Tagebuch, Donnerstag, 10. November 2016 – Wut

Gestern und vorgestern gab es durchaus schöne Momente: Ich hatte am Mittwoch eine sehr erfreuliche Sprechstunde, ich telefonierte gestern mit dem Heimatmuseum in Bad Aibling, und um mich endgültig von meiner schlechten Laune wegen des Wahlergebnisses zu befreien, radelte ich ins ZI und vergrub mich in der bundesdeutschen Nachkriegskunst. Zusätzlich versuchte ich, nicht so oft bei Twitter reinzugucken – bei Facebook sowieso nicht – und wollte mich nach getaner Arbeit zuhause ablenken. Ein Buch lesen, yay! Leider liegt bei mir gerade Ian Kershaws To Hell and Back oben auf dem Stapel, das heiterte mich nur bedingt auf. Serien gucken, yay! Leider gab es gestern in meinem TV-Plan nur die neue Folge von Designated Survivor, einer Show, die darauf beruht, dass der Präsident der Vereinigten Staaten ein guter, integrer Mensch ist, der den Staat besonnen aus einer katastrophalen Situation holt. Auch eher doof. Und dann las ich doch ein paar Tweets und wurde wieder wütend.

Es kam des Öfteren die Ansage, dass man die Trump-Wähler*innen (und im übertragenen Sinne die AFD-Wähler*innen) nun bitte nicht dumm nennen sollte, weil das den rechten Parteien mehr Stimmvieh zutriebe. Das mag ein freundlicher Gedanke sein, aber ich halte ihn für falsch. Jemanden, der seine Wahlentscheidung aufgrund von aluhütigen Facebookposts oder Breitbart anstatt der Berichterstattung der New York Times trifft, darf ich mit Fug und Recht dumm nennen. Und bösartig noch dazu. Ich will jetzt gar nicht die ganzen Gründe aufzählen, warum Ms. Clinton die bessere Kandidatin gewesen wäre, das haben tausend Leitartikel vor der Wahl schon erledigt. Ich will nur einen Punkt herausgreifen: Der Ku Klux Klan unterstützte Donald Trump. Der verfickte Ku Klux Klan! Jede*r, der*die Trump wählte, nickte damit ab, dass es völlig in Ordnung ist, dass Schwarze als Menschen zweiter Klasse gelten. Er oder sie nickte außerdem ab, dass Frauen bestraft werden, wenn sie abtreiben oder dass Homosexuelle nicht die gleichen Rechte haben sollen wie Heteros. Das sind nicht nur dumme Positionen, das sind bösartige. Jemanden zu wählen, der offen zugibt, dass er möchte, dass es einigen Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung oder eine Notsituation schlechter geht, ist bösartig. Dafür habe ich keinerlei Verständnis und ich habe auch keine Lust mehr auf einen Kuschelkurs den Arschlöchern gegenüber. Ich will kein Verständnis aufbringen für Annahmen wie „Die bösen Flüchtlinge nehmen uns alles weg“, ich will nicht mit Leuten diskutieren, die „Lügenpresse“ schreien. Ich bin verdammt noch mal so kurz davor, im nächsten Jahr Angela Merkel zu wählen, weil ich ihr „Wir schaffen das“ als den einzig richtigen, vernünftigen, anständigen Ansatz sehe, um den Arschlöchern Nährboden zu entziehen.

Es mag nicht nett sein, Menschen dumm zu nennen. Es ist in manchen Fällen aber auch nicht falsch. Leider geht die Wut davon auch nicht weg.

Links vom Donnerstag, 10. November 2016 – Nach der Wahl

Ich bin immer noch fassungslos. Ich verbrachte den gestrigen Tag damit, konstant dieses Geräusch von mir zu geben; ich habe zeitweilig den Rechner zugeklappt, um dem Internet zu entgehen, der konstanten Erinnerung daran, was in der Wahlnacht passiert ist und wie sehr es mich belastet. Das Ausmaß hat mich allerdings selbst überrascht: Ich habe angefangen zu weinen, als ich Hillary Clintons Rede gehört habe, in der sie sich besonders an Frauen wandte, deren champion sie war, ich weinte, als sie sich besonders an die little girls wandte, die nicht daran zweifeln sollten, dass es möglich sei, die eigenen Träume zu verfolgen und zu erreichen. Genau diesen Glauben aufrecht zu erhalten, kostet mich seit fast 50 Jahren irrwitzig viel Kraft – bei jedem Scheißspruch auf Twitter, bei jeder ungewollten Berührung, bei jeder sexistischen Werbekampagne und den danach üblichen Ausreden, dass das doch alles nur lustig gemeint war. Mir ist zum tausendsten Mal klargeworden, dass einer hervorragend ausgebildeten, fähigen, erfahrenen Frau immer noch weniger zugetraut wird als einem rassistischen, sexistischen Schmierenkomödianten – selbst von Frauen. Dass noch irgendeine Frau Trump wählen konnte, nachdem er sich mit sexuellen Übergriffen gebrüstet hatte, ist für mich schlicht unverständlich. Wie sehr muss man sich selbst und sein Geschlecht hassen, um zu glauben, dass diese Art Benehmen auch nur in Ansätzen okay ist. Wie sehr Frauenfeindlichkeit, auch internalisierte, in unserer Gesellschaft verankert ist, zeigt dieses Wahlergebnis und es macht mich wütend, traurig und sprachlos.

Lindy West, Her Loss:

„I cried because I want my daughters to feel that blazing pride, that affirmation of their boundless capability — not from their husbands, but from their world, from the atmosphere, from inviolable wells of certainty inside themselves. I cried because it’s not fair, and I’m so tired, and every woman I know is so tired. I cried because I don’t even know what it feels like to be taken seriously—not fully, not in that whole, unequivocal, confident way that’s native to handshakes between men. I cried because it does things to you to always come second.

Whatever your personal opinion of the Clintons, as politicians or as human beings, that dynamic is real. We, as a culture, do not take women seriously on a profound level. We do not believe women. We do not trust women. We do not like women. I understand that many men cannot see it, and plenty more do not care. I know that many men will read this and laugh, or become defensive, or call me hysterical, or worse, and that’s fine. I am used to it. It doesn’t make me wrong.“

David Remnick, An American Tragedy:

„The election of Donald Trump to the Presidency is nothing less than a tragedy for the American republic, a tragedy for the Constitution, and a triumph for the forces, at home and abroad, of nativism, authoritarianism, misogyny, and racism. Trump’s shocking victory, his ascension to the Presidency, is a sickening event in the history of the United States and liberal democracy. On January 20, 2017, we will bid farewell to the first African-American President—a man of integrity, dignity, and generous spirit—and witness the inauguration of a con who did little to spurn endorsement by forces of xenophobia and white supremacy. It is impossible to react to this moment with anything less than revulsion and profound anxiety. […]

In the coming days, commentators will attempt to normalize this event. They will try to soothe their readers and viewers with thoughts about the “innate wisdom” and “essential decency” of the American people. […] The commentators, in their attempt to normalize this tragedy, will also find ways to discount the bumbling and destructive behavior of the F.B.I., the malign interference of Russian intelligence, the free pass—the hours of uninterrupted, unmediated coverage of his rallies—provided to Trump by cable television, particularly in the early months of his campaign. We will be asked to count on the stability of American institutions, the tendency of even the most radical politicians to rein themselves in when admitted to office. Liberals will be admonished as smug, disconnected from suffering, as if so many Democratic voters were unacquainted with poverty, struggle, and misfortune. There is no reason to believe this palaver. There is no reason to believe that Trump and his band of associates—Chris Christie, Rudolph Giuliani, Mike Pence, and, yes, Paul Ryan—are in any mood to govern as Republicans within the traditional boundaries of decency. Trump was not elected on a platform of decency, fairness, moderation, compromise, and the rule of law; he was elected, in the main, on a platform of resentment. Fascism is not our future—it cannot be; we cannot allow it to be so—but this is surely the way fascism can begin.“

Andrew Sullivan, The Republic Repeals Itself:

„This is now Trump’s America. He controls everything from here on forward. He has won this campaign in such a decisive fashion that he owes no one anything. He has destroyed the GOP and remade it in his image. He has humiliated the elites and the elite media. He has embarrassed every pollster and naysayer. He has avenged Obama. And in the coming weeks, Trump will not likely be content to bask in vindication. He will seek unforgiving revenge on those who dared to oppose him. The party apparatus will be remade in his image. The House and Senate will fail to resist anything he proposes — and those who speak up will be primaried into oblivion. The Supreme Court may well be shifted to the far right for more than a generation to come — with this massive victory, he can pick a new Supreme Court justice who will make Antonin Scalia seem like a milquetoast. He will have a docile, fawning Congress for at least four years. We will not have an administration so much as a court.“

Tagebuch, Dienstag, 8. November 2016 – Election Night

Gestern war einiges schön, aber jetzt ist es Mittwoch morgen, 7 Uhr 38, ich bin seit 24 Stunden wach und will immer noch nicht glauben, was ich seit Mitternacht auf CNN verfolge. Ich gehe jetzt kurz schlafen und hoffe auf ein Wunder, an das ich, wie gesagt, nicht mehr glaube. Ich bin sprachlos.

Was schön war, Montag, 7. November 2016 – Architektur

Herr Buddenbohm quengelte, dass er am Sonntag nicht in die Elbphilharmonie konnte, weil es zu voll war, die MOPO schrieb ebenfalls von vielen Menschen, die sich die Plaza anschauen wollten, und ich freute mich wie ein Schnitzel, dass genau das passierte: Ein neues Gebäude steht nicht einfach nur rum, sondern die Anwohner*innen wollen sich das Ding mal aus der Nähe angucken und das anscheinend massenweise. Die Plaza ist immer geöffnet und wird vermutlich ein neuer Pflicht-Tourispot, weil man so schön den Hafen aufs Bild kriegt – gefällt mir auch außerordentlich gut.

Der NDR strahlte am Freitag eine 45-minütige Doku zur Baugeschichte aus, und alleine für die Herstellung der Fenster lohnt sich das Ding.

Ich habe es schon im April bedauert, dass ich genau in dem Moment weggezogen bin, als die Kräne von der Baustelle verschwanden und man das Gebäude endlich ungestört betrachten hätte können, aber ich wollte es ja nicht anders. Jetzt bin ich natürlich hibbelig, es endlich angucken zu können. Ich klickte spaßeshalber mal bei den Tickets für März 2017 rum, das wäre ein schönes Geburtstagsgeschenk an mich selbst gewesen, aber haha, der große Saal ist natürlich schon ausverkauft. Schenke ich mir das halt nach der abgebenen Masterarbeit zur nächsten Spielzeit. Da muss ich dann auch endlich ins Tantris und die Absolvente kaufen, was ich eigentlich zum BA schon hätte erledigen wollen.

Außerdem habe ich die renovierte Kunsthalle auch nicht mehr gesehen, und meine unzuverlässige Twittertimeline weigert sich beharrlich, mir endlich mal meinen Lieblingsleibl zu knipsen; ich weiß gar nicht, wie der jetzt hängt und wie’s ihm geht. Ihr seid alle sehr gemein zu mir.

(Kleiner Einschub: Das Bild wurde in der Gegend von Bad Aibling gemalt, wo es lange Zeit das sogenannte Leibl-Atelier gab. Da malte nach 1945 ein gewisser Leo von Welden drin. Mein Leben ist ein einziges großes Puzzle und irgendwann kapiere ich, was dabei am Ende rauskommen soll.)

Ich regte mich ja gestern schon über den Begriff „Elphi“ für die Elbphilharmonie auf, von dem ich hoffe, dass er sich nienienie durchsetzen wird. Zur Oper in Sydney sagt doch auch niemand „Opi“! Wobei mir gestern aufgefallen ist, dass die ollen Münchner*innen zum ehemaligen olympischen Dorf „Olydorf“ sagen. Schluss mit dem Verniedlichen und Abkürzen! Ich werde nie wieder einen O-Saft ordern und damit leben müssen, als Bestellsnob zu gelten.

PS: Wenn ich Schoki sage, ist das IMMER ironisch!

Edit:

Bildschirmfoto 2016-11-08 um 16.06.33

Ich habe das nicht anständig durchdacht!

Was schön war, Sonntag, 6. November 2016 – Fertig

Gestern war es eher ein Grundgefühl, das mir den Tag verschönerte, auch wenn er ein bisschen tranig und nicht ganz so produktiv war, wie ich nach dem motivierten Samstag gehofft hatte. Das Gefühl war: getting things done. Ich stopfte endlich mal den Berg aus Socken, der hier seit, ich geb’s ja zu, Monaten vor sich hinwächst. Jetzt haben die Socken keine Löcher mehr, sehen aber aus wie Frankensteins Monster, weil ich zu Handarbeiten offensichtlich nicht die Bohne Talent habe. Trotzdem habe ich lieber stofflichen Murks gemacht als neues Zeug zu kaufen.

Wäsche gewaschen, Körperpflege betrieben, mein Fernleihebuch weitergelesen und Franzbrötchen gebacken. Die nehmen es mir anscheinend persönlich übel, dass ich nicht mehr in Hamburg wohne: Sie schmecken immer prima, sehen aber auch aus wie Frankensteins Monster.

Eher unkonzentriert bei der Arbeit gewesen, denn immer wenn ich einen Aufsatz durch habe, denke ich, ach, toll, was haste wieder gelernt – und in dem Augenblick fällt mir ein, dass das in anderthalb Semestern ein Ende hat und ich immer noch keine Ahnung, nicht mal einen Hauch davon, habe, was nach der Abgabe der Masterarbeit mit mir so passieren soll. Vermutlich auch ein Grund, warum ich endlich die blöden Socken gestopft habe: Das lenkt alles so schön ab.

Bäm. #fertig #elbphilharmonie

Ein von Alexander Svensson (@instawortfeld) gepostetes Foto am

Gerne gelesen: den Artikel im Guardian über die Elbphilharmonie. (Die nennt ihr in Hamburg nicht ernsthaft „Elphi“, oder? Lasst das!) Sehr gelacht habe ich darüber, dass die Rolltreppe, deren Ende man nicht sehen kann und die bisher jeder meiner Hamburg-Kontakte schon instagramt hat, an die Pyramide von Gizeh erinnert – wenn Liberace sie gestaltet hätte. Ansonsten schwärmt der Artikel liebevoll vor sich hin, was ich sehr gerne mag – wenn man durch Worte spürt, wie schön das Gebäude ist.

Im Artikel werden die hochpreisigen Toilettenbürsten angesprochen, über die es zum Streit kam. Das scheint ein wiederkehrendes Motiv bei Herzog & de Meuron zu sein: dass Auftraggeber nicht verstehen, dass auch die Möglichkeit zum schönen Koten bedacht wurde. Im Nationalstadion in Peking mussten die Entwürfe ebenfalls angepasst werden, dort waren den Auftraggebern die Toilettenschüsseln zu teuer. Aber zurück zu Elfi:

„From here, a second escalator leads up to a brick-paved plaza on the roof of the old warehouse, planned as a new (free, but ticketed) public space for the city, jacked 40 metres up in the air. It is one of the project’s most exhilarating moments, where you’re sandwiched between the plinth of the brick shed (which now mostly houses the car park) and the diaphanous cloud of culture above. A sculpted white ceiling swoops above your head, flaring out on either side of the building to frame views of the city in a pair of vaulted apses – an appropriate form for what is a cathedral of our time.“

Die NZZ setzt die Elbphilharmonie in Bezug zu weiteren Bauten Herzog & de Meurons und erwähnt auch den Siegerentwurf für das neue Berliner Museum des 20. Jahrhunderts; das Caixa Forum konnte ich mir vor einigen Wochen in Madrid selbst anschauen.

„Da wirkt die bereits vor 13 Jahren konzipierte Elbphilharmonie fast wie aus einer anderen Welt. Und doch vereint sie wesentliche Aspekte des Schaffens von Herzog & de Meuron. Lässt der Zusammenklang von Alt und Neu an die Tate Modern denken, so stellt der Glasaufbau eine Weiterentwicklung des Prada Flagship Store in Tokio dar. Die gewellte Dachform der Hamburger Ikone thematisiert dagegen das Bild der Architektur als gefrorene Musik; und die aus sphärisch gebogenen und teilweise bedruckten Einzelelementen bestehende Glashülle scheint die vor hundert Jahren von der deutschen Moderne erträumte kristalline Architektur der Wirklichkeit näher zu bringen.“

Der NDR sendete vergangenen Freitag einen 45-Minüter zur Baugeschichte.

Was schön war, Samstag, 5. November 2016 – Erst Schreibtisch, dann Fleisch

Gestern begann der Semesterflow, auf den ich immer freudig warte. Meist vergehen zwei, drei Wochen des Semesters, in denen ich noch etwas ziellos rumbibliografiere, mich mit neuen Themen aufmerksam, aber noch irgendwie halbherzig beschäftige, zu viele Serien gucke und noch nicht den richtigen Zugriff auf meine Arbeit habe; das ist so ein Mischmasch aus „Eigentlich müsste ich“ und „Aber so richtig dann auch noch nicht“. Aber irgendwann in jedem Semester kommt der Moment, wo ich nicht aus Pflichtgefühl am Schreibtisch sitze, sondern aus Lust und Neugier. Meistens habe ich dann schon einen winzigen Grundstock an Informationen und durch einen neuen Aufsatz, eine Stunde in der Vorlesung oder ein bestimmtes Buch in der Bibliothek kippt mein halberziges Rumsuchen in eine zielgerichtete Arbeit. Den Moment mag ich sehr gerne. Gestern sorgte er allerdings dafür, dass ich keine Lust hatte, vom Schreibtisch aufzustehen und in die Arena zu fahren, weswegen ich dem ehemaligen Mitbewohner bedauernd mailte, dass ich seine Dauerkarte wohl nicht mehr brauchen würde. (Spart aber auch schön Geld.)

Ich las gestern ausschließlich über Amnesty International und die Menschenrechte; für nächsten Dienstag müssen wir zwei Texte vorbereiten, die ich zwar schon mal überflogen hatte, aber gestern las ich sie anständig mit Bleistift und Fragen im Hinterkopf und exzerpierte sie auch brav in meine Referatstoffsammlung. Texte von Dozierenden machen sich da immer gut, bei denen kann ich schon davon ausgehen, dass da was Vernünftiges drinsteht, und ihre Fußnoten sind ein schönes Sprungbrett für weitere Texte. So begann das übliche Spiel: lesen, bibliografieren, Bücher in die Stabi oder die UB bestellen, Aufsätze online finden, lesen und/oder speichern, exzerpieren, weiterlesen.

Dazu gab’s Ostfriesentee und meine Lichterkette beschien das alles sehr beschaulich.

Abends traf ich mich mit netten Menschen aus diesem Interweb im Theresa. Das war mein Vorschlag gewesen, weil ich dort das bisher beste Fleisch meines Lebens gegessen hatte. Wir hatten beim letzten Besuch allerdings entspannt zu zweit in einer ruhigen und anständig beleuchteten Ecke gesessen; gestern saßen wir zu fünft quasi vor der Theke und hinter uns rannten dauernd alle durch die Gegend, weswegen es sehr unruhig und für meinen Geschmack zu laut war. Außerdem musste der Laden anscheinend gerade Strom sparen, so düster war es. Das Essen wurde auf schwarzen Tellern serviert, und so großartig mein Rinderfilet auch wieder war – ich hätte es gerne etwas deutlicher gesehen.

In F.s Armen eingeschlafen. Momentan mein größtes „Was schön war“. Immer wieder.

Was schön war, Freitag, 4. November 2016 – Slow news day

Gemeinsam aufgewacht. Nach Hause geradelt. Radfahren sollte überhaupt auf jeder meiner „Was schön war“-Liste stehen.

Serien geguckt statt was für die Uni zu tun: Grey’s Anatomy, The Good Place, Mom, The Big Bang Therory (eher aus Pflichtgefühl – so richtig unterhält es mich nur noch in Augenblicken, aber ich kann es noch nicht ganz hinter mir lassen) und die erste Folge der deutschen Ausgabe von Masterchef auf Sky. Hatte nicht Vox oder SAT1 auch schon mal einen Versuch mit Masterchef gemacht, der nach einer Staffel beerdigt wurde? Weiß ich nicht mehr. Sky hat sich leider von der nervigen US-Variante inspirieren lassen anstatt von der klassischen britischen oder der wunderbaren aus Australien: Kandidaten werden vorgestellt, die fünf Minuten später ausscheiden, Juror*innen (immerhin eine Frau, yay!) lassen hölzern auswendiggelernte Nullnummern ab, es werden die besten der besten gesucht, von denen in der ersten Runde einige nicht mal ein anständiges Sandwich machen können, und das dusselige Duellformat wird zunächst beibehalten, wobei man sich auf die Kandidaten anstatt auf die Töpfe konzentriert. Das habe ich mir brav angeschaut, um im Blog darüber meckern zu können, und ich gebe dem ganzen auch noch ein, zwei Folgen, aber ich ahne, dass es mir sehr egal sein wird und ich beruhigt aufhören kann, es zu schauen.

Zwei Bücher für die Uni aus der Packstation geholt und damit eine gute Ausrede gehabt, um nicht an den Texten weiterlesen zu müssen, mit denen ich gerade mein erstes Referat vorbereite. Prokrastinieren für Amateurinnen.

Abends ein perfektes Grilled Cheese Sandwich zubereitet und früh im Bettchen gewesen. Mir vorgenommen, bis Dienstag keine Umfragen mehr zu lesen, sonst werde ich wahnsinnig. Möge die US-Wahl schnell und gut vorübergehen.

Was schön war, Donnerstag, 3. November 2016 – Kuratorische Gespräche

F. und ich guckten uns eine Podiumsdiskussion im Haus der Kunst an, auf der Frances Morris und Kasper König über zwei ihrer vergangenen, wegweisenden Ausstellungen sprachen, Paris Post War: Art and Existentialism, 1945–55 (Tate Gallery London, 1983) und Westkunst (Kölner Messehallen, 1981), in der Kunst von 1939 bis 1970 gezeigt wurde. Beide interessierten mich natürlich aus dem Blickwinkel, den ich gerade für von Welden einzunehmen versuche: Was wurde nach 1945 für wichtig gehalten, was wurde direkt nach dem Krieg gezeigt, was deutlich später, was aber im Nachhinein für die Zeit prägend war.

Die beiden stellten zunächst ihre Ausstellungen noch einmal in Bildern vor – Morris zunächst mit Dias, weil sie meinte, sie hätte halt von der Ausstellung keine PowerPoint rumliegen, was ich charmant fand. König hatte hingegen eine ewig lange Bildstrecke aus dem Kunstforum eingescannt, in dem damals die Ausstellung – wie in fast allen Medien – sehr kritisch gesehen wurde. So konnten wir nachträglich immerhin per Bild durch die Räume wandern, während die beiden teilweise Hängungen erläuterten, auf Künstler*innen hinwiesen etc. In einem Raum der Westkunst hingen Josef Albers‘ Farbquadrate und Edward Hoppers melancholische Interieurs nebeneinander, und als das Bild kam, dachte ich spontan, wow, tolle Hängung, spannender Kontrast und trotzdem eine Einheit, als König meinte, genau der Raum wäre total verrissen worden. So scheinen sich Sehgewohnheiten geändert zu haben. Morris zeigte außerdem Bilder der Tate Modern, die erst 2000 eröffnet wurde, was mich überraschte; für mich gehört das Museum schon so zu den Standards, dass ich die in die 1990er verortet hätte. Die Tate Modern war das erste Museum, das seine Sammlung nicht chronologisch präsentierte, sondern thematisch geordnet, was völlig neue Nachbarschaften und Ansichten ergab. Heute ein total normales Konzept, jedenfalls auf Sonderausstellungen.

Ich fand es sehr spannend, den beiden alten Recken, wenn ich das so flapsig sagen darf, zuzuhören. Okwui Enwezor, der die Diskussion leitete, meinte, solche Ausstellungen, wie die beiden sie auf die Beine gestellt hätten, wären heute überhaupt nicht mehr möglich; aus klimatechnischen und versicherungsrechtlichen Gründen würde man heute nie mehr eine solche Masse an großen Namen in einen Raum kriegen, heute würde für jedes Zwei-Zentimeter-Exponat ein Kurier per Business Class eingeflogen, das sei auch nicht mehr zu bezahlen. Umso mehr bin ich jetzt auf Post War im Haus der Kunst gespannt, die sowohl Morris als auch König überschwenglich lobten, wenn auch König meinte, er hätte zwischendurch zweimal ins Café gemusst, weil er so durch gewesen sei. Das beruhigte mich, dass auch Profis irgendwann nichts mehr sehen können.

Beide wiesen allerdings darauf hin, dass Paris Post War und Westkunst auch heute deshalb vermutlich nicht mehr so zustande kämen, weil heutige Kurator*innen ihrem Publikum nichts mehr zutrauten. Westkunst wurde vorgeworfen, zu kompliziert zu sein, woraufhin König meinte: “What’s wrong with being complicated? Trust your audience!” Ich weiß nicht, ob ich diese Aussage generell so stehen lassen würde, aber ich ahne, dass auch wirtschaftliche Gründe dafür sorgen, dass manche Ausstellungen einfacher zugänglicher sind als andere. Ein Kurator erzählte mir mal, dass sein Haus immer abwechselnd Ausstellungen konzipiere: einen Blockbuster, wo die üblichen schnuffigen Namen hingen, die sei immer voll, weil alle die schön fänden, und dann käme eine Ausstellung, die den Kurator*innen aus kunsthistorischer Sicht am Herzen liege, bei der man aber davon ausgehen könne, dass da längst nicht so viele Menschen durchrennen, weil sie anstrengender sei.

Ich finde, beides hat seinen Reiz. Ich bin per se erstmal dankbar, Originale sehen zu können, auch wenn es die immer gleichen Namen sind und die ganz großen Werke sowieso nicht mehr verliehen werden. Gleichzeitig freue ich mich aber auch über Namen, die ich nicht kenne, über Werke, bei denen ich erstmal ein Fragezeichen über dem Kopf habe, was manchmal auch nicht weggeht – aber das ist ja das Tolle an Kunst, das darf ruhig da bleiben. Die Idee, dass man Kunst irgendwie verstehen müsste, geht mir immer mehr auf den Zeiger. Ich finde es völlig in Ordnung, sich mit Kunst zu konfrontieren und dann einfach das mitzunehmen, was kommt. Ich darf Kunst auch einfach schön finden oder doof oder belanglos oder scheiße, und dafür muss man sie nicht verstehen.

Was schön war, Mittwoch, 2. November 2016 – Oma und Omi

Dienstag trudelten noch ein paar Korrekturwünsche für einen Job ein, für die ich ins Zentralinstitut für Kunstgeschichte musste bzw. in die dortige Bibliothek. Das ging Dienstag erstens nicht, weil Feiertag war und zweitens, weil ich miesgelaunt unter meiner Bettdecke lag. Aber Mittwoch morgen stand ich bereit, mein Uterus hatte sich halbwegs beruhigt, und so radelte ich frohgemut ins ZI. Dort verlängerte eine Angestellte zunächst meinen Bibliotheksausweis und wünschte mir dann viel Spaß. Die kennt mich!

Die Korrekturen gingen schneller als ich dachte, und so konnte ich mich schon nach kurzer Zeit wieder Herrn von Welden widmen. In diesem Semester möchte ich mehr darüber rausfinden, was er nach 1945 so gemacht hat. Was ich spannend finde: dass sich seine Kunst nach 1945 ziemlich dramatisch veränderte. Hatte er vorher quasi 30 Jahre lang prinzipiell das gleiche gemalt und gezeichnet, änderte sich nun sein Stil. Die Motive blieben ähnlich, aber er ging weg vom Klassischen, vom Impressionistischen, von der Neuen Sachlichkeit. Er entdeckte auf einmal Acrylfarbe und dass die in irrwitzig vielen bunten Farbtönen zu haben war; er verließ das bis dahin vorherrschende düster-verschattete Bräunlich-Grün und bewegte sich auf einmal in knalligem Gelb, Orange, Hellblau – er entdeckte 30 Jahre zu spät den Expressionismus für sich.

Alleine darüber könnte ich schon hübsch referieren, aber mich interessiert natürlich auch, was der Rest der Kunstwelt denn so gemacht hat, denn von Welden existierte ja nicht in einem Vakuum. Also las ich ein bisschen was zur amerikanischen Kulturpolitik in ihrer Besatzungszone im Vergleich zur SBZ, wie die Museen sich nach Kriegsende wieder aufrappelten und vor allem: was sie wieder ausstellten. Totale Überraschung: Erstmal wurde größtenteils weiterhin das gezeigt, was vor den Bombenangriffen abgehängt wurde, denn das war halt irgendwo eingelagert und wurde jetzt wieder ausgelagert. Zusätzlich versuchten einige Museen, die Bestände wiederzubekommen, die sie im Laufe der Aktion „Entartete Kunst“ hatten abgeben müssen. Das gelang nicht immer, oft wurde nach Ersatz gesucht, aber generell wurde nach und nach das ausgestellt, was ab 1933 abgehängt wurde. Es kamen allerdings kaum Künstler*innen dazu, die zwischen 1933 und 1945 im Exil oder im Verborgenen produziert hatten, von Ausnahmen wie Beckmann abgesehen. Auch wurde zunächst weiterhin hauptsächlich deutsche Kunst präsentiert; erst nach und nach kam die internationale Moderne wieder an die Wände.

Während in der sowjetisch besetzten Zone sehr offensiv mit Kunst Politik gemacht wurde, gingen die Amerikaner etwas subtiler vor, und die Briten und Franzosen hatten zunächst was Anderes zu tun als sich um Bilder zu kümmern oder welchen Einfluss sie auf nationalsozialistische deutsche Gehirne hatten. Schon recht früh wurde ostdeutschen Künstler*innen nahegelegt, so zu malen, dass ihre Bilder verstanden wurden (was auch immer das heißen mag), während in der amerikanisch besetzten Zone noch darauf gehofft wurde, dass die Deutschen mit abstrakter Kunst irgendwann irgendwie klarkämen. Der Kalte Krieg tat sein Übriges: Unter Truman wurde der Abstrakte Expressionismus quasi Staatskunst, auch wenn das amerikanische Publikum ihn zunächst genauso wenig mochte wie die Deutschen ihn nicht verstanden, aber er war ein bewusster Gegenentwurf zum figürlichen Malen in der SBZ und der Sowjetunion. Spätestens die erste documenta 1955 machte klar, wie westliche Kunst jetzt auszusehen hatte. Auch hier fehlten übrigens emigrierte oder jüdische Künstler*innen fast komplett.

Mich interessiert jetzt, wie sich von Welden positionierte. In seinen Briefen Ende der 1940er Jahre fand ich einige Hinweise auf geplante Ausstellungen, in denen altbekannte Namen vorkamen. 1950 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Bad Aiblinger Kunstvereins, der auch teilweise von in der NS-Zeit geschätzten Malern unterstützt wurde, sich aber betont unpolitisch gab. Auch die Gruppe 51 in Rosenheim, der sich von Welden 1953 anschloss, betonte ihre Ablehnung von NS-Kunst – interessant, dass von Weldens Mitwirken an der GDK anscheinend bewusst ignoriert wurde. Aber da dürfte er nicht der einzige gewesen sein. Ich werde in den nächsten Wochen die Heimatmuseen und Stadtarchive von Bad Aibling und Bad Feilnbach durchforsten, um etwas über den Kunstverein zu finden, was in der wenigen Literatur steht. Zusätzlich kümmere ich mich um die Preisentwicklung seiner Bilder bzw. gucke mal nach, was die Galerie Rosenheim wann von ihm für wieviel gekauft hat. Er war einer der letzten Künstler, der in der NS-Zeit gekauft und der erste, von dem nach 1945 etwas erworben wurde, daher spielt er eine gewisse Rolle für die Galerie.

Das alleine war schon schön: das vertraute Gefühl, wieder im Lesesaal zu sitzen und zu merken, wie gerne ich dort bin und wie gut es tut, die Nase wieder in schlaue Bücher zu stecken. Auch: zu merken, was ich alles schon weiß und wie gut ich neue Informationen jetzt einordnen kann.

Am späten Nachmittag scheuchte mich mein knurrender Magen aus dem Lesesaal und wieder aufs Fahrrad. Es regnete etwas, aber ich dachte, ach, die zwei Kilometer, pffft. Natürlich wurde ich trotzdem fies nass und zusätzlich fror ich wie ein Schneider. Nachdem ich zuhause mein Fahrrad in den Keller gewuchtet hatte, stand ich tropfnass und mit rotgefrorenen Bäckchen am Fahrstuhl und wartete. In dem Moment musste ich an meine Oma denken, die immer, wenn meine Schwester und ich quengelten, dass uns kalt sei, weil wir draußen rumrennen mussten, meinte: „Aber ihr habt jetzt so eine gesunde Gesichtsfarbe.“ Außerdem musste ich an meine Omi denken, die immer so ein durchsichtiges Kopftuch aus Plastik hatte, was sie bei Regen trug. Ich glaube, ich habe sie nie mit einem Schirm gesehen, immer nur mit Mantel und diesem komischen Plastikding. Das fand ich jahrelang total quatschig, aber gestern, so ohne Mütze oder Tuch oder Kapuze dachte ich, während mir das Wasser am gesund aussehenden Gesicht entlanglief, das wäre jetzt wirklich praktisch. Das war schön, so unvermittelt an Oma und Omi zu denken.

Tagebuch, Dienstag, 1. November 2016 – Meh

Gestern war schön, dass in Bayern Feiertag war und ich Tee und Kekse im Haus hatte. Ansonsten habe ich den Tag mit Schmerztabletten vollgepumpt unter der Bettdecke verbracht, meinen Uterus gehasst und darauf gewartet, dass mir mal nicht so viel weh tut, damit ich neuen Tee kochen und mehr Kekse aus der Küche holen kann. War eher ein doofer Tag. Nichts für die Uni gelesen, nichts gelernt, nur kraftlos und genervt gewesen. (Aber Tee und Kekse!)

Was schön war, Montag, 31. Oktober 2016 – Tue Blutiges und rede darüber

(Ehemaliger Mitbewohner: Das verbloggst du nicht.
Ich: Aber hallo verblogge ich das.)

Vormittags im Rosenheim-Seminar wieder neue Dinge gelernt.

Danach gab sich mir gegenüber eine Verwandte von Hotel Mama zu erkennen (Grüße!), die auch im Rosenheim-Seminar sitzt, als ich gerade in meinem Supermarkt vor dem Chipsregal überlegte, welche Opfergaben ich der Göttin der Menstruation zukommen lassen könnte, damit die doofen Bauchschmerzen aufhören.

Abends bei Lidl gemerkt, dass die jetzt auch Baumstämme haben, diese herrliche Weihnachtssüßigkeit aus Marzipan und Nougat, die ich sonst nur von Aldi kenne und auf die ich mich immer monatelang vorfreue. Sobald sie in den Läden liegen, kaufe ich zehn davon, nach acht ist mir schlecht und ich will sie nie wieder essen, aber sobald sie dann nach monatelanger Pause wieder in den Läden liegen, kaufe ich zehn davon, nach acht ist mir schlecht usw. Diesen Zyklus mache ich jetzt seit ungefähr 20 Jahren durch. Bitte sagen Sie nichts.

Ein paar Bierchen beim ehemaligen Mitbewohner. Endlich mal wieder gemeinsam rumgelungert und gequatscht. Dabei ist mir allerdings ein Missgeschick passiert, vor dem ich mich fürchte, seit ich 13 bin. Da macht man diesen Scheiß seit fast 35 Jahren mit und dann passiert es doch, dass man nicht merkt, dass ein Tampon gewechselt werden möchte. Diesen Punkt auf der Bitte-nicht-Bucket-List kann ich also abhaken: Ja, ich habe ein bisschen Blut auf einem Sofa hinterlassen. Nein, es war nicht mein Sofa. Ja, es war weiß.

Ehemaliger Mitbewohner: Naja, nicht so richtig weiß.
Ich: Elfenbein?
EM: Darf man das noch sagen?
Ich: Ecru?
EM: Guck doch mal bei Ikea nach, wie die die Farbe nennen.
Ich: Vermutlich Sven.

Aber: Sofakissen lassen sich abziehen, Blut geht mit kaltem Wasser raus, wie vermutlich jedes menstruierende Wesen weiß, und wenn man gut genug befreundet ist, bekommt man nach Missgeschicken sogar noch Cuba Libre. Auf die Freundschaft!