine rechten Zehen mich nicht mehr halten können; ich muss den Fuß quer auf die Stufen setzen, denn mein Ballen kann noch was. Und ich merkte irgendwann, dass ich nicht mehr laufen kann. Ich wollte morgens dem Bus hinterherrennen, aber weil die Fußheberschwäche eben dafür sorgt, dass meine Zehen mich nicht mehr vorwärtskatapultieren, fühlte es sich an wie hüpfendes Humpeln. Deswegen ließ ich das nach wenigen Metern und merkte mir: Ich kann nicht mehr laufen. Und das tat ich dann 16 Jahre auch einfach nicht mehr. Irgendwann ist man ja auch zu alt und zu würdevoll, um noch öffentlichen Verkehrsmitteln hinterherzurennen.

Februar 2017. Frau Gröner geht gehen. Den Plan hatte ich schon länger, denn es begann mich selbst zu nerven, dass meine Alltagsfitness immer mieser wurde. Seit ich nur noch Rad fahre bzw. zu Fuß nur noch den Weg von der Haustür zur U-Bahn zurücklege, hatte ich keine Rumlaufkondition mehr. Das merkte ich vor allem, als ich mit F. in Amsterdam und Madrid war; gefühlt wollte ich mich alle 500 Meter nur mal kurz setzen und jammerte innerlich dauernd „Issesnochweitissesnochweit?“ Also nahm ich mir vor, wieder im Alltag mehr zu gehen, was mich aber auch nervte, denn eigentlich fahre ich ja viel lieber Fahrrad. Also nahm ich mir stattdessen vor, wieder öfter aufs Laufband zu gehen, denn ich habe ja ein Laufband. … Äh, nein. … Ich hatte ein Laufband, und das steht auch immer noch in Hamburg, aber jetzt habe ich’s halt nicht mehr, und selbst wenn ich’s hätte, hätte ich keinen Platz dafür. Alleine diese Feststellung warf mich wieder wochenlang in Traurigkeit und ich fuhr weiter Fahrrad.

Dann googelte ich nach Fitnesstudios, auf die ich zwar überhaupt keine Lust hatte, aber ich wollte verdammt noch mal gehen. Ich wollte, wenn überhaupt, alleine auf ein Laufband, aber nicht mitten in einem Pulk von Läufer*innen sein, die alle toller als ich aussehen und viel schneller und fitter sind. Und ich wollte mich nicht vor anderen Leuten umziehen. Das letzte Mal habe ich das vor Jahren beim Kieser-Training gemacht, und auch dort, wo ja alle angeblich nur wegen der Gesundheit sind und nicht wegen der schlanken Taille, gucken die Leute, wenn sich ein Mensch mit deutlich nicht schlanker Taille nackt macht. Fand ich scheiße, will ich nicht mehr.

Ich fand ein Studio in meiner Nähe, wo ich theoretisch morgens hätte hinradeln können, eine Stunde aufs Laufband, wieder nach Hause radeln und dort duschen etc. Aber alleine der Gedanke daran nervte mich schon, ich fuhr weiter Fahrrad und wurde immer nöliger. Bis ich mir eines Morgens dachte, scheiß drauf, du hast den Alten Nordfriedhof fast vor der Haustür, da joggen immer Leute rum – steh einfach so früh auf, dass noch niemand da ist, der dich in Schlumpfklamotten und mit rotem Kopf sieht und geh los. Geh einfach los. Und genau das habe ich im Februar gemacht.

Eine Runde um den Friedhof sind ungefähr 750 Meter; das sagen jedenfalls Google Maps, die Wikipedia und die Umsonstversion von Runtastic, die ich mir irgendwann mal runtergeladen hatte und nun zum ersten Mal benutzte. Ich nahm mir zwei Runden vor, merkte am Ende dieser zwei Runden, dass eine dritte noch locker drin war, ging sie und hörte danach auf. Zwei Tage später ging ich wieder drei Runden, und als die Woche rum war, ging ich eine Woche lang vier Runden, dann eine Woche lang fünf und so weiter. Irgendwann war ich bei fast acht Kilometern, was ich ziemlich großartig fand für jemanden, die sonst nie weiter als 500 Meter gegangen war und das auch nur unter großem inneren Protest, weil Radeln halt super ist und man im Bus lesen kann. Ich ging bei Nike einkaufen, so dass ich nicht mehr in den weiten Baumwollhosen rumlief, sondern total professionell in Tights, ich ignorierte Regen und Schnee und ging und ging und ging. (Nebenbei: Hey, Gesellschaft, wenn du willst, dass wir dicken Menschen Sport treiben, weil du dir so große Sorgen um unsere Gesundheit machst – um Ästhetik geht’s dir ja nicht, gell, knick-knack? –, dann sorg gefälligst dafür, dass wir Klamotten haben, in denen man Sport machen kann. Die blöden weiten Baumwollplünnen kannst du dir an die Backe zimmern; gib mir Funktionskleidung in größer als 46/48 – weiter geht’s bei den ganzen Sportartikelherstellern nämlich nicht. Außer eben jetzt bei Nike, weswegen ich das weiterhin großflächig verlinken werde.)

Meistens ging ich alleine, aber natürlich nicht immer. Je wärmer es wurde bzw. je früher es hell wurde, desto mehr Leute waren plötzlich da. Inzwischen machte es mir nichts mehr aus, mit rotem Kopf und hautengen Hosen durch die Gegend zu gehen, denn hier sahen alle so aus und jeder wollte einfach nur ein paar Runden laufen. Laufen, nicht gehen. Walkende Menschen sah ich sehr wenige, aber stattdessen irrsinnig viele Läufer in jeder Konditionsphase. Ich sah eine ältere Dame, die im Rocky-Jogginganzug eine Runde lief und dabei ungefähr so schnell war wie ich. Ich sah einen jungen Mann, der dauernd auf die Uhr guckte, und der so schnell an mir vorbeizog, dass ich kaum glauben konnte, dass man in diesem Tempo mehr als 100 Meter laufen kann. Ich sah eine junge Frau, die nur auf den Zehenspitzen lief, eine ältere, die federleicht in Regenjacke und weiten Hosen an mir vorbeizog, zwei Damen, die sich beim Laufen unterhielten, und fast jeden Morgen meinen Liebling: einen jungen Mann in knielangen Tights und blauem Oberteil, der so wunderschön gerade und aufrecht und entspannt läuft (und so tolle Waden hat), dass ich ihm ewig hinterhergucke.

Ich sah Menschen jeder Altersklasse, aber kaum jemanden, dessen Körperfülle meiner ähnelte. Aber selbst das war egal, denn dadurch, dass man eh bloß überholt wird oder jemanden für wenige Sekunden gegenüber hat, hat man kaum die Möglichkeit, sich zu vergleichen – ganz anders als im Fitnessstudio, wo ich vermutlich eine Stunde lang schlanken, durchtrainierten, überglücklichen und gut verdienenden Traummenschen mit Doktortitel zugeguckt hätte, während vor mir eine Kalorienverbrauchsanzeige blinkt (I DON’T CARE!). Hier nicht. Hier sah ich gut gelaunt und entspannt Eichhörnchen, Grabsteine und den Sonnenaufgang. Und halt Läufer.

Ich wusste, ich kann nicht laufen, aber je mehr Menschen ich sah, die eben das taten, desto mehr wollte ich das auch. Und obwohl ich theoretisch einfach nur meine Füße etwas weiter vom Boden hätte heben müssen, habe ich mich nicht getraut. Wenn man etwas 16 Jahre lang nicht gemacht hat und davon überzeugt ist, dass man es nicht kann, fällt es irrsinnig schwer, es einfach doch noch mal auszuprobieren. Ich sprach mit F. darüber, der meinte: „Warte auf einen richtig guten Tag, an dem dir nichts die Laune verderben und dich nichts traurig machen kann. Du weißt ja, du kannst nicht laufen, also kannst du eigentlich auch nicht enttäuscht sein, wenn’s eben nicht klappt, aber falls doch, dann hast du einen guten Tag, an dem du dich wohlfühlst und es dir gut geht – das wird dann nicht so schlimm.“ Die Worte hatte ich tagelang im Ohr, bis ich einen Sonntagmorgen ganz alleine auf der Runde war. Niemand sah mir zu, mir ging’s gut, ich bilde mir ein, Spotify spuckte besonders motivierende Lieder aus – und irgendwann dachte ich, ich lauf jetzt ein bisschen.

Und dann lief ich ein bisschen.

Es sah vermutlich immer noch wie hüpfendes Humpeln aus, aber FUCK IT ICH LIEF. Ungefähr zehn Meter, weil ich so überrascht davon war, dass ich laufen konnte, dass ich gleich wieder stehenblieb. Außerdem habe ich innerhalb von einer Sekunde den Sinn von Sport-BHs verstanden, aber das ist eine andere Geschichte.

Ich war so bräsig-glücklich, dass ich den Rest der Runde wieder ging, aber beim nächsten Mal nahm ich mir vor, wenn niemand guckt, laufe ich von dieser einen Bank da bis zur nächsten. Beim nächsten Mal lief ich von der ersten Bank bis zur dritten und dann bis zur vierten und irgendwann bis zum Baum da vorne und dann noch um die Kurve. Ich kann immer noch nicht wirklich lange laufen; ich habe bis heute keine ganze Runde geschafft, auch weil ich nicht weiß, ob ich meinem Rücken und meinem Knie damit einen Gefallen tue, wenn ich laufe. Dadurch, dass meine Zehen mich nicht abfedern, kriegen Knie und Rücken alles mit, und besonders leicht bin ich ja nun auch nicht. Außerdem muss ich beim Laufen noch mehr darauf achten, was mein Fuß tut und wo er hinstapft, weswegen ich die ganze Zeit einen inneren Monolog führe: „Okay, krall deine rechten Zehen nicht so ein, als ob du den Schuh festhalten willst, der hält schon. Roll dich links mal bewusster ab. Versuch, das rechte Knie vorne zu halten, auch wenn du’s eigentlich nicht halten kannst. Wie geht’s der Lendenwirbelsäule, alles gut, tut nix weh? Nicht die Zehen einkrallen!“ Und so weiter und so fort. Das ist alles deutlich unentspannter als einfach zu gehen, aber momentan bin ich immer noch so fasziniert davon, zu laufen, dass ich das für ein paar hundert Meter mitmache. Daher ist mein Ehrgeiz auch nicht, einen 5k zu laufen. Mein Ehrgeiz ist es, schmerzfrei meine Runden zu drehen, ganz egal, ob laufend oder gehend, und meine Alltagsfitness zu verbessern. Wenn ich Lust habe zu laufen, dann laufe ich, wenn ich nur gehen will, dann gehe ich, und inzwischen ist es auch egal, ob mich jemand sieht, wie ich hüpfend humpele.

Das ist jetzt vielleicht nicht die Pointe, auf die ihr gewartet habt – „Hey, ich trainiere jetzt für den Marathon“ –, aber ich denke jedesmal, wenn ich loslaufe: OMG ich laufe. Momentan laufe ich meist eine halbe Runde, dann gehe ich eine halbe, dann laufe ich wieder oder auch nicht. Das fühlt sich gut an, und mein ganzer Körper scheint damit einverstanden zu sein. Ich merke seit Wochen, dass mir Gehen im Alltag viel leichter fällt als noch vor wenigen Monaten, und ich freue mich schon sehr darauf, durch Paris und Wien und St. Petersburg zu gehen. Das einzig Dumme: Meine Ausrede, aus der Puste zu sein, ob F. vielleicht mal ein Eis, was zu trinken, Sonnencreme besorgen könnte, während ich hier rumsitze … die zieht jetzt nicht mehr. Verdammt.

Was schön war, Mittwoch, 17. Mai 2017 – Konzentration und Leberwurst

Brav den ganzen Tag im ZI gesessen und gelesen und geschrieben und einen neuen Schwung Bücher an den Tisch geschleppt und gelesen und geschrieben. Viel über Baselitz gelernt; auch, dass er mir immer noch egal ist. Lustige Zitate über Richter gefunden, die ich ihm gerne mal unter die Nase reiben würde, aber ich versuche ja, Künstleraussagen zu ignorieren und mir nur die Werke anzugucken. Einleitung, Thema Vergangenheitsbewältigung, Thema bundesdeutsche Kunst nach 45 sind fertig. Heute kann ich endlich mit Kiefer anfangen. Und nebenbei ist mir noch eine riesige Glühbirne aufgegangen für eine schöne, dicke These, aber die lasse ich noch ein paar Tage rumglühen, die muss noch ein bisschen liegen.

Zum Abendessen versucht, ein Banh Mi nachzubauen, nachdem F. und ich neuerdings gerne im Bami-Haus rumhängen und es uns dort gut gehen lassen. Das war eher eine spontane Idee beim Einkaufen, weswegen ich nur Koriander, Baguette und ein paar Scheiben Schweinebraten kaufte. Die Paté, die eigentlich aus Hühnerleber besteht, wie ich nachträglich las, baute ich aus Leberwurst nach, die ich mit einem bisschen Fischsauce vermischte. Klingt fürchterlich, schmeckte aber erstaunlich gut. Dazu pickelte ich … nee, Moment, das ist Masterchef-Sprech, ich googele mal eben die Übersetzung … ah … dazu legte ich ein paar Möhren- und Gurkenscheiben sauer ein, das heißt, ich ließ sie in Apfelessig liegen, in den ich Zucker gerührt hatte. Pseudo-Paté aufs Baguettebrötchen, Gemüse drauf, Schweinebraten drauf, viel, viel Koriander drauf. Das nächste Mal brauche ich noch ein warmes und ein scharfes Element, dann passt das.

(Und vielleicht ein paar Hühnerlebern.)

Wieder mit Genuss die FAZ gelesen. Ich habe noch fünf Tage, bis ich das Probeabo kündigen muss oder es einfach weiterlaufen lasse, aber im Moment mag ich das sehr, wieder eine Zeitung zu haben.

Am späten Abend noch mit F. die Balkonsaison eröffnet. Ich kann mit dem Konzept Sommer ja immer noch nicht so recht was anfangen, aber dieses „auf dem Balkon sitzen und was Nettes trinken“ gefällt mir immer besser.

Was schön war, Dienstag, 16. Mai 2017 – Bücher lesen, Zeitung lesen, Internet lesen

Morgens öffnete ich vorsichtig die Wohnungstür und guckte auf meinen Abtreter – auf dem leider nichts lag. Gestern begann mein Probeabo für die Frankfurter Allgemeine, und ich wusste, dass in unserem Haus die Süddeutsche vor die Wohnungstür gelegt wird, während der Merkur nur im Briefkasten landet. Ich ging enttäuscht fünf Stockwerke nach unten und fischte die FAZ aus dem Briefkasten. Mal sehen, ob der Ablageplatz der Zeitung das Killerargument wird.

Beim Frühstück las ich das Feuilleton an, weswegen ich die FAZ haben wollte, merkte aber, dass ich mich festlas. Ich legte die Zeitung weg und freute mich darauf, sie später zu lesen.

Dann radelte ich ins ZI und las gefühlt zwanzig Kataloge durch. Ich ergänzte meine Einleitung durch den noch fehlenden Forschungsstand zu Kiefer und begann den zweiten Teil der Arbeit: bundesdeutsche Kunst nach 1945, die sich mit der NS-Zeit beschäftigt. Da gab es nicht viel, aber einen kleinen Abriss schrieb ich doch. Heute werde ich mich vertiefend mit Georg Baselitz, seiner Großen Nacht im Eimer (in der manche Kunsthistoriker*innen einen Hitlerjungen sehen) und seinem Pandämonischen Manifest befassen sowie mit Gerhard Richters Werken Onkel Rudi, Tante Marianne und Herr Heyde.

Den Feierabend genoss ich mit der angefangenen Zeitung, bevor ich mir ein bisschen Fisch und Gemüse zubereitete. #nofilterjusttageslicht

Memo to me: noch die lang geplante Ode an Kartoffelbrei schreiben.

Und dann las ich noch etwas im Internet rum.

My Family’s Slave

Hervorragend erzählte Geschichte eines philippinischen Autors, der als Kind in den USA merkt, dass die Dienerin der Familie eher eine Sklavin ist und wie sich sein Verhalten zu ihr und seiner Mutter ändert.

„Admitting the truth would have meant exposing us all. We spent our first decade in the country learning the ways of the new land and trying to fit in. Having a slave did not fit. Having a slave gave me grave doubts about what kind of people we were, what kind of place we came from. Whether we deserved to be accepted. I was ashamed of it all, including my complicity. Didn’t I eat the food she cooked, and wear the clothes she washed and ironed and hung in the closet? But losing her would have been devastating.

There was another reason for secrecy: Lola’s travel papers had expired in 1969, five years after we arrived in the U.S. She’d come on a special passport linked to my father’s job. After a series of fallings-out with his superiors, Dad quit the consulate and declared his intent to stay in the United States. He arranged for permanent-resident status for his family, but Lola wasn’t eligible. He was supposed to send her back.“

Digitalisierung, Bloggen und Leselust in der Münchner Stadtbibliothek

Katrin Schuster erzählt unter anderem über die digitale Transformation der Münchner Stadtbibliothek.

„Die digitale Transformation verstehen wir als große Chance. Digitalisierung ermöglicht so vielen Menschen so viel mehr Teilhabe! Gedruckte Bücher etwa sind nur bedingt barrierefrei – bei eBooks dagegen kann ich die Schrift beliebig vergrößern oder sie mir sogar vorlesen lassen. Um ein eBook zu leihen, muss ich das Haus nicht verlassen – ein enormer Vorteil für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen. Ganz zu schweigen von den sozialen Netzwerken, die z.B. gehörlosen Menschen Zugang zu ganz neuen Gemeinschaften und Kommunikationsräumen eröffnen. Und nicht zu vergessen jene Münchnerinnen und Münchner, die noch nicht so gut Deutsch sprechen, sich aber dennoch informieren möchten: Unser digitaler PressReader hält über internationale 6.000 tagesaktuelle Zeitungen und Zeitschriften aus rund 200 Ländern in über 60 Sprachen vorrätig – in der gedruckten Version würden wir die niemals unterbringen! Und andersherum schafft die Digitalisierung unseres Bestands Platz für mehr reale Interaktionen, an denen ja in digitalen Zeiten nicht weniger Bedarf besteht.“

What Makes a Parent?

Porträt zweier Frauen, die sich beide als Elternteil eines Jungen ansehen, obwohl nur eine von beiden seine Adoptivmutter ist. Der Fall wurde gerade in New York vor Gericht verhandelt. Es fiel mir schwer, einen Ausschnitt auszuwählen, weil alles auf allem aufbaut und viele Namen vorkommen – wenn euch die untenstehenden Zeilen noch nicht so recht anfixen, klickt trotzdem mal rüber zum New Yorker.

„New York’s statutes describe the obligations and entitlements of a parent, but they don’t define what a parent is. That definition derives from case law. In 1991, in a ruling in Alison D. v. Virginia M., a case involving an estranged lesbian couple and a child, the Court of Appeals opted for a definition with “bright line” clarity. A parent was either a biological parent or an adoptive parent; there were no other kinds. Lawyers in this field warn of “opening the floodgates”—an uncontrolled flow of dubious, would-be parents. Alison D. kept the gates shut, so that a biological mother wouldn’t find, say, that she had accidentally given away partial custody of her child to a worthless ex-boyfriend. But many saw the decision as discriminatory against same-sex couples, who can choose to raise a child together but can’t share the act of producing one. Judge Judith Kaye, in a dissent that has since been celebrated, noted that millions of American children had been born into families with a gay or lesbian parent; the court’s decision would restrict the ability of these children to “maintain bonds that may be crucial to their development.”

Starting in the mid-nineties, some U.S. states began recognizing a new legal category: the de-facto parent. This usually defined someone who had been given permission, by a legal parent, to share parental duties; who had lived with, and bonded with, a child; and who had assumed some of the financial burdens of parenthood. This person would not necessarily be granted full parental rights but would at least have standing to argue, in the face of a legal parent’s objection, that a child’s best interests would be served by a continued relationship.“

< quote >

Eine wunderbare Beschreibung davon, wie es ist, Las Meninas im Prado zu begegnen. Ich kann das seit letztem Jahr abnicken.

„I was passing the opening to a large gallery when a strange frisson of light caught the edge of my eye. As I turned to look, all the people standing at the other end of the gallery suddenly moved aside as one, clearing an open view to the source of that light: Velázquez’s monumental Las Meninas. I had no thought of it, no idea it would be there or how vast it would be – an image the size of life, and fully as profound. The living people revealed the painted people behind them like actors in the same performance, and flashing up before me was the mirror-bright vision of a little princess, her young maidservants and the artist himself, all gathered in a pool of sunlight at the bottom of a great volume of shadow, an impending darkness that instantly sets the tenor of the scene. The moment you set eyes on them, you know that these beautiful children will die, that they are already dead and gone, and yet they live in the here and now of this moment, brief and bright as fireflies beneath the sepulchral gloom. And what keeps them here, what keeps them alive, or so the artist implies, is not just the painting but you.

You are here, you have appeared: that is the split-second revelation in their eyes, all the people looking back at you from their side of the room. The princess in her shimmering dress, the maids in their ribbons and bows, the tiny page and the tall, dark painter, the nun whose murmur is just fading away and the chamberlain silhouetted in the glowing doorway at the back: everyone registers your presence. They were here like guests at a surprise party waiting for your arrival and now you have entered the room – their room, not the real one around you – or so it mysteriously seems. The whole scene twinkles with expectation. That is the first sensation on the treshold of that gallery in the Prado where Las Meninas hangs: that you have walked into their world and become suddenly as present to them as they are to you.“ […]

But take a few steps towards this painting in all its astounding veracity and the vision withers. The princess’s lustrous hair begins to look like a mirage, or a heatwave scintillating above a summer road that vanishes at your approach. The face of the lady dwarf dissolves into illegible brushstrokes. The figures in the background become inchoate at point-blank range and you can no longer see where a hand stops and the tray it is holding begins. The nearer you get to the painting, the more these semblances of reality start to disappear, to the point where it is impossible to fathom how the image could have been made in the first place. Everything is on the verge of dissolution and yet so vividly present that the sunshine in the painting seems to float free and drift out into the gallery. It is the most spellbinding vision of art.“

Laura Cumming: The Vanishing Man: In Pursuit of Velázquez, London 2016, S. 1–3.

Was schön war, Sonntag, 14. Mai 2017 – Einleitung

Vormittags Der goldene Handschuh ausgelesen. Ich weiß immer noch nicht, was ich vom Buch halten soll außer dass ich mir nicht wünsche, dass es irgendwer lesen muss. Mich hat die schonungslose Sprache beeindruckt, aber gleichzeitig mehr als verschreckt. Das Milieu kam mir sehr genau beobachtet vor – das kann ich aber glücklicherweise nicht beurteilen –, die Gewaltfantasien waren mir manchmal zu detailliert, so dass ich nicht wusste, ob sich da der Autor kurz selbst an seinen Formulierungen berauscht. Das mag aber meine persönliche Abneigung gegen derartige Schilderungen und auch der Tatsache geschuldet sein, dass ich schlicht nicht mehr lesen will, wie ein männlicher Autor seine männlichen Figuren sich Dinge überlegen lässt, die sie in all ihrer Widerwärtigkeit an Frauen ausprobieren könnten. Reicht jetzt. Ein eher unangenehmes Leseerlebnis, aber wieder ein Buch, das ich nicht weglegen wollte.

(Perlentaucher-Kritiken.)

Nachmittags am Schreibtisch gesessen, auch um dem schmutzigen Sumpf im Kopf zu entfliehen, in den Strunk mich geschickt hatte. Jetzt schön wieder über die Nazis lesen, yay! (Sorry.)

Bis zum frühen Abend hatte ich den First Draft der Einleitung für meine Masterarbeit fertig. Ich beginne mit der sich ändernden Rezeption von Anselm Kiefer und Markus Lüpertz, denen in den 1970er Jahren unterstellt wurde, blöde Faschos zu sein, weil sie sich NS-Ikonografie bedienten. 40 Jahre später ist sich die Kunstgeschichte dann plötzlich einig, dass das eine clevere Auseinandersetzung mit der nicht-bewältigten NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik ist. Ich beschreibe diese Nichtbewältigung, indem ich die verschiedenen Phasen aufzeige, in denen in der BRD über die NS-Zeit gesprochen und verhandelt wurde und zeige die Unterschiede der Phasen auf.

Es beginnt mit der persönlichen Auseinandersetzung z.B. durch Entnazifizierungsverfahren, was dann vor allem in den 1950er Jahren in ein kollektives Beschweigen übergeht (wir haben alle Dreck am Stecken, aber jetzt muss ein neuer Staat aufgebaut werden, also lasst uns mal ne Pause machen und Gesetze erlassen, dass NS-Beamte Rente kriegen (1951) und man die alten Orden wieder tragen darf (1957)). Für dieses Beschweigen fand ich in einem (umstrittenen) Aufsatz den Ausdruck der „nicht-symmetrischen Diskretion“, der aussagen soll, dass Täter und Opfer sich mal kurz miteinander arrangierten, um ein neues Land aufzubauen; diese Formulierung empfinde ich als überaus zynisch und hatte daher viel Spaß mit einer dementsprechenden Fußnote. In den 1960er Jahren begann dann wieder eine Auseinandersetzung (Eichmann-Prozess, Frankfurter Auschwitzprozesse, sehr verkürzt ausgedrückt: die 1968er), weil die erste Generation, die die NS-Zeit nicht selbst miterlebt hatte, sich unbefangener mit dem Thema – und der eigenen Elterngeneration – auseinandersetzen konnte und wollte.

Mit dieser Zeit beendete ich die Chronologie, denn das ist die Zeit, in der Kiefer und Lüpertz ihre Werke schaffen, auf die ich in der Arbeit eingehen werde. Ich formulierte einen Forschungsstand für Kiefer in Stichworten (an den muss ich heute noch mal im ZI ran, wo die ganzen alten Kataloge stehen) und einen ausführlichen für Lüpertz; für ihn hatte ich mir genug in der Stoffsammlung notiert.

Abends mit F. Spaghetti Carbonara und einen netten Rotwein genossen. Gemeinsam die neue Folge Masterchef Australia geguckt, aber ich glaube, ich konnte den Mann nicht anfixen.

Was schön war, Samstag, 13. Mai 2017 – Letztes Heimspiel

Der Tag stand im Zeichen der Fahrt nach Augsburg. F. war nervös und haderte wieder mit allem (so cute), eine unserer zwei üblichen Mitfahrerinnen war recht entspannt, ich hatte mich in ein Unentschieden reingequatscht (das mit dem in einen Sieg reinquatschen hatte beim HSV ja auch so schön funktioniert), und als ungewohnter Mitfahrer gesellte sich Herr @Surfin_Bird zu uns, der eher Augsburgs Gegner Dortmund die Daumen drückte. Der Herr trug nur dezentes Yellow-Wall-Shirt unter schwarzer Jacke, wo ich mich schon auf mindestens Schal eingestellt hatte, aber er meinte: „Das macht man nicht im Heimblock.“ Mit dieser Einschätzung war er sehr alleine, wir stellten rund ums Stadion verdammt viel Gelbschwarz statt Rotgrünweiß fest.

Die letzte Heimspielwurst der Saison. Wohlschmeckend wie immer und ausnahmsweise bar bezahlt, denn das Unternehmen, das diese ollen Geldkarten für Stadionbesucher*innen ausgibt, geht gerade insolvent. Super Sache. Nicht. (Okay, ich hatte nur noch zehn Euro oder so auf der Karte, aber trotzdem. Dusseliges System.)

Augsburg brauchte mindestens ein Unentschieden, und es wäre echt nett gewesen, wenn der HSV oder Wolfsburg mal verlieren hätte können, aber nein, die Pappnasen müssen das ja unbedingt am letzten Spieltag nächsten Samstag entscheiden, wer von den drei Vereinen in die Relegation muss. Ich habe mir nach dem Spiel erklären lassen, wer jetzt wie spielen muss. Das wird toll nächsten Samstag, wenn ich in der Allianz-Arena dem Meister bei der Bierdusche zugucke, aber eigenlich nur wissen will, wie’s in Sinsheim und Hamburg steht. Okay, Gomez, wenn du dir meine Zuneigung sichern willst, dann triffst du bittebitte mindestens fünfmal. (Sorry, Hansestadt. Ich bin raus.)

Ich hatte, wie eigentlich immer in Augsburg, viel Spaß beim Spiel. Erst die Wurst, dann das Liedchen mit dem fähnchenschwenkenden Kid’s Club – und dann eine Bemerkung vom Bird, über die ich sehr grinsen musste. Wenn die Kinder durchs Stadion gehen und das Vereinslied erklingt, kommt irgendwann folgende Strophe:

„Und jeder Gastverein / soll hier willkommen sein
denn Fußball-Freundschaft / ist für uns Pflicht
Doch wenn der Ball im Spiel ist / wird die Fahne gehisst
denn wir sind Augsburger / und ihr nicht“

Bei „und ihr nicht“ dreht sich das ganze Publikum zum Gästeblock, zeigt auf die auswärtigen Fans und brüllt die drei Worte sehr laut mit. Bird zu mir, die das natürlich brav und überzeugt und laut mitmachte: „Total assimiliert.“ Ich so: „Man tut, was man kann.“ Das tat ich dann auch weitere 90 Minuten; wenn die Nordkurve klatschte, klatschte ich mit und feuerte mehr an als sonst, wo ich gerne einfach still rumsitze und Fußball gucke. Aber gestern musste gebrüllt und geklatscht werden, was der Rest vom Stadion ähnlich sah – ich habe die WWK-Arena noch nie so laut erlebt, aber ich gehe ja auch erst seit dieser Saison halbwegs regelmäßig hin.

Außerdem hatte ich endlich mal Zeit, mir Dortmund in Ruhe anzugucken. Beim letzten Spiel in der Allianz-Arena waren beide Vereine auf Augenhöhe, aber beim üblichen Augsburger Rumpelfuppes war der Unterschied zu den BVB-Schönspielern sehr deutlich zu sehen. Es hat viel Freude gemacht, vor allem den Herren Aubameyang und Dembélé zuzuschauen. Schon spannend, wie man Spielzüge gleichzeitig schön (weil schön) und fürchterlich (WEIL’S EBEN DER VERDAMMTE GEGNER IST) finden kann.

Im Endeffekt ging’s 1:1 aus, wir waren mit dem Unentschieden zufrieden (okay, Bird nicht) und genossen auf der Heimfahrt das übliche Augustiner. Das ist entweder ein Trost- oder ein Siegbier oder eben auch ein Hey-unentschieden-gegen-Dortmund-ist-auch-ganz-okay-Bier.